Drucksache 17 / 16 131 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 30. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Mai 2015) und Antwort Abschiebepraxis im Land Berlin (I) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Direktabschiebungen konnten jeweils im Land Berlin in den Jahren seit 2010 dadurch durchgeführt werden, dass die Betroffenen zu einem „Termin“ in die Ausländerbehörde einbestellt wurden, ohne dass ihnen eröffnet wurde, dass beabsichtigt ist, eine Abschiebung direkt aus diesem „Termin“ heraus durchzuführen? (Bitte eine detaillierte Einzelaufschlüsselung nach Jahr und Anzahl.) Zu 1.: Wie viele Personen in den Räumlichkeiten der Ausländerbehörde zum Zwecke einer Abschiebung fest- genommen und dann auch tatsächlich abgeschoben wur- den, wird statistisch nicht erfasst. 2. An wie vielen der unter 1. genannten Abschiebun- gen im Land Berlin war Herr Lerche als „Arzt“ beteiligt? (Bitte eine detaillierte Einzelaufschlüsselung nach Jahr und Anzahl.) Zu 2.: Entfällt 3. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, da- mit Ausreisepflichtige unter einem Vorwand in die Aus- länderbehörde bestellt werden dürfen, um sie dann von dort unmittelbar abzuschieben? Zu 3.: Ausreisepflichtige Ausländerinnen und Auslän- der werden nicht zum Zwecke der Abschiebung unter einem Vorwand in die Ausländerbehörde bestellt. Grund- sätzlich können vollziehbar ausreisepflichtige Auslände- rinnen und Ausländer nach Ablauf der Frist zur freiwilli- gen Ausreise jederzeit (auch in den Räumlichkeiten von Behörden) zum Zwecke der Abschiebung festgenommen werden, wenn keine Ausreisehindernisse oder Duldungs- gründe vorliegen. Dies gilt insbesondere, wenn aus Grün- den der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine behörd- liche Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint, weil die ausreisepflichtige Person rechtskräftig wegen einer oder mehrerer schwerer vorsätzlicher Straftaten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und deshalb rechtkräftig ausgewiesen wurde. In der Regel erfolgt eine Festnahme unter der Melde- anschrift der Betroffenen. Wenn die Betroffenen nicht gemeldet sind oder bekannt ist, dass sie sich unter der Meldeadresse nicht aufhalten, kann eine Festnahme zum Zwecke der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreise- pflicht grundsätzlich auch im Rahmen einer Vorsprache in den Räumlichkeiten der Ausländerbehörde erfolgen. Die in diesem Stadium des Verfahrens ausgestellte Be- scheinigung weist ausdrücklich darauf hin, dass eine Abschiebung jederzeit möglich ist. Die Festnahme kann zum Zwecke der Direktabschiebung als auch zum Zwecke der Abschiebung aus Abschiebungshaft erfolgen. Als milderes Mittel im Vergleich zur Abschiebung aus Ab- schiebungshaft ist die Direktabschiebung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in der Regel rechtlich geboten. 4. Welche Regelungen bestehen bei der Durchfüh- rung von unter 1. genannten Abschiebungen in Hinblick darauf, dass die Betroffenen sich nicht auf die unmittelba- re Durchführung der Abschiebung vorbereiten konnten (persönliche Dinge regeln, Koffer packen, Kontakt ins Abschiebeland aufnehmen etc.)? Zu 4.: Die Betroffenen haben vor einer Abschiebung grundsätzlich die Möglichkeit, innerhalb einer angemes- senen Frist freiwillig auszureisen und können so ihre Ausreise umfassend organisieren und vorbereiten. Kom- men sie dieser Verpflichtung nicht nach, ohne dass ein Ausreisehindernis oder ein Duldungsgrund besteht, müs- sen sie jederzeit damit rechnen, zum Zweck der Durchset- zung der Ausreisepflicht festgenommen zu werden. Nach Möglichkeit wird im Rahmen der Abschiebung bei einer Festnahme in den Räumlichkeiten der Auslän- derbehörde die Wohnanschrift der Betroffenen angefah- ren und hierdurch die Möglichkeit eingeräumt, noch Ge- päck mitzunehmen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 131 2 5. Bei wie vielen der unter 1. genannten Abschiebun- gen wurden die Betroffenen direkt aus dem „Gesprächstermin “ aus der Ausländerbehörde zum Flughafen gebracht , ohne dass diese zumindest ihre wichtigsten per- sönlichen Dinge einpacken bzw. sich von nahestehenden Personen verabschieden konnten? (Bitte eine detaillierte Einzelaufschlüsselung nach Jahr und Anzahl.) Zu 5.: Entfällt 6. Gibt es Regelungen, wie bei den unter 1. genann- ten Abschiebungen mit Rechtsanwält*innen, die ihre Mandant*innen zu solchen „Terminen“ begleiten, zu verfahren ist und wenn ja, welche? Zu 6.: Nein. Es gelten die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts und des Verwaltungsverfah- rensgesetzes für Bevollmächtigte. 7. Wie oft wurden Betroffene bei den unter 1. ge- nannten Abschiebungen von ihren Rechtsanwält*innen getrennt bzw. ein weiterer Kontakt zu diesen unterbun- den? Zu 7.: Entfällt 8. Gibt es eine Dienstanweisung oder Ähnliches, die bei Abschiebungen nach der unter 1. genannten Vorge- hensweise regelt, dass Rechtsanwält*innen der Zugang zu ihren Mandat*innen verwehrt werden kann und wenn ja, welche? (Bitte im Originalwortlaut beifügen oder Einsicht durch Fragesteller ermöglichen.) Zu 8.: Nein. 9. Ist es in der Vergangenheit vorgekommen, dass Personen, die abgeschoben werden sollten, in der Korres- pondenz zwischen Ausländerbehörde und Polizei mit herabwürdigenden und stark diffamierenden „Spitznamen “ (wie z. B. „Killer-...“ und „Psycho-...“) bezeichnet wurden? a) Wenn ja, wie oft und warum? b) Wenn ja, gibt es hierzu eine Dienstanweisung oder Ähnliches? c) Wenn nein, kann der Senat die Verwendung sol- cher „Spitznamen“ mit Sicherheit ausschließen? Zu 9a bis c.: Abzuschiebende Personen werden in der Korrespondenz zwischen der Ausländerbehörde und der Polizei grundsätzlich nicht mit herabwürdigenden und diffamierenden Spitznamen bezeichnet. Die im Einzelfall erfolgte Verwendung der Begriffe „Killer-…“ oder „Psycho-…“ in Verbindung mit Frau O. hat folgenden Hintergrund: Nach den Feststellungen des Landgerichts Berlin in der Verurteilung vom 23. Juni 2009 „…ist Frau O. sehr egozentrisch, verfügt über eine Fülle demonstrati- ver Mechanismen und stellt sich gern damit ins Zentrum des allgemeinen Interesses. Auch neigt sie zu aggressiven Übergriffen.“ Aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten war sie in Berlin-Wedding – so das Landgericht Berlin – unter den genannten Spitznamen bekannt. Daher wurde durch die Ausländerbehörde in den Sicherheitsfragen nach den Bestimmungen über die Rückführung ausländi- scher Staatsangehöriger auf dem Luftweg (Best.- Rück Luft), die der Klärung der Notwendigkeit einer Sicher- heitsbegleitung, einer ärztlichen Begleitung bzw. anderer gesundheitlicher Vorsichtsmaßnahmen dienen, das Erfor- dernis der Sicherheits- und Arztbegleitung bejaht und zur Begründung ergänzend darauf hingewiesen, dass Frau O. sehr gewaltbereit und in einschlägigen Kreisen unter diesen Namen bekannt sei. Diese Bezeichnung diente im vorliegenden Fall also dazu, das Begleiterfordernis deut- lich zu machen und die Polizei bezüglich der erforderli- chen Eigensicherung zu sensibilisieren. Aus den gleichen Gründen wurden die Bezeichnungen auch in zwei Ersu- chen an die Polizei Berlin verwendet. Im weiteren Verlauf des Vorgangs findet sich die sowohl im Urteil des Land- gerichts Berlin als auch in der Übermittlung der Eigensi- cherungshinweise verwendete Begrifflichkeit „KillerBanu “ in einer E-Mail und in einer Aktennotiz der Polizei Berlin wieder. Durch die Übernahme dieser Bezeichnung aus dem übermittelten Ersuchen und das Weglassen der eigensicherungsrelevanten Feststellungen über eine Nei- gung zu aggressiven Übergriffen der Betreffenden könnte bedauerlicherweise der Eindruck entstanden sein, die zuständigen Behörden würden Ausreisepflichtige mit herabwürdigenden Spitznamen bezeichnen. Eine intensive Auswertung dieses Einzelfalls ist im Rahmen der Dienst- aufsicht bereits erfolgt. Eine Dienstanweisung zur Ver- wendung von Spitznamen existiert nicht. 10. Sollte es in der Vergangenheit zur Verwendung von solchen „Spitznamen“ gekommen sein, wie bewertet der Senat diesen Umstand und beabsichtigt er, an dieser Praxis festzuhalten? Zu 10.: Sofern Fälle der Verwendung von herabwür- digenden oder stark diffamierenden „Spitznamen“ bekannt werden, wird darauf konsequent mit den entspre- chenden dienstaufsichtlichen Maßnahmen reagiert. Berlin, den 20. Mai 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2015)