Drucksache 17 / 16 132 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 30. April 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Mai 2015) und Antwort Abschiebepraxis im Land Berlin (II) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Vorkehrungen werden seitens der Berliner Behörden im Zielland im Falle von Direktabschiebungen getroffen, um sicherzustellen, dass Betroffene dort ein Mindestmaß an Unterstützung und Betreuung erhalten? Zu 1.: Sofern Personen nach einer Abschiebung Un- terstützung und Betreuung bedürfen, können sich diese grundsätzlich an die Behörden ihres Heimatlandes wen- den. Falls es erforderlich ist, können Kosten einer medizi- nischen Behandlung im Herkunftsland zeitlich befristet von den Berliner Behörden übernommen werden. Dies gilt, wenn entweder eine Heilung der Erkrankung im Herkunftsland durch Medikamentenmitgabe erwartet werden kann oder durch eine Mitgabe von Medikamenten bzw. medizinischer Verbrauchsmittel oder durch eine medizinische Erstversorgung der Zeitraum überbrückt werden kann, bis der Erkrankte in der Lage ist, sich die medizinischen Verbrauchsmittel oder die medizinische Versorgung im Heimatland selbst zu besorgen. Des Weiteren wird im Bedarfsfall ein Sanitätsdienst organisiert, der die Betroffenen bei der Ankunft im Hei- matland in ein Krankenhaus zur medizinischen Weiter- versorgung verbringt. Vor der Abschiebung einer bzw. eines unbegleiteten minderjährigen Ausländerin/ Ausländers setzt sich die Ausländerbehörde mit den zuständigen Behörden im jeweiligen Heimatland in Verbindung, um eine Übergabe an ein Mitglied der Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeein- richtung sicherzustellen. 2. Werden besondere medizinische und organisatori- sche Vorkehrungen bei Direktabschiebungen von psy- chisch erkrankten und suizidgefährdeten Personen am Abschiebeort und auch im Zielland getroffen und wenn ja, welche? Zu 2.: Bei psychisch erkrankten Personen mit Suizid- gefahr erfolgt die Durchsetzung der Ausreisepflicht grundsätzlich mit ärztlicher Begleitung gemäß den Inter- national Air Transport Association-Kriterien. Die Über- gabe im Zielland wird vorab vereinbart und erfolgt ent- weder an die dortige Polizei oder direkt an eine Ärztin bzw. einen Arzt. Dazu wird von einer deutschen Ärztin bzw. einem deutschen Arzt ein entsprechendes Formular - ein so genanntes „medical sheet“ - ausgefüllt, welches die erforderlichen Informationen für die Übergabe im Ziel- land beinhaltet. Bezüglich der Verfahrensweise im Falle einer gegebe- nenfalls erforderlichen sofortigen medizinischen Weiter- versorgung nach Ankunft im Zielland wird auf die Be- antwortung zu Frage 1 verwiesen. 3. Wurden im Falle von Banu O. besondere Vorkeh- rungen seitens der Berliner Behörden in Berlin und in der Türkei getroffen und wenn ja, welche? Zu 3.: Im Fall von Frau O. führte die Bundespolizei eine Sicherheitsbegleitung durch. Die zudem erforderliche ärztliche Begleitung wurde durch einen von der Polizei Berlin beauftragten Honorararzt gewährleistet. Nach der Ankunft in Istanbul wurde Frau O. den dor- tigen Behörden übergeben. 4. Wie vielen Personen wurden seit dem Jahr 2010 Medikamente verabreicht, um eine Direktabschiebung durchführen zu können? Welche Medikamente wurden dabei jeweils in welcher Dosis verabreicht? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 132 2 Zu 4.: Medikamente werden nicht zwangsweise verab- reicht. Welche angebotenen Medikamente auf freiwilliger Basis eingenommen wurden, wird statistisch nicht erfasst. 5. Werden besondere medizinische und organisatori- sche Vorkehrungen am Abschiebeort und im Zielland getroffen, wenn Personen unter Medikamenteneinfluss auf dem Luftweg abgeschoben werden und wenn ja, wel- che und in welcher Dosis? Zu 5.: Es wird auf die Beantwortung der Fragen 2 und 4 verwiesen. 6. Wie vielen Personen, die unter Flugangst leiden, wurden seit dem Jahr 2010 Medikamente verabreicht, um eine Direktabschiebung auf dem Luftweg zu ermögli- chen? a) Welche Medikamente wurden dabei jeweils in wel- cher Dosis verabreicht? b) Wurde für diese Personen auch die Möglichkeit ei- ner Abschiebung auf dem Landweg geprüft und aufgrund welcher Tatsachen wurde dann doch eine Abschiebung auf dem Luftweg durchgeführt? c) Gibt es für den Fall einer bestehenden Flugangst in- terne Weisungen, Richtlinien oder Ähnliches, wie mit dieser bei Abschiebungen umzugehen ist? (Bitte im Originalwortlaut beifügen.) Zu 6. und 6.a): Es wird auf die Beantwortung der Fra- ge 4 verwiesen. Zu 6.b): Die gewünschten Daten werden statistisch nicht erfasst. Zu 6.c): Interne Richtlinien oder Weisungen für den Umgang mit Flugangst liegen nicht vor. Sofern im aus- länderrechtlichen Verfahren oder bei der Abschiebung Tatsachen bekannt werden, die eine medizinische Prüfung oder Begleitung der Person erfordern, wird diese gewähr- leistet. 7. Werden besondere medizinische und organisatori- sche Vorkehrungen am Abschiebeort und im Zielland getroffen, wenn Personen, die unter Flugangst leiden, unter Medikamenteneinfluss auf dem Luftweg abgescho- ben werden und wenn ja, welche? Zu 7.: Es wird auf die Beantwortung der Fragen 2 und 4 verwiesen. 8. Ist es medizinisch vertretbar, einer Person, von der der Behörde bekannt ist, dass sie alkohol- und drogenab- hängig war, zur Durchführung einer Abschiebung Dia- zepam zu verabreichen? Zu 8.: Die Gabe von Diazepam im Rahmen des Voll- zugs einer Abschiebungsmaßnahme ist grundsätzlich medizinisch vertretbar. 9. Welche Wirkung hat die Verabreichung von 10 bzw. 15 Milligramm Diazepam auf eine Person mit ca. 58 Kilogramm Körpergewicht, die in der Vergangenheit alkohol- und drogenabhängig war, und wie lange hält die Wirkung an? Zu 9.: Diese Frage ist medizinisch so nicht zu beant- worten, weil für eine Prognose der Wirkung noch andere Faktoren von Bedeutung sind, wie beispielsweise die Körpergröße der Person, die Intensität und Dauer des missbräuchlichen Alkoholkonsums sowie die Dauer und Art der Drogeneinnahme. 10. Ist nach Ansicht des Senats eine ehemals drogen- und alkoholabhängige Person, der bei einem Körperge- wicht von ca. 58 Kilogramm 10 bis 15 Milligramm Dia- zepam verabreicht wurden, „hilflos“, wenn sie ohne medizinische und soziale Betreuung in einem für sie fremden Land zurückgelassen wird? Zu 10.: Die erforderliche Dosierung des Medikaments und dessen Wirkung sind auch von der jeweiligen körper- lichen Konstitution des Patienten bzw. der Patientin ab- hängig. Hierzu wird auf die Beantwortung der Frage 9 verwiesen. Grundsätzlich ist die Einnahme von 10 bis 15 Milli- gramm Diazepam bei einem erwachsenen Menschen zur Behandlung schwerer Angst- und Spannungszustände aus medizinischer Sicht vertretbar und entspräche der Dosie- rungsempfehlung des Medikaments, ohne dass dadurch Nebenwirkungen zu erwarten wären, die einer Hilflosig- keit gleichzusetzen sind. Eine ehemalige Drogen- und Alkoholabhängigkeit der Patientin bzw. des Patienten wäre bei der Dosierung insofern zu beachten, als dass eine Gewöhnung des Körpers an Substanzen, die auf das zent- rale Nervensystem wirken, gegebenenfalls eine Abschwä- chung der Wirksamkeit zur Folge hätte und somit gege- benenfalls eine erhöhte Dosierung erforderlich wäre. Berlin, den 20. Mai 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2015)