Drucksache 17 / 16 151 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des der Abgeordneten Martin Delius (PIRATEN) vom 05. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Mai 2015) und Antwort Gendergerechtigkeit in der Schule und im Unterricht – Eine Thema für den Senat? – II – Nachfragen zur Schriftlichen Anfrage 17/15959 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Der Antwort auf die Frage 2 der Schriftlichen Anfrage 17/15959 ist zu entnehmen, dass die Senatsver- waltungen für Bildung, Jugend und Wissenschaft sowie für Arbeit, Integration, Frauen aktuell einen Maßnah- menplan zur Umsetzung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms erarbeiten. Welche konkreten Maßnahmen sollen wann eingeführt werden, um die Genderkompetenz in den Schulen zu erhöhen und Lehrkräfte stärker zu befähigen, den Auftrag zur Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Prinzips umzusetzen? a) Was ist unter einer „Orientierungshilfe für Lehrkräfte zu diversitysensiblem Unterricht“ zu verstehen? b) Wann gedenkt der Senat, dem Abgeordnetenhaus über die Umsetzung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms zu berichten? Zu 1. und 1. b): Im Rahmen eines Kooperationsabkommens zwischen den Senatsver- waltungen für Bildung, Jugend und Wissenschaft und für Arbeit, Integration und Frauen werden zurzeit Ziele und Schwerpunkte zur Erfüllung des Gleichstellungsauftrags im Bereich Bildung, insbesondere der vorschulischen und schulischen Bildung, der beruflichen Aus- und Weiterbildung und der Hochschulbildung erarbeitet. Dabei stehen für den Bereich der schulischen Bildung die Bildung der Bildenden, Steuerung, Qualitäts- und Personalentwicklung im Fokus der zukünftigen Arbeit. Das Kooperationsabkommen soll im Sommer 2015 abgestimmt vorliegen und wird dann veröffentlicht. Die Berichterstattung zur Umsetzung des Gleich- stellungspolitischen Rahmenprogramms ist für das Ende des zweiten Quartals 2016 vorgesehen. Zu 1a): Diese Orientierungshilfe soll Lehrkräften als Unterstützung dienen, in einer inklusiven Schule ihren Unterricht diversitysensibel zu gestalten. Diese Schule zeichnet sich durch Wertschätzung sozialer, geschlecht- licher, sexueller, altersbezogener, körperlicher, geistiger, ethnischer, sprachlicher, religiöser und kultureller Vielfalt und die Förderung von Selbstbestimmung und Akzeptanz aus. Dies bildet die Grundlage für die Planung und Durchführung des Unterrichts sowie die Gestaltung und Auswahl der Lehr- und Lernmaterialien. 2. In der Schriftlichen Anfrage 17/15959 wurden die Fragen 3 und 4 unvollständig beantwortet. Es wurde nach konkreten Fortbildungsangeboten im Bereich „Gender“ seit 2009 gefragt. Dazu gehören die Titel und Zeitpunkte der jeweiligen Angebote. Geantwortet wurde aber jeweils lediglich mit der Anzahl. Im Fortbildungsbereich sexuelle Vielfalt wurde nur darauf verwiesen, dass es zahlreiche Angebote gegeben habe. Vor dem Hintergrund, dass die Verweigerung der vollständigen Beantwortung der Fragen 3 und 4 durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft ohne eine konkrete Begründung der Verweigerung der vollständigen Übermittlung der angeforderten Informationen dem Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 18. Februar 2015 (Az.: 92/14) widerspricht, frage ich den Senat: Wird der Senat in der Antwort auf diese Schriftliche Anfrage die geforderten Informationen zu den Fragen 3 und 4 entsprechend ergänzen, um Verfassungskonformität herzustellen? a) Wenn nein, mit welcher rechtlichen Begründung werden die geforderten Informationen nicht übermittelt? 3. Der Antwort auf die Frage 3 der Schriftlichen Anfrage 17/15959 ist zu entnehmen, dass es seit dem Schuljahr 2009/10 insgesamt fünf Veranstaltungen mit 46 teilnehmenden Lehrkräften zum Thema „Gender“ gegeben hat. Welchen Titel trugen die Veranstaltungen? a) Wie verteilen sich die teilnehmenden Lehrkräfte auf welche Veranstaltungen und auf welche Schuljahre? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 151 2 Zu 2. und 3.: Explizite Fortbildungsangebote zum Thema „Gender“ Titel Datum Anzahl der Teilnehmenden Mathematik: Gender, Migration und Schule 15.4., 29.4, 7.5., 9.6., 10.6. und 16.6.2010 14 Mathematik: Gender, Migration und Schule 3.5., 12.5., 17.5. und 9.6.2010 16 Mathematik: Gender, Migration und Schule 22.4., 27.4., 19.5., 20.5., 3.6. und 4.6.2010 9 Fachtagung zur Implementierung von Gender- Mainstreaming im Unterricht 4.5.2011 Nicht erfasst Gender: Eine kurze Einführung und Transfer zum Bereich Schule und Unterricht 25.3.2011 7 4. Der Antwort auf die Frage 4 der Schriftlichen Anfrage 17/15959 ist zu entnehmen, dass es seit 2009 insgesamt vier Veranstaltungen mit 46 teilnehmenden Schulleitungen zum Thema „Gender“ gegeben hat. Welchen Titel trugen die Veranstaltungen? a) Wie verteilen sich die teilnehmenden Schullei- tungen auf welche Veranstaltungen und auf welche Schuljahre? Zu 4.: Das LISUM hat im Berichtszeitraum in vier Veranstaltungen 28 der o.g. genannten 46 Personen aus Berliner Schulleitungen qualifiziert. Dazu gab es außerhalb des Verantwortungsbereichs des LISUM im Bereich berufliche und zentralverwaltete Schulen eine weitere Veranstaltung. Folgende Veranstaltungen zum Thema „Gender“ wurden im Rahmen der Modularen Qualifizierung für Führungskräfte an Berliner und Brandenburger Schulen am LISUM durchgeführt: Lfd. Nr. Titel der Veranstaltung: Schuljahr Teilnehmende aus dem Kreis der Schulleitungen in Berlin 1. Diversity-Management in Zeiten der Inklusionsdebatte 2011/12 8 2. Diversity – Grundsätze der Schule für alle 2012/13 7 3. Living Diversity – Vielfalt managen 2013/14 7 4. 1. Schulhalbjahr 2014/15 2014/15 6 5. Wie viele und welche Fortbildungen zum Themenkomplex sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wurden seit dem Schuljahr 2010/11 für Lehrkräfte und Schulleitungen jeweils von wem durchgeführt? a) Wie viele teilnehmende Lehrkräfte gab es jeweils? b) Wie viele teilnehmende Schulleitungen gab es jeweils? Zu 5a.: Seit dem Schuljahr 2010/11 fanden bis dato 72 Fortbildungen zum Themenkomplex sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Rahmen der regionalen Fortbildung statt. Die Themen und die Anzahl der Veranstaltungen sind der folgenden Aufstellung zu entnehmen. Aus technischen Gründen ist es jedoch nicht möglich, den Veranstaltungen auch die jeweiligen Teilnahmezahlen automatisiert zuzuordnen. Bei der Vielzahl der Veranstaltungen ist ein händisches Auszählen nicht vorgenommen worden. Explizite Fortbildungsangebote zum Thema „sexuelle Vielfalt“ in der regionalen Fortbildung Schuljahr Anzahl der Fortbildungen Titel 11/12 1 Eine sichere und inklusive Schule für ALLE: Diversity und sexuelle Vielfalt 1 Sexuelle Vielfalt im Unterricht thematisieren 4 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt 12/13 1 Sexuelle Vielfalt im Unterricht thematisieren 4 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (Grundschule I) 1 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (Grundschule II) 11 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt 1 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt II 1 Diskriminierung entgegentreten Vielfalt wertschätzen 1 Lesbisch, schwul, bisexuell oder trans * (K)ein Problem in der Schule? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 151 3 13/14 3 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (Grundschule I) 5 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (Grundschule II) 2 Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung in der Grundschule 4 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (OS I) 4 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (OS II) 2 Darf ich sein, was ich bin? Jugendliche im Coming-out beraten 2 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (Grundschule III) 2 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (OS III) 1 Geschichte sexueller Vielfalt Einführung eines Queer History Month 1 Diskriminierung entgegentreten Vielfalt wertschätzen 1 Sexualität und Geschlechtsidentität: mit Kindern und Jugendlichen reden 14/15 5 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (Grundschule I) 4 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (OS I) 1 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (OS II) 1 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (OS III) 1 Fachgespräch für schul. Kontaktpersonen für sexuelle Vielfalt (Grundschule II) 1 Vielfältige Familienformen und Lebensweisen-Medienkoffer für Grundschulen 2 Darf ich sein, was ich bin? Jugendliche im Coming-out beraten 1 Homophobie und Rassismus 1 Geschlechterreflektierende Bildung in der Grundschule 1 Geschlecht weiter denken – Trans* und Inter* als Thema in der Schule 1 Vielfalt authentisch thematisieren Zu 5. b) Das Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wurde durch das Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) im Rahmen der Demokratieerziehung u.a. in der Fortbildung zu den Programmen „Hands for Kids“ und „Hands across the Campus“ bearbeitet. Im Berichtszeitraum hat das LISUM im Programm „Hands for Kids“ 16 Veranstaltungen, im Programm „Hands across the Campus“ 10 Veranstaltungen durchgeführt . Kooperationspartner war u.a. die Bildungsinitiative QUEERFORMAT. An diesen Veranstaltungen nahmen 160 Lehrkräfte und 10 Mitglieder von Schulleitungen teil, wobei einige Lehrkräfte auch Mitglied erweiterter Schulleitungen sind. 6. In der Frage 5 der Schriftlichen Anfrage 17/15959 wurden Passagen aus der Anhörungsfassung des neuen Rahmenlehrplans für die Primarstufe und die Sekundarstufe I zitiert, die geschlechtsspezifische Prädestinationen suggerieren. Der Antwort des Senats auf die Frage 5 ist zu entnehmen, dass diese Passagen diskutiert und bewertet werden. Dabei sollen diese durch Formulierungen ersetzt werden, die „geschlechterdichotome Sichtweisen erweitern“. Welche konkreten Formulierungen sind im Gespräch? a) Gibt es Bestrebungen, auf die Passagen zu verzichten? Zu 6.: Im Gespräch sind je nach Zusammenhang Formulierungen, die zum Ziel haben, die Geschlechtervielfalt zu betonen, nicht jedoch die Ge- schlechterdifferenz. Verzichtet werden soll auf Passagen, die die Differenz der Geschlechter betonen. 7. In der Antwort auf die Frage 6 der genannten Anfrage erwähnt die Senatsverwaltung „aktuelle Studien“, die zeigen, dass geschlechtsspezifische Förderkonzepte Stereotype verstärken können. a) Welche „aktuellen Studien“ sind hier gemeint? b) Wie löst die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft den Widerspruch in der Antwort auf die Frage 6 auf, in der einerseits gesagt wird, dass „aktuelle Studien“ zeigen, dass geschlechtsspezifische Förderkonzepte Stereotype verstärken können, in der andererseits behauptet wird, die spezifische Förderung von Jungen und Mädchen führe dazu, dass Geschlechterstereotype über-wunden werden können? c) Was versteht die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft unter einem geschlechtsre- flektierten Unterricht in geschlechtsgetrennten Gruppen? Zu 7. a) - c): Die Bedeutung von Geschlecht im Bildungskontext ist im Rahmen der Gender- und Bildungsforschung unbestritten. Weiterführend geht es um die Frage, wie die Gleichstellung der Geschlechter bei den Beteiligungs- und Abschlussquoten und die Überwindung von Genderstereotypen auf allen Ebenen der schulischen Bildung am sinnvollsten zu erreichen ist. In dem Zusammenhang steht die Diskussion über Mono- und Koedukation. Einigkeit besteht darin, dass weder eine klassische Monoedukation noch eine unreflektierte Koedukation sinnvoll ist. Für die Monoedukation werden Vorteile gesehen im Bereich der Wissensvermittlung insbesondere in MINT-Fächern (Kessels 2007) aber auch im Sexualkundeunterricht (Faulstich-Wieland 2006) und allgemein bei der Flexibilisierung von Lern-und Geschlechterarrangements. Die geschlechtshomogenen Gruppen ermöglichen andere Lernerfahrungen und Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 151 4 Ergebnisse. Außerdem können sie das Selbstbewusstsein und die Akzeptanz gegenüber “geschlechtsuntypischer“ Fächern positiv beeinflussen. Die geschlechterreflektierte Koedukation versucht im Unterricht gezielt Interaktionen und Maßnahmen zu befördern, die die Bedeutung von Geschlecht mindert, Geschlechterstereotype in Frage stellt – Geschlecht entdramatisiert. Beide Vorgehensweisen versuchen Geschlechterstereotype zu verändern und es ist im Einzelfall zu entscheiden, welches Unterrichtsformat jeweils sinnvoll ist. Von Bedeutung dabei ist sowohl bei der Monoedukation als auch der geschlechterreflektierten Koedukation die Genderkompetenz der Lehrkräfte, diese Prozesse zielführend zu gestalten. Das Gleichstellungs- politische Rahmenprogramm arbeitet im Handlungsfeld Bildung an einer diesbezüglich notwendigen Erweiterung der Kompetenz der Bildenden. 8. Mit welcher wissenschaftlichen Literatur belegt die Senatsverwaltung ihre Behauptung in den Antworten auf die Fragen 7 a) bis c), dass in den Klassenstufen 5 und 6 eine „deutlich differenzierte Entwicklung“ bei den „körperlichen Voraussetzungen“ einsetze, die geschlechtergetrennte Normen bei der Bewertung und Zensierung von Leistungen im Fach Sport rechtfertigen? Zu 8.: Die differenzierte Entwicklung bei den körperlichen Voraussetzungen geht mit der körperlichen Entwicklung in der Pubertät einher, die u.a. auch mit einem puperalen Wachstumsschub verbunden ist. Sowohl in sportwissenschaftlichen als auch in der entwicklungsphysiologischen Literatur lassen sich genügend Beispiele finden, die die Antworten in der Schriftlichen Anfrage 17/15959 stützen. Als Beispiele sind die wissenschaftlichen Arbeiten von Alfermann, Crasselt, Fukunaga, Hettinger, Thomas & French und Weineck genannt. Thomas und French (1985) führten eine Metaanalyse durch, in der insgesamt 64 Studien zur motorischen Leistungsfähigkeit mit mehr als 30.000 Probanden im Alter von 3 bis 20 Jahren ausgewertet wurden. Dabei wurden insgesamt 20 motorische Tests verwendet, die fein- und großmotorische Bewegungen erfassen. Die querschnittliche Betrachtung der Ergebnisse über die Altersspanne bis 20 Jahre verweist auf vier typische Verlaufskurven der Geschlechterunterschiede: 1. Kontinuierlicher Anstieg 2. Sprunghafter Anstieg ab der Pubertät 3. U-förmige Muster 4. Konstante Geschlechterunterschiede Als Fazit lässt sich sagen, dass von der Pubertät geringe bis mittlere Geschlechterunterschiede und mit Eintritt der Pubertät hohe bis sehr hohe Unterschiede in solchen Aufgaben erkennbar sind, die Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer verlangen. Feinmotorik und Handge- schicklichkeit sind bis zur Pubertät gleich, danach zeigen sich geringe Unterschiede. Diese Unterschiedlichkeiten werden bei der Bewertung und Zensierung von Leistungen im Fach Sport von Mädchen und Jungen berücksichtigt. Berlin, den 21. Mai 2015 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Mai 2015)