Drucksache 17 / 16 213 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Stefanie Remlinger (GRÜNE) vom 13. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Mai 2015) und Antwort Jugendliche in Ausbildung bringen: Rolle der beruflichen Schulen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie werden die beruflichen Schulen in die Konzep- tion des „Übergangssystems aus einem Guss“ einbezogen ? Zu 1.: Zur Weiterentwicklung und Stärkung der beruf- lichen Schulen und Oberstufenzentren (OSZ) hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft bereits eine Projektgruppe mit dem Auftrag eingesetzt, die auf Basis einer kritischen Bestandsanalyse der Angebote und Bildungsgänge der beruflichen Schulen und OSZ mit besonderen Fokus auf das Übergangssystem Schule – Beruf Möglichkeiten der Stärkung zu erarbeiten, die Auswirkungen auf die beruflichen Schulen und OSZ zu prüfen und Vorschläge für einen Schulentwicklungsplan zu entwickeln. An der Arbeit der Projektgruppe sind Ver- treterinnen und Vertreter der Schulleitungen von berufli- chen Schulen und OSZ beteiligt. Die Einbeziehung aller Schulleitungen der beruflichen Schulen und OSZ in den Entwicklungsprozess durch Fachtagungen bzw. Work- shops wird vorgesehen. Darüber hinaus wird mit der Einrichtung der Jugend- berufsagentur (JBA) Berlin die vorgesehene Angebot- steuerung im Bereich der Berufsausbildungsvorbereitung und der subsidiären Ausbildung, die u.a. den Fachkräf- tebedarf in der Region besser berücksichtigt, zu einer Bündelung und Fokussierung sowie einem besseren Inei- nandergreifen der angebotenen Qualifizierungsmaßnah- men führen. Hierfür wird die bei der Senatsverwaltung für Bil- dung, Jugend und Wissenschaft einzurichtende Netzwerk- stelle die Aufbereitung und Bereitstellung der Daten für die Bündnispartner zum landesweiten und bezirklichen Angebot für den Landesbeirat und die regionalen Koordi- nierungsausschüsse mit dem Ziel der Herstellung von Kohärenz des Maßnahmeangebotes sicherstellen. Erst mit einer gesicherten Datenlage wird eine gezielte Koordinie- rung und Abstimmung von Aktivitäten und Maßnahmen des Landes und der Agenturen für Arbeit zur Berufs- und Studienorientierung, zur Förderung der Berufsausbil- dungsvorbereitung und der Berufsausbildung und Absi- cherung des Ausbildungs- und Maßnahmenerfolges unter Berücksichtigung der jeweiligen gesetzlichen Regelungen und Budgetverantwortung sowie regionaler Bedarfe er- möglicht. Die Vorschläge der Projektgruppe zur Schulentwick- lungsplanung werden in den Koordinierungs- und Ab- stimmungsprozess einbezogen und auf die festgestellte Bedarfslage abzustimmen sein. Die kooperativen Formen der Angebote insbesondere mit der Jugendberufshilfe für Jugendliche mit Hilfebedarf nach SGB VIII werden dabei ebenso berücksichtigt werden. 2. Welche Auswirkungen werden bzw. sollen das Landeskonzept für Berufsorientierung, die Einrichtung einer Jugendberufsagentur sowie das Ziel, die duale Aus- bildung zu stärken, auf die beruflichen Schulen haben? Zu 2.: Die Berufs- und Studienorientierung (BSO) soll an jeder allgemein bildenden Schule sowie an Sonderpä- dagogischen Förderzentren/Schulen mit sonderpädagogi- schem Förderschwerpunkt durch die Zusammenarbeit des BSO-Teams, das in der Regel aus der Koordinatorin bzw. dem Koordinator der Studien- und Berufsorientierung der Schule, einer Lehrkraft der beruflichen Schulen und einer Beratungsfachkraft der Berufsberatung der Agentur für Arbeit besteht, begleitet und unterstützt werden. So wird gewährleistet, dass alle Jugendlichen mit ei- ner konkreten Empfehlung für einen Anschluss in der beruflichen Welt – basierend auf der reflektierten Auswertung ihrer Berufs- und Studienorientierungserfahrun- gen – vermehrt direkt in die duale Ausbildung, aber auch in die gymnasiale Oberstufe, landesrechtlich geregelte Ausbildung oder zielbewusst in ein Angebot des zukünf- tigen Übergangssystems sowie Angeboten der beruflichen Rehabilitation wechseln können. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 213 2 Das für diesen Prozess handlungsleitende und ver- bindliche Landeskonzept für Berufs- und Studienorientie- rung gewährleistet in den allgemein bildenden weiterfüh- renden Schulen sowie Sonderpädagogischen Förderzen- tren/Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwer- punkt als einem primären Ort der Berufs- und Studienori- entierung, dass jungen Menschen ein gleichberechtigter, an individuellen Interessen und Fähigkeiten orientierter Zugang zu Ausbildung und Studium ermöglicht wird. Damit der Übergang aus der Schule in eine duale Ausbildung, ein Studium oder in weiterführende Bil- dungsgänge allen Jugendlichen noch besser gelingt, hat das Land Berlin gemeinsam mit der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit die Einrichtung einer Jugendberufsagentur auf den Weg ge- bracht. In der Realität zeigt sich, dass trotz verbesserter Berufs- und Studienorientierung und gegebenenfalls nachfolgender Berufsvorbereitung der Übergang in be- triebliche Ausbildung nicht allen Jugendlichen gelingt. Auch deshalb sieht das Landeskonzept Berufs- und Studi- enorientierung eine enge Verzahnung mit der Jugend- berufsagentur Berlin (JBA Berlin) vor. Hierbei handelt es sich sowohl um einen Ort, an dem Jugendliche und junge Erwachsene zu ihrer beruflichen Zukunft beraten werden, als auch um ein Handlungsprinzip für die berufliche Ori- entierung der Jugendlichen während ihrer Zeit in der allgemein bildenden Schule. Grundsätzlich soll der Anteil der Schülerinnen und Schüler im Bildungsgang Berufsschule an der Ge- samtschülerschaft wieder erhöht werden. Es gibt jedoch keine abgesicherte Prognose, in welchen Berufsbildern diese neuen Ausbildungsstellen angeboten werden. Somit sind auch die teilweise beträchtlichen Schwankungen der Bedarfe von Berufsschulplätzen an den unterschiedlichen Standorten in der Schulentwicklungsplanung zu berück- sichtigen. Bei der angezielten Beratungsintensität ist da- mit zu rechnen, dass sich mehr Schulabgängerinnen und Schulabgänger auch an den Branchenentwicklungen und Fachkräftebedarfen in der Stadt Berlin und auch dem Umland bei der Berufswahl orientieren. Daraus kann eine entsprechende Schwerpunktverschiebung der Angebote der beruflichen Schulen auf Ausbildungsbedarfe im ver- arbeitenden Gewerbe, in der IT-Branche, dem Handwerk, dem Sozial- und Gesundheitsbereich, im Tourismus mit dem Hotel- und Gaststättengewerbe, im Bauhandwerk und im Handel resultieren. 3. Woran bemisst der Senat die Qualität der Bildungs- gänge an den beruflichen Schulen des Landes Berlin? Zu 3.: Orientierung für die Bemessung der Qualität der Bildungsgänge an beruflichen Schulen des Landes Berlin bietet der „Handlungsrahmen Schulqualität in Berlin“. Darüber hinaus werden als neue Faktoren zukünftig die Ergebnisse des mit der JBA Berlin organisier- ten Berichtswesens anhand von definierten gemeinsamen Kennzahlen der Vereinbarungspartner sowie die Evalua- tionsergebnisse der JBA Berlin durch das Land Berlin in der Bemessung zu berücksichtigen sein. Dabei spielen Erfolgsfaktoren, wie die Vermeidung von Abbrüchen und die dem Einzelfall angemessene Verbleibzeit in Über- gangsangeboten eine große Rolle. Die effizientere Nut- zung von Schulplätzen bei steigenden Zahlen von Schul- abgängerinnen und Schulabgängern aus den allgemein bildenden Schulen ist dabei zielführend. Aber auch die curriculare und didaktische Fortent- wicklung des Unterrichts mit einer individualisierteren Förderung der Kompetenzentwicklung aller Schülerinnen und Schüler in allen Bildungsgängen der beruflichen Schulen steht im Fokus der Qualitätsentwicklung. Eine höhere Durchlässigkeit im gesamten Bildungsgangange- bot soll flexible Zugänge zu höherwertigen Berufs- und Studienabschlüssen und somit die bestmögliche individu- elle Qualifizierungsstufe für jeden jungen Menschen gewährleisten. 4. Plant der Senat das Angebot an (voll)schulischen Ausbildungsgängen in Berlin zurück zu fahren? Wenn ja, warum, ab wann genau, in welcher Zahl und an welchen Schulen/in welchen Berufsfeldern? Zu 4.: Die innerhalb der Jugendberufsagentur Berlin vorgesehene Angebotsteuerung im Bereich der Berufs- ausbildungsvorbereitung und der subsidiären Ausbildung, die u.a. den Fachkräftebedarf in der Region besser be- rücksichtigt, führt zu einer Bündelung und Fokussierung sowie einem besseren Ineinandergreifen der angebotenen Qualifizierungsmaßnahmen. Somit kann davon ausgegan- gen werden, dass Angebote nach § 29 (3), (5) und § 30 (1) Satz 1 Schulgesetz für Berlin sowie weitere vollzeitschu- lische Bildungsgänge entsprechend § 30 im Bereich der beruflichen Schule bedarfsgerecht umstrukturiert oder abgesenkt werden können. Dabei wird im gemeinsamen Austausch mit der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, der Industrie- und Han- delskammer (IHK) und Handwerkskammer (HWK) und den Sozialpartnern zunächst für spezifische Berufe, bei denen offene Duale Ausbildungsplätze nicht besetzt wer- den können, das Angebot von Berufsfachschulen mit Kammerprüfung zurückgefahren. Die dadurch erbrachten Lehrkräfteressourcen sollen in die Struktur der BSO-Teams einfließen und die systemati- sche und gezielte Beratung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Jugendberufsagentur Berlin nachhal- tig unterstützen. Erst mit einer gesicherten Datenlage sowie der daraus resultierenden gezielten Koordinierung und Abstimmung der Maßnahmenplanung der Bündnispartner innerhalb der JBA Berlin ist eine abschließende Entwicklungsplanung und somit konkrete Aussagen zu Veränderungen der Bil- dungsgänge an den beruflichen Schulen und OSZ mög- lich. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 213 3 5. Durch die Stärkung des Übergangs in die betriebli- che Ausbildung mittels der Einführung eines Beratungs- gespräches sowie der Verschiebung des Anmeldezeitrau- mes bei den Bildungsgängen erwartet der Senat frei wer- dende Ressourcen bei den beruflichen Schulen. a) Wie viele Personen werden nach Einschätzung des Senats mit dieser Reglung zusätzlich eine betriebliche Ausbildung beginnen? b) Wie groß wird der gewonnene Synergieeffekt nach Schätzung des Senats sein (Angabe in VZE) und inwie- fern werden diese Ressourcen in die Berufs- und Studien- orientierung einfließen? Zu 5.a): Die Intensivierung von Beratungsleistungen während der allgemein bildenden Schulzeit und auch die Erleichterung des Beratungszugangs durch die Jugend- berufsagentur und die Verschiebung von Anmeldezeit- räumen schafft nur mehr Übergänge in Ausbildung, wenn junge Menschen vermehrt unbesetzte Ausbildungsstellen nachfragen. Andererseits sind in der Berliner Situation mit einem fortbestehenden Überhang von Ausbildungs- platzbewerberinnen und Ausbildungsplatzbewerbern und einem vergleichsweise kleinen Ausbildungssektor zusätz- liche Ausbildungsplätze nötig. In der Berliner Vereinba- rung der Sonderkommission „Ausbildungsplatzsituation und Fachkräftebedarf“ beim Regierenden Bürgermeister vom 06.05.2015 haben sich die Sozialpartner, Kammern und zuständige Stellen verpflichtet 1000 zusätzliche Aus- bildungsstellen bei den Agenturen für Arbeit zu melden. Daraus lässt sich jedoch noch keine genaue Prognose über den Aufwuchs von Ausbildungsstellen und wirklich abge- schlossenen Ausbildungsverträgen in den folgenden Jah- ren ableiten. Zu 5.b): Wie im Senatsbeschluss vom 17.03.2015 zur Einrichtung einer Jugendberufsagentur in Berlin ausge- führt, sollen die Bildungsgänge der beruflichen Schulen und OSZ bedarfsgerecht umstrukturiert oder abgesenkt werden. Die Absenkung von Angeboten nach § 29 (3), (5) und § 30(1) Satz 1 Schulgesetz für Berlin kann bereits 2015 schrittweise beginnen. Die dadurch erbrachten Lehrkräfteressourcen fließen in die Struktur der BSO- Teams ein. Zunächst wird sehr zurückhaltend von 6 Voll- zeiteinheiten (VZE) im Schuljahr 2015/16 ausgegangen, die gemäß Landeskonzept für Berufs- und Studienorien- tierung in Anrechnungs- und Ermäßigungsstunden für Lehrkräfte der Integrierten Sekundarschulen (ISS) und Gemeinschaftsschulen, der Gymnasien und beruflichen Schulen zur Verfügung gestellt werden. Wahrscheinlich größer wird der Effekt der optimierten Berufs- und Studi- enorientierung auf die Abbrüche in Bildungsgängen an beruflichen Schulen sein. Dieser Effekt wird jedoch erst seriös beim zweiten Evaluationszeitpunkt der Jugend- berufsagentur, im Dezember 2018, messbar sein. 6. Bekennt sich der Senat zu dem Ziel, allen Jugendli- chen und jungen Erwachsenen, die dies anstreben, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen und ist dieses Ziel handlungsleitend bei der Überarbeitung des Über- gangssystems sowie der Ausgestaltung des Ausbildungs- angebotes? Zu 6.: Die Orientierung an unmittelbaren Übergängen in duale Ausbildung aber auch landesrechtlich geregelte Berufsabschlüsse mit anschließenden nachhaltigen Be- schäftigungsaussichten für Jugendliche und junge Er- wachsene wie beispielsweise im Sozial- und Gesund- heitsbereich ist maßgeblich für die Fokussierung und Straffung des Übergangsbereiches. Systematische Be- triebskontakte von Schülerinnen und Schülern in der Berufsausbildungsvorbereitung sollen die Übergangs- wahrscheinlichkeit in duale Ausbildung oder landesrecht- lich geregelte Berufsabschlüsse erhöhen. Wesentlich für die Umsetzung des Landeskonzepts für Berufs- und Stu- dienorientierung wird sein, dass viel mehr Jugendliche den direkten Weg in Ausbildung durch Steigerung von Bewerbungsaktivitäten und gezielten Betriebskontakten anstreben. Von Seiten der Betriebe ist dabei eine Will- kommenskultur bei Betriebspraktika in verschiedenen Orientierungsphasen der jungen Menschen zu praktizieren und noch stärker als bisher darauf zu achten, junge Men- schen in der Ausbildung den Voraussetzungen entspre- chend individuell zu unterstützen bzw. zu begleiten. Da- mit wäre eine wesentliche Voraussetzung geschaffen, mit den Partnern der Wirtschaft das Ziel zu erreichen, dass jeder Jugendliche, der dies anstrebt, einen Ausbildungs- platz auf dem Berliner und Brandenburger Ausbildungs- markt erhält. Berlin, den 22. Mai 2015 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mai 2015)