Drucksache 17 / 16 232 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 19. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Mai 2015) und Antwort Kann die BVG bei unangenehmen Themen demokratische Verantwortlichkeit und Parla- mentskontrolle einfach so mit Dritten vertraglich „wegvereinbaren“? (Nachfrage zu Drs. 17/16048) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welchen verfassungsrechtlich abgesicherten öffent- lichen Interessen dient die Geheimhaltungsvereinbarung zwischen der BVG Anstalt öffentlichen Rechts und den Beteiligten am Vergleich zum Derivategeschäft von 2007? 2. Teilt der Senat die Einschätzung, dass das Land Berlin bzw. die verselbständigte Anstalt öffentlichen Rechts BVG, die umfassend grundrechtsverpflichtet ist und den zentralen verfassungsrechtlichen staatsorganisa- tionsrechtlichen Bindungen (Demokratieprinzip, Parla- mentskontrolle und Parlamentsverantwortlichkeit) unter- liegt, nicht einfach nach Lust und Laune Vertraulichkeits- vereinbarungen abschließen darf, weil das „bei derartigen Vereinbarungen“ so „üblich“ (Antwort auf die Schriftliche Anfrage 17/16048) ist? Wenn nein, warum nicht? 3. Ist der Senat nach wie vor der Ansicht, dass Verträ- ge zur Erfüllung des öffentlichen Auftrags von Berliner Anstalten des öffentlichen Rechts – also Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform – durch privatrechtliche Vereinbarung seitens der AöR-Vorstände generell geheim gehalten werden dürfen, so dass sie letztlich Verträge zu Lasten des Parlaments sind, dessen Aufgabe die Kontrolle des Handelns der öffentlichen Hand ist? 4. Teilt der Senat die Einschätzung, dass das umfas- sende parlamentarische Kontrollrecht des Haushaltsge- setzgebers sich nicht nur auf die unmittelbare Landesver- waltung beschränkt, sondern sämtliches der Verwaltung des Landes Berlin zurechenbares Handeln umfasst und dass Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 20 Abs. 2, 3 und die entsprechenden Vorschriften der Verfassung von Berlin die autonome Schaffung „kontrollfreier Räume “ seitens der Verwaltung ausschließen? 5. Wie trägt der Senat Sorge, dass durch Einflussnah- me auf die Beteiligungsunternehmen gesichert ist, dass Vorstände landeseigener Unternehmen – insbesondere in öffentlich-rechtlicher Rechtsform – nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen diese Kontrollbefugnisse des Parlaments aushebeln? 6. Was hat der Senat in Wahrnehmung seiner Einwir- kungspflicht auf verselbständigte öffentlich-rechtliche Unternehmen in Alleinträgerschaft des Landes Berlin bislang unternommen, um über die wortreiche Nichtbe- antwortung der Schriftlichen Anfrage 17/16048 hinaus dem Parlament und mir als mit verfassungsmäßigem parlamentarischem Fragerecht ausgestattetem Abgeordne- ten die angeforderten Informationen zukommen zu lassen bzw. was wird er noch unternehmen? Antwort zu Frage 1 - 6: Die Aufgaben und Struktur ebenso wie die Rechte und Pflichten der Berliner Ver- kehrsbetriebe Anstalt öffentlichen Rechts (BVG) sind spezialgesetzlich durch das Berliner Betriebe-Gesetz geregelt. Das Kontrollrecht des Abgeordnetenhauses wird im Wesentlichen durch die Berichterstattung über die BVG in den einschlägigen Ausschüssen, z.B. Hauptaus- schuss und regelmäßig im Unterausschuss Beteiligungs- management und -controlling, wahrgenommen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 3 Berliner Betriebe-Gesetz kann die BVG am marktwirtschaftlichen Wettbewerb teilnehmen. In der Teilnahme am markwirtschaftlichen Wettbewerb unter- liegt die BVG als Anstalt öffentlichen Rechts im Rahmen der geltenden Gesetze der privatrechtlichen Vertragsfrei- heit. Sie ist deshalb ebenso wie andere Marktteilnehmer berechtigt, im Rahmen von Gesamtabwägungen erzielte vertrauliche Vereinbarungen, die als Betriebs- und Ge- schäftsgeheimnisse einzustufen sind, auch vertraulich zu halten, wenn sie dem Interesse des Unternehmens dienen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 232 2 Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtig- tes Interesse hat. Auch eine juristische Person des öffent- lichen Rechts kann sich auf das Vorliegen eines Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses berufen. Wenn ein öffentli- ches Unternehmen am privaten Wirtschaftsverkehr teil- nimmt und auch hinsichtlich seiner fiskalischen Tätigkeit zur Auskunftserteilung verpflichtet ist, so muss es grund- sätzlich das Recht haben, seine wirtschaftlichen Interes- sen in gleichem Umfang zu schützen wie private Wirt- schaftsteilnehmerinnen und Wirtschaftsteilnehmer (Ober- verwaltungsrecht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.10.2007, 12 B 11.07). Die Überwachung der Geschäftsführung landeseigener Unternehmen obliegt den jeweiligen Aufsichtsräten. Für die Berliner Stadtreinigung (BSR), Berliner Verkehrsbe- triebe (BVG) und Berliner Wasserbetriebe (BWB) Anstalt öffentlichen Rechts sind die Zusammensetzung und Auf- gaben des Aufsichtsrates durch das Berliner Betriebe- Gesetz geregelt. Dies gilt auch für die Gewährträgerver- sammlung. Der Senat nimmt die ihm gesetzlich zugewie- senen Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahr. 7. Welche Anwalts- und Prozesskosten sind der BVG bzw. dem Land Berlin im Rahmen des gesamten Verfah- rens einschließlich der außergerichtlichen Einigung insge- samt entstanden? (Der Fragesteller weist darauf hin, dass diese Frage im Rahmen der Schriftlichen Anfrage 17/16048 nicht beantwortet wurde, die diesbezüglichen Informationen keinesfalls einer rechtmäßigen Geheimhal- tungsvereinbarung unter Beteiligung der öffentlichen Hand unterliegen können, analog zum Fall BWB, wo Anwalts- und Prozesskosten im Verfahren mit dem Bun- deskartellamt selbstverständlich dem Parlament übermit- telt wurden. Es wird deshalb jetzt um unverzügliche Be- antwortung gebeten.) Antwort zu Frage 7: Die anlässlich der vor dem High Court of Justice in London anhängigen Rechtsstreitigkei- ten entstandenen Anwalts- und Prozesskosten sind Ge- genstand der zwischen den Parteien getroffenen Beendi- gungsvereinbarung, die strengster Vertraulichkeit unter- liegt. Berlin, den 05. Juni 2015 In Vertretung Dr. Margaretha Sudhof Senatsverwaltung für Finanzen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Juni 2015)