Drucksache 17 / 16 253 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Gelbhaar (GRÜNE) vom 21. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2015) und Antwort Baut die Politik von heute die Radverkehrsinfrastruktur von gestern? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Auf wie vielen Kilometern Hauptverkehrs- straßen sind nach wie vor keine Radverkehrsanlagen vorhanden? Frage 2: Auf wie vielen Kilometern Hauptverkehrs- straßen entsprechen die Radverkehrsanlagen nicht dem aktuellen Standard (z.B. Radwege unter 1,6 m Breite gemäß der AV Geh- und Radwege oder schlechter Ober- flächenzustand)? Antwort zu 1 und 2: Eine umfassende Statistik über die Breiten bzw. den Oberflächenzustand der Radver- kehrsanlagen existiert nicht und lässt sich angesichts der Größenordnung des Berliner Radverkehrsnetzes nicht mit vertretbarem Aufwand erstellen, zumal die Radverkehrs- anlagen über viele Jahrzehnte hinweg abschnittsweise geschaffen und verändert worden sind und daher auch auf kurzen Abschnitten unterschiedliche Breiten und Beläge aufweisen können. An den ca. 1600 km Hauptverkehrsstraßen sind schät- zungsweise ca. 1500 km Radverkehrsanlagen und ca. 100 km für den Radverkehr freigegebene Bussonderfahrstrei- fen vorhanden. Frage 3: Wie viele km Hauptverkehrsstraßen plant der Senat in den nächsten zwei Jahren mit Radverkehrsanla- gen auszustatten, die dem aktuellen Standard entspre- chen? Antwort zu 3.: Gemäß dem Radverkehrsinfrastruktur- programm der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt sollen in den nächsten zwei Jahren ca. 60 km Radverkehrsanlagen unter Einhaltung der in Berlin gel- tenden Straßenbauregelwerke neu angelegt oder grundsa- niert werden. Dazu kommen die Maßnahmen der Bezirke. Frage 4: Wie viele Kilometer straßenbegleitende Radwege wurden seit dem Inkrafttreten der AV Geh- und Radwege im Mai 2013 gebaut? Wie viele km dieser Ein- richtungsradwege waren weniger als 2 m breit, wie viele entsprachen der erwünschten Breite von 2 m? Inwieweit wurden auch straßenbegleitende Radwege angelegt, die nicht der Mindestbreite von 1,6 m gemäß AV Geh- und Radwege entsprachen? Frage 5: Wie viele Kilometer selbständig geführte Radwege wurden seit Mai 2013 angelegt? Inwieweit entsprachen diese alle der Mindestbreite von 3 m (Falls nicht bitte um genaue Kilometerangaben)? Frage 6: Wie viele Kilometer Radfahrstreifen wurden seit Mai 2013 angelegt? Wie viele km davon verfügten wie von der AV Geh- und Radwege empfohlen über eine Breite einschließlich der Radfahrstreifenbegrenzung von mindestens 1,85 m? Antwort zu 4, 5 und 6: Im Rahmen des Radverkehrs- infrastrukturprogramms der Senatsverwaltung für Stadt- entwicklung und Umwelt sind in den Jahren 2013 und 2014 ca. 28 km Radverkehrsanlagen neu angelegt und ca. 15 km grundsaniert worden. Dabei wurden ca. 24 km Radfahr- oder Schutzstreifen für den Radverkehr neu angelegt und 5 km als Ersatz für nicht mehr sanierbare Radwege markiert. Selbständig geführte Radwege sind in Berlin nur selten vorhanden, da für den Radverkehr frei- gegebene Wege in Grünanlagen in der Regel für die Mischnutzung von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden angelegt werden und nicht den Status von Radwegen haben. Alle oben genannten Maßnahmen sind regelgerecht umgesetzt worden, verfügen also über die Mindestbreiten. Für das Jahr 2015 liegen noch keine Daten vor, da die Arbeiten überwiegend noch nicht abgeschlossen sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 253 2 Über die von den Bezirksämtern außerhalb des Rad- verkehrsinfrastrukturprogramms der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt angelegten oder erneuerten Radwege liegen dem Senat keine statistischen Angaben vor. Frage 7: Inwieweit hält der Senat angesichts des stei- genden Radverkehrsaufkommens und zunehmend unter- schiedlicher Geschwindigkeiten durch Pedelecs die Breite von Radwegen und Radstreifen noch für ausreichend, obwohl sie ein sicheres Überholen kaum ermöglicht? Frage 8: Inwieweit hält der Senat das Kopenhagener Regelmaß von 3 m für Einrichtungsfahrwege für erstre- benswert, damit die Breite auch in Zukunft ausreicht? Antwort zu 7 und 8: Unabhängig vom Radverkehrs- aufkommen und der gewachsenen Verbreitung der Pede- lecs ist die Schaffung möglichst zahlreicher Überholmög- lichkeiten beim Entwurf von Radverkehrsanlagen schon immer ein wichtiges Thema gewesen. Die einschlägigen deutschen Regelwerke für die Radverkehrsinfrastruktur tragen daher dieser Erfordernis durchaus Rechnung. Der Senat hat 2011 die aktuellen „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA) der „Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen“ (FGSV) in Berlin eingeführt und 2013 auch das dort vorgesehene Regelmaß von 2,00 m in der AV 1 Geh- und Radwege verankert, um das Überholen zu erleichtern. Bei nicht ausreichender Flächenverfügbarkeit wird es allerdings nach sorgfältiger Abwägung ggf. im Einzelfall auch künftig notwendig sein, Radwegabschnitte mit 1,60 m Breite oder an kurzen Engstellen ausnahmsweise auch mit geringeren Breiten anzulegen, wobei in diesen Ausnahmefällen eine Min- destbreite von 1,00 m gilt. Vereinzelt können durchaus auch Breiten von über 2,00 m vorgesehen werden. Hierbei ist aber zu beachten, dass bereits die Einordnung von 2,00 m breiten Radwegen angesichts der vielfältigen Nutzungsansprüche an den meist knappen Straßenraum eine erhebliche planerische Herausforderung darstellt. Die Fachverwaltung befindet sich in einem kontinuier- lichen und regen Austausch mit der Stadt Kopenhagen zum Thema Radverkehrsförderung einschließlich zu Fra- gen der Radverkehrsinfrastruktur. Nicht alle Rahmenbe- dingungen und Planungsgrundsätze lassen sich aber „1 zu 1“auf Berlin übertragen. 1 Ausführungsvorschriften des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege Frage 9: Wie viele Kilometer der seit Mai 2013 ange- legten Radstreifen wurden zwischen auf der einen Seite parkenden und auf der anderen Seite fahrenden Autos angelegt? Stimmt der Senat der Einschätzung zu, dass sich öffnende Autotüren ein großes Risiko darstellen und der Sicherheitstrennstreifen für die Breite der Autotüren nicht ausreichend ist? Antwort zu 9: Da es sich um eine Regellösung für Schutzstreifenmarkierungen handelt, die wegen der guten Sichtbeziehungen zwischen Rad- und Kfz-Verkehr in der Regel deutliche Verkehrssicherheitsvorteile bietet, wer- den solche Markierungen für den Radverkehr nicht ge- sondert statistisch erfasst. Dass sich öffnende Autotüren grundsätzlich ein großes Risiko für den Radverkehr dar- stellen, ist dem Senat bekannt und hat bereits vor 8 Jahren zur Einführung entsprechender Regelpläne der Ver- kehrslenkung Berlin geführt, die einen abmarkierten Si- cherheitstrennstreifen vorsehen. Dass der Sicherheits- trennstreifen nicht ausreichend ist, trifft nicht zu, da der den Schutzstreifen links von der Sicherheitstrennstrei- fenmarkierung befahrende Radverkehr genügend Abstand zum ruhenden Verkehr hält, um sich öffnende Autotüren rechtzeitig zu erkennen und an Ihnen vorbeizufahren. Im Gegensatz zu Straßen ohne Schutzstreifen, wo solche Unfälle durch sich öffnende Türen relativ häufig vor- kommen und wegen ihrer schweren Folgen ein großes Problem darstellen, sind derartige Unfälle bei Schutzstrei- fen mit Sicherheitstrennstreifenmarkierung nicht auffällig. Frage 10: Inwieweit plant der Senat Radfahrer*innen auf stark frequentierten Hauptverkehrsstraßen in Zukunft häufiger sowohl vom Fuß- als auch vom Autoverkehr baulich getrennt zu führen, wie es in Dänemark oder den Niederlanden üblich ist? Falls er dies nicht plant, wieso nicht? Antwort zu 10.: Vom Kfz- und Fußverkehr getrennte Radwege werden an stark frequentierten Hauptverkehrs- straßen auch weiterhin angelegt werden, wenn entspre- chende Randbedingungen (insbesondere eine ausreichen- de Flächenverfügbarkeit) vorliegen und die in den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA) der „Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen“ (FGSV) aufgeführten Kriterien dafür sprechen. Allerdings sind gerade innerstädtisch Situationen häufiger, wo es sich im Zuge des in den ERA beschriebenen Abwägungs- prozesses herausstellt, dass die Führung des Radverkehrs auf im Fahrbahnbereich markierten Radverkehrsanlagen sicherer und günstiger ist (bessere Sichtbeziehung zum Kfz-Verkehr, weniger Konflikte mit dem Fußverkehr). Gleichwohl gibt es auch in der Innenstadt viele Bereiche, wo die ortsbezogene Abwägung dazu führt, dass Radwege baulich angelegt werden. Auch in Kopenhagen werden Radverkehrsanlagen in der Innenstadt nicht immer baulich getrennt geführt. Im Übrigen ist der Senat der Auffassung, dass die Sichtbar- keit von Radfahrenden im Straßenraum bei fahrbahnbe- gleitenden Radverkehrsanlagen am besten gegeben ist. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 253 3 Frage 11: Wie viele Kilometer Straßen mit Kopfstein- pflaster gibt es in Berlin, die nicht über Radverkehrsanla- gen verfügen und somit nur schlecht für den Radverkehr geeignet sind? Wie viele km Kopfsteinpflaster wurden in Berlin in den letzten zwei Jahren erneuert? Auf wie vielen km wurden dabei Fahrspuren für den Radverkehr aus Asphalt oder aus ebenen Platten eingefügt? Plant der Senat in Zukunft – wie beispielsweise in Kopenhagen – systematisch Straßen mit Kopfsteinpflaster mit Fahrspu- ren für den Radverkehr auszustatten, damit Radfahrer nicht auf den Bürgersteig ausweichen? Falls nicht, warum nicht? Antwort zu 11: Da es in Berlin nur ca. 18 km gepflas- terte Hauptstraßen gibt, von denen viele bereits über Radwege verfügen oder zum Umbau vorgesehen sind, ist die schlechte Befahrbarkeit von Kopfsteinpflasterstraßen mehr eine Problematik, die die in bezirklicher Zuständig- keit liegenden Nebenstraßen betrifft. Statistische Erhe- bungen über Erschwernisse für den Radverkehr durch Kopfsteinpflaster oder über die Erneuerung von Kopf- steinpflaster sind dem Senat nicht bekannt. Dennoch ist es ein wichtiges Handlungsfeld des Radverkehrsinfrastruk- turprogramms, Kopfsteinpflasterstraßen im Zuge von Fahrradrouten mit besser befahrbaren Belägen zu verse- hen. Angesichts der relativ hohen Kosten der Asphaltie- rung von Pflasterstraßen und der häufig damit verbunde- nen stadtgestalterischen Problematik können solche As- phaltierungen im Rahmen des Radverkehrsinfrastruktur- programms nur in begrenztem Umfang (in der Regel weniger als 1 km pro Jahr) vorgenommen werden. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass vor Ort häufig er- hebliche Widerstände in der Bürgerschaft und bei den bezirklichen Gremien gegen die Asphaltierung von Kopf- steinpflasterstraßen auftreten. Berlin, den 08. Juni 2015 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Juni 2015)