Drucksache 17 / 16 260 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Stefanie Remlinger (GRÜNE) vom 21. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Mai 2015) und Antwort Zweisprachige Erziehung an Berliner Grundschulen – ein vom Senat verkanntes Erfolgsmodell ? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Kinder mit türkischer Sprachherkunft besuchen nach Kenntnis des Senats die Berliner Schulen? Zu 1.: Schülerinnen und Schüler mit türkischer Sprachherkunft werden statistisch nicht erfasst. Es liegen jedoch Daten zu ausländischen Schülerinnen und Schü- lern mit der Staatsangehörigkeit „Türkei“ vor. Im Schuljahr 2014/15 (Stichtag: 12.09.2014) waren dies an öffent- lichen Grundschulen 2.534 Schülerinnen und Schüler. (Quelle: Blickpunkt Schule 2014/15, Seite 11.) Insgesamt besuchen 7.379 Schülerinnen und Schüler mit türkischer Staatsangehörigkeit die allgemeinbildenden Berliner Schulen. Darüber hinaus haben rund 110.000 Schülerin- nen und Schüler (ca. 37 %) eine nichtdeutsche Herkunfts- sprache. 2. Wie entwickelten sich die Schülerzahlen beim Programm Zweisprachige Erziehung (ZWERZ) innerhalb der letzten fünf Jahre (sortiert nach Schulstandorten)? Zu 2.: Die Entwicklung der Schülerzahlen an den Standorten ist der nachfolgenden Übersicht zu entneh- men: Schule Anzahl der Schülerinnen und Schüler 2010/11 2011/12 2012/13 2013/14 2014/15 Wedding-Grundschule, Mitte (01G31) 106 141 138 108 144 Leo-Lionni-Grundschule, Mitte (01G45) 128 139 136 144 139 Jens-Nydahl-Grundschule, Kreuzberg (02G22) 102 88 88 117 145 Spreewald-Grundschule, Schöneberg (07G01) 118 123 123 128 132 Rixdorfer Grundschule, Neukölln (08G01) 127 122 127 129 129 3. Wie erklärt sich der Senat die unterschiedlichen Schülerzahlen in Bezug auf die einzelnen Schul- Standorte? 4. Wie schätzt der Senat den Zusammenhang zwi- schen Werbemaßnahmen für das ZWERZ-Programm und der Nachfrage ein? Zu 3. und 4.: Die Teilnahme am Projekt Zweisprachi- ge Erziehung (ZWERZ) ist freiwillig, eine schriftliche Zustimmung der Erziehungsberechtigten ist erforderlich. Das Interesse von Eltern an nach spezifischen schulischen Angeboten ist u.a. in den sozialräumlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, dem schulischen Profil insgesamt sowie den Aktivitäten begründet, die jede Schule zur Kommunikation ihrer Angebote und zur Vernetzung im Sozialraum in eigener Verantwortung vornimmt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 260 2 In den Publikationen der Senatsverwaltung für Bil- dung, Jugend und Wissenschaft wird Informationen über die zweisprachige Alphabetisierung regelmäßig ausrei- chend Raum gegeben. Aus Sicht des Senats unterscheiden sich die Schülerzahlen der einzelnen Standorte allerdings nicht wesentlich. Eine Bewertung von Werbemaßnahmen, die jede Schule in eigener Verantwortung vornimmt, erscheint daher nicht begründet. 5. Inwiefern sieht der Senat die Nachfrage nach dem ZWERZ-Programm negativ beeinflusst durch die Tatsa- che, dass das Angebot nur für die Grundschulen gilt und nicht an den Oberschulen weitergeführt wird? Zu 5: ZWERZ ist eine Alphabetisierungsmaßnahme und somit ausschließlich an Grundschulen anzubieten. In dem deutsch-türkisch-Angebot der Staatlichen Europa- Schulen Berlin (SESB) kann jedoch der Erwerb beider Sprachen auf dem Niveau von Partnersprache bzw. Mut- tersprache fortgeführt werden. 6. Welche Ressourcen stellt der Senat zur Umsetzung des ZWERZ-Projektes zur Verfügung? Zu 6.: Für Programme einer zweisprachigen Alphabe- tisierung und Erziehung stehen 12 Lehrerstellen (Voll- zeiteinheiten - VZE) zur Verfügung. 7. Wie bewertet der Senat den Erfolg des ZWERZ- Projektes und welche weiteren Entwicklungspotenziale sieht er? 9. Wie positioniert sich der Senat zu den Gerüchten, dass eine Beendigung bzw. Reduktion von bestehenden Ressourcen des ZWERZ-Programms beabsichtigt ist? Zu 7. und 9.: ZWERZ ist ein bundesweit einmaliges Regelangebot, das sich an Schülerinnen und Schüler mit den Herkunftssprachen/Familiensprachen Türkisch oder Deutsch richtet. Vorgesehen ist gem. § 12 Grundschul- verordnung (GsVO), dass sich die Klassen zu gleichen Teilen aus Schülerinnen und Schülern mit türkischer und deutscher Muttersprache zusammensetzen. Der Regelun- terricht wird im Umfang von 5 - 7 Stunden gemeinsam von Lehrkräften mit deutscher und türkischer Mutterspra- che zweisprachig erteilt. In ZWERZ-Klassen wird zusätz- licher Unterricht Türkisch als Muttersprache erteilt (5 Wochenstunden in Jahrgangsstufe 1 bis 4, 3 Wochenstun- den in Jahrgangsstufe 5 und 6). Eine Arbeitsgemeinschaft Türkisch für Deutsche (2 Wochenstunden) kann auf frei- williger Basis besucht werden. Seit dem Schuljahr 1992/93 verringerte sich die An- zahl der Standorte angesichts rückgängiger Nachfrage von ehemals 14 auf zurzeit 5 Grundschulen. Das Konzept wird seit Ende 2014 in einer Arbeits- gruppe einer Bestandsaufnahme unterzogen. Dabei wer- den insbesondere die Konzeption, die ursprünglichen Ziele, die Entwicklung der Schülerzahlen und die Klas- senzusammensetzung geprüft. In dieser Arbeitsgruppe sind neben der Fachreferentin der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Schulaufsichtsbeam- tinnen und Schulaufsichtsbeamte der Bezirke sowie Schulleitungen und Lehrkräfte der ZWERZ-Schulen be- teiligt. In dem bisherigen Arbeits- und Diskussionspro- zess besteht Konsens darüber, dass die Stärkung der Mut- tersprachenkompetenz der türkischen Schülerinnen und Schüler positiv zu bewerten ist. Nicht zu übersehen ist allerdings die an manchen Standorten nur geringe Anzahl von Kindern mit dominierender Familiensprache Deutsch in ZWERZ-Klassen. Stattdessen besuchen eine größere Anzahl Schülerinnen und Schüler mit weiteren Mutter- sprachen diese Klassen, deren Einordnung in das Unter- richtskonzept unklar ist. Dies hat zur Folge, dass die Zweisprachigkeit und das sprachliche Anregungspotenzial im gemeinsamen Unterricht Deutsch-Türkisch zuneh- mend nicht mehr gewährleistet werden können, die in der Stundentafel vorgesehene Arbeitsgemeinschaften Tür- kisch für Deutsche für türkische Kinder oder gar nicht angeboten wird. Eine Reduktion der bestehenden Ressourcen für die zweisprachige Alphabetisierung und Erziehung ist nicht vorgesehen. Es wird vielmehr geprüft, inwieweit die Be- darfslagen der Schulen vor dem Hintergrund einer passfä- higen Förderung im muttersprachlichen Unterricht Tür- kisch an einzelnen Standorten zielführender als bisher bedient werden können. Schwerpunkt muss und wird dabei die Stärkung der Muttersprachenkompetenz der türkischen Schülerinnen und Schüler bleiben. 8. Welche Kenntnisse hat der Senat bezüglich der Leistungssteigerungen bei Schülerinnen und Schülern durch die Teilnahme an ZWERZ im Hinblick auf VERA 3 und die Oberschul-Empfehlung bzw. der Förderprogno- se? Zu 8.: Im Zusammenhang mit länderübergreifenden Vergleichsarbeiten in Jahrgangsstufe 3 wurde das Merk- mal der zweisprachigen Alphabetisierung und Erziehung an Berliner Grundschulen nicht erfasst. Erkenntnisse bezüglich einer Leistungssteigerung bei Schülerinnen und Schülern durch die Teilnahme an ZWERZ liegen daher nicht vor. Aufgrund der geringen Population, die sich an ZWERZ beteiligt, ist eine Ermittlung belastbarer Aussa- gen zu Leistungssteigerungen durch ZWERZ mithilfe von Vergleichsarbeiten der Jahrgangsstufe 3 (VERA 3) und der Förderprognose nicht möglich. Über darüber hinaus ggf. vorhandene Fragestellungen und Ergebnisse schulinterner Evaluationsvorhaben im Bereich der zweisprachigen Alphabetisierung liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 260 3 10. Inwiefern gab es von Seiten des Türkischen Gene- ralkonsulats oder anderen Akteuren Bemühungen, die Zweisprachigkeit an Berliner Schulen auszubauen und wenn ja, wie reagierte der Senat darauf? Zu 10.: Dem Interesse des Türkischen Generalkonsuls, weitere Grundschulen an dem Programm zu beteiligen, stand und steht der Senat aufgeschlossen gegenüber. Auf Sitzungen aller Schulleitungen hatte er sich Ende 2013 persönlich an die Leiterinnen und Leiter der Grundschu- len gewandt und seine Unterstützung angeboten. Bislang haben sich allerdings keine weiteren Grundschulen ge- funden, die an dem Angebot zweisprachiger Alphabetisie- rung interessiert sind. Eine Grundschule strebt derzeit an, dieses Angebot mangels Nachfrage bei den Eltern wieder aufzugeben. Berlin, den 06. Juni 2015 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juni 2015)