Drucksache 17 / 16 271 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 21. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Mai 2015) und Antwort Entwicklung der Jugendkriminalität in Berlin 2014 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele durch Jugendliche verübte Straftaten gab es in Berlin im Jahr 2014, aufgegliedert nach Alters- gruppe und Geschlecht der Täter analog der Antwort auf Frage 1 der Schriftlichen Anfrage 17/13525? Zu 1.: In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden neben den Straftaten auch Tatverdächtige erfasst. Eine Tatverdächtige/ein Tatverdächtiger wird pro erfass- tes Delikt nur einmal gezählt, unabhängig von den tat- sächlich begangenen Taten. Wenn eine Person innerhalb der Berichtszeit zu mehreren Ermittlungsverfahren als Tatverdächtiger in Erscheinung tritt, wird er trotzdem für die Gesamtzahl der Tatverdächtigen nur einmal gezählt (echte Tatverdächtigtenzählung). Im Jahr 2014 wurden folgende Tatverdächtige in der PKS registriert: Erfasste Tatverdächtige nach Altersgruppen und Geschlecht (Polizeiliche Kriminalstatistik PKS) 2014 Kinder 4.099 männlich 2.833 weiblich 1.266 Jugendliche 9.644 männlich 6.385 weiblich 3.259 Heranwachsende 11.084 männlich 7.954 weiblich 3.130 Soweit diese Zahlen im Vergleich zu 2013 einen An- stieg der Fallzahlen ausweisen, ist zu berücksichtigen, dass dieser durch einen höchst ungewöhnlichen Anstieg im Bereich des Erschleichens von Leistungen sowohl allgemein als auch bei den Jugendlichen und Heranwach- senden erklärt werden kann, der im Wesentlichen auf eine Intensivierung der Kontrollen im ÖPNV zurückzuführen ist, zum kleineren Teil auf eine durch einen Softwarefeh- ler bei der BVG notwendig gewordene Nacherfassung von Fällen aus den Vorjahren. Klammert man diese Deliktsgruppe aus, ergibt sich im Vergleich zu 2013 folgendes Bild Jahr Kinder Jugendliche Heranwachsende 2013 4.290 9.419 8.875 2014 4.039 8.061 8.231 2. Wie viele der jugendlichen Straftäter wurden in den Jahren 2013 und 2014 nach Jugend- und Erwachsenen- strafrecht, zu Erziehungsmaßregelungen, Zuchtmitteln oder einer Gefängnisstrafe verurteilt und wie viele Ver- urteilungen wurden zur Bewährung ausgesetzt? Zu 2.: Im Jahr 2013 wurden 662 Heranwachsende nach allgemeinem Strafrecht verurteilt, davon 10 zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, 47 zu einer Freiheits- strafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und 604 zu Geldstrafen. Darüber hinaus wurde gegen eine Person ein Strafarrest verhängt. Im Jahr 2014 wurden 725 Heranwachsende nach all- gemeinem Strafrecht verurteilt, davon 12 zu einer Frei- heitsstrafe ohne Bewährung, 29 zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und 684 zu Geldstrafen. Soweit es Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht betrifft, orientieren sich die nachfolgend angegebenen statistischen Zahlen an der jeweils schärfsten verhängten Sanktion. So bleibt außer Betracht, dass gemäß § 8 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel, ebenso mehrere Erziehungsmaßregeln oder mehrere Zuchtmittel nebeneinander angeordnet werden können (vgl. hierzu aber die Antwort zu 3.). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 271 2 Demnach erfolgten im Jahr 2013 insgesamt 2.347 Verurteilungen nach Jugendstrafrecht (davon gegen Her- anwachsende: 1.239). Es wurden 208 Jugendstrafen ohne Bewährung verhängt (davon gegen Heranwachsende: 146) und 269 Jugendstrafen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (davon gegen Heranwach- sende: 170). In 1.392 Fällen wurden als schärfste Sankti- onen Zuchtmittel (davon gegen Heranwachsende: 689) und in 478 Fällen Erziehungsmaßregeln (davon gegen Heranwachsende: 234) verhängt. Im Jahr 2014 erfolgten insgesamt 2.167 Verurteilun- gen nach Jugendstrafrecht (davon gegen Heranwach- sende: 1.153). Es wurden 215 Jugendstrafen ohne Bewäh- rung verhängt (davon gegen Heranwachsende: 155) und 230 Jugendstrafen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (davon gegen Heranwachsende: 136) In 1.199 Fällen wurden als schärfste Sanktionen Zuchtmittel (davon gegen Heranwachsende: 594) und in 523 Fällen Erziehungsmaßregeln (davon gegen Heranwachsende: 268) verhängt. 3. Welche erzieherischen und pädagogischen Maß- nahmen gibt es in Berlin für Jugendstraftäter und wie oft wurden diese Maßnahmen jeweils in den Jahren 2013 und 2014 angewandt? Zu 3: Im Jahr 2013 sind insgesamt (gegebenenfalls auch nebeneinander) 1.694 Zuchtmittel und 914 Erzie- hungsmaßregeln im Sinne des JGG angeordnet worden. Bei den Zuchtmitteln wurde in 478 Fällen Arrest verhängt (Dauerarrest: 286 Fälle, Kurzarrest: 73 Fälle, Freizeitar- rest: 116 Fälle, Jugendarrest gemäß § 16a JGG: 3 Fälle) und in 325 Fällen eine Verwarnung nach § 14 JGG ausge- sprochen. In 891 Fällen wurden Auflagen nach § 15 JGG erteilt, nämlich in 60 Fällen Wiedergutmachung, in 175 Fällen die Zahlung eines Geldbetrages, in 643 Fällen Arbeitsleistungen, in 7 Fällen Entschuldigungen und in 6 Fällen Arbeitsleistungen und Entschuldigungen. Als Er- ziehungsmaßregeln wurden in 895 Fällen Weisungen und in 19 Fällen Erziehungsbeistandschaften angeordnet. Im Jahr 2014 sind insgesamt (gegebenenfalls auch ne- beneinander) 1.448 Zuchtmittel und 919 Erziehungsmaß- regeln im Sinne des JGG angeordnet worden. Bei den Zuchtmitteln wurde in 274 Fällen eine Verwarnung nach § 14 JGG ausgesprochen. In 697 Fällen wurden Auflagen nach § 15 JGG erteilt, nämlich in 42 Fällen Wiedergut- machung, in 160 Fällen die Zahlung eines Geldbetrages, in 490 Fällen Arbeitsleistungen und in 65 Fällen Arbeits- leistungen und Entschuldigungen. In 477 Fällen wurde ein Arrest verhängt. Davon entfielen auf den Dauerarrest 303 Fälle, auf den Kurzarrest 64 Fälle und auf den Frei- zeitarrest 107 Fälle. Für den Jugendarrest gemäß § 16a JGG (Jugendwarnarrest) sind statistisch 3 Fälle erfasst. Hierzu ist anzumerken, dass nach den hier vorliegenden Erkenntnissen im Jahr 2014 aber 14 Personen zur Voll- streckung eines Jugendarrestes in der Jugendarrestanstalt aufgenommen wurden. Es ist daher von Fehlern bei der statistischen Erfassung auszugehen, deren Hintergründe noch zu klären sind. Als Erziehungsmaßregeln wurden in 908 Fällen Wei- sungen und in 11 Fällen Erziehungsbeistandschaften angeordnet. 4. Wie viele der Jugendstraftäter sind nach ihrer je- weiligen Verurteilung oder Maßnahme im Jahr 2014 rückfällig geworden bzw. weshalb wird keine Rückfall- statistik geführt? Zu 4.: Eine Rückfallstatistik wird in Berlin nicht ge- führt. Vielmehr basieren die im Wesentlichen relevanten * StPO-/OWi- sowie *StA-Statistiken auf bundeseinheitli- chen Verwaltungsanordnungen der Länder, nach denen bereits umfangreiche statistische Daten erhoben werden. Gleichwohl ist die Frage der spezialpräventiven Wirkung von Strafen von erheblicher Relevanz. Das Bundesminis- terium der Justiz und für Verbraucherschutz hat daher eine bundesweite Untersuchung zur Rückfallquote, also der Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, in Auftrag gegeben. Sie wird seitdem in drei Erhebungs- wellen vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und der Universität Göttingen durchgeführt. Nach dem Konzept der Rückfalluntersuchung werden alle in einem sogenannten Bezugsjahr strafrechtlich Sank- tionierten oder aus der Haft Entlassenen während eines festgelegten Risikozeitraums daraufhin überprüft, ob sie wieder straffällig wer- * StPO = Strafprozessordnung; OWi = Ordnungswid- rigkeiten; StA = Staatsanwaltschaft den. Datenbasis hierfür sind die personenbezogenen Eintragungen im Zentral- und Erziehungsregister, die in der Regel mindestens fünf Jahre erhalten bleiben, und die für die Zwecke der Untersuchung pseudoanonymisiert werden. Die Daten des Zentralregisters werden in drei Erhe- bungswellen erfasst, so dass für die Bezugsjahre 2004, 2007 und 2010 das Rückfallverhalten in einem jeweils dreijährigen Beobachtungszeitraum untersucht werden kann. Außerdem können die Daten der einzelnen Erhe- bungswellen so miteinander verknüpft werden, dass für das Bezugsjahr 2004 der Beobachtungszeitraum sukzes- sive auf neun Jahre erweitert werden kann. Bisher wurden die ersten beiden Erhebungswellen durchgeführt. Die Untersuchungsergebnisse wurden veröffentlicht und kön- nen über den Link http://www.bmjv.de/DE/Ministerium/Fachthemen/Abt II/IIA7/Rueckfallstatistik_doc.html?nn=1468684 im Internet abgerufen werden. Darüber hinaus wurde hier von der Möglichkeit Ge- brauch gemacht, bei der Universität Göttingen eine ber- linspezifische Rückfalluntersuchung in Auftrag zu geben. Für den Bereich des Jugendstrafrechts lassen sich die dabei gewonnenen Erkenntnisse bezogen auf den Zeit- raum von 2004 bis 2010 wie folgt zusammenfassen: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 271 3 Rückfallraten der Bundesländer Gesamt Minimale Rückfallrate Berlin Bundes- durchschnitt Maximale Rückfallrate Sanktions- art der Be- zugsent- scheidung JS o. Bew. 5.689 71 % 80 % 80 % 92 % JS m. Bew. 14.671 68 % 76 % 75 % 84 % Jugendarrest 17.025 72 % 77 % 75 % 83 % Sonst. n. JGG 67.912 59 % 70 % 63 % 76 % Einstellung nach §§ 45, 47 JGG 262.803 43 % 50 % 46 % 59 % 5. Wie viele der Jugendstraftäter waren im Jahr 2014 Intensiv- oder Schwellenstraftäter, welcher Altersgruppe gehörten sie an, wie viele waren männlich und wie viele weiblich analog der Antwort auf Frage 8 der Schriftlichen Anfrage 17/13525? Zu 5.: Die Zusammensetzung der Tätergruppen im Programm der Täterorientierten Ermittlungsarbeit verän- dert sich mit jeder An-, Ab- und Ummeldung einer ein- zelnen Person. Daher spiegeln Abfragen nur das Stich- tagsergebnis wider. Für das Jahr 2014 wurde am Jahres- ende eine Abfrage durchgeführt, die in der PKS und dem jährlichen Jugenddelinquenzbericht veröffentlicht wird. Anzahl der Intensivtäterinnen/Intensivtäter (Geschäftsstatistik LKA Prävention) Intensivtäter 2014 Gesamt 323 männlich 305 weiblich 18 Kinder 6 Jugendliche 130 Heranwachsende 187 Anzahl der Schwellentäterinnen/Schwellentäter (Geschäftsstatistik LKA Prävention) Schwellentäter 2014 Gesamt 77 männlich 75 weiblich 2 Kinder 1 Jugendliche 23 Heranwachsende 53 6. Wie viele Straftaten haben Jugendgruppen im Jahr 2014 begangen, welcher Altersgruppe gehörten die Täter zum Tatzeitpunkt jeweils an, wie viele der Täter waren männlich und wie viele weiblich analog der Antwort auf Frage 9 der Schriftlichen Anfrage 17/13525? Zu 6.: In Berlin werden Straftaten von Jugendgruppen als Jugendgruppengewalt definiert, wenn die Straftat von mindestens zwei Täterinnen/Tätern im Alter von 8 bis unter 21 Jahren als gemeinschaftliche Handlung begangen wird oder von einer Einzeltäterin/einem Einzeltäter, der die Gruppe als Machtinstrument einsetzt. Nachfolgend aufgeführte Delikte sind spezifisch für Jugendgruppengewalt: Raub (inklusive räuberische Er- pressung), Körperverletzung, Bedrohung, Sachbeschädi- gung und sonstige Begleitdelikte, wie z. B. unerlaubter Waffenbesitz. Eine bundeseinheitliche Definition der Jugendgruppengewalt gibt es nicht. Die Auswertung der Jugendgruppengewalt erfolgt durch das Setzen der Sonderkennung in der PKS. Übersicht der Jugendgruppengewalt (Polizeiliche Kriminalstatistik PKS) Jugendgruppengewalt 2014 Straftaten 2.822 Tatverdächtige 3.036 männlich 2.579 weiblich 457 Kinder 396 männlich 302 weiblich 94 Jugendliche 1.419 männlich 1.161 weiblich 258 Heranwachsende 854 männlich 791 weiblich 63 Erwachsende 367 männlich 325 weiblich 42 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 271 4 7. Wie viele Diversionsverfahren wurden im Jahr 2014 durchgeführt analog der Antwort auf Frage 13 der Schriftlichen Anfrage 17/13525? Zu 7.: Für die Polizei Berlin kommen in der Gemein- samen Diversionsrichtlinie der Senatsverwaltungen für Justiz und Verbraucherschutz, für Inneres und Sport so- wie für Bildung, Jugend und Wissenschaft die Möglich- keiten der Diversionsverfahren nach § 45 Abs. 1 JGG (sanktionslose Einstellung) und nach § 45 Abs. 2 JGG - 1. Alternative (normverdeutlichendes Gespräch durch die Polizeibeamtin/den Polizeibeamten und bereits ausrei- chend eingeleitete/erfolgte erzieherische Maßnahmen) und 2. Alternative (Durchführung einer erzieherischen Maßnahme durch die Diversionsmittlerin oder den Diver- sionsmittler) in Betracht. Das normenverdeutlichende Gespräch durch die Poli- zeibeamtin oder den Polizeibeamten ist nach Überarbei- tung der Diversionsrichtlinie zum 15. September 2014 keine erzieherische Maßnahme mehr im Sinne des § 45 Abs. 2 JGG. Das nunmehr geforderte erzieherisch orien- tierte Gespräch hat durch die Staatsanwaltschaft oder in Absprache mit der Staatsanwaltschaft durch die Polizei zu erfolgen. Daraus ergibt sich eine unmittelbare Auswir- kung auf § 45 Abs. 2 JGG 1. Alternative. In der nachfolgenden Statistik kann die Anzahl der von der Polizei Berlin vorgeschlagenen Diversionsmaß- nahmen abgelesen werden. Übersicht der Diversionsvorgänge (Geschäftsstatistik LKA Prävention) Diversion 2014 Diversionsverfahren gesamt 5.024 nach § 45 I JGG 3.610 nach § 45 II JGG 1. Alt. 606 nach § 45 II JGG 2. Alt. 808 Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft auch ohne polizeilichen Vorschlag von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, von der Strafverfolgung abzusehen, und auch die Jugendgerichte haben noch in vielen Fällen zur Diver- sion gegriffen und von einer förmlichen Verurteilung abgesehen. So erfolgten im Jahr 2014 insgesamt 8.697 Einstellungen durch die Staatsanwaltschaft nach § 45 JGG, bei Gericht noch in weiteren 3.473 Fällen Einstel- lungen nach § 47 JGG. Berlin, den 12. Juni 2015 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Juni 2015)