Drucksache 17 / 16 321 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Susanna Kahlefeld (GRÜNE) vom 01.Juni 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Juni 2015) und Antwort Was macht das „Nostel“ (Notunterkunft für obdachlose Familien)? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Förderung hat der Verein Phinove e.V. seit der Gründung des sogenannten Nostels für die Arbeit dort erhalten? Welche Summen gingen in Mieten, Personal- kosten, Honorare etc. (Bitte gesondert auflisten) Zu 1.: Bei den Nostels handelt es sich um eine Maß- nahme des Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma vom 16.07.2013 (Drucksache 17/1094). Dort wer- den im Handlungsfeld „Wohnen und Konflikte im Stadtraum “ die vorübergehenden Unterkünfte für Familien mit Kindern wie folgt beschrieben: „Familien, die ohne Unterkunft und Obdach sind, könnten in dieser Notsituation für einen begrenzten Zeitraum von wenigen Tagen in einer zu schaffenden Einrichtung Unterkunft erhalten, um sie vor Ort über ihre Möglichkeiten und Rechte zu beraten und eine Klärung von Ansprüchen nach dem SGB II be- ziehungsweise SGB XII herbeizuführen“ (S.13). Eingerichtet wurden die vorübergehenden Unterkünfte dezent- ral in Innenstadtbezirken. Der Verein Phinove e.V. erhält folgende Mittel: Für 2014 wurden dem Verein für die Laufzeit des Projekts vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 eine Fördersumme in Höhe von 64.803 € zur Verfügung gestellt. Davon waren Personal- und Honorarkosten in Höhe von 26.168,88 € und Mietkosten in Höhe von 9.289 €. Für 2015 steht dem Verein für die Laufzeit des Projekts vom 1. Januar bis 31. Dezember hierfür 2015 eine Fördersumme von 350.000 € zur Verfügung. Davon sind bislang 194.013,14 € für Personal - und Honorarkosten vorgesehen, für die Miete sind Kosten in Höhe 83.244,00 € geplant. 2. Wie viele Familien wurden seit dem Oktober 2014 untergebracht? Wie viele Einzel-Personen sind das? Zu 2.: Es wurden von Oktober 2014 bis Mai 2015 12 Familien – insgesamt 53 Personen – untergebracht. In den Monaten Oktober bis November standen drei Nostels, von Dezember bis März sechs und ab April 2015 stehen elf Notunterkünfte für obdachlose Familien zur Verfügung. 3. Nach welchen Kriterien werden Personen im Nostel untergebracht? Wie definiert Phinove e.V. die „positive Prognose“, die Voraussetzung für die Aufnahme ist? Was wäre demgegenüber eine „negative Prognose“, die zur Nicht-Aufnahme führt? 4. Wie bewertet der Senat diese Kriterien? Zu 3. und 4.: Das Projekt richtet sich grundsätzlich an Familien. Die Auswahl der Familien erfolgt anhand von Einzelfallentscheidungen. Diese werden nach Gesamtbe- trachtung der zur Verfügung stehenden Plätze und der Lebenssituation der jeweiligen Familie getroffen. Vorge- schlagen werden die Familien durch die Träger der Mo- bilen Anlaufstellen für Europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter und Roma sowie vom Verein Phi- nove e.V. Diese von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen vorgeschlagenen Kriterien sind mit den Bezirken und den erwähnten Trägern abgestimmt worden. Der Senat bewertet diese Kriterien als erforder- lich und zielgerichtet. 5. Welche Träger kümmern sich um die Personen mit „negativer Prognose“ Wie? Zu 5.: Negative Prognosen werden nicht erstellt. Die Vermittlung wohnungsloser Familien in die Regeldienste gehört zur Kernaufgabe der o.g. Mobilen Anlaufstellen, für die Amaro Foro und die Caritas zuständig sind. Die Unterbringung in einem Nostel ist eine freiwillige Leistung des Senats, mit der modellhaft die Unterbrin- gung von Familien und die gleichzeitige Prüfung von Leistungsansprüchen erprobt werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 321 2 6. Wie lange waren diese Personen untergebracht und was ist über ihren Verbleib bekannt? Zu 6.: Die reguläre Dauer der Unterbringung in einem Nostel beträgt 28 Tage, diese ist einzelfallbezogen ver- längerbar. In der Regel ist eine Weiterbetreuung durch den Verein Phinove e.V. nach Abschluss der Unterbrin- gung nicht erforderlich. 7. Wie viele Personen haben eine Wohnung und/oder Arbeit finden können? Zu 7.: Ein Ziel des Projektes ist die Integration der un- tergebrachten Familien in den regulären Arbeits- und Wohnungsmarkt. Die entsprechenden Statistiken liegen, da es sich um eine neue und laufende Maßnahme seit 1. Juli 2014 handelt, noch nicht vor und werden der Senats- verwaltung gemeinsam mit den Sachberichten zum 30. März 2016 übermittelt. 8. Wie viele Personen haben Anspruch auf Sozial- Leistungen? Zu 8.: Ein weiteres Ziel des Projektes ist die Klärung von Ansprüchen auf Sozialleistungen. Aufgrund der bis- lang uneinheitlichen Rechtsprechung und des in vielen Fällen länger dauernden Rechtsweges kann diese Frage noch nicht beantwortet werden. Die entsprechenden Sta- tistiken für 2014 und 2015 werden ebenfalls zum 30. März 2016 übermittelt. 9. In welcher Höhe wurden EU-Mittel zu Rückfüh- rung ausgegeben? Wofür genau: Beratung? Begleitung? Fahrtgelder? Für wie viele Personen? (Bitte gesondert auflisten) Zu 9.: Im Rahmen des Aktionsplans werden keine Mittel, auch keine EU-Mittel, für Rückführungen ausge- geben. Dem Senat ist bekannt, dass einige Bezirke in Einzelfällen Angebote zur freiwilligen Rückkehr machen. 10. Welche Unterstützung erhalten die Personen im Nostel, die über die Unterbringung und die mögliche Rückführung hinausgehen? Gibt es Hilfen bei der Woh- nungs- und Arbeitssuche, Anleitung zum Besuch von Deutschkursen und Schule, Elternarbeit, gesundheitliche Betreuung, Hilfen zur Ausbildung etc.? Zu 10.: Zu den Maßnahmen gehören u.a. die Unter- stützung bei der Antragstellung von Kindergeld und der Eröffnung eines Bankkontos, die Beratung bei der Ar- beitssuche inklusive der Unterstützung bei der Erstellung von Bewerbungen, Aufklärung zu Rechten und Pflichten eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitsnehmerin bzw. eines Arbeitsgebers oder einer Arbeitsgeberin sowie über den Mindestlohn und die Begleitung aller minderjährigen Kinder zum Kinder- und Jugendgesundheitsdienst. 11. Mit welchen Trägern wird in diesen Fragen koope- riert? Wie ist eine kontinuierliche Weiterbetreuung von Personen möglich, die von anderen Trägern an Phinove e.V. übergeben werden, möglich? Zu 11.: Während der Dauer der Unterbringung in ei- nem Nostel werden die wohnungslosen Familien durch den Verein Phinove e.V. betreut. Nach der Unterbringung und Betreuung werden die Familien über Hilfen der Re- gelinstitutionen beraten, dabei werden die Mobilen An- laufstellen einbezogen. 12. Wie ist diese Kooperation möglich, da die Unter- bringungsorte geheim gehalten werden? 13. Warum werden die Wohnungen geheim gehalten? Welche Nachteile werden für die untergebrachten Perso- nen vermutet, wenn ihre Unterbringung öffentlich würde? Zu 12. und 13.: Die Anschrift des Vereins Phinove e.V. ist öffentlich bekannt: Arnold-Fortuin-Haus, Harzer Straße 65, 12059 Berlin, Telefon: 030 – 20 95 17 09, Email : info@phinove.org Die Familien stehen während des Zeitraums der Un- terbringung in den Nostels unter besonderem Schutz, da der Senat ihnen gegenüber eine Fürsorgeverpflichtung eingeht. Zudem hat sich der Senat verpflichtet, Antiziga- nismus wie andere Formen des Rassismus zu bekämpfen. Um rassistische Angriffe zu verhindern, werden daher zum Schutz der Familien und zur Prävention vor solchen Angriffen die Anschriften nicht veröffentlicht. 14. Wie kann Post (Jobcenter, Ämter etc. ...)an diese geheimen Orte zugestellt werden? Sind Besuche möglich? Wie? Zu 14.: Die Zustellung von Schriftstücken erfolgt über o.g. postalische Anschrift des Vereins Phinove e.V. Besu- che sind nach Anmeldung bei dem Verein möglich. 15. Wie kann unter diesen Umständen die Bearbeitung der multiplen Problemlagen sowie die Heranführung an die Regeldienste gewährleistet werden? Gehen die Kinder zur Schule? Zu 15.: Die Bearbeitung und Klärung der Problemla- gen der Familien erfolgt während der Dauer der Unter- bringung in einem Nostel durch den Verein Phinove e.V., dabei werden zuständige Institutionen der Regeldienste einbezogen (zum Beispiel Gesundheitsvorsorge und Schuldnerberatung). Alle schulpflichtigen Kinder werden eingeschult. Dafür nimmt der Verein Kontakt mit den zuständigen Schulen auf und arbeitet mit diesen zusam- men. 16. Warum ist das Nostel nur für obdachlose Roma- Familien konzipiert und nach welchen Kriterien wird diese Identität festgestellt? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 321 3 17. Wie bewertet der Senat dieses Konzept? Zu 16. und 17.: Das Projekt richtet sich an woh- nungslose Familien mit minderjährigen Kindern. Im Rahmen des Aktionsplans wendet es sich nicht aus- schließlich, sondern insbesondere auch an Roma-Fami- lien. Eine Feststellung der ethnischen Zugehörigkeit er- folgt nicht und verbietet sich, da dies ein diskriminieren- des und benachteiligendes Vorgehen wäre. Der Senat hält dieses bislang einzigartige Modellpro- jekt für einen guten Weg, um die Lage von wohnungslo- sen Roma-Familien zu verbessern. Berlin, den 18. Juni 2015 In Vertretung Barbara Loth Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juni 2015)