Drucksache 17 / 16 344 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher und Marion Platta (LINKE) vom 02. Juni 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Juni 2015) und Antwort Sieben-Jahres-Frist und die Kleingartenanlage Oeynhausen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Welchen Einfluss hat der Beschluss des Ers- ten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. De- zember 2014 (1 BvR 2142/11) in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Senatsverwaltung für Stadt- entwicklung und Umwelt (als Enteignungsbehörde) gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Entschädi- gung bei einer sogenannten isolierten eigentumsverdrän- genden Planung auf das in der Vergangenheit liegende und auf das künftige Verwaltungshandeln des Senats und der Bezirke? Antwort zu 1: Die Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts - 1 BvR 2142/11 - vom 16. Dezember 2014 betrifft eine Kontroverse zwischen der Enteignungsbe- hörde des Landes Berlin und der entschädigungsrechtli- chen Rechtsprechung zur "isolierten" eigentumsverdrän- genden Planung des Bundesgerichtshofs. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist aber nicht nur für Berlin, sondern für alle Gemeinden von immenser finanzieller Bedeutung. Denn die streitige Fra- ge, ob die Gemeinde für die bauplanungsrechtliche Inan- spruchnahme für Zwecke der Daseinsvorsorge oder als Grünfläche eines als Bauland ausgewiesenen Grund- stücks, welches über sieben Jahre lang nicht entsprechend der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit bebaut worden ist, sondern – evtl. mit Zwischennutzungen – Brach- oder Grünfläche geblieben ist, eine Entschädigung nur nach Brach- bzw. Grünflächenpreisen oder aber weiterhin nach Baulandpreisen zu leisten hat, kann große Unterschiede der Entschädigungshöhe zur Folge haben. Formal erstreckt sich der Beschluss des Bundesverfas- sungsgerichts allerdings nur auf einen einzelnen bei der Enteignungsbehörde des Landes Berlin anhängigen Fall. Denn es handelte sich hier um eine Verfassungsbe- schwerde gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Nur dieses eine Urteil wurde zugunsten der Anwendbarkeit der Entschädigungsreduktion nach Ablauf von sieben Jahren nicht ausgenutzten Bauplanungsrechts aufgehoben, eine Allgemeinwirkung ist damit formalrechtlich nicht verbunden. Auch dieser Einzelfall ist noch nicht abge- schlossen, da der Bundesgerichtshof, an den die Sache zurückverwiesen ist, noch nicht entschieden hat. Er hat die Möglichkeit, seine Rechtsprechung zu ändern und die Reduktionsklausel anzuwenden oder aber dem Bundes- verfassungsgericht die Reduktionsklausel mit dem Antrag auf Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit vorzulegen. Materiell-rechtlich dürfte der Beschluss des Bundes- verfassungsgerichts aber bewirken, dass, solange die Reduktionsklausel nicht als verfassungswidrig aufgeho- ben ist, die Enteignungs- und Entschädigungsbehörden der Länder in Anwendung der einschlägigen Bestimmun- gen des Baugesetzbuchs nach Ablauf der Sieben-Jahres- Frist nur noch Entschädigungen auf Basis der tatsächlich ausgeübten, aber nicht mehr aufgrund der bisher zulässi- gen Nutzung zusprechen werden. Soweit die für die Um- setzung des Bauplanungsrechts zuständigen Stellen für Grunderwerb und Entschädigung freiwillig mehr zahlen wollen, sind solche Verträge deshalb trotzdem rechtlich nicht unwirksam. Auf in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Verwaltungsverfahren über Entschädigungen für baupla- nungsrechtliche Eingriffe in das Grundeigentum hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Aus- wirkungen und begründet keine Rückforderungsansprü- che. In anhängigen Bebauungsplanverfahren und bei der Umsetzung bereits erlassener Bebauungspläne muss die Entscheidung hingegen berücksichtigt werden. Frage 2: Welche ursprünglichen Gründe hatte die Se- natsverwaltung, diese Verfassungsbeschwerde zu führen? Womit wurden die Erfolgsaussichten bei der Einreichung der Beschwerde begründet? Antwort zu 2: Die Senatsverwaltung für Stadtentwick- lung und Umwelt als Enteignungsbehörde des Landes Berlin hatte sich bereits in vorlaufenden anderen Verfah- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 344 2 ren bemüht, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Nichtanwendung der entschädigungsrechtlichen Re- duktionsklausel nach Ablauf der Sieben-Jahres-Frist ent- gegenzutreten, und hat mit der Verfassungsbeschwerde ihre auf die tatsächlich ausgeübte Nutzung reduzierte Entschädigungsentscheidung zur Planung einer öffentli- chen Grünfläche in Berlin-Pankow gegen ein Urteil des Bundesgerichtshof zu verteidigen gesucht. Die Verfas- sungsbeschwerde wurde mit dem Argument erhoben, der Bundesgerichtshof lege in dieser Sache ein Bundesgesetz nicht mehr verfassungskonform aus, sondern verwerfe es. Dies aber sei nach der grundgesetzlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich dem Bundes- verfassungsgericht vorbehalten. Die Verfassungsbeschwerde der Enteignungsbehörde wurde von dieser entsprechend begründet. Eine "Begrün- dung der Erfolgsaussichten“ bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde sieht die Rechtsordnung jedoch nicht vor. Frage 3: Wie legt die Senatsverwaltung für Stadtent- wicklung und Umwelt künftig § 42 BauGB bezüglich der Sieben-Jahres-Frist und der Entschädigung aus? Antwort zu 3: Die Enteignungsbehörde der Senats- verwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hält vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts an ihrer wortlautgetreuen Anwendung des § 42 des Baugesetzbuchs bezüglich der entschädigungs- rechtlichen Reduktion nach Ablauf der Sieben-Jahres- Frist fest. Frage 4: Wie bewertet der Senat die Frage der Ent- schädigung bezüglich des Geländes der Kleingartenanlage Oeynhausen im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichts- Beschlusses? Frage 5: Aus welchen Gründen teilt der Senat nicht die Auffassung, die Sieben-Jahres-Frist für die Entschädi- gungsfreiheit sei bereits sieben Jahre nach Inkrafttreten des Baunutzungsplans abgelaufen, und auf welche Rechtsexpertise oder Urteile stützt er sich dabei? Frage 6: Wann und mit welchem Ergebnis wird das Bezirksaufsichtsverfahren bezüglich des Erlasses einer Veränderungssperre für das o.g. Gelände bei der Senats- verwaltung für Inneres und Sport abgeschlossen? Antwort zu 4, 5 und 6: In dem bei der Senatsverwal- tung für Inneres und Sport zur Kleingartenanlage Oeyn- hausen geführten bezirksaufsichtlichen Beanstandungs- verfahren sind sehr komplexe juristische Fragen, u.a. die Frage möglicher Entschädigungsrisiken, unter Einbezie- hung der fachlich betroffenen Senatsverwaltungen zu prüfen. Da die Prüfung noch andauert, kann zur Frage möglicher Entschädigungsansprüche und ihrer Vorausset- zungen derzeit nicht Stellung genommen werden. Wann das bezirksaufsichtliche Beanstandungsverfahren abge- schlossen sein wird, ist noch nicht absehbar. Frage 7: Hat der Senat von der Groth-Gruppe bezüg- lich der Bebauungsabsichten auf der Kleingartenfläche Oeynhausen Post erhalten und wenn ja, mit welchem Inhalt, und wie gedenkt der Senat damit umzugehen? Antwort zu 7: Der Senat hat keine Post von der Groth- Gruppe bezüglich der Bebauungsabsichten auf der Klein- gartenfläche Oeynhausen erhalten. Frage 8: Gibt es außer auf dem Postweg auch andere Formen von Absprachen mit Projektentwicklern bzw. mit potenziellen Investoren für Baumaßnahmen auf dieser Fläche? Wenn ja, in welcher Form und mit welchem Inhalt? Antwort zu 8: Hierüber liegen dem Senat keine Er- kenntnisse vor. Frage 9: Welche Ausnahmen in Form von Freistellun- gen vom Baunutzungsplan bezüglich der Zahl der Ge- schosse und der Bruttogeschossfläche würde die Senats- verwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt als Fach- aufsichtsbehörde in einem bezirklichen Baugenehmi- gungsverfahren zulassen? Antwort zu 9: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt nicht die Fachaufsicht gegenüber den bezirklichen Bau- aufsichtsbehörden zusteht. Weiterhin geht der Senat da- von aus, dass sich die Frage auf mögliche Befreiungsvo- raussetzungen im Sinne von § 31 Absatz 1 des Bauge- setzbuchs bezieht. Ein konkretes Bauvorhaben liegt dem Senat derzeit noch gar nicht vor. Eine prognostische Antwort auf die Fragestellung ist daher nicht möglich, weil die rechtliche Prüfung von Abweichungen nur anhand einer konkreten Bauvorlage erfolgen kann. Grundvoraussetzung für eine Befreiung ist, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden (§ 31 Ab- satz 1 des Baugesetzbuchs). Die Grundzüge der Planung bildet die den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Grunde liegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption. Von den Festsetzungen, die der Plangeber zu einem maßgebenden Planungsziel erhoben hat, dürfen keine oder nur untergeordnete, eine bloße Randkorrektur des Bebauungsplans darstellende Abwei- chungen im Wege der Befreiung zugelassen werden. Darüber hinaus ist eine Befreiung nur zulässig, wenn sie aus Gründen des Gemeinwohls erforderlich ist, die Ab- weichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchfüh- rung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beab- sichtigten Härte führen würde. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 344 3 Frage 10: Wenn der Bezirk ein Bebauungsplanverfah- ren mit dem Ziel einer Wohnbebauung einleiten würde, das eine höherwertige Nutzung beinhaltet als im Baunut- zungsplan festgesetzt wurde, würde dieses von der Se- natsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt bean- standet oder mitgetragen werden? Antwort zu 10: Vor der Festsetzung des Bebauungs- plans durch den Bezirk wird durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt eine Rechtsprüfung gemäß § 6 Absatz 4 des Ausführungsgesetzes zum Bau- gesetzbuch durchgeführt. Hier wird neben der Entwickel- barkeit aus dem Flächennutzungsplan auch geprüft, ob der Bebauungsplan Rechtsvorschriften widerspricht und ob insbesondere in Bezug auf die vorgebrachten Einwendun- gen und Anregungen ein Abwägungsfehler vorliegt. Die Frage kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Berlin, den 22. Juni 2015 In Vertretung Prof. Dr.-Ing. Engelbert Lütke Daldrup ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Juni 2015)