Drucksache 17 / 16 347 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sabine Bangert (GRÜNE) vom 03. Juni 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Juni 2015) und Antwort Welcher Bedarf an Räumen für künstlerische Arbeit besteht in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Was sind die Ergebnisse aus der Umfrage zum Raumbedarf im Bereich Kultur, die im Herbst 2014 von Senatsverwaltung Kultur durchgeführt wurde? (Bitte nach abgefragten künstlerischen Sparten auflisten) Zu 1.: An der von der Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten in Kooperation mit Einrichtungen und Verbänden aus der Freien Szene Berlins initiierten Onli- ne-Umfrage zum Raumbedarf haben insgesamt 2.207 Künstlerinnen und Künstler der Sparten Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Tanz und Musik teilgenommen. Im Ergebnis zeigt die Umfrage einen akuten Mangel an Ateliers, Projekt- und Spielorten, Studios und Übungs- räumen auf, insbesondere in den innerstädtischen Bezir- ken. Gut 1.300 Befragte (60 %) gaben an, derzeit auf der Suche nach einem geeigneten Arbeitsraum zu sein. Die Raumkosten sind für neun von zehn Künstlerinnen und Künstlern das wichtigste Auswahlkriterium. Die Umfrage bestätigt die wahrgenommene Verteuerung von künstleri- schen Arbeitsräumen in Berlin: Über 70 % der Musike- rinnen und Musiker und Darstellenden Künstlerinnen und Künstler haben derzeit keinen Proberaum, weil sie sich keinen leisten können. Auch im Bereich Bildende Kunst herrscht akute Raumnot: 69 % der Bildenden Künstlerin- nen und Künstler und 84 % der Projektraumbetreiberin- nen und -betreiber schätzen ihre Arbeitsräume aufgrund von Mieterhöhung, Kündigung oder Umwandlung als bedroht ein. Ergebnisse der einzelnen künstlerischen Sparten: Bildende Kunst In der Bildenden Kunst haben sich insgesamt 1.242 Künstlerinnen und Künstler an der Umfrage beteiligt. Das ist im Vergleich zu den anderen Sparten der größte Rück- lauf. Von 1.242 Antwortenden aus der Bildenden Kunst suchen 728 derzeit ein Atelier. Gesucht werden im Schnitt ca. 35 qm in Innenstadtbereichen bei einer Nutzungsdauer von über zwei Jahren. 605 Antwortende haben Interesse an einem Wohnatelier. Die Kosten sind das wichtigste Auswahlkriterium. Die Hälfte der Befragten können sich kein Atelier leisten, das über 250 Euro kostet. Vor allem die steigenden Mietpreise, die Atelierverdrängung und der Mangel an bezahlbaren Arbeitsräumen werden von Künstlerinnen und Künstlern hervorgehoben. Ein Großteil des Arbeitsraumbestands ist akut gefährdet: Zweidrittel der antwortenden Kunstschaffenden schätzen ihr Atelier aufgrund von Mieterhöhung, Kündigung oder Umwand- lung als bedroht ein. Bei Künstlerinnen und Künstlern ohne Atelierförderung beispielsweise über das Atelier- programm des Berliner Senats schätzen sogar 98 % der Antwortenden ihre Arbeitsräume als akut oder in der nächsten Zeit bedroht ein. Die Ateliersuche ist für viele zu einem Dauerzustand geworden. Demnach suchen 300 Antwortende ein Atelier, obwohl sie derzeit über eins verfügen. Sichere, trockene Lagerräume mit flexiblen Öffnungs- zeiten, angrenzend oder in der Nähe der Ateliers gelegen, sind für viele Künstlerinnen und Künstler ein Thema. 517 Antwortende suchen aktuell ein Lager von etwa 15 qm. Im Schnitt wird etwa ein Viertel der Atelierfläche als Lager genutzt. Auch bei Lagerräumen sind die Kosten das wichtigste Auswahlkriterium. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 347 2 Musik An der Raumumfrage im Bereich Musik beteiligten sich 382 Musikerinnen und Musiker, mit Schwerpunkten in den Bereichen Neue Musik, Pop und Jazz. Weit über die Hälfte der Antwortenden suchen aktuell nach Probe- räumen. Breite Zustimmung erhielt das flexible und mit projektbasiertem Arbeiten vereinbarte Modell des vom Berliner Senat geförderten Proberaumes Vivaldisaal. Dieser steht professionellen, frei arbeitenden Ensembles und Gruppen der Neuen Musik mit Sitz in Berlin kosten- frei zur Verfügung und wird von der initiative neue musik berlin e.V. (inm) verwaltet. Zusätzlich zu einem weiteren konstant verfügbaren Raum in der Größe und mit der Ausstattung des Vivaldisaals besteht Bedarf an ähnlich disponierten kleineren Proberäumen zwischen 20 und 25 qm in Innenstadtlage für solistisch Arbeitende sowie Duos und Trios im Bereich zeitgenössischer/aktueller Musik und Jazz. Wegen der grundsätzlich knappen Mittel für die Realisierung von Projekten sind viele Musikerin- nen und Musiker nicht in der Lage, für einen Proberaum zu bezahlen: Die Mehrheit der Musikerinnen und Musiker ohne Proberaum verzichten deswegen darauf, weil sie sich keinen leisten können. In Kommentaren wurde die Entwicklung von kostenfreien Probeflächen mit größeren und kleineren Proberäumen sowie interdisziplinär, zum Beispiel zusammen mit Musiktheatern, nutzbaren Flächen angeregt. Darstellende Kunst / Tanz Die 358 Rückläufe auf die Raumumfrage für die Dar- stellende Kunst kamen schwerpunkmäßig aus den Berei- chen Theater, Performance und Tanz, aber auch das Figu- rentheater, Kinder- und Jugendtheater, Musiktheater, Installationen und interdisziplinär arbeitende Künstlerin- nen und Künstler waren vertreten. Die unterschiedlichen Bedarfe der jeweiligen künstlerischen Schwerpunkte sowie zwischen Einzelkünstlerinnen und -künstlern und Gruppen bedingen differenzierte Raumkonzepte. Bedarf für Proberäume haben 253 Antwortende angemeldet, das sind knapp Dreiviertel der Künstlerinnen und Künstler. Zwar werden vorrangig projektbezogene, temporäre Pro- beräume gesucht, aber auch eine wochen-, monats- und sogar stundenweise Nutzungsregelung sowie langfristige Verträge sind gefragt. Gruppen sowie Tänzerinnen und Tänzer benötigen etwas größere Produktionsräume. Be- darf besteht ebenso an Arbeitsräumen für produktionsun- terstützende Arbeit, etwa für Konzeption, Organisation und Besprechungen. Darstellende Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Sprechtheater und Perfor- mance suchen zudem Lagerräume für Requisiten. Der konkrete Bedarf an technischer Ausrüstung und Ausstat- tung der Proberäume unterscheidet sich je nach künstleri- schem Schwerpunkt. Es zeichnet sich ab, dass sowohl kleinere und kostengünstige Proberäume als auch gut ausgestattete Probe- und Werkstattbühnen gebraucht werden. Breite Zustimmung erhielt das Modell Theater- haus Mitte, welches Proberäume unterschiedlicher Größe und Ausstattung sowie eine Werkstattbühne und Lager- flächen anbietet. Angeregt wird eine flexible und unbüro- kratische Verwaltung von Proberäumen. Projekträume Die Projekträume nehmen eine Sonderposition ein, da sie nicht nur künstlerische Produktionsorte, sondern auch Präsentationsorte sind. Die Raumumfrage der Projekt- räume beantworteten 225 Personen, wobei von einer Teilnahme von insgesamt 120 Projekträumen auszugehen ist. Auch bei den Projekträumen zeichnet sich ein großer Bedarf an innerstädtischen, finanzierbaren Räumen ab. Der Flächenbedarf liegt bei durchschnittlich mindestens 90 qm, die Kostenfrage ist auch hier wichtig, hinzukom- men aufgrund des Publikumsverkehrs eine gute Zugäng- lichkeit und eine möglichst zentrale Lage. Ein Ergebnis der Umfrage ist die sich abzeichnende Raumnot und Ver- drängung der Projekträume. Viele Antwortende berichten von einem sehr reduzierten Angebot an bezahlbaren Flä- chen. Die Mieten seien zuletzt so drastisch gestiegen, dass viele Räume, die zuvor als Projekträume hätten genutzt werden können, nun leer stünden. Auch der Bestand ist gefährdet: 84 % der Antwortenden schätzen ihre aktuellen Räume in der nächsten Zeit durch Mieterhöhung, Kündi- gung oder Umwandlung als bedroht ein. Die Umfrage bestätigt die Professionalisierung der Projekträume. Wo sich viele Projekträume auf Zwischennutzungsbasis grün- deten, ihre Arbeit auch nur mit sehr geringen Mieten oder auf Betriebskostenniveau gewährleistet war, ist aktuell vor allem Kontinuität gefragt. So streben heute viele Pro- jekträume eine Nutzungsdauer von über zwei Jahren an. Literatur Als einzige Kunstsparte war die Literatur nicht an der Erstellung und Durchführung der Raumumfrage beteiligt. Dies begründet sich nicht in einem fehlenden Bedarf an Arbeitsräumen, vielmehr fehlte bislang eine geeignete institutionell organisierte Ansprechpartnerin bzw. ein geeigneter institutionell organisierter Ansprechpartner aus diesem Bereich. An dem weiteren, unter Antwort zu Fra- ge 4. und 5. dargestellten Prozess sind auch Vertreterin- nen und Vertreter der freien Literaturszene beteiligt. 2. Welchen Handlungsbedarf schlussfolgert der Senat aus den Ergebnissen (hinausgehend über den Dialog mit den Akteuren in Workshop-Verfahren) für die jeweiligen künstlerischen Sparten? Zu 2.: Die Ergebnisse der Raumumfrage zeigen einen erheblichen Mangel an geeigneten und bezahlbaren Ar- beitsräumen für Künstlerinnen und Künstler aller Sparten auf. Um bestehende Arbeitsräume zu sichern und neue zu schaffen sind verschiedene Instrumente einzusetzen, u.a. Verstärkung der Raumförderung und die Akquise von Landesliegenschaften. Dies gilt für alle künstlerischen Sparten. 3. Welche Verantwortung übernimmt die Senatsver- waltung für Kultur und welche Verantwortung übernimmt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bei der lang- fristigen Sicherung von Räumen für künstlerische Arbeit? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 347 3 Zu 3.: Die Steuerung der Raumförderung erfolgt in fachlicher Verantwortung der Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten. Bei der Akquise von Landesliegen- schaften ist sie auf eine enge ressortübergreifende Zu- sammenarbeit u.a. mit den Senatsverwaltungen für Finan- zen sowie Stadtentwicklung und Umwelt angewiesen. Bei der stärkeren Berücksichtigung von Kulturbelangen im Rahmen der Bauleitplanung ist die Senatskanzlei - Kultu- relle Angelegenheiten im intensiven Dialog u.a. mit den zuständigen Abteilungen der Senatsverwaltung für Stadt- entwicklung und Umwelt. 4. Welche Aufgaben haben die von Staatssekretär Tim Renner im Kulturausschuss am 1. Juni 2015 ange- kündigten Scouts? • Was wird von ihnen erwartet? • Wer sollen diese Personen sein? • Wie werden diese für die Aufgabe qualifiziert? • Wer koordiniert die Feldforschung der Scouts? • Für welchen Zeitraum sind die Scouts beschäftigt? • Wie wird die Arbeit der Scouts vergütet? Zu 4.: Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Sparten, die bereits jetzt im Arbeitskreis Räume der Koa- lition der Freien Szene aktiv sind tragen jetzt und in Zu- kunft zur weiteren Bedarfsermittlung, Erarbeitung von Raumnutzungskonzepten und zur spartenübergreifenden Projektentwicklung bei. Der Arbeitskreis (AK) Räume wurde im Oktober 2014 gegründet und soll nun professi- onalisiert werden. Dabei geht es auch um die organisato- rische und finanzielle Ertüchtigung der spartenspezifi- schen Strukturen. An der Konkretisierung wird gearbeitet. 5. Bis wann sollen die Arbeitsergebnisse der Scouts vorliegen und mit welcher Konsequenz fließen diese in den kulturpolitischen Diskurs ein? Zu 5.: Die Entwicklung einer stabilen Organisations- struktur unter Einbeziehung des AK Räume der Koalition der Freien Szene für die Raumförderung aus Sicht der Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten insofern langfristig zielführend, als damit der gesamte Bereich der Verwaltung, Akquise und Entwicklung unter Beteiligung der Sachverständigen der Sparten transparent und fachlich gerecht entwickelt und organisiert werden kann. Es han- delt sich um einen fortdauernden Prozess. Berlin, den 15. Juni 2015 In Vertretung Tim Renner Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Juni 2015)