Drucksache 17 / 16 367 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 04. Juni 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Juni 2015) und Antwort Drogenpolitische Wege Berlins II: Wer plant und steuert die Drogen- und Suchthilfe? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wann ist mit der Vorlage des 4. Drogen- und Suchtberichtes des Landes Berlin zu rechnen, nachdem der dritte aus dem Jahr 1997 inzwischen sicherlich der Fortschreibung bedarf? Zu 1.: Ein 4. Drogen- und Suchtbericht für Berlin ist zurzeit nicht geplant. Die Senatsverwaltung für Gesund- heit und Soziales hat zuletzt in 2014 den Bericht „Drogen und Sucht in Berlin, Situationsbericht 2014“ vorgelegt. Davor wurden in 2008, 2005, 2003 und im Jahr 2000 Berichte erstellt. Der aktuelle Bericht steht auf der Inter- netseite der Landesdrogenbeauftragten zur Verfügung. 2. Wo und wie wird die übergreifende Steuerungs- funktion des Landes Berlin in Gesamtverantwortung für das ausgesprochen differenzierte Suchthilfesystem Berlins und angesichts der Vielfalt von Leistungserbringern (Land, Bezirke, weitere Kostenträger) – zwischen Zuwendungsförderung , Entgeltfinanzierung, Selbsthilfe und ESF-Finanzierung, ambulanter medizinischer Rehabilita- tion und Therapie nach SGB V, VI und VIII, Substituti- onsbehandlung durch niedergelassene Ärzte und stationä- rer medizinischer Rehabilitation – wahrgenommen und für die Absicherung aufeinander abgestimmter Präven- tions- und Hilfestrukturen an den Schnittstellen zwischen Drogen- und Sucht-, Jugend- und Wohnungslosenhilfe, psychiatrischer Versorgung, Justiz, Arbeitsverwaltung und Jobcentern gesorgt? Zu 2.: Die übergreifende Steuerungsfunktion liegt im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Landesdrogenbeauftragte). Die Abstim- mung mit den unterschiedlichen Akteuren erfolgt in den entsprechenden Gremien. 3. Gibt es in Bezug auf die unter 2. genannte Planung und Steuerung konzeptionelle Grundlagen, Leitlinien, Konzepte, Entwicklungsprogramme und Pläne? Wenn ja: Welche Materialien sind das, aus welchen Jahren stam- men diese jeweils und wo sind sie einsehbar? Zu 3.: Die Leitlinien für die Suchtprävention im Land Berlin wurden mit Senatsbeschluss am 01.08.2006 vom Berliner Senat verabschiedet und mit Beschluss am 21.09.2006 vom Rat der Bürgermeister zur Kenntnis genommen. Die Leitlinien wurden in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport sowie den Bezirken erarbeitet. Darüber hinaus wird im Steue- rungsgremium der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin jährlich eine Arbeitsplanung erstellt. Die Erkenntnisse der bundesweiten Debatte zur Qualität in der Suchtprävention werden regelmäßig kommuniziert, bzw. die Akteure sind daran beteiligt. Die Förderung der Projekte im Rahmen des Integrier- ten Gesundheitsprogramms erfolgt auf Basis des mit den Wohlfahrtsverbänden abgeschlossenen Rahmenförderver- trags, der die Weiterentwicklung und Sicherung der sozia- len und gesundheitlichen Infrastruktur im Land Berlin im Bereich der bislang durch drei Treuhandverträge geregel- ten Projektförderungen in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Stadtteilzentren und die Spitzenverbandsför- derung auf dem erreichten Niveau zum Ziel hat. In der Anlage 1 zum Rahmenfördervertrag sind die angestrebten wohlfahrtspflegerischen Ziele genannt: Die Ziele des Integrierten Gesundheitsprogramms sind in der Kooperationsvereinbarung mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPW) festgelegt. Die Arbeit der Integrierten Regionalen Suchthilfe- dienste erfolgt auf der Basis abgestimmter und verbindli- cher Anforderungsprofile. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 367 2 Ein Fachcontrolling erfolgt im Rahmen der regelmä- ßigen Sitzungen des gemeinsamen Kooperationsgremi- ums. Der Berliner Rahmenvertrag gem. § 79 Abs. 1 SGB XII mit Stand vom 01.01.2015 sieht für die Bereiche der Psychosozialen Betreuung Substituierter und das Betreute Wohnen für substituierte und ehemals Drogenabhängige Leistungsbeschreibungen nach §§ 53, 54 SGB XII bzw. nach §67ff vor. Die Leistungsbeschreibungen sind im Internet veröffentlicht: www.berlin.de/sen/soziales/themen/vertraege/sgb- xii/kommission-75/berliner-rahmenvertrag/ a) Leistungsbeschreibung für: Angebot der psychoso- ziale Betreuung substituierter Drogenabhängiger ( ambu- lanter Dienst) nach §§53/54 SGB XII Stand: September 2009 b) Leistungsbeschreibung für : Angebot der betreutes Wohnen für Substituierte nach §§ 53, 54 SGB XII; Stand: Mai 2014 c) Leistungsbeschreibung für: Angebot des betreuten Gruppenwohnen für ehemals Dogenabhängige nach §§ 67ff; Stand: 13.05.2014 4. Was unternimmt der Senat zur Weiterentwicklung der bisherigen Präventionsstrategien? Zu 4.: Im vierteljährlich stattfindenden Steuerungs- gremium der Fachstelle findet eine Abstimmung zu neuen Bedarfen und fachlichen Schwerpunkten statt, die in der Arbeitsplanung entsprechende Berücksichtigung findet. Die Fachstelle für Suchtprävention sowie die weiteren Projekte wie z. B: Karuna-prevents dokumentieren in DotSys, dem bundesweiten Dokumentationssystem der Suchtprävention. Die Daten liefern Hinweise für die Wei- terentwicklung der Präventionsstrategie ebenso wie die Impulse aus der bundesweiten Debatte zur Qualität. Ber- lin beteiligt sich an der alle zwei Jahre stattfindenden Qualitätstagung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). 5. Wie schätzt der Senat den Ist-Zustand in Bezug auf die Möglichkeiten von Arbeit, Beschäftigung, Qualifizie- rung und Tagesstruktur für Suchtkranke ein und was sind die nächsten geplanten Schritte des Senats zu deren Wei- terentwicklung, in welchen Zeiträumen ist damit jeweils zu rechnen und welche Sach-, Personal- und Investiti- onsmittel aus dem Landeshaushalt werden dafür jenseits der sonstigen Kostensatz- und Zuwendungsfinanzierun- gen prognostisch aufzuwenden sein? Zu 5.: In den vergangenen 10 Jahren ist es der Senats- verwaltung für Gesundheit und Soziales gelungen, den wichtigen Bereich der Qualifizierung, Beschäftigung und Tagesstruktur für Menschen mit Suchtproblemen zu ei- nem drogenpolitischen Schwerpunkt zu entwickeln. Das wurde nicht zuletzt durch die Akquise und Bereitstellung von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) möglich. Hinsichtlich der Weiterentwicklung dieses Bereichs ist es sehr positiv zu bewerten, dass mit der neuen ESF- Förderperiode 2014-2020/23 (Start voraussichtlich im Oktober 2015) mehr ESF-Fördermittel zur Verfügung stehen werden (+34 % im Vergleich zu 2014), was so- wohl eine quantitative als auch qualitative Weiterentwick- lung der geförderten Beschäftigungs- und Qualifizie- rungsmaßnahmen ermöglichen wird. Insgesamt ist zu beachten, dass Mittel aus dem ESF den Grundsätzen der Additionalität (Zusätzlichkeit) und Innovation unterliegen. Das bedeutet, einerseits dass eine ESF-Förderung die Erzeugung eines „Europäischen Mehrwerts“ voraussetzt und andererseits, dass nur Projekte , die über die nationalen Regelförderungen hinausgehen und Weiterentwicklungen, z. B. im konzeptionellen Be- reich, aufweisen, diese Kriterien erfüllen. Somit profitieren die bestehenden öffentlich-rechtlich finanzierten Maßnahmen der Qualifizierung, Beschäfti- gung und Tagesstruktur für Menschen mit Suchtproble- men in positiver Weise. Das betrifft insbesondere Projekte des Förderbereichs Integration des Verbundsystems Dro- gen und Sucht im Integrierten Gesundheitsprogramm. Jenseits der „sonstigen Kostensatz- und Zuwendungsfinanzierung “ sind zurzeit keine Maßnahmen geplant. 6. Teilt der Senat die Einschätzung, dass die bisher nach illegalen und legalen Substanzen getrennten Hilfest- rukturen (nicht ausschließlich, aber insbesondere in Be- zug auf die medizinische Versorgung suchtkranker Men- schen) einer gemeinsamen Gesamtsteuerung und -planung bedürfen? Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja: Was wird in welchen Zeiträumen unternommen, um diesem Ziel näher zu kommen? Zu 6.: Da die ambulante Grundversorgung seit 2006 von 6 regionalisierten integrierten Suchthilfediensten wahrgenommen wird, besteht hier keine Trennung nach Substanzen. Die Integrierten regionalen Suchthilfedienste stellen die Pflichtversorgung der Bevölkerung in der je- weiligen Suchthilferegion sicher. Eine Suchthilferegion setzt sich aus 2 Berliner Bezirken zusammen und bildet eine Planungs- und Versorgungsregion. Die Träger arbei- ten auf der Basis einer Kooperationsvereinbarung zu- sammen. 7. Was unternimmt der Senat, um eine gleichberech- tigte Teilhabe suchtkranker Menschen im Rahmen des SGB zu sichern und was wird konkret getan, um die Ver- wirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung Suchtkran- ker (Inklusion) zu befördern? Zu 7.: Suchtkrankheiten sind als Form der seelischen Störungen nach dem SGB XII anerkannt. Damit sind Suchtkranke leistungsberechtigt und haben einen indivi- duellen Anspruch auf Eingliederungshilfe und Teilhabe. Berlin verfügt insbesondere für Alkoholkranke über ein differenziertes Angebot der Eingliederungshilfe nach Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 367 3 §§ 53, 54 SGB XII im Rahmen der regionalisierten psy- chiatrischen Versorgung sowie über ein Angebot für Sub- stituierte Drogenabhängige nach §§ 53, 54 SGB XII. Darüber hinaus steht in Berlin Suchtkranken ein hochspe- zialisiertes und aufeinander abgestimmtes vernetztes Hilfeangebot von der Beratung über Entgiftung und The- rapie bis zur beruflichen Wiedereingliederung von ver- schiedenen Kostenträgern zur Verfügung. Das Hilfeange- bot wird unter wissenschaftlicher Begleitung ständig weiterentwickelt und sich veränderten Bedarfslagen an- gepasst. 8. Wo, durch wen und wie wird zur Weiterentwick- lung des Drogen- und Suchthilfesystems systematisch Monitoring und Evaluation betrieben und ausgewertet? Zu 8.: Der Senat nutzt zur Weiterentwicklung des Drogen- und Suchthilfesystem regelmäßige Erhebungen wie beispielsweise den Epidemiologischen Suchtsurvey, die jährliche Suchthilfestatistik der ambulanten und stati- onären Suchthilfeeinrichtungen, den Jahresbericht des Integrierten Sozialprogrammes (IGP), die Bedarfsanalyse zur Nachjustierung von Bedarfen im Bereich ESF- geförderter Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnah- men für suchtkranke Menschen in Berlin und For- schungsberichte wie die Capture-Recapture Studie zur Schätzung des Umfangs der Berliner Opiat- Kokain- und Amphetaminszene. Des Weiteren werden sowohl vom Bund als auch von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) Berichte zu aktuellen Entwicklungen und Debatten im Drogen- und Suchtbereich vorgelegt und für die Weiterentwicklung der Qualität in Berlin genutzt. 9. Was unternimmt der Senat – angesichts so widersprüchlicher Signale aus der Koalition wie einerseits die Verschärfung der Repression von Cannabis-Konsu- ment*innen und andererseits die Forderung nach kontrol- lierter Abgabe aus den Reihen der Koalition –, um über symbolische Einzelmaßnahmen hinaus eine Debatte um rationale, effektive und sachgerechte Drogen- und Sucht- politik in Berlin voranzubringen? Zu 9.: Die Debatte um eine „rationale, effektive und sachgerechte Drogen- und Suchtpolitik“ wird in Berlin kontinuierlich in den dafür vorgesehenen Gremien ge- führt, sei es mit den Bezirken oder auch mit den Trägern und Verbänden. 10. Wie schätzt der Senat den Vorschlag ein, einen durch Wissen erfahrener Expert*innen und transparenter Bearbeitung des neuesten wissenschaftlichen Kenntnis- stands gespeisten Beirat zur Beratung der fachlich zustän- digen Senatsverwaltung einzurichten? Zu 10.: Der Senat ist regelmäßig in zahlreichen Gre- mien vertreten und tauscht sich mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit, der Bundesdrogenbeauftragten (Drogen- und Suchtrat), ande- ren Bundesländern (AG Suchthilfe), den Verbänden, den Trägern und auf Berliner Bezirksebene (Suchthilfekoor- dinatoren) aus. Für die Einrichtung eines Beirats sieht der Senat keine Notwendigkeit. Berlin, den 25. Juni 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Juni 2015)