Drucksache 17 / 16 387 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anja Schillhaneck (GRÜNE) vom 27. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Juni 2015) und Antwort Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus dem Beteiligungsverfahren zur geplanten Olympiabewerbung? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Ziele hatte der Senat für das Beteiligungs- verfahren zu einer geplanten Olympiabewerbung Berlins? Sieht er diese erfüllt? Zu 1.: Im August 2014 bekundete Berlin gegenüber dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sein Interesse für eine Bewerbung um die Austragung Olympi- scher und Paralympischer Spiele 2024/2028. Für den Berliner Senat war von Anfang an klar, dass ein solches Projekt nur mit einer breiten Unterstützung der Bevölke- rung möglich ist. Ziel des Senats war eine Olympiabe- werbung, die gemeinsam mit der Stadtgesellschaft gestal- tet und von ihr getragen wird. Der Senat hatte sich darum festgelegt, die finale Entscheidung über eine internationa- le Olympiabewerbung Berlins mittels eines politisch verbindlichen Bürgervotums in die Hände der Berli- ner/innen zu legen. Um das Ziel einer Olympiabewerbung, die im Sinne der Stadtgesellschaft ist, zu erreichen, verfolgte der Betei- ligungsprozess des Senats zu Olympia insbesondere fol- gende Zwecke:  Information der Bevölkerung;  Beantwortung von Fragen;  Anstoß eines stadtweiten Diskussionsprozesses um die Ausgestaltung und das Für und Wider Olympi- scher und Paralympischer Spiele in Berlin;  Sichtbarmachung der verschiedenen Positionen in der Bevölkerung zum Thema Olympia;  Initiierung eines direkten Austauschs zwischen Bevölkerung und Senat;  Eröffnung der Möglichkeit, Ideen, Vorschläge und Kritik in den Bewerbungsprozess einzubringen;  Fortentwicklung und Konkretisierung des Berliner Bewerbungskonzepts auf Grundlage der Rückmel- dungen aus der Bevölkerung. Die verschiedenen Online- und Offline-Formate, die im Rahmen des Beteiligungsprozesses angeboten wurden, haben einen Dialog und unmittelbaren Austausch zwi- schen Senat und Stadtgesellschaft ermöglicht. Wie im Auswertungsbericht zum Bürgerbeteiligungsprozess zu Olympia unter www.was-will-berlin.de dargelegt, konn- ten in den wenigen Monaten zwischen der Erarbeitung der Berliner Interessenbekundung und der finalen Entschei- dung des DOSB über die nationale Bewerberstadt auf diese Weise etliche Fragen aus der Bevölkerung zum Bewerbungskonzept beantwortet werden. Viele tausend Berlinerinnen und Berliner haben sich darüber hinaus mit konkreten Anregungen und Vorschlägen, aber auch mit Kritik in den Bewerbungsprozess eingebracht. Das Thema Olympiabewerbung hat die Stadt bewegt und wurde breit diskutiert. Insofern sieht der Senat seine Ziele für das Beteiligungsverfahren als erfüllt an. 2. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus den einzelnen Elementen des Beteiligungsverfahrens, insbe- sondere - Bürgerforum, - Online-Dialog, - Bürgerwerkstätten, - Begleitgruppe? Für welche Aufgaben hält er diese einzeln oder in Kombination untereinander oder auch in Kombination mit anderen Beteiligungsinstrumenten (ggfs.: welche?) geeig- net oder auch weniger geeignet? Zu 2.: Der vom Senat initiierte Beteiligungsprozess umfasste verschiedene Online- und Offline-Formate (On- line-Umfragen, Begleitgruppe Bürgerbeteiligung, Bürger- forum, Online Bürgerbüro/Online-Dialog, Bürgerwerk- stätten), die verschiedenen Zielen dienten und sich teil- weise an unterschiedliche Zielgruppen wendeten. Eine ausführliche Beschreibung findet sich im o. a. Abschluss- bericht. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 387 2 Die vom Senat auf berlin.de durchgeführten Online- Umfragen, die schon während bzw. unmittelbar nach Abgabe der Interessenbekundung initiiert wurden, haben wichtige Hinweise zur Grundausrichtung einer möglichen Bewerbung gegeben und fanden bereits in der Interessen- bekundung unmittelbaren Niederschlag. Sie haben eine große Unterstützung für den Ansatz des Senats gezeigt, konsequent auf nachhaltige Spiele zu setzen (Modernisie- rung von vorhandenen Sportstätten statt Neubau etc.). Die Begleitgruppe Bürgerbeteiligung stellte aus Sicht des Senats einen innovativen Ansatz dar, um die Ausge- staltung des Verfahrens in die Hände der Bürger/innen zu legen. Die Begleitgruppe bestand aus 25 vom Senat ein- geladenen Vertreter/innen der organisierten Stadtgesell- schaft (u. a. der IHK Berlin, des BUND, des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Stiftung Zukunft Berlin, des Landesschülerausschusses, des Landesseniorenbeirats, von NOlympia Berlin, Mehr Demokratie e.V., Transpa- rency International sowie der fünf Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus) sowie 25 weiteren, nach einem ge- schlechterquotierten Losverfahren ermittelten Berlinerin- nen und Berlinern, die sich zuvor für einen Sitz beworben hatten. Als neutrales und heterogenes Gremium konnte die Begleitgruppe insbesondere wertvolle Hinweise zur konkreten Ausgestaltung der übrigen Beteiligungsformate geben und hätte in der Folge zur Gewährleistung eines neutralen und ergebnisoffenen Prozesses beitragen kön- nen. Mit Blick auf die Veranstaltungsformate hat sich die Arbeit in kleineren Gruppen wie bei der Bürgerwerkstatt zum Thema Barrierefreiheit bewährt. Das Zusammen- kommen in Arbeitsgruppen ermöglichte es den Teilneh- menden, intensiv an einem Thema der Olympiabewer- bung zu arbeiten sowie Fragen und Ideen direkt mit Mo- deratoren und Mitarbeitenden aus den zuständigen Se- natsverwaltungen zu klären. In der Bürgerwerkstatt fiel es den Bürger/innen erheblich leichter, konkrete Ideen und auch kritische Hinweise zur Weiterentwicklung des Be- werbungskonzeptes zu erarbeiten. Das Format des Bürgerforums, das bei der Eröff- nungsveranstaltung gewählt wurde, hat sein Hauptziel, die Information der Berliner/innen und die Eröffnung eines umfassenden Diskussionsprozesses, nur bedingt erfüllt. In den Plenumssituationen blieb meist wenig Platz für Dis- kussionen, nur verhältnismäßig wenige Bürger/innen konnten zu Wort kommen. Darüber hinaus hätte es mög- licherweise einen Gewinn darstellen können, die dort präsentierten Konzepte von verschiedenen Bürger/innen und nicht nur von Vertreter/innen des Senats vorstellen und diskutieren zu lassen. Online-Bürgerbüro und Vor-Ort-Veranstaltungen ha- ben sich gut integriert und voneinander profitiert. Das Online-Bürgerbüro bot die beste Möglichkeit, auch über komplexe Fragestellungen in einen Austausch zu treten. Sämtliche dort eingegangenen Fragen zum Bewerbungs- konzept wurden beantwortet. 3. Wie steht der Senat zu der Kritik, dass die meisten Beteiligungsinstrumente keinen Platz dafür vorsahen, grundsätzliche Ablehnung zum Projekt Olympiabewer- bung zu äußern? Zu 3.: Der Senat kann die Kritik nicht nachvollziehen. Sämtliche Beteiligungsformate boten die Möglichkeit, auch eine grundsätzliche Ablehnung Olympischer und Paralympischer Spiele zum Ausdruck zu bringen. Diese Möglichkeiten wurden auch genutzt. Von den Freifeld- Antworten der Online-Umfragen über den offenen Onli- ne-Dialog, Aussprache-Möglichkeiten auf den Veranstal- tungen bis hin zu expliziten Abfragen der entsprechenden Position bspw. mittels der TED-Abstimmungen auf dem ersten Bürgerforum gab es hierzu jederzeit die Möglich- keit. Zudem hat sich der Senat früh entschieden, die finale Entscheidung über eine internationale Olympiabewerbung Berlins mittels eines politisch verbindlichen Bürgervo- tums in die Hände der Berliner/innen zu legen. Eine noch konsequentere Eröffnung der Möglichkeit, grundsätzliche Ablehnung zu äußern, als es die Entscheidung über eine Bewerbung per stadtweitem Bürgervotum darstellt, ist aus Sicht des Senats nicht möglich. Ziel des Beteiligungsverfahrens war es von Anfang an, den Berlinerinnen und Berlinern zunächst die Mög- lichkeit zu geben, über das „Wie“ einer möglichen Bewerbung zu diskutieren. Die Frage nach dem „Ob“ sollte per Bürgervotum im Anschluss entschieden werden. Aus Sicht des Senats eröffnete erst diese Vorgehensweise die Möglichkeit, durch die vorhergehende Arbeit am Konzept und dessen Konkretisierung eine substantiierte und sach- lich-fundierte Abwägung bzw. Ja/Nein-Entscheidung treffen zu können. 4. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat insge- samt aus dem Bürgerbeteiligungsverfahren zu einer ge- planten Olympiabewerbung? Zu 4.: Es gibt wenige Metropolen, die schon im Vor- feld eines derartigen Großprojekts, wie es die Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele darstellt, in dem dargestellten Maß auf Bürgerbeteiligung und einen ergebnisoffenen Bewerbungsprozess gesetzt haben. Der Beteiligungsprozess hat den Berliner/innen die Möglich- keit gegeben, sich direkt in die Bewerbung einzubringen – eine Möglichkeit, die viele tausend von ihnen auch ge- nutzt haben. Ihre Rückmeldungen sind unmittelbar in die Arbeit des Senats eingeflossen. Dies alles wurde in kurzer Zeit und vor dem Hintergrund eines vom DOSB im lau- fenden Prozess mehrfach kurzfristig veränderten Interes- senbekundungsverfahrens ermöglicht. Dies ist ein durch- aus positives Ergebnis. Die Berliner Interessensbekundung hat damit aus früheren Olympia-Bewerbungen gelernt. Das Konzept des Berliner Senats hat frühzeitig angesetzt und auf Ergebnis- offenheit in Form des Bürgervotums gesetzt. Innovative Formate wie die Begleitgruppe Bürgerbeteiligung können für zukünftige Beteiligungsverfahren als eine mögliche Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 387 3 wertvolle Ergänzung zu klassischen Elementen der Bür- gerbeteiligung angesehen werden. Insgesamt hat der Be- teiligungsprozess gezeigt: Dialogbereitschaft wird mit authentischen Positionen, echtem Austausch und kreati- ven Ideen für die Weiterentwicklung von Konzepten belohnt. 5. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat insge- samt aus dem Bürgerbeteiligungsverfahren zu einer ge- planten Olympiabewerbung? Zu 5.: Für den Senat ist klar, dass Großprojekte wie eine Olympiabewerbung, die die Entwicklung der ganzen Stadt über Jahre hinweg beeinflussen, den Rückhalt der Bevölkerung benötigen und von breiten Rückkopplungs- prozessen mit der Stadtgesellschaft profitieren können. Eine besondere Herausforderung auch bei künftigen Be- teiligungsprozessen besteht darin, Anreize für konstrukti- ve und sachbezogene Rückmeldungen zu geben, Wege zu finden, diese unmittelbar in die weitere Arbeit einzuspei- sen, zugleich die Neutralität des Prozesses zu gewährleis- ten und für all diese Ziele geeignete Beteiligungsformate zu entwickeln. Der Beteiligungsprozess zu Olympia hat hierfür, insb. mit der Begleitgruppe Bürgerbeteiligung und mit Blick auf mögliche Veranstaltungsformate, wert- volle Erkenntnisse geliefert. Berlin, den 26. Juni 2015 Der Regierende Bürgermeister von Berlin In Vertretung Björn Böhning Chef der Senatskanzlei (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Juni 2015)