Drucksache 17 / 16 388 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ina Czyborra (SPD) vom 19. Mai 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Juni 2015) und Antwort Freiheitsentziehende Maßnahmen durch die Berliner Krisen- und Clearingeinrichtung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Die im Auftrag des Senats von der Jugendförde- rung Berlin gGmbH betriebene Berliner Krisen- und Clearingeinrichtung nimmt Kinder und Jugendliche auf, die sich in massiven Krisensituationen mit Selbst- und Fremdgefährdung befinden. Wie viele junge Menschen wurden bisher und werden aktuell seit der Eröffnung im Sommer 2012 in der Einrichtung betreut und wie lange verbleiben sie jeweils dort? Zu 1.: In der Krisen- und Clearingeinrichtung der Ju- gendförderung Berlin gGmbH wurden seit Eröffnung am 17.08.2012 bis 31.05.2015 achtundvierzig junge Men- schen betreut. Aktuell sind alle fünf Plätze belegt. Die durchschnitt- liche Betreuungsdauer in der Einrichtung betrug dreiund- fünfzig Tage. Dabei lag die Spannbreite zwischen zwei und hundertfünfundfünfzig Betreuungstagen. 2. Wie alt waren die jungen Menschen bei Ihrer Auf- nahme in diese Einrichtung und aus welchen Gründen wurden sie dort aufgenommen? Zu 2.: Das Leistungsangebot der Krisen- und Clea- ringplätze richtet sich an schutzbedürftige Minderjährige von 13 bis 16 Jahren mit tatsächlichem Aufenthalt in Berlin, die aufgrund erheblicher Fremd- oder Selbstge- fährdung im Rahmen der Inobhutnahme der zeitlich be- fristeten Krisenintervention mit freiheitsentziehenden Maßnahmen (FM) bedürfen, weil sie sich in akuten kri- senhaften Ausnahmesituationen befinden. Diese sind bedingt durch vielfältige psychosoziale Störungen, oft einhergehend mit aggressiven Durchbrüchen, Delinquenz oder Suizidalität und/oder mit fremdbestimmten Einflüs- sen z.B. aus kriminellen Netzwerkstrukturen. Das Durch- schnittsalter der in Obhut genommenen Minderjährigen beträgt 14 Jahre. 3. Wie viele Personen arbeiten in welchen Funktio- nen/Aufgaben mit welchem Stundenumfang in der Berli- ner Krisen- und Clearingeinrichtung? Zu 3.: In der Einrichtung sind fünfzehn Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter tätig, davon zehn Fachkräfte in Voll- zeit, fünf in Teilzeit mit der Hälfte bis Dreiviertel des Vollzeitstellenvolumens sowie eine Hauswirtschaftskraft in Halbtagstätigkeit. Zu den o.g. Fachkräften gehören Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in Leitungs- sowie in Betreuungsfunktion, ein Diplom-Psychologe und Erzieher und Erzieherinnen im Betreuungsdienst. Einige Erzieher/innen bringen handwerkliche Ausbildungen sowie eine Qualifikation als Ergotherapeut/in in die Ge- staltung der Tagesstruktur ein und stützen somit den handwerklichen Erziehungsdienst. Entsprechend dem durchschnittlichen Bedarf seit der Eröffnung der Einrich- tung und um die Erreichung der intensivpädagogischen Ziele auch in schwierigen pädagogischen Situationen sicherzustellen, wurde die Platzkapazität seit 01.01.2015 auf 5 Plätze begrenzt. 4. Wie hoch sind die Kosten für den Betrieb dieser Einrichtung und bezogen auf die betreuten jungen Men- schen? Zu 4.: Je untergebrachtem jungen Menschen sind Ent- gelte von 410 Euro bzw. 480 Euro pro Platz und Tag vom fallzuständigen Jugendamt zu entrichten. 5. Welche Maßnahmen werden nach dem erfolgten Clearing der Krisensituation erfahrungsgemäß durch die Jugendämter veranlasst und wie stellt sich der Verlauf des Hilfeprozesses dar? Zu 5.: Seit der Eröffnung im August 2012 werden Kinder und Jugendliche in der Regel anschließend in ein intensiv betreutes Angebot mit der Möglichkeit zur inter- nen Beschulung oder engmaschiger Schulbegleitung Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 388 2 übergeleitet. Ebenfalls werden Reise- und Auslandspro- jekte mit kleinsten Gruppen veranlasst. In 6 Fällen wur- den Kinder und Jugendliche in den elterlichen Haushalt mit ambulanter oder teilstationärer Unterstützung entlas- sen. In 4 Fällen war zu einem späteren Zeitpunkt eine stationäre psychiatrische Behandlung notwendig. Der Hilfeprozess ist durch ein intensives und verläss- liches Beziehungs- und Betreuungsangebot gekennzeich- net, welches durch eine umfassende Diagnostik, ein struk- turiertes Beschäftigungs- und Förderprogramm, eine enge psychologische Begleitung und insbesondere unter der Beachtung möglicher physischer und psychischer Trau- matisierungen und der interkulturellen Rahmenbedingun- gen gewährleistet wird. Die Kinder und Jugendlichen werden nach der Aufnahme engmaschig - mindestens in Doppelbetreuung - begleitet, d.h. es sind für die max. 5 Kinder bzw. Jugendlichen immer mindestens zwei Be- treuer vor Ort, nach Bedarf steht zusätzlich ein fachlich multiprofessionelles Team zur Verfügung z.B. in Krisen. Im Rahmen des Clearingprozesses und der Hilfeplanung erfolgt eine differenzierte Diagnostik und die weitere Perspektivklärung in enger Kooperation mit dem fallzu- ständigen Jugendamt, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Schule, ggf. dem Familiengericht und ggf. weiteren Kooperationspartnern mit intensiver Beteiligung des Kin- des bzw. Jugendlichen und den Eltern bzw. Sorgeberech- tigten. Dabei werden von der Einrichtung im Rahmen des Clearings aktiv mit allen beteiligten kooperierenden Insti- tutionen engmaschige Termine organisiert und begleitet. Die Entlassungsplanung erfolgt frühzeitig unter Nutzung eines von der Einrichtung aufgebauten Netzwerkes für Anschlusshilfen für die zu betreuenden Kinder und Ju- gendlichen. 6. In welcher Form, durch wen und mit welcher Ziel- stellung wird die Arbeit der Berliner Krisen- und Clearin- geinrichtung evaluiert? In welcher Weise ist der Fachbei- rat dabei einbezogen? 7. Wo und in welcher Form kann sich die Öffentlich- keit über die Arbeit der Berliner Krisen- und Clearingein- richtung und den Fachbeirat informieren? Zu 6. und 7.: Der Träger dokumentiert und evaluiert die Arbeit der Krisen- und Clearingeinrichtung im Rah- men seiner Verpflichtungen gemäß Anlage B des Berliner Rahmenvertrages für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJug) anhand seines internen Qualitätsmanagement-Systems. Jährlich ergeht ein Qualitätsbericht an die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (SenBildJugWiss). SenBildJugWiss hat mit der Eröffnung der Einrich- tung einen interdisziplinären Fachbeirat einberufen, der die Implementierung des Krisen- und Clearingangebotes begleitet und die Erfahrungen auswertet. Mit dem Träger der Krisen- und Clearingeinrichtung wurde auch Evalua- tion als Teil der Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung vereinbart. Die (Zwischen-) Ergebnisse werden vom Trä- ger in den interministeriell sowie interdisziplinär besetz- ten Fachbeirat der für Jugend zuständigen Senatsverwal- tung eingebracht und dort zur Begleitung des intensivpä- dagogischen Angebotes beraten und bewertet. Daneben werden operative Prozesse der sozialpädagogischen Ar- beit des Trägers im Rahmen des Qualitätsentwicklungsdi- aloges mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft reflektiert und bewertet. Der Fachbeirat hat für seine Arbeit Vertraulichkeit vereinbart (vgl. Jugend- Rundschreiben Nr. 2/2013). 8. Wie beurteilt der Senat die bisherige Arbeit der Einrichtung und wie hoch prognostiziert er den Bedarf für die kommenden Jahre? Zu 8.: Die Krisen- und Clearingeinrichtung auf Grundlage des § 42 Abs. 5 SGB VIII hat die Aufgabe massiv gefährdete Kinder und Jugendliche angemessen zu schützen. Das Konzept trägt dem besonderen Betreuungs- bedarf der Kinder und Jugendlichen Rechnung und zielt auf eine enge Verbindung von Alltagserleben mit päda- gogischen und therapeutischen Angeboten, um die Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung zu fördern. Vor- rangiges Ziel ist dabei, Zugang zu finden und eine päda- gogische Erreichbarkeit des Minderjährigen zu ermögli- chen, um Anschlusshilfen in einem offenen Angebot der Hilfen zur Erziehung (HzE) vorzubereiten. Mit dem in Abstimmung und in Zusammenarbeit mit den Bezirken, den Senatsverwaltungen für Justiz und Verbraucherschutz, für Inneres und Sport bzw. mit der Polizei erstellten Jugend - Rundschreiben 2/2013 hat die für Jugend zuständige Senatsverwaltung die Vorausset- zungen und das konkrete Vorgehen bei der Unterbringung in Verbindung mit freiheitsentziehenden Maßnahmen im Rahmen der Jugendhilfe berlineinheitlich detailliert gere- gelt. Entsprechend dem Berliner Unterbringungskonzept wird eine notwendige Unterbringung der Kinder und Jugendlichen in der Krisen- und Clearingeinrichtung auf das allernotwendigste Maß beschränkt und sehr zügig die Weitervermittlung der Kinder und Jugendlichen in ein Angebot der Hilfen zur Erziehung oder andere An- schlusshilfen vorbereitet. Die vorliegende Platzzahl ist ausreichend und be- darfsgerecht. Berlin, den 24. Juni 2015 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Juni 2015)