Drucksache 17 / 16 574 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Silke Gebel und Anja Schillhaneck (GRÜNE) vom 25. Juni 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Juli 2015) und Antwort Risiken und Gefahren bei der Lagerung von radioaktiven Abfällen in der Zentralsammelstelle (ZRA) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft zum Teil Sachverhalte , die der Senat nicht in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH (HZB) um eine Stellungnahme gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurde. Sie wurde der Beantwortung der Mehrzahl der Fragen zugrunde gelegt. 1. Was passiert mit der Zentralstelle für radioaktive Abfälle, nachdem der Betrieb des Forschungsreaktors BER II zum 01.01.2020 eingestellt wird? 1. Gibt es Pläne für den Rückbau des Reaktors und der Sammelstelle? Wie lange wird der Rückbau dauern? 2. Welche Kosten wird der Rückbau verursachen? 3. Welche Kosten muss davon das Land Berlin tragen ? Zu 1.: Gemäß § 9a Abs. 3 des Atomgesetzes der Bundesrepublik Deutschland haben die Länder Landessammelstellen für die Zwischenlagerung der in ihrem Gebiet anfallenden radioaktiven Abfälle einzurichten (Bundesauftragsverwaltung ). Die Länder können sich dazu Dritter bedienen. Berlin macht von dieser Möglichkeit Gebrauch und hat den Betrieb seiner Landessammelstelle auf Basis eines Geschäftsbesorgungsvertrages auf die Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH (HZB) übertragen. Die HZB betreibt daher die Zentralstelle für radioaktive Abfälle (ZRA). Umweltrechtliche Basis dafür ist eine der HZB vom Landesamt für Gesundheit und Technische Sicherheit (LAGetSi) erteilte Genehmigung gem. Strahlenschutzverordnung. Außerdem betreibt die HZB auf der Basis einer von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt erteilten Genehmigung gem. Atomgesetz den Forschungsreaktor BER II. Die HZB wird für ihre wissenschaftliche und strategische Weiterentwicklung zukünftig auf andere Forschungsschwerpunkte setzen. Sie beabsichtigt, die Neutronenquelle zum 31.12.2019 abzuschalten und plant einen Rückbau des BER II. Die Dauer eines Rückbaus lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht mit Sicherheit bestimmen. Sie hängt von zahlreichen Faktoren ab, insbesondere von den im Zuge der umfangreichen Genehmigungsprozesse durchzuführenden Schritten. Gemäß einer von der HZB in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2014 würde ein Rückbau ca. 42,8 Mio. € kosten. Die jeweiligen Genehmigungen für den Betrieb der ZRA und den Betrieb des BER II stehen in keinem formalen Zusammenhang. Das HZB kann die ZRA daher auch nach dem Entfallen der Genehmigung für den BER II weiter betreiben. Der entsprechende Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen Berlin und HZB ist nicht befristet. 2. Welche neueren Risikobeurteilungen zur ZRA liegen dem Senat vor? Welche Risiken und auslegungsüberschreitenden Belastungen werden dort erwähnt und beurteilt ? Zu 2.: Unter dem Titel „Ermittlung der potentiellen Strahlenexposition bei auslegungsüberschreitenden Ereignissen in der Zentralstelle für radioaktiven Abfall (ZRA) des Landes Berlin“ hat die Brenk Systemplanung GmbH für wissenschaftlich technischen Umweltschutz im Auftrag der HZB eine Studie mit Abfassungsdatum vom 19.06.2015 erstellt, die die auslegungsüberschreitenden Ereignisse Flutwelle, langfristige Überflutung, punktförmige mechanische Einwirkung, großflächige mechanische Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 574 2 Einwirkung und Brand betrachtet. Die Schadensbilder werden analog zur Stellungnahme „ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland, Teil 2“ der Entsorgungskommission (ESK) angenommen. Bereits in der ESK-Stellungnahme findet sich die Aussage, dass durch Überflutung oder Flutwelle keine radiologischen Auswirkungen außerhalb der betrachteten Anlagen zu erwarten sind, bei denen der Eingreifrichtwert für die Evakuierung überschritten wird. Diese Schadensbilder werden daher in der Untersuchung zur ZRA nicht weiter betrachtet. Als abdeckend für die anderen Schadensereignisse wird der Flugzeugabsturz mit und ohne Treibstoff-Folgebrand betrachtet. Die Studie kommt zu der Erkenntnis, dass bei beiden Schadensfällen eine Überschreitung des Eingreifrichtwertes für eine Evakuierung nicht zu erwarten ist. Die Studie wurde der Senatsverwaltung für Wirtschaft , Technologie und Forschung mit Schreiben vom 14.07.2015 vorgelegt. 3. Bei welchen auslegungsüberschreitenden Belastungen (beispielsweise ein Flugzeugabsturz) ist ein sprunghafter Anstieg der radiologischen Auswirkungen außerhalb der Anlagen und Einrichtungen möglich? Zu 3.: Das LAGetSi als zuständige Aufsichtsbehörde nach Strahlenschutzverordnung sieht einen sprunghaften Anstieg von radiologischen Auswirkungen bei den hier betrachteten typisierten Schadensbildern als nicht möglich an. Es stützt sich dabei auf den in Antwort zu Frage 2 erwähnten ESK-Stresstest. (ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland , Teil 2, Seite 28, letzter Absatz). 4. Wie weit sind die Lagerräume, in den radioaktive Abfälle gelagert werden, von der nächsten Wohnbebauung oder sonstiger sensibler Nutzung entfernt? 1. Besteht ein Mindestabstand von 350m, wie von der Entsorgungskommission vorgeschrieben/empfohlen wird? Wenn nein, welche Maßnahmen wurden ergriffen, um die in der unmittelbaren Nähe ansässige Bevölkerung zu schützen? 2. Welche sensible Nutzung befindet sich innerhalb von 350 Metern um die ZRA? Zu 4.: Der Abstand des Lagergebäudes zum nächst gelegenen Wohngebäude beträgt 182 m. In der Stellungnahme „ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland – Teil 2“ kommt die ESK auf Seite 28 zu dem Ergebnis , dass bei punktförmigen mechanischen Einwirkungen auf das in der Studie betrachtete generische Lager die Eingreifrichtwerte für die Evakuierung ab einer Entfernung von 350 m nicht überschritten werden. Auf Seite 29 der Stellungnahme empfiehlt die ESK die Untersuchungen durch anlagenspezifische Modellierung zu ergänzen, falls ein Abstand von 350 m bei einer konkreten Anlage unterschritten wird. Eine solche Modellierung mit den konkreten Gegebenheiten und Nuklidinventar der Berliner ZRA erfolgte im Zuge unter dem Titel „Ermittlung der potentiellen Strahlenexposition bei auslegungsüberschreitenden Ereignissen in der Zentralstelle für radioaktiven Abfall (ZRA) des Landes Berlin“ abgefassten Studie der Brenk Systemplanung GmbH für wissenschaftlich technischen Umweltschutz (siehe auch Antwort zu Frage 2). Im Rahmen dieser Untersuchung wurde festgestellt, dass an keinem Punkt außerhalb des Anlagenzaunes eine Überschreitung der Eingreifrichtwerte für die Evakuierung zu erwarten ist. Somit auch nicht an dem in 182 m Entfernung gelegenen Wohnhaus. Unter den Begriff „sensible Nutzung“ fallen gemäß Definition des Bundesministeriums des Inneren in der „Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen “ Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe , erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden . Dazu zählen auch Einrichtungen der Informationstechnik und der Telekommunikation. Die nächstgelegene kritische Infrastruktur ist die Erdfunkstelle der KB Impuls Satelliten GmbH, die sich südlich der ZRA in 220 m Entfernung befindet. Auch für diese Anlage ist eine Überschreitung des Eingreifrichtwertes für die Evakuierung nicht zu erwarten. 5. Ist die Zentralsammelstelle in Berlin besser gesichert , als die Zentralsammelstellen in den anderen Bundesländern ? Wenn nein, wieso nicht? Zu 5.: Zu Fragen der Sicherung der ZRA wird auf die Antwort zu Frage 11 in der Schriftlichen Anfrage Drs.Nr. 17/15653 der Abgeordneten Daniel Buchholz (SPD) und Ina Czyborra (SPD) vom 3.3.2015 an den Senat „Wird Berlin ein Atommüll-Endlager und wie groß ist das Sicherheitsrisiko im Katastrophenfall bei der Zentralstelle für radioaktive Abfälle (ZRA)?“ verwiesen. Informationen darüber, wie andere Sammelstellen gesichert sind, liegen dem Senat nicht vor. 6. Wie viel der gelagerten radioaktiven Abfälle sind brennbar? Bitte um Angabe in Prozenten und in Kubikmetern , sowie der Unterscheidung in Rohabfall und konditioniertem Abfall. Zu 6.: Abfall, der nach den Annahmebedingungen des Endlagers Konrad konditioniert wurde (314 m³) ist nicht brennbar. Bezogen auf den Stichtag 31.12.2014 lagerten in der ZRA 295 m³ Rohabfall, davon 61 m³ brennbarer Abfall. Der Anteil brennbarer Abfälle bezogen auf das Gesamtabfallvolumen von 609 m³ lag bei 10 %, der Anteil brennbarer Abfälle bezogen auf den Rohabfall bei 21 %. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 574 3 7. Wie hoch ist jeweils der Anteil (bitte in prozentualer Angabe und in m³) an Rohabfall und konditioniertem Abfall bei den, in ZRA gelagerten, radioaktiven Abfällen? 1. Birgt Rohabfall generell und bei einer auslegungsüberschreitenden Belastung ein höheres Gefahrenpotential , als konditionierter Abfall? 2. Wieso ist der abgelagerte Rohabfall noch nicht konditioniert worden? 3. Wie lange dauert es durchschnittlich, bis Rohabfall konditioniert wird? Zu 7.: In der ZRA lagerten am Stichtag 31.12.2014 314 m³ konditionierter Abfall und 295 m³ Rohabfall. Der Anteil an Rohabfall lag somit bei 48 %. Nach Auskunft des LAGetSi führt Rohabfall bei auslegungsüberschreitenden Ereignissen zu höheren Freisetzungen als konditionierter Abfall. Dies wurde auch in der Studie „Ermittlung der potentiellen Strahlenexposition bei auslegungsüberschreitenden Ereignissen in der Zentralstelle für radioaktiven Abfall (ZRA) des Landes Berlin“ berücksichtigt. Die Konditionierung des Abfalls erfordert die Freigabe der Ablaufpläne durch das Bundesamt für Strahlenschutz. Letztmalig erfolgte diese für eine Konditionierungskampagne im Jahr 2005. Seit diesem Zeitpunkt wurden die Endlagerbedingungen zweimal überarbeitet. Für eine im Jahr 2008 beantragte Konditionierungskampagne ist bisher noch keine Freigabe der Ablaufpläne durch das Bundesamt für Strahlenschutz erfolgt. Gründe für die Zeitverzögerung sind die unzureichende personelle Ausstattung des Bundesamtes für Strahlenschutz sowie fehlende Dokumentation zur Zusammensetzung von Altabfällen aus dem Zeitraum vor der Festlegung der Annahmebedingungen für das Endlager Konrad. Eine Abgabe der brennbaren Abfälle an eine Verbrennungsanlage erfolgt jährlich. Bei der Kampagne im Jahr 2005 betrug die Dauer des Konditionierungsprojektes unter einem Jahr. Bei der zweiten Konditionierungskampagne beträgt die Laufzeit bisher 7 Jahre. 8. Wie hoch ist der Anteil an brennbaren Abfällen? Zu 8.: Siehe Antwort zu Frage 6. 9. Liegen zu allen Abfällen Angaben zur Herkunft und der stofflichen Zusammensetzung vor? Wenn nein, wieso nicht? Zu 9.: Nach Auskunft des LAGetSi liegen zu den in der ZRA gelagerten Abfällen Informationen über deren Herkunft vor. Seit Inkraftsetzung der Annahmebedingungen für das Endlager Konrad im Jahr 2011 werden auch die Angaben über die stoffliche Zusammensetzung der Abfälle erfasst. 10. Wie oft wird bei den gelagerten radioaktiven Abfällen eine Inspektion durchgeführt? 1. Welche Aspekte werden bei den Inspektionen überprüft? 2. Wurden bei den bisherigen Inspektionen Identifizierungsfehler , Handhabungsfehler, Korrosionsschäden , Leckagen, ein Integritätsverlust oder ein Druckaufbau festgestellt? Bitte listen sie alle Beanstandungen zeitlich auf. 3. Wie werden Beanstandungen bewertet und dokumentiert ? Zu 10.: Der Aufsichtsbehörde (LAGetSi) liegen dazu folgende Informationen vor: In den Jahren 1992 bis 1994 fand anlässlich des Abtransportes von Abfallgebinden in das Endlager Morsleben eine Inspektion auch der verbleibenden Gebinde statt. Schadhafte Gebinde wurden ausgebessert. Im Jahr 2004 wurde die Bodenbeschichtung in der ZRA erneuert. Bei der notwendigen Beräumung der Lagerhallen erfolgte eine Kontrolle sämtlicher Abfallgebinde. Im Jahr 2005 wurden außerdem stapelbare Fasspaletten eingeführt. Seit diesem Zeitpunkt ist der Zugriff auf jedes Abfallgebinde ohne weiteres möglich. Der Lasteintrag erfolgt in die Paletten und nicht in die Fässer, ein Fassstapel kann daher durch Kollabieren eines durchgerosteten Fasses auch nicht zusammenbrechen. Seit 2012 läuft eine Kampagne zur Prüfung und Konservierung von Abfallgebinden mit konditioniertem Abfall . Die Kampagne ist als kontinuierliche Prüfung ausgelegt , bei der jedes Abfallgebinde im Durchschnitt nach 5 Jahren erneut inspiziert wird. Bei der Inspektion wird zunächst durch Wischtestnahme kontrolliert, ob radioaktive Anhaftungen an der Außenseite der Fässer feststellbar sind. Bei der nachfolgenden optischen Kontrolle werden Fässer mit schadhafter Beschichtung aussortiert. Wenn es sich um punktuelle Beschädigungen der Oberfläche handelt, werden diese ausgebessert (Abschleifen von oberflächlichen Roststellen, Grundieren mit Rostschutzfarbe , Lackieren). Falls notwendig wird ein Fass komplett neu lackiert. Fässer mit Durchrostungen oder bei denen ein Abschleifen der Roststellen nicht möglich ist, werden entweder umgepackt oder in ein Fass der nächsten Größe eingestellt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 574 4 Die Unterlagen zu der von 1992 bis 1994 durchgeführten Kampagne liegen nicht in elektronischer Form vor und konnten wegen der Kürze der Zeit für die Beantwortung der Fragen nicht gesichtet werden. Bei der Kampagne im Jahr 2004 wurden 4 Fässer mit Durchrostungen festgestellt. Bei der laufenden Kampagne wurde bisher bei 4 Fässern eine Durchrostung festgestellt und behandelt . Bei 76 Fässern wurden Konservierungsmaßnahmen durchgeführt. Bei keinem der bisher untersuchten Fässer wurde der Austritt von radioaktiven Stoffen festgestellt. Berlin, den 23. Juli 2015 In Vertretung Guido B e e r m a n n ................................................................. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Juli 2015)