Drucksache 17 / 16 645 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller (LINKE) vom 14. Juli 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Juli 2015) und Antwort Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Ich frage den Senat: Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden in diesem Jahr bis zum 30.06.2015 in Berlin in Obhut genommen (bitte nach Alter, Herkunftsland und Geschlecht getrennt ausweisen)? 2. Was hat sich bezüglich der Einreise von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in welcher Art und Weise im Vergleich zu 2014 hinsichtlich der Zahl, des Alters, der Herkunftsländer und weiterer möglicher Kriterien verändert? Zu 1. und 2: Bis zum 30. Juni 2015 sind von der Erstaufnahme - und Clearingstelle (EAC) des Landes Berlin insgesamt 728 junge Flüchtlinge aufgenommen und erstversorgt worden. Seit Jahren kommen junge Flüchtlinge aus über fünfzig Staaten und Palästina an. Im vergangenen Jahr stammten die größten Gruppen aus Syrien, Afghanistan , Vietnam, Guinea, Marokko, Bangladesch, Somalia, der Russischen Föderation oder waren Palästinenserinnen und Palästinenser. Sie waren überwiegend männlich und im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Seit dem zweiten Halbjahr 2014 kommen deutlich mehr junge Flüchtlinge im Alter bis zu 14 Jahren aus Syrien und Afghanistan in der EAC an. Eine darüber hinaus gehende Aufschlüsselung liegt nicht vor. 3. Bei wie vielen jungen Menschen, die 2014 und bis zum 30.06.2015 als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin eingereist sind, wurden die Inobhutnahmen nicht bestätigt? 4. In welchem Verhältnis steht die Zahl der bestätigten zur Zahl der nicht bestätigten Inobhutnahmen (bitte für 2014 und für das erste Halbjahr 2015 ausweisen)? 5. Welche Gründe gibt es, um eine Inobhutnahme nicht zu bestätigen und wer trifft im Einzelfall auf welcher Rechtsgrundlage diese Entscheidung? 6. Wie viele Beschwerden und Klagen sind gegenwärtig gegen die Entscheidung einer Nichtbestätigung der Inobhutnahme anhängig und in wie vielen Fällen wurde bisher für eine Inobhutnahme entschieden? 7. Wie hat sich die Zahl der 2014 und im ersten Halbjahr 2015 durchgeführten Altersfeststellungen im Vergleich zu den Vorjahren verändert, welche Methoden zur Altersfeststellung kommen zur Anwendung und mit welcher Zielstellung sowie auf welcher Rechtsgrundlage werden diese von wem durchgeführt? Zu 2. – 7.: Von den in 2014 angekommenen 1082 jungen Flüchtlingen wurde für 606 das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Inobhutnahme bestätigt. Dies entspricht prozentual einem Anteil von 56 Prozent. Von den in diesem Jahr bis zum 30. Juni angekommenen 728 jungen Flüchtlingen konnte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Inobhutnahme in 458 Fällen bestätigt werden . Das entspricht einem Anteil von knapp 63 Prozent. Die Fachkräfte der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung (Landesjugendamt) bestätigen werktäglich die Inobhutnahme vor Ort, nachdem durch Inaugenscheinnahme und eine dokumentierte Befragung mit Hilfe von Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen der jeweiligen Landessprache sowie in Kooperation mit einer externen Psychologin die Minderjährigkeit und das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Berliner Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer (AV-JAMA) festgestellt wurde. Die wesentlichen Voraussetzungsmerkmale hierfür sind, dass die Einreise vor Ablauf der letzten drei Monate aus einem Drittstaat erfolgte und die Eltern bzw. ein gesetzlicher Vertreter oder eine gesetzliche Vertreterin nicht in der Bundesrepublik leben. In Fällen von Zweifeln an den Altersangaben aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes, des Entwicklungsstandes und des Gesamteindruckes, der in einem Gespräch gewonnen wird, erfolgt eine Altersschätzung. Die Inobhut- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 645 2 nahme wird nur dann aufgrund von angenommener Volljährigkeit beendet, wenn mindestens zwei Fachkräfte zu der Überzeugung gelangt sind, dass Minderjährigkeit ausgeschlossen werden kann. Seit Jahresbeginn sind hier 27 Klagen anhängig. Medizinische Altersgutachten werden seit Mai 2014 durch das Centrum für Forensische Altersbestimmung (CFAB) Charité/Universitätsklinikum HamburgEppendorf (UKE) nach den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik (AGFAD) erstellt. Nach Mitteilung des CFAB sind im Auftrag der Berliner Familiengerichte und der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung im vergangenen Jahr 228 Ladungen zur Altersbestimmung ergangen. Für die 157 erschienenen jungen Flüchtlinge wurden Gutachten erstellt. 71 nicht Erschienene wurden wiederholte Male geladen, teilweise erfolgte jedoch auch eine Auftragsrücknahme. Bis 30. November 2014 wurden insgesamt 136 Gutachten erstellt, in deren Ergebnis für 111 junge Flüchtlinge die Volljährigkeit und für 25 ein Alter unter 18 Jahren diagnostiziert wurde. Für das laufende Jahr wurde vom CFAB noch nicht erhoben. 8. Wer vertritt die Interessen des jungen Flüchtlings, wenn der Senat ein Verfahren der Altersfeststellung verfügt angesichts der Tatsache, dass bis zum Vorliegen des Ergebnisses der Prüfung kein Vormund eingesetzt wird und es dem Betroffenen schwer fallen dürfte, ohne Begleitung und Beratung Beschwerde einzulegen? Nimmt der Senat dies billigend in Kauf? 9. In wie vielen Fällen der 2014 und im ersten Halbjahr 2015 durchgeführten Altersfeststellungen wurden deren Ergebnisse durch den Senat nicht akzeptiert und eine erneute Prüfung beauftragt? 10. Wer entscheidet jeweils über die Anerkennung bzw. Nichtanerkennung der Ergebnisse der Altersfeststellung und die Beantragung einer erneuten Altersprüfung? Welche Gründe müssen für eine erneute Prüfung vorliegen ? 11. Was kostet ein Verfahren der Altersfeststellung und wie viel hat das Land Berlin 2014 und bisher 2015 für wie viele dieser Verfahren ausgegeben (bitte die Prüfungen, die wegen Nichtanerkennung des ersten Prüfungsergebnisses erneut beauftragt wurden, gesondert aufführen)? 12. Wie bewertet der Senat die Problematik der vielfach kritisierten Altersfeststellung angesichts der Tatsache , dass es sich in jedem Fall um junge Menschen handelt , für die bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres das SGB VIII gilt und denen ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten ist? Zu 8. – 12.: Jungen Flüchtlingen, für die das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Inobhutnahme nicht bestätigt werden konnte, wird deren Beendigung mit Hilfe eines Sprachmittlers bzw. einer Sprachmittlerin mitgeteilt. Ihnen wird ein Bescheid ausgehändigt und übersetzt, der eine Rechtsmittelbelehrung mit einer einmonatigen Klagefrist enthält. Nimmt der junge Flüchtling mit Hilfe des zuständigen Jugendamtes, in der Regel jedoch mit Hilfe eines von ihm selbst gewählten Rechtsbeistandes einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch, ist er bis zum Abschluss des Klageverfahrens als minderjährig anzusehen in einer Einrichtung der Jugendhilfe unterzubringen und zu betreuen. Die Ergebnisse der vom CFAB erstellten medizinischen Altersgutachten sind für die für Jugend zuständige Senatsverwaltung verbindlich. Der Einzelpreis beläuft sich auf knapp 1450 Euro. Eine darüber hinaus gehende Aufschlüsselung liegt nicht vor. Berlin, den 29. Juli 2015 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Aug. 2015)