Drucksache 17 / 16 647 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller (LINKE) vom 14. Juli 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Juli 2015) und Antwort Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – Vormundschaften gewährleistet? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie lange dauert es im Durchschnitt in Berlin, bis ein Vormund für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling bestellt ist? 4. Wer entscheidet auf welcher Rechtsgrundlage darüber , wer jeweils die Vormundschaft ausübt und wie werden die Betroffenen an dieser Entscheidung beteiligt? Zu 1. und 4.: Die Berliner Familiengerichte entscheiden auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung einer Vormundschaft, rechtlichen Betreuung oder Pflegschaft für einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling. Sie ordnen die Entscheidung an und be-stallen die zur Wahrnehmung der gesetzlichen Vertretung von ihnen Ausgewählten. In diesem Verfahren sind die/der Antragsteller/in und alle durch das Verfahren unmittelbar Betroffenen zu beteiligen. Eine Erfassung zur Verfahrensdauer erfolgt von der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung nicht. 2. In wie vielen Fällen wird das Jugendamt SteglitzZehlendorf als Vormund für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bestellt, in wie vielen Fällen werden Vereine und in wie vielen Fällen Privatpersonen als Vormund bestellt (bitte für 2014 und das erste Halbjahr 2015 angeben )? 5. Wie viele Mündel hat die Vormundschaftsstelle des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen diese Aufgaben dort wahr und wie viele Mündel haben diese im Durchschnitt pro Person? 6. Hat sich die Zahl der mit Vormundschaften betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf angesichts der steigenden Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge erhöht? Wenn ja, wie, wenn nein, warum erfolgte keine personelle Verstärkung der Vormundschaftsstelle? 10. Wie steht der Senat zur Forderung des Berliner Flüchtlingsrates, die Arbeit der Vormundschaftsstelle im Jugendamt Steglitz-Zehlendorf und der einzelnen Vormünder durch ein externes, unabhängiges Institut prüfen zu lassen? Zu 2., 5., 6. und 10: Das Jugendamt SteglitzZehlendorf wurde nach eigener Mitteilung im Jahr 2014 in 112 Fällen zum Vormund bestellt. Elf Vormundschaften wurden hiervon im Anschluss an Einzelvormünder übertragen. Im ersten Halbjahr 2015 wurde das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf in 156 Fällen bestellt. 13 Vormundschaften konnten an Einzelvormünder übertragen werden. Vereine wurden in den genannten Zeiträumen nicht bestellt. Fälle, in denen die Familiengerichte Einzelvormünder und Vereine einsetzen, werden von der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung nicht erfasst. Das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf führt derzeit 280 Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge . Die Tendenz ist stark steigend. Gegenwärtig führen vier Vormünder die Vormundschaften. Ab August wird ein weiterer Vormund seinen Dienst aufnehmen. In Abstimmung mit der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung und den Bezirken hat das Bezirksamt SteglitzZehlendorf einen entsprechenden Stellenbedarf geltend gemacht. Mit der Bildung einer moderierten Arbeitsgruppe, bestehend aus Fachkräften der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung , Richterinnen und Richtern, Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern der Berliner Familiengerichte sowie der Leitung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf wurde im Juli 2014 die Voraussetzung geschaffen, sich zur bestehenden Arbeitssituation umfassend beraten und vertiefter abstimmen zu können. Im Ergebnis wurde eine Vereinbarung über Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 647 2 das Verfahren zur Sicherstellung der gesetzlichen Vertretung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen erarbeitet , die vor dem Abschluss steht. 3. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um als Vormund bestellt zu werden? 7. Wie wird angesichts der Häufung von Vormundschaftsfällen gewährleistet, dass jeweils eine individuelle Interessenvertretung des jeweiligen Mündels stattfindet und Interessenkonflikte, z.B. im Beschwerdefall, vermieden werden? 8. Wer nimmt die Interessen des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings wahr, wenn z.B. wegen einer laufenden Altersfeststellung keine Vormundschaft bestellt wurde ? 11. Was gedenkt der Senat zu tun, um mehr als bisher gemeinnützige Vereine und geeignete Privatpersonen für die Übernahme von Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin zu gewinnen, um eine individuelle und parteiische Interessenwahrnehmung zu sichern? Zu 3., 7., 8. und 11.: Die Voraussetzungen für die Auswahl und Bestellung eines Vormundes richten sich nach den Bestimmungen der §§ 1779 ff. BGB. Das Familiengericht soll eine Person auswählen, die nach Ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie nach den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft geeignet ist. Hierbei sind sowohl der Wille der Eltern - soweit ermittelbar - als auch der des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings sowie sein religiöses Bekenntnis zu berücksichtigen. Ein rechtsfähiger Verein kann bestellt werden, wenn eine Eignungsbestätigung von der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung vorliegt und eine als ehrenamtlicher Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden ist. Er darf auch berufen werden, wenn er von den Eltern als Vormund ausgewählt wurde. Ist eine als ehrenamtlicher Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden, kann das Familiengericht das Jugendamt zum Vormund bestellen. Die Bestellung erfolgt durch Beschluss des Familiengerichtes. Der Vormund hat das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen, insbesondere das Mündel zu vertreten. Er hat mit ihm mindestens einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung persönlichen Kontakt zu halten. Bis zur Bestellung einer Vormundschaft vertritt das mit der Betreuung und Versorgung des jungen Flüchtlings beauftragte Jugendamt seine Interessen. Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung begrüßt das Ehrenamt der Einzelvormundschaft und der Vereinsvormundschaft und unterstützt den Ausbau entsprechender Netzwerke. Sie wird den Bezirken das Konzept und die Tätigkeit von AKINDA (Ausländische Kinder in Deutschland - allein) - Netzwerk Einzelvormundschaften vorstellen und auf eine Kooperation hinwirken. 9. Wie bewertet der Senat, dass wegen möglicher Kontakte über Telefon/Internet o.ä. für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kein Vormund bestellt wird, weil von einem Fortbestehen der elterlichen Sorge im Herkunftsland ausgegangen wird? Wie und durch wen wird in diesem Falle das Kindeswohl hier in Berlin gewährleistet? Zu 9.: Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung regt für jeden von ihr nach § 42 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII in Obhut genommenen minderjährigen Flüchtling innerhalb von drei Werktagen die Bestellung einer gesetzlichen Vertretung durch Vormundschaft oder Ergänzungspflegschaft an. Bis zum Abschluss des familiengerichtlichen Verfahrens vertritt das mit der Betreuung und Versorgung des jungen Flüchtlings beauftragte Jugendamt seine Interessen. Berlin, den 27. Juli 2015 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Juli 2015)