Drucksache 17 / 16 689 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (GRÜNE) vom 17. Juli 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Juli 2015) und Antwort Wie wirkt Null-Toleranz? Bekämpfung der Drogenkriminalität am Görlitzer Park (Cannabis in Berlin I) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Strafanzeigen (gegen wie viel Personen) im Zusammenhang mit Drogenhandel wurden von der Berliner Polizei seit dem Inkrafttreten der Neufassung der Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung zur Umsetzung des §31a BtMG in Berlin (GAV) in der sogenannten „Null-Toleranz-Zone“ im und um den Görlitzer Park gefertigt? Wie viele seit der Einrichtung der „Taskforce Görlitzer Park“ am 25. November 2014 wie viele in den Jahren 2013 und 2014? Welche Erkenntnisse gibt es über den Ausgang der dazugehörigen Strafverfahren – wie viel Einstellungen gab es? Zu 1.: Für die Betrachtungen zur Kriminalität im und um den Görlitzer Park wird regelmäßig ein zwischen dem Polizeipräsidenten in Berlin und dem Generalstaatsanwalt Berlin festgelegtes Gebiet ausgewertet. Die von der Polizei Berlin in diesem Gebiet erfassten Strafanzeigen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) mit Stand 21.07.2015 sind nachstehender Tabelle zu entnehmen. Bei den Daten zu den Tatverdächtigen wurde die sogenannte Echttatverdächtigen-Zählung berücksichtigt. Das heißt, jede Person wird für den jeweiligen Zeitraum nur einmal gezählt, auch wenn sie zu mehr als einem Drogenhandel festgestellt wurde. 2013 2014 seit 25.11.2014 bis 21.07.2015 seit 01.01.2015 bis 21.07.2015 seit 31.03.2015 bis 21.07.2015 Strafanzeigen Verstoß BtMG 746 1.444 1.463 1158 606 Tatverdächtige 503 792 954 804 448 Quelle: Polizei Berlin Bei der Staatsanwaltschaft werden Verfahren mit Bezug zum Görlitzer Park in Folge der Einrichtung der „Taskforce Görlitzer Park“ erst seit dem 16.12.2014 statistisch erfasst. Eine Unterscheidung hinsichtlich des Erfassungsgrundes erfolgt dabei nicht. Seitdem sind bei der Staatsanwaltschaft Berlin mit Stand 22.07.2015 insgesamt 1.723 Verfahren eingegangen, denen eine Straftat im beziehungsweise am Görlitzer Park zugrunde liegt. Dabei handelt es sich überwiegend um Verstöße gegen das BtMG aber auch um Begleitkriminalität wie Raub-, Diebstahls- und Körperverletzungsdelikte. In 1.432 dieser Verfahren sind Beschuldigte bekannt, 291 Verfahren werden gegen unbekannte Tatverdächtige geführt. Von den 1.432 Verfahren gegen bekannte Beschuldigte wurde in 253 Fällen Anklage erhoben oder der Erlass eines Strafbefehls beantragt. 640 Verfahren wurden gemäß § 31a BtMG eingestellt. 60 Verfahren wurden gemäß §§ 153 ff. Strafprozessordnung (StPO) aus Opportunitätsgründen eingestellt. 99 Verfahren wurden gemäß § 154f StPO eingestellt, weil der Aufenthaltsort des/ der Beschuldigten unbekannt ist. 62 Verfahren wurden gemäß § 170 Absatz 2 StPO eingestellt. In 149 Verfahren dauern die Ermittlungen noch an. Die übrigen Verfahren wurden durch Verbindung mit anderen Verfahren oder Abgaben an andere Staatsanwaltschaften erledigt. Seit Inkrafttreten der Neuregelung der Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, der Senatsverwaltung für Inneres und Sport sowie der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales zur Umsetzung des § 31a BtMG vom 26.03.2015 (GAV) kommt eine Einstellung nach § 31a BtMG in der Regel nicht mehr in Betracht. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 689 2 2. Wie viele dieser Strafanzeigen wurden wegen des Besitzes von Marihuana erstellt und welche Besitzmengen lagen jeweils zu Grunde? (Bitte bei einer Vielzahl von Fällen nach geeigneten Mengen zusammenfassen: etwa 1- 5 Gramm, 5-10 Gramm etc.) Welche Erkenntnisse gibt es über den Ausgang der dazugehörigen Strafverfahren – wie viel Einstellungen gab es? Zu 2.: Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) bietet keinen Erfassungsschlüssel, der ausschließlich den Besitz von Cannabis oder Marihuana abbildet. Unter einer Schlüsselzahl werden die sogenannten allgemeinen Verstöße gegen § 29 BtMG im Zusammenhang mit Cannabis und Zubereitungen abgebildet. Der § 29 BtMG enthält zwar vielfältige Begehungsformen des illegalen Umgangs mit Betäubungsmitteln, dieser Schlüssel umfasst jedoch erfahrungsgemäß vor allem die hier angefragten Fälle des Erwerbs und Besitzes von Cannabisprodukten. Eine weitere häufige Begehungsform des § 29 BtMG, der Handel und Schmuggel, wird einem gesonderten Schlüssel zugeordnet. Ein weiterer Erfassungsschlüssel der PKS enthält auch eine Begehungsform des Besitzes von Cannabisprodukten , nämlich den Besitz und auch die Abgabe in nicht geringen Mengen. Vor diesem Hintergrund wurden im Hinblick auf die angefragten BtMG-Straftaten, die ausschließlich den Besitz betreffen, die unter diesen beiden Erfassungsschlüsseln gezählten Straftaten zusammengenommen. Allerdings werden darunter nicht nur Verstöße im Zusammenhang mit Marihuana sondern mit allen Cannabisprodukten erfasst. Die Anzahl der eingeleiteten Strafverfahren mit Stand 21.07.2015 ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Jahr 2013 Jahr 2014 seit 25.11.2014 seit 01.01.2015 seit 31.03.2015 Strafanzeigen „Besitz“ 492 914 849 678 359 Quelle: Polizei Berlin; Stand: 21.07.2015 Die den jeweiligen Strafanzeigen zugrundeliegenden Besitzmengen werden nicht in einem automatisiert abrufbaren Verfahren erfasst. Besitz- bzw. Sicherstellungsmengen können ausschließlich mit der Falldatei Rauschgift (FDR) des Landeskriminalamtes (LKA) recherchiert werden. In diesem System ist jedoch keine Tatort-Recherche möglich, sodass zur Auswertung alle Vorgänge herangezogen wurden, die durch die für die Bearbeitung der Drogenkriminalität im und um den Görlitzer Park zuständige Dienststelle der Direktion 5, Verbrechensbekämpfung Sonderermittlungen Brennpunkte (Dir 5 VB SEB), seit ihrer Gründung am 25. November 2014 bearbeitet und bereits dem LKA gemeldet wurden. Mit Stand 21.07.2015 wurden in der FDR 689 Besitz- und Erwerbsfälle erfasst, die bei Dir 5 VB SEB bearbeitet wurden. Die im Vergleich zu den oben genannten Vorgangszahlen geringeren Fallzahlen ergeben sich aufgrund der nicht taggleichen Erfassung in der FDR. Bei 33 Besitz- und Erwerbsfällen kam es zu keiner Sicherstellung von Betäubungsmitteln. Sichergestellte Mengen Anzahl der Fälle Bis 1 Gramm 150 1,1 bis 5,0 Gramm 384 5,1 bis 10,0 Gramm 66 10,1 bis 15,0 Gramm 28 > 15,1 Gramm 28 Quelle: Polizei Berlin Hinsichtlich der Verfahrensausgänge wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 3. Wie viele Freiheitsentziehungen – welcher Art und Dauer – im Zusammenhang mit Drogendelikten wurden seit dem Inkrafttreten der Neufassung der Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung zur Umsetzung des §31a BtMG in Berlin (GAV) in der sogenannten „Null-ToleranzZone “ im und um den Görlitzer Park vorgenommen? Wie viele seit der Einrichtung der Taskforce „Görlitzer Park“ am 25. November 2014 wie viele in den Jahren 2013 und 2014? Zu 3.: Die Art und Dauer von Freiheitsentziehungen werden in einem automatisiert abrufbaren Verfahren nicht erfasst. Die Anzahl der Freiheitsentziehungen in den abgefragten Zeiträumen ist nachstehender Tabelle zu entnehmen, wobei hier auch Freiheitsentziehungen enthalten sind, die auf sonstiger Straftatenbegehung im und um den Görlitzer Park basieren. 2013 2014 seit 25.11.2014 seit 31.03.2015 Freiheitsentz iehungen 212 474 449 207 4. Wie viele dieser Freiheitsentziehungen wurden wegen des Besitzes von Marihuana erstellt und welche Besitzmengen führten jeweils zur Einleitung des Verfahrens? (Bitte bei einer Vielzahl von Fällen nach geeigneten Mengen zusammenfassen: etwa 1-5 Gramm, 5-10 Gramm etc.) Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 689 3 Zu 4.: Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes von Marihuana werden bei entsprechender Feststellung durch die Polizei Berlin unabhängig von der festgestellten Menge eingeleitet. Dies war bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung der GAV der Fall. Zu Freiheitsentziehungen kam es in diesem Zusammenhang nicht. 5. Wie viele Einsatzkräftestunden hat die Polizei Berlin zur Bekämpfung der Drogenkriminalität im und am Görlitzer Park in den Jahren 2014 und 2015 geleistet? Wie viele in Berlin insgesamt? bitte nach Monaten aufschlüsseln ? Welche Kosten sind durch diese Einsatzkräftestunden entstanden bzw. gebunden worden? Zu 5.: Im und am Görlitzer Park wurden durch die Polizei Berlin Einsatzkräftestunden in folgendem Umfang geleistet: 2014 2015 (Stand: 22.07.) Januar 1197:00 Januar 7186:00 Februar 1120:00 Februar 5158:30 März 804:00 März 5515:00 April 442:00 April 6197:00 Mai 1092:00 Mai 3480:00 Juni 960:00 Juni 7566:00 Juli 780:00 Juli 3134:00 August 744:00 gesamt 38236:30 September 1437:00 Oktober 911:00 November 9069:00 Dezember 11523:00 gesamt 30079:00 Quelle: Polizei Berlin Für Gesamt-Berlin werden die geleisteten Einsatzkräftestunden zur Bekämpfung der Drogenkriminalität statistisch nicht erfasst. Ausgaben für Polizeieinsätze sind grundsätzlich durch die im Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die Polizei Berlin eingestellten Haushaltsmittel gedeckt. Spezifische Daten werden hierzu statistisch nicht erfasst. 6. Welche Mengen an Marihuana und welche Mengen anderer Drogen wurden durch die Arbeit der Taskforce im und um den Görlitzer Park sichergestellt und welche Mengen wurden jeweils in den Jahren 2014 und 2015 insgesamt in Berlin sichergestellt? Zu 6.: Für die Recherche sichergestellter Betäubungsmittelmengen im und um den Görlitzer Park wird auf die in der Antwort zu Frage 2 geschilderte Vorgehensweise verwiesen. Danach ergeben sich mit Stand 21.07.2015 folgende Sicherstellungsmengen. Rauschgiftart Sichergestellte Menge Heroin in Kilogramm 0,0002 Kokain in Kilogramm 0,025 Cannabisharz in Kilogramm 0,118 Marihuana in Kilogramm 15,692 Hanfpflanzen in Stück 30 Amphetamin in Kilogramm 0,12 Amphetaminderivat in Stück 120 Psilocybinhaltige Pilze in Kilogramm 0,5 Methadon in Liter 0,023 Quelle: Polizei Berlin Durch die Gemeinsamen Ermittlungsgruppen Rauschgift (GER), die mit Dienstkräften der Polizei Berlin und des Zollfahndungsamtes Berlin-Brandenburg besetzt sind, werden die Sicherstellungsmengen in Ermittlungsverfahren der Polizei Berlin und des Zolls mit Tatort Berlin in einer Tabelle zusammengefasst dargestellt. Durch Nachmeldungen, teilweise nach mehreren Monaten , kommt es zu unterschiedlichen festgestellten Sicherstellungsmengen je nach Erstellungsdatum der Tabelle . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 689 4 Für Gesamt-Berlin ergeben sich mit Stand 30.06.2015 folgende Sicherstellungsmengen. Rauschgiftart Sichergestellte Menge 2014 Sichergestellte Menge 2015 Heroin in Kilogramm 33,9 1,9 Kokain in Kilogramm 177,2 407,1 Cannabisharz in Kilogramm 49,6 21,0 Marihuana in Kilogramm 214,2 103,6 Hanfpflanzen in Stück 11.416 3.777 LSD in Stück 1.069 453 Amphetamin in Kilogramm 46,6 41,3 Amphetaminderivat in Stück 27.746 14.230 Psilocybinhaltige Pilze in Kilogramm 0,3 0,1 Crystal in Kilogramm 0,9 0,6 Quelle: Bundeskriminalamt 7. Welche Schätzungen über die umgesetzte Menge von Cannabis bzw. Marihuana im Rahmen des Drogenhandels in und um den Görlitzer Park liegen dem Senat vor und welche Menge wird berlinweit täglich umgesetzt? Zu 7.: Der Senat Berlin nimmt keine Einschätzung hinsichtlich „umgesetzter Mengen“ vor. 8. Wie beurteilt der Senat den Verlauf der Lage am Görlitzer Park unter Berücksichtigung möglicher „Verdrängungseffekte “? Welche Erkenntnisse bestehen über sog. Begleitkriminalität? Zu 8.: Der Görlitzer Park und dessen Umgebung unterliegen einer ganzheitlichen polizeilichen Kriminalitäts- und Einsatzanalyse, um mögliche Wechselwirkungen der problemorientierten Maßnahmen zu erkennen und auf Grundlage der Auswertungsergebnisse gegebenenfalls Anpassungen im bestehenden Einsatzkonzept vorzunehmen. Das Hauptaugenmerk bei den seit November 2014 deutlich intensivierten polizeilichen Einsätzen im Görlitzer Park liegt auf der verstärkten Bekämpfung des Drogenhandels , aber auch anderer öffentlichkeitswirksamer Begleitdelikte wie Raub, gefährliche Körperverletzung oder Taschendiebstahl. Das dortige Täterspektrum, insbesondere die Drogenhändlerszene reagiert sehr sensibel, so dass während der Durchführung polizeilicher Maßnahmen eine temporäre Verdrängung in angrenzende Straßenzüge sowie den im Osten angrenzenden Schlesischen Busch zu beobachten ist. Lageangepasst werden die Maßnahmen dann in jene Bereiche ausgedehnt. Gegenwärtig ist eine solide Bewertung der Entwicklung für das laufende Jahr nicht möglich, da hierzu noch keine ganzjährigen Vergleichsdaten vorliegen , die beispielsweise übliche saisonale Schwankungen (zum Beispiel jahreszeitbedingte Witterung, Ferienzeit ) berücksichtigen. Angesichts entsprechend rückläufiger Fallzahlen lassen sich jedoch positive Tendenzen in den Deliktsfeldern gefährliche Körperverletzung und Raub erkennen. Zudem konnten seit Einrichtung der neuen problembezogenen Dienstbereiche der Polizei Berlin in der Direktion 5 (Brennpunktstreife und Sonderermittlungen Brennpunkte) immer häufiger Ermittlungserfolge im Rahmen der täterorientierten Bekämpfung des Drogenhandels mit Cannabis erzielt werden. Dies spiegelt sich zum einen in der hohen Anzahl erwirkter Haftbefehle und zum anderen in der erkennbar verunsicherten Drogenhändlerszene wider. Berlin, den 7. August 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Aug. 2015)