Drucksache 17 / 16 710 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher (LINKE) vom 27. Juli 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Juli 2015) und Antwort Strategie von Senat und Bezirken zum Umgang mit Problemhäusern Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Erkenntnisse haben der Senat und der Bezirk Tempelhof-Schöneberg darüber, wohin die zum Auszug aus dem Haus Grunewaldstr. 87 gedrängten Bewohner /innen gezogen sind, welche Unterstützungsangebote sind ihnen unterbreitet worden und welche Ordnungsmaßnahmen auf welcher rechtlichen Grundlage sind gegen den Eigentümer ergangen? Antwort zu 1: Im Amt für Soziales, Fachbereich soziale Dienste des Bezirks Tempelhof-Schöneberg haben seit dem 17. Februar 2015 21 Familien aus dem Haus Grunewaldstr. 87 vorgesprochen und wurden zu ihrer Wohnsituation beraten. Nach Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen konnten 12 Familien, insgesamt 57 Personen, in Pensionen, Hostels oder Ferienwohnungen/ Apartments untergebracht werden. Es kann festgehalten werden, dass die Unterbringungen im gesamten Berliner Stadtgebiet abhängig von Verfügbarkeiten erfolgten und erfolgen. Darüber hinaus ist dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD) bekannt, dass eine Familie Berlin verlassen hat und eine weitere in einen anderen Berliner Bezirk verzogen ist. Zu den übrigen Personen kann keine Aussage über deren Verbleib getroffen werden. Hinsichtlich der Unterstützungsangebote wurde im Amt für Soziales jeder Einzelfall mit einer umfassenden Anamnese zu den persönlichen und rechtlichen Voraussetzungen gewürdigt. Hierbei wurde einzelfallabhängig mit unterschiedlichen Beteiligten, insbesondere mit dem regionalen Sozialdienst des Jugendamtes, dem KJGD des Gesundheitsamtes, der Polizei sowie mit dem Verein Amaro Foro e.V. zusammengearbeitet. Die unterbreiteten Hilfsangebote waren abhängig vom jeweiligen Bedarf und den rechtlichen Möglichkeiten. Hierbei reicht das Spektrum von einer kurzen Beratung hinsichtlich der bestehenden Möglichkeiten, Wohnraum zu erlangen, über Unterbringungen und Hilfen im Rahmen des SGB VIII bis hin zu ärztlicher Basisversorgung, Hilfen zur Erziehung und Maßnahmen zum Kinder- und Jugendschutz. Nicht in jedem Fall waren die betroffenen Personen bereit, die unterbreiteten Hilfsangebote anzunehmen. Nach dem Auszug aus der Grunewaldstraße 87 wurden vom Jugendamt (noch) keine weiteren Unterstützungsangebote unterbreitet . Das Beratungsangebot von Amaro Foro besteht weiter. Im Rahmen des Wohnungsaufsichtsgesetzes wurden und werden Mängel sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form an die Eigentümerseite, derzeit vertreten durch die bevollmächtigte Rechtsanwaltskanzlei Karsten Reichelt, mitgeteilt und durch diese unverzüglich beseitigt. Anordnungen waren nicht erforderlich, da keine Verweigerungshaltung vorlag. Frage 2: Wann, in welcher Weise und mit welchem Ergebnis war der Umgang mit sog. Problemhäusern (verwahrlosten Wohnhäusern, Schrottimmobilien) bisher Gegenstand der Erörterung bei den Beratungen der Bauamtsleiter /innen und der Baustadträt/innen? Antwort zu 2: In den letzten Jahren wurden die Wohnungsaufsicht und die sog. „Problemhäuser“ sowohl in den Beratungen der Bauamtsleiterinnen und Bauamtsleiter als auch der Baustadträtinnen und Baustadträte nur sehr selten thematisiert. Seit Juni 2010 haben die Bauamtsleiterinnen und Bauamtsleiter in der 67. Sitzung am 02.02.2011 in Zusammenhang mit der Bachelorarbeit zum Thema „Schrottimmobilien “ festgestellt, dass das Phänomen der sog. „Problemimmobilien “ zu diesem Zeitpunkt zahlenmäßig nicht relevant war und ausreichend Eingriffsmöglichkeiten bestehen. Am 31.10.2012 wurde in der 72. Sitzung der Bauamtsleiterinnen und Bauamtsleiter anhand eines konkreten Falls wohnungsaufsichtsrechtliche Möglichkeiten in Zusammenhang mit Liefersperren von Warmwasser und Heizung erörtert. Schließlich sind die Bau- und Wohnungsaufsichtsämter in der 82. Sitzung der Bauamtsleite- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 710 2 rinnen und Bauamtsleiter am 03.06.2015 darum gebeten worden, die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen bei der Erstellung eines Berichts an den Hauptausschuss zum Thema „Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma“ nach besten Möglichkeiten zu unterstützen . Frage 3: Wie viele solcher Problemhäuser existieren derzeit in Berlin, wie erhalten die Behörden davon Kenntnis, was unternehmen sie und in welcher Weise unterstützt der Senat die betroffenen Bezirke bei einem zielgerichteten und wirkungsvollen Vorgehen gegen unzumutbare Wohnbedingungen in solchen Problemhäusern ? Antwort zu 3: Der Begriff „Problemhäuser“ bzw. „Schrottimmobilie“ ist fließend und wird bisher für unterschiedliche bau- und wohnungsaufsichtliche Konstellationen verwendet. Die Bezirke sind außerdem von diesem Phänomen sehr unterschiedlich stark betroffen. Am 03.08.2015 haben sich auf Einladung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt die Baustadträte, die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen und die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz zu einem Erfahrungsaustausch zum Thema „Problemimmobilien“ zusammengefunden. Bei diesem Treffen kristallisierten sich im Gesamtkomplex des Umgangs mit „Problemimmobilien“ vier Kategorien heraus: 1. Gebäude, die komplett von wohnungsaufsichtlichen Problemen und/oder Überbelegung betroffen sind. 2. Gebäude, die nur teilweise (z.B. in einzelnen Wohnungen, Etagen oder Gebäudeteilen) von wohnungsaufsichtlichen Problemen und/oder Überbelegung betroffen sind. 3. Sog. „Schrottimmobilien“ im bauplanungsrechtlichen Sinn, d.h. Gebäude, die sich durch Leerstand sowie baulichen Verfall auszeichnen. 4. Brachflächen und Grünanlagen, die zum Campieren im Freien benutzt werden. Es wurde vereinbart, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zeitnah eine weitere Umfrage unter den Bezirken startet, in denen die Fallzahlen zu diesen vier Kategorien abgefragt werden. Vorbehaltlich des Ergebnisses dieser Umfrage ergibt sich zurzeit das Bild, dass es in den Bezirken jeweils nur vereinzelte oder gar keine Fälle gibt, in denen ganze Gebäude von wohnungsaufsichtlichen Problemen und/oder Überbelegung betroffen sind (Kategorie 1). Die Zahl dieser Häuser kann für das gesamte Stadtgebiet nach bisherigem Kenntnisstand und unter Vorbehalt auf ca. 6 bis 15 geschätzt werden. Vorbehaltlich der ausstehenden Bezirksumfrage liegt die Zahl der Gebäude, die teilweise von wohnungsaufsichtlichen Problemen und/oder Überbelegung betroffen sind (Kategorie 2), schätzungsweise bei ca. 20 bis 30 Gebäuden. Belastbare Zahlen kann der Senat jedoch erst nach der Bezirksumfrage geben. Die Bau- und Wohnungsaufsichtsämter erhalten in der Regel durch Hinweise der Bewohnerschaft, der Nachbarschaft oder anderer Behörden Kenntnis von Verstößen gegen die Bauordnung für Berlin (BauO Bln), das Wohnungsaufsichtsgesetz (WoAufG Bln) oder das Zweckentfremdungsverbot -Gesetz (ZwVbG). Bestätigt eine umfassende Sachverhaltsaufklärung die angezeigten Verstöße, werden Maßnahmen nach der BauO Bln, dem WoAufG Bln und/oder dem ZwVbG ergriffen und ggf. mit den Mitteln der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt. Grundsätzlich soll jedoch zunächst versucht werden, mit der bzw. dem Verfügungsberechtigten eine einvernehmliche Lösung zu finden (vgl. etwa § 11 WoAufG). Wird eine konkrete Gefährdung für Leib und Leben von Personen festgestellt, können die Bau- und Wohnungsaufsichtsämter im Sofortvollzug unmittelbar eingreifen. Frage 4: Welche generellen Möglichkeiten bestehen nach Auffassung des Senates, einen Eigentümer, der Wohnimmobilien vernachlässigt, kurzfristig und wirksam zu einer Korrektur zu veranlassen bzw. an dessen Stelle ordnungsbehördlich einzugreifen, und hält der Senat diese für ausreichend und angemessen? Antwort zu 4: Maßnahmen nach der BauO Bln, dem WoAufG Bln und dem ZwVbG greifen oftmals in Rechtspositionen der Eigentümerin bzw. des Eigentümers , aber auch der Bewohnerinnen und Bewohner ein. Deswegen gebietet es der Rechtsstaat, in diesen Fällen ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren durchzuführen. Solche Verwaltungsverfahren sind naturgemäß langwierig und sehr personalintensiv. Bei unmittelbar drohender Gefahr für Leib und Leben von Personen (Bewohnerschaft, Nachbarschaft, Passanten etc.), ist es den Bau- und Wohnungsaufsichtsämtern möglich , im Rahmen des Sofortvollzugs unverzüglich eine Ersatzvornahme vorzunehmen. In dem Termin am 03.08.2015 wurde deutlich, dass die Maßnahmen der BauO Bln, des WoAufG Bln und des ZwVbG ausreichend sind, um dem Phänomen der „Problemimmobilie “ zu begegnen. Probleme bereiten in der Regel die Aufklärung des Sachverhalts und dessen Nachweis sowie der tatsächliche Vollzug der angeordneten Maßnahmen. Im Fall von Überbelegung wird z.B. oft behauptet, die betroffenen Personen seien zu Besuch. Das Gegenteil lässt sich nur durch eine ständig wiederholte Identitätsfeststellung nachweisen. Frage 5: Teilt der Senat die Auffassung, dass die Bezirke personell und finanziell in die Lage versetzt werden müssen, gegen unzumutbare Wohnverhältnisse schnell und nachhaltig vorzugehen und welche konkreten Maßnahmen hält er für erforderlich bzw. plant er, um die Handlungsfähigkeit der Bezirke zu verbessern? Antwort zu 5: Eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung der Bau- und Wohnungsaufsichtsämter ist Voraussetzung für eine effektive Bau- und Wohnungs- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 710 3 aufsicht. Die Schilderungen aus den Bezirken in dem Termin am 03.08.2015 haben erneut gezeigt, dass ein konsequentes Durchgreifen nur mit entsprechenden Ressourcen möglich ist. In dem Termin am 03.08.2015 bestand Konsens darüber , dass die rechtlichen Instrumentarien des Wohnungsaufsichtsgesetzes ausreichend sind. Frage 6: Wann und in welcher Weise gedenkt der Senat die Rechtsvorschriften zur Wohnungsaufsicht zu aktualisieren , und falls er dies nicht beabsichtigt, wie begründet er dies? Antwort zu 6: Bevor eine Aktualisierung der Rechtsvorschriften zur Wohnungsaufsicht in Erwägung gezogen werden könnte, ist zu prüfen, ob eine Gesetzesänderung den Umgang der Bau- und Wohnungsaufsichtsämter mit sog. „Problemimmobilien“ tatsächlich verbessern kann. Der Erfahrungsaustausch am 03.08.2015 hat ergeben, dass aktuell kein Ansatzpunkt gesehen wird, den Vollzug des Wohnungsaufsichtsgesetzes durch eine Gesetzesänderung wesentlich effektiver zu gestalten. Die gesetzlichen Instrumentarien sind derzeit ausreichend, um dem Phänomen „Problemimmobilie“ zu begegnen. Die konsequente Gesetzesanwendung ist daher das geeignete Instrument . Dazu bedarf es einer Schwerpunktsetzung in den Bau- und Wohnungsaufsichtsämtern der Bezirke. Gesetzesänderungen sind stets mit anfänglicher Rechtsunsicherheit und Mehraufwand in den zuständigen Behörden verbunden. Da von einer Gesetzesänderung keine wesentliche Verbesserung im Umgang mit Problemimmobilien zu erwarten ist, empfiehlt es sich, die Ressourcen der Bau- und Wohnungsaufsichtsämter konsequent in den Vollzug der bestehenden Regelungen zu investieren. Deshalb ist eine Überarbeitung des Wohnungsaufsichtsgesetzes derzeit nicht beabsichtigt. Frage 7: Wie beurteilt der Senat die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Wohnungswirtschaftlicher Wandel und Neue Finanzinvestoren auf den Wohnungsmärkten in NRW“ und wie schätzt er die Relevanz und die Dynamik dieses Phänomens für Berlin ein? Antwort zu 7: Der Abschlussbericht der EnqueteKommission „Wohnungswirtschaftlicher Wandel und Neue Finanzinvestoren auf den Wohnungsmärkten in NRW“ ist sehr komplex und umfasst 359 Seiten. Angesichts des Umfangs dieses Abschlussberichts ist eine Beurteilung derzeit nicht möglich. Frage 8: Wie beurteilt der Senat die aktualisierten Regelungen zum Wohnraumschutz und zur Wohnungsaufsicht in Hamburg und in Nordrhein-Westfalen, insbesondere in Bezug auf ihre Angemessenheit und Übertragbarkeit auf Berlin? Antwort zu 8: Nordrhein-Westfalen hat im Jahr 2014 erstmals ein Wohnungsaufsichtsgesetz erlassen (WAG NRW). Dieses hat eine andere Gesetzessystematik als das WoAufG Bln. Es enthält jedoch inhaltlich keine wesentlichen Neuerungen gegenüber dem WoAufG Bln. Hinsichtlich der Definition des Mindeststandards bleibt das WAG NRW sogar hinter dem WoAufG Bln zurück. Lediglich in vereinzelten Detailregelungen weist das WAG NRW neue Ansatzpunkte auf, deren Einführung in Berlin nach bisheriger Einschätzung des Senats die Arbeit der Bau- und Wohnungsaufsichtsämter vor Ort in den Problemimmobilien jedoch nicht wesentlich verbessern würde. Hamburg hat im Jahr 2013 insbesondere das Instrument eines „Treuhänders bei Veränderungen von Wohnraum “ und eines „Treuhänders bei leer stehendem Wohnraum “ in das Hamburgische Wohnraumschutzgesetz (§§ 12 a und 12 b HmbWoSchG) neu eingeführt. Diese Instrumente sind im Wohnungsaufsichtsrecht in Berlin nicht vorhanden. Bei dem Blick in andere Bundesländer ist zu beachten, dass die Ausgangslage je nach Bundesland sehr unterschiedlich sein kann. So herrscht in weiten Teilen von Nordrhein-Westfalen z.B. ein Überangebot an Wohnungen , während der Wohnraum in Berlin eher knapp ist. In einigen Bundesländern, z.B. in Brandenburg, gibt es gar kein eigenes Gesetz, das dem WoAufG Bln entspricht. Berlin, den 14. August 2015 In Vertretung Prof. Dr.-Ing. Engelbert Lütke Daldrup ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Aug. 2015)