Drucksache 17 / 16 720 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach und Hakan Taş (LINKE) vom 30. Juli 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Juli 2015) und Antwort Aufnahme syrischer Flüchtlinge (V): Zwischenbilanz und Verpflichtungserklärungen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Anträge auf erweiterten Verwandtennachzug wurden bislang im Rahmen des Landesprogramms für syrische Flüchtlinge zur Aufnahme von Verwandten gestellt? 2. Wie viele Anträge wurden durch die Ausländerbehörde Berlin abschließend geprüft, in wie vielen Fällen wurde eine Vorabzustimmung zur Visumerteilung an die deutschen Botschaften übersandt, und in wie vielen Fällen wurde keine Vorabzustimmung abgegeben? Zu 1. und 2.: Im Jahre 2013 wurden insgesamt 288 Anträge auf erweiterten Familiennachzug gestellt, zu denen die Berliner Ausländerbehörde in 125 Fällen bereits vor der Beantragung eines Visums ihre Zustimmung gemäß § 31 Abs. 3 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV ) erteilt hat und in 163 Fällen die Vorabzustimmung zur Visumserteilung abgelehnt hat. Im Jahre 2014 wurden insgesamt 358 Anträge gestellt, zu denen die Berliner Ausländerbehörde in 258 Fällen eine Vorabzustimmung erteilt hat und in 100 Fällen keine Vorabzustimmung abgegeben hat. Bis zum 5. August 2015 wurden insgesamt 311 Anträge gestellt, zu denen die Berliner Ausländerbehörde in 91 Fällen eine Vorabzustimmung erteilt hat und in 220 Fällen die Vorabzustimmung abgelehnt hat. 3. Wie vielen syrischen Flüchtlingen wurde im Rahmen des Landesprogramms für syrische Flüchtlinge zur Aufnahme von Verwandten eine Aufnahmezusage erteilt, und a. wie viele sind per Visa in diesem Rahmen eingereist , b. wie viele Personen sind tatsächlich eingereist, c. wie viele der im Rahmen des Landesprogramms eingereisten Flüchtlinge bzw. wie viele syrische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel nach § 23 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und Einreise nach Beginn des Landesprogramms haben einen Asylantrag gestellt, und wie viele sind wieder aus- oder weitergereist? Zu 3.: Im Jahr 2013 konnten wegen der Verfahrensvorlaufzeiten noch keine Titelerteilungen aufgrund der Berliner Aufnahmeanordnung für syrische Flüchtlinge erfolgen, da diese Personen erst 2014 eingereist sind. 2014 sind 228 und bis zum 5. August 2015 sind 152 Aufenthaltstitel erteilt worden. Alle Personen, die einen Titel nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im Rahmen der Landesaufnahme erhalten haben, sind mit einem Visum eingereist. Wie viele davon einen Asylantrag gestellt haben, ist statistisch nicht erfasst. Auch sind Aus- und Wiedereinreisen nicht erfasst. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ohne Durchführung des Visumverfahrens ist nach dem Berliner Aufnahmeprogramm nicht möglich. 4. Wie viele Verpflichtungserklärungen für wie viele Personen wurden bislang im Rahmen des Landesprogramms für syrische Flüchtlinge zur Aufnahme von Verwandten abgegeben? Wie viele davon sind von Dritten (Freunden, Bekannten, Organisationen etc.) abgegeben worden? Zu 4.: Es wurde für jede Person, die im Rahmen der Berliner Aufnahmeanordnung für Verwandte syrischer Flüchtlinge aufgenommen wurde, eine Verpflichtungserklärung abgegeben. Es wird statistisch nicht erfasst, ob es sich bei den Verpflichtungsgebern um Angehörige oder Dritte handelt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 720 2 5. In wie vielen Fällen und in welcher Höhe sind bereits Forderungen von welchen öffentlichen Stellen für Verpflichtungsgeber*innen entstanden? Zu 5.: Diese erbetenen Daten werden statistisch nicht erfasst, so dass dazu keine Angaben gemacht werden können. 6. Wie ist in Berlin derzeit die Geltungsdauer und Reichweite dieser Verpflichtungserklärungen? Zu 6.: Mit Ausnahme der Kosten für eine angemessene Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet sich der Erklärungsgeber, den Lebensunterhalt während des Aufenthaltes in Deutschland zu sichern. 7. Wie bewertet der Senat den abschreckenden Charakter dieser Regelung auf (potenzielle) Verpflichtungsgeber *innen, da durch die Abgabe einer Verpflichtungserklärung ein lebenslanges, unwägbares Risiko entsteht, vor allem da die Verpflichtungserklärung für sich genommen selbst keinen Anspruch zwischen den Verpflichtungsgeber *innen und der Bezugsperson, sondern lediglich eine Rückgriffsmöglichkeit öffentlicher Leistungsträger vermittelt? Zu 7.: Die Berliner Aufnahmeanordnung für einen erleichterten Verwandtennachzug regelt, dass eine Aufnahme nur in Betracht kommt, wenn die aufnehmende Personen oder Dritte auch bereit und in der Lage sind, den Lebensunterhalt während ihres Aufenthaltes in Deutschland zu sichern, ist im Einvernehmen mit den übrigen Bundesländern und mit Zustimmung des Bundesministerium des Innern erlassen worden. In diesem Zusammenhang wird darauf aufmerksam gemacht, dass zur Erleichterung der Abgabe einer belastbaren Verpflichtungserklärung schon sehr früh davon abgesehen wurde, dass für die aufzunehmenden Personen verpflichtend eine Krankenversicherung abgeschlossen werden muss. Darüber hinaus wurde am 6. Dezember 2013 entschieden, dass auch Dritte eine Verpflichtungserklärung abgeben können. 8. Teilt der Senat die Rechtsauffassung der Bundesregierung , dass die Verpflichtungserklärung unabhängig vom Aufenthaltstitel fort gilt, selbst bei einem Wechsel aus einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1 AufenthG (Länder-Aufnahmeanordnungen) in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 1 AufenthG (Aufenthalt aus humanitären Gründen als anerkannter Flüchtling, Asylberechtigter, subsidiär Schutzberechtigter)? Wenn ja, warum? Zu 8.: Das Land Berlin setzt - wie der Großteil der anderen Länder - derzeit die Rechtauffassung des Bundesministeriums des Innern um. Diese begründet sich wie folgt: Die Fortdauer der Verpflichtungserklärung bemisst sich nach dem Aufenthaltszweck. Bleibt dieser auch bei einem (positiv abgeschlossenen) Asylverfahren derselbe, so gilt auch die Verpflichtungserklärung fort. Da sich die humanitären Aufnahmeprogramme an syrische Flüchtlinge richten, die infolge des Bürgerkriegs in Syrien fliehen mussten, kann nicht von einem anderen Aufenthaltszweck ausgegangen werden, wenn im Rahmen eines Asylverfahrens ein Aufenthalt zum Schutz vor den Folgen des syrischen Bürgerkriegs gewährt wird. Die Annahme eines anderen Aufenthaltszwecks bei bloßem Bestehen eines anderen Aufenthaltstitels kann im Bereich der humanitären Aufnahme im Verhältnis zu Aufenthaltstiteln nach § 25 AufenthG mangels hinreichender Differenzierung nicht automatisch getroffen werden. Für die unbefristete Geltungsdauer der Verpflichtungserklärung spricht auch § 8 Abs. 1 S. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), der die lediglich subsidiäre Leistungsgewährung zum Ausdruck bringt. Leistungen nach dem AsylbLG werden nicht gewährt, „soweit der erforderliche Lebensunterhalt anderweitig, insbesondere auf Grund einer Verpflichtung nach § 68 Abs. 1 S. 1 AufenthG gedeckt wird.“ Dementsprechend endet die Haftung aus einer Verpflichtungserklärung nicht mit der Asylantragstellung (Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 13.02.2014, 1 C 4/13, Juris, Rn. 11 ff.). Insbesondere widerspricht es § 8 Abs. 1 S. 1 AsylbLG, ein Ende der Verpflichtung aus § 68 AufenthG allein deshalb anzunehmen , weil der weitere Aufenthalt des Ausländers nicht mehr von der Lebensunterhaltssicherung abhängt (BVerwG, Urteil vom 13.02.2014, 1 C 4/13, Juris, Rn. 12). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Fortdauer der Verpflichtungserklärung bislang zwar ausdrücklich nur für die Dauer des Asylverfahrens festgestellt. Allerdings lässt sich die Rechtsprechung auf die Situation nach unanfechtbarer Anerkennung des Ausländers als Flüchtling übertragen. Denn auch Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II und dem SGB XII unterliegen dem Subsidiaritätsprinzip. Dies ergibt sich u. a. aus § 9 Abs. 1 SGB II, § 2 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 SGB XII. In § 9 Abs. 1 SGB II werden sogar explizit die Angehörigen als vorrangig in Anspruch zu Nehmende in Bezug genommen. Auch wenn man einen Wechsel im Aufenthaltszweck wegen der Gewährung eines anderen Aufenthaltstitels in den Fällen der syrischen Flüchtlinge annähme, würden sich Verpflichtungserklärungen in den Fällen der Landesaufnahmeprogramme in der Regel auch auf den zweiten Aufenthaltstitel erstrecken, da dessen Tatsachengrundlage dieselbe ist und der Verpflichtungsgeber bei Abgabe der Erklärung davon ausgehen muss, ein umfängliches Risiko zu übernehmen (vgl. dazu schon oben; s. auch BVerwG, Urteil vom 13.02.2014, 1 C 4/13, Juris, Rn. 11 ff.). Die Verpflichtungserklärung wird in diesen Fällen in der Regel entsprechend §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) so auszulegen sein, dass sie die Kostentragung bis zu dem Zeitpunkt umfasst, zu dem der Aufge- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 720 3 nommene seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann unabhängig vom erteilten Aufenthaltstitel. Der Senat handelt daher entsprechend der Rechtsauffassung des Bundesministeriums des Innern, dass Verpflichtungserklärungen fortbestehen, und zwar für alle Fälle, in denen syrischen Flüchtlingen der Landesaufnahmeprogramme nach § 23 Absatz 1 AufenthG sowie aus den Bundesaufnahmeprogrammen nach § 23 Absatz 2 AufenthG ein Aufenthalt aus humanitären Gründen nach den in § 25 AufenthG vorgesehenen Möglichkeiten eingeräumt wird. 9. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus dem Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 2. April 2015 (S 2 SO 102/15 ER), das die Rechtsauffassung bekräftigt, wonach die Gültigkeit einer Verpflichtungserklärung im Rahmen der Länder-Aufnahmeprogramme mit einer Flüchtlingsanerkennung endet (bitte darlegen)? Welche weiteren Gerichtsentscheidungen zu dieser Frage sind dem Senat bekannt, und welche Konsequenzen zieht er daraus (bitte auflisten und darstellen)? 10. Wie bewertet der Senat Vorschläge, die Geltungsdauer oder Reichweite der Verpflichtungserklärungen generell zu beschränken, um die aufnehmenden Familien bzw. Einzelpersonen nicht dauerhaft oder übermäßig zu belasten? Welche Fristen oder Vorgaben hält er diesbezüglich für angemessen, und wird er dahingehend aktiv werden? Wenn nein, warum nicht? 11. Wird der Senat dem Beispiel der Bundesländer Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen folgen, in denen die Gültigkeit einer Verpflichtungserklärung mit einer Flüchtlingsanerkennung endet? Wenn nein, warum nicht? Zu 9., 10. u.11.: Wie in der Antwort zur Frage 8 ausführlich dargestellt, gilt die abgegebene Verpflichtungserklärung für die Dauer des Aufenthaltes in Deutschland. Die zitierte erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Detmold wird daher als Einzelfallentscheidung gewertet, aus der der Senat keine weiteren Konsequenzen ziehen wird. Infolgedessen teilt der Senat weder die Auffassung der genannten Bundesländer noch wird er die Geltungsdauer der Verpflichtungserklärung befristen bzw. sich dafür einsetzen. Weitere Gerichtsentscheidungen sind - mit Ausnahme des unter der Antwort zur Frage 8 zitierten Bundesverwaltungsgerichtsurteils - nicht bekannt. 12. Laut der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Inneren (BMI) zum AufenthG kann eine Verpflichtungserklärung auch von juristischen Personen (Unternehmen etc.) abgegeben werden. Warum lehnt die Ausländerbehörde Berlin dies bislang ab (bitte begründen)? Zu 12.: Die Ausländerbehörde Berlin schließt die Abgabe von Verpflichtungserklärungen durch juristische Personen nicht aus, allerdings wird die Bonität der juristischen Person – wie bei Privatpersonen auch – überprüft. Da diese Prüfung sehr zeitaufwändig ist und dadurch deutlich mehr Personalkapazitäten bindet als die Bonitätsprüfung bei Privatpersonen, wird die Abgabe von Verpflichtungserklärungen durch Privatpersonen empfohlen . 13. Wie verteilen sich bislang die Kosten für das Land Berlin im Rahmen des Landesprogramms für syrische Flüchtlinge zur Aufnahme von Verwandten nach Posten (Gesundheitskosten etc.)? Zu 13.: Die im Rahmen des Berliner Aufnahmeprogramms aufgenommenen syrischen Flüchtlinge erhalten Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz . Diese werden statistisch nicht gesondert erfasst, so dass eine Bezifferung der tatsächlichen Kosten nicht möglich ist. 14. Inwieweit wird sich der Senat für ein neues humanitäres Aufnahmeprogramm für syrische und/oder irakische Flüchtlinge auf Bund-Länder-Ebene einsetzen? Zu 14.: Zu der Frage, ob das Bundesministerium des Innern (BMI) ein weiteres Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge in Erwägung zieht, finden auf verschiedenen Ebenen Gespräche statt. Sofern das BMI zu dem Ergebnis kommen sollte, dass eine weitere Aufstockung des Bundeskontingents notwendig sein sollte, wird sich das Land Berlin dem nicht verschließen. Berlin, den 14. August 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Aug. 2015)