Drucksache 17 / 16 734 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 31. Juli 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. August 2015) und Antwort Berliner Landesprogramm für Prävention und Deradikalisierung im Bereich des islamistischen Extremismus Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Teilt der Senat die Auffassung, dass das vom Innensenator zum 1. April 2015 gestartete Exit- und Deradikalisierungsprogramm für IS-Rückkehrer nicht ausreicht und Berlin als eine der Salafisten- und IS-KämpferHochburgen ein Landespräventionsprogramm braucht? Zu 1.: Der Senat tritt für ein Landespräventionsprogramm im Bereich des islamistischen Extremismus ein. Das vom Senator für Inneres und Sport initiierte Deradikalisierungs -Netzwerk bearbeitet im Rahmen der Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport ausschließlich sicherheitsrelevante Fälle in einem fortgeschrittenen Radikalisierungsstadium. Ziel des Deradikalisierungs -Netzwerks ist es, bei bereits radikalisierten Personen Distanzierungs- und Deradikalisierungsprozesse von dschihadistisch-salafistischem Gedankengut einzuleiten und eine Demobilisierung gewaltbereiter Personen zu erreichen, das heißt Dschihadisten von der Bereitschaft zur Ausübung terroristischer Gewalt abzubringen. Dabei geht es konkret vor allem um die Verhinderung von Ausreisen gewaltbereiter junger Männer, die in den Bürgerkriegsgebieten von Syrien und Irak am Kampf teilnehmen wollen. Gleichzeitig zielt die Arbeit auf die Demobilisierung und Deradikalisierung von Dschihad-Rückkehrern. Im Allgemeinen richtet sich das Projekt an Jugendliche und junge Erwachsenen, die einem islamistischen Radikalisierungsprozess unterliegen und noch keine Ausstiegsmotivation formulieren sowie an junge Menschen, die sich von der salafistischen bzw. dschihadistischen Szene distanzieren wollen. Des Weiteren sollen auch die Angehörigen von ausstiegs- und distanzierungswilligen Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einbezogen werden. Mit Blick auf die aktuelle Terrorismus-Lage gehören zur konkreten Zielgruppe Terrorismus-Unterstützer /innen, Inhaftierte, Dschihadisten/innen mit Ausreiseabsicht und Syrien-Dschihad-Rückkehrer/innen. Eine allgemeine Präventionsarbeit ist hingegen eine vom Senat gemeinsam zu leistende Aufgabe. Aus diesem Grund fand am 27. Mai 2015 ein Runder Tisch unter Beteiligung aller relevanten Senatsverwaltungen statt, um die notwendigen Veranlassungen für eine Prävention im Vorfeld der sicherheitsrelevanten Radikalisierungsgefahren zu treffen und insbesondere auf eine ressortübergreifende Koordinierung der Präventionsarbeit gegen Islamismus hinzuwirken. 2. Was wurde konkret im Rahmen des Runden Tisches zur Deradikalisierung und Prävention gegen islamistische Radikalisierung am 27. Mai 2015 unter Beteiligung der Senatsverwaltungen für Inneres, Bildung, Gesundheit , Justiz und Trägern besprochen und welche konkreten Ergebnissen wurden erzielt? Zu 2.: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Runden Tisches waren sich einig, dass die zunehmende islamistische Radikalisierung für die Gesellschaft als Ganzes eine große Herausforderung darstellt. Deshalb bleibt das gemeinsame Ziel, islamistischen Radikalisierungen und Radikalisierungsgefahren rechtzeitig entgegenzuwirken . In jedem der Fachbereiche gibt es bereits zielführende Präventions- bzw. Deradikalisierungsprojekte, die bislang aus unterschiedlichsten Töpfen finanziert werden. Einigkeit bestand bei den Gesprächsteilnehmern/innen darin, dass diese Einzelmaßnahmen verstärkt abgestimmt werden müssen. Deshalb vereinbarten sie einhellig die Entwicklung eines ressortübergreifenden Landesprogrammes unter Federführung der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, welches ein Handeln auf allen Ebenen ermöglicht : sowohl präventiv als auch repressiv, sowohl im Bereich der Inneren Sicherheit und der Justiz als auch in den Bereichen Soziales, Bildung und Integration. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 734 2 3. Welche Senatsverwaltungen und Organisationen werden sich an der Ausarbeitung eines ressort- und organisationsübergreifenden Landesprogramms für Prävention und Deradikalisierung im Bereich des islamistischen Extremismus inhaltlich und finanziell beteiligen und bis wann soll dieses Programm ausgearbeitet werden? Zu 3.: Die Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt hat ein Konzept für das Berliner Landesprogramm Radikalisierungsprävention entwickelt, welches sich derzeit im Abstimmungsprozess mit den Senatsverwaltungen für Arbeit, Integration und Frauen, für Bildung, Jugend und Wissenschaft, für Gesundheit und Soziales sowie für Justiz und Verbraucherschutz als auch mit den sonstigen Mitgliedern der Landeskommission Berlin gegen Gewalt befindet. Das Konzept soll am 1. September 2015 von der Landeskommission Berlin gegen Gewalt beschlossen und anschließend in den Senat eingebracht werden. Mit Unterstützung noch einzurichtender Begleitgremien soll das Landesprogramm implementiert und fortlaufend weiterentwickelt werden. Der Senator für Inneres und Sport hat für das Berliner Landesprogramm Radikalisierungsprävention bei der Landeskommission Berlin gegen Gewalt Sachmittel in Höhe von 760.000 EUR (2016) bzw. 860.000 EUR (2017) angemeldet. Die Senatsverwaltungen für Arbeit, Integration und Frauen, für Bildung, Jugend und Wissenschaft sowie für Justiz und Verbraucherschutz finanzieren ebenfalls Maßnahmen , die der Radikalisierungsprävention dienen. 4. Was konkret plant der Senat im Rahmen dieses ressort- und organisationsübergreifenden Landesprogramms , um die islamistische Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen zu verhindern und wie wird dieses der Mädchen- und Jungenpräventionsarbeit gerecht werden ? Zu 4.: Da das Konzept noch nicht beschlossen ist, kann zum derzeitigen Zeitpunkt hierzu noch nicht berichtet werden. 5. Wie wird sichergestellt, dass bereits bestehende Projekte der Radikalisierungsprävention für die Erarbeitung des Landespräventionsprogramms genutzt werden? Zu 5.: Bereits in der Entstehungsphase des Berliner Landesprogramms Radikalisierungsprävention bestand eine aktive Einbeziehung verschiedener Akteurinnen und Akteure in den Arbeits- und Entwicklungsprozess, wie im Folgenden dargestellt wird.  Während der 35. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz am 18.03.2015 führte der Senator für Inneres und Sport im Rahmen der Vorstellung des Netzwerks gegen dschihadistisch-salafistische Radikalisierung (DeRadNet SenInnSport) aus, dass das Netzwerk in enger Kooperation mit dem zivilgesellschaftlichen Verein Violence Prevention Network e.V. (VPN) aufgebaut wurde. VPN, bundesweit aktiv und mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Gewaltbereitschafts - und Extremismusprävention sowie der Deradikalisierung von extremistisch motivierten Gewalttätern, leistet seit dem 01.04.2015 im Rahmen von DeRadNet die konkrete Deradikalisierungsarbeit.  Eine weitere Einbindung relevanter Akteurinnen und Akteure und ihrer Konzepte erfolgte während der 36. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz am 15.04.2015, als unter Zuladung der Ausschüsse für Bildung, Jugend und Familie sowie Arbeit, Integration , Berufliche Bildung und Frauen eine Anhörung von Vertretern Freier Träger aus dem Bereich Extremismus-, Gewalt- und Radikalisierungsprävention durchgeführt wurde. Eine Auswertung dieser Anhörung fand in der 37. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz am 20.05.2015 statt.  Zudem tagte auf Einladung des Senators für Inneres und Sport am 27.05.2015 erstmals ein Runder Tisch mit Vertreterinnen und Vertretern der Berliner Senatsverwaltungen sowie Expertinnen und Experten Freier Träger aus dem Bereich Gewalt- und Extremismusprävention , um über eine gemeinsame Präventions- und Deradikalisierungsstrategie zu beraten . Bei den Gesprächsteilnehmerinnen und Gesprächsteilnehmern des Runden Tisches bestand Einigkeit darüber, die in Berlin bestehende Vielzahl an Projekten und Einzelmaßnahmen verstärkt aufeinander abzustimmen und langfristig finanziell durch Haushaltsmittel zu fördern. Die Art und Weise der künftigen Einbeziehung der Akteurinnen und Akteure und ihrer Präventions- und Deradikalisierungskonzepte in das sich derzeit noch im Aufbau und Abstimmungsprozess befindliche Berliner Landesprogramm Radikalisierungsprävention ergibt sich zum einen aus den darin genannten Zielformulierungen. So ist dort als Ziel genannt, die Gesamtheit der im Land Berlin bestehenden und von verschiedenen Zuwendungsgeberinnen und Zuwendungsgebern teil- oder gesamtfinanzierten Initiativen, Projekte und Maßnahmen zu bündeln , mit- und aufeinander abzustimmen und die jeweiligen Projektträger, Akteurinnen und Akteure strukturell miteinander zu vernetzen. Auf diese Weise sollen Synergieeffekte erzeugt, relevante Schnittstellen sowie thematische Arbeits- und Schwerpunktbereiche identifiziert, konkretisiert und ggf. in kooperativer Zusammenarbeit erweitert werden. Damit wird sichergestellt, dass die schon existierenden Projektstrukturen berücksichtigt und die sich bereits bewährten Handlungsansätze der Akteurinnen und Akteure bei der Weiterentwicklung des Landesprogramms als Berliner Präventions- und Interventionsstrategie aufgegriffen und ausgebaut werden. Zum anderen ist eine kontinuierliche Einbindung verschiedener Akteurinnen und Akteure aus Praxis und Wissenschaft im Rahmen der durch das Berliner Landesprogramm Radikalisierungsprävention vorgesehenen Begleitgremien für dessen Fortschreibung beabsichtigt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 16 734 3 6. Ist eine senatsgeführte Koordinierungsstelle geplant ? Zu 6.: Als Ergebnis des Runden Tisches wurde die Landeskommission Berlin gegen Gewalt mit der Entwicklung einer gesamtstädtischen und ressortübergreifenden Präventions- und Deradikalisierungsstrategie in Form des Berliner Landesprogramms Radikalisierungsprävention beauftragt. Die Koordinierung des Landesprogramms wird ab dem 01.01.2016 durch die neu zu schaffende „Landeskoordinierungsstelle Radikalisierungsprävention“ unter Federführung der Landeskommission Berlin gegen Gewalt erfolgen. 7. Wie wird ein berlinweites und/oder bezirkliches Präventionsnetzwerk sichergestellt und wird angestrebt, dass die zukünftig an einer bzw. mehreren Berliner Universitäten auszubildenden Imame Teil dieses Präventionsnetzwerkes werden? Zu 7.: Da das Konzept noch nicht beschlossen ist, kann zum derzeitigen Zeitpunkt hierzu noch nicht berichtet werden. In den noch zu beschließenden Gremien sind auch Vertreterinnen und Vertreter von Moscheegemeinden vorgesehen. 8. Wie wird sichergestellt, dass es eine enge präventive Zusammenarbeit zwischen Schulen, Jugendämtern, Jugendrichterinnen und -richtern und der Staatsanwaltschaft geben und in diesem Rahmen die Präventionsarbeit von nachweislich nicht salafistisch geprägten Moscheevereinen integriert wird? Zu 8.: Da das Konzept noch nicht beschlossen ist, kann zum derzeitigen Zeitpunkt hierzu noch nicht berichtet werden. Es sollen noch zu beschließende Vernetzungsgremien gebildet werden. 9. Wie wird sichergestellt, dass sich zukünftig unter anderem Lehrkräfte, Jugendsozialarbeiterinnen und - arbeiter sowie Jugend- und Familienzentren an eine Experten -Beratungsstelle wenden können? Zu 9.: Da das Konzept noch nicht beschlossen ist, kann zum derzeitigen Zeitpunkt hierzu noch nicht berichtet werden. 10. Wie wird sichergestellt, dass Lehrkräfte, Jugendsozialarbeiterinnen und -arbeiter sowie Jugend- und Familienzentren jeweils besser auf den Umgang mit radikalisierten Argumenten und Gedankengut vorbereitet werden ? Zu 10.: Es bestehen bereits Angebote für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die z.B. vom Träger Ufuq e.V. angeboten werden. Da das Konzept noch nicht beschlossen ist, kann zum derzeitigen Zeitpunkt hierzu noch nicht berichtet werden. 11. Wie wird sichergestellt, dass das Thema Islam und islamistische Radikalisierung und der interreligiöse Dialog in der Schule und im Unterricht eine stärkere Rolle spielt? Zu 11.: Entsprechende Maßnahmen sind in dem noch zu beschließenden Konzept vorgesehen. 12. Wie wird sichergestellt, dass die Biografien der in der Vergangenheit radikalisierten Jugendlichen sollen untersucht werden, um systematisch herauszufinden, in welchen Lebenslagen eine Radikalisierung erfolgt und welche Form der Prävention bzw. Intervention hilfreich sein kann, um Radikalisierung zu verhindern? Zu 12.: Da das Konzept noch nicht beschlossen ist, kann zum derzeitigen Zeitpunkt hierzu noch nicht berichtet werden. 13. Wie wird eine Evaluation des ressort- und organisationsübergreifenden Landesprogramms gewährleistet? Zu 13.: In dem noch zu beschließenden Konzept sind Mittel für eine wissenschaftliche Begleitung sowie ein ressortübergreifender Qualitätszirkel vorgesehen. Berlin, den 13. August 2015 In Vertretung Andreas Statzkowski Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Aug. 2015)