Drucksache 17 / 17 015 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Gregor Költzsch (SPD) vom 09. September 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. September 2015) und Antwort Hostelgutscheine für Flüchtlinge – Funktionsweise, Kosten und Verbesserungspotentiale Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Der Zuzug von Asylbegehrenden nach Berlin stellt sich im bisherigen Jahresverlauf wie folgt dar: Monat Maßgebende BAMF-Prognose vom Erwarteter Zuzug Berlin nach BAMFPrognose Tatsächlicher Zuzug Berlin Januar 19.09.2014 960 1.540 Februar 18.02.2015 1.250 1.948 März 1.250 1.617 April 1.250 1.666 Mai 07.05.2015 1.875 1.898 Juni 1.875 2.831 Juli 1.875 4.146 August 1.875 5.349 Januar bis August 12.210 20.995 Juni bis August 5.625 12.362 BAMF = Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Diese Statistik macht deutlich, dass die Anzahl der tatsächlich in Berlin aufgenommenen Personen nahezu während des gesamten Jahres signifikant höher ausfiel als vom BAMF gemäß § 44 Absatz 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) prognostiziert worden war. Lediglich im Mai entsprach das reale Asylaufkommen etwa der Einschätzung des Bundes. Insbesondere fällt aber der sprunghafte Anstieg der Zuzugszahlen – ausgehend von einem bereits deutlich höheren Niveau als im Vorjahr – in der zweiten Jahreshälfte auf, wodurch bereits im Juli das Doppelte der auf Grund der Bundesprognose erwarteten Zahl übertroffen und im August sogar annährend das Dreifache der erwarteten Größenordnung erreicht worden ist. Mit 12.362 aufgenommenen Personen allein in den Monaten Juni bis August 2015 wurde das gesamte Aufkommen des Vorjahres (12.227 Personen) in lediglich drei Monaten übertroffen. Diese Zahlen illustrieren, weshalb sich die Versorgung aller in Berlin eintreffenden Asylsuchenden mit einem Platz in einer Aufnahmeeinrichtung derzeit als eine kaum noch zu bewältigende Aufgabe darstellt, so dass Berlin die seitens der Bundesländer an den Bund gerichtete dringliche Forderung, sich in angemessenem Umfang an der Erstaufnahme von Asylsuchenden zu beteiligen, nachdrücklich unterstützt. Um gleichwohl alle auf Landesebene verfügbaren Ressourcen zu bündeln und nutzbaren Potentiale zu erschließen , beschloss der Senat am 11.08.2015 u. a. die Einrichtung eines landesweiten Koordinierungsstabes Flüchtlingsmanagement (LKF) unter Federführung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. Dieses Gremium soll das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben unterstützen, insbesondere bei der Erstaufnahme von Anträgen im Asylverfahren und der Unterbringung von Flüchtlingen. Die Einrichtung dieses Gremiums bildet das Kernstück eines vom Senat initiierten Sofortprogramms, welches die administrativen und organisatorischen Voraussetzungen dafür schaffen soll, dass Berlin - ungeachtet der immens angestiegenen Zuzugszahlen - der Herausforderung , alle aufgenommenen Flüchtlinge angemessen unterzubringen und zu versorgen, gerecht werden kann. Eines der vom LKF zu koordinierenden Themenfelder betrifft dabei den zügigen Ausbau der Unterkunftskapazitäten vorrangig durch die kurzfristige Inbetriebnahme weiterer Notunterkünfte. Durch intensive Bemühungen der im LKF kooperierenden Stellen ist es gelungen, die Kapazität für die Unterbringung von Asylsuchenden binnen weniger Wochen um rund 9.000 Plätze zu erhöhen und damit gegenüber dem Stand im Sommer um mehr als die Hälfte zu erhöhen: Mit Stand 22.09.2015 stehen insgesamt schon rd. 24.100 Plätze in 79 Einrichtungen zur Verfügung. Gleichzeitig konnte die Anzahl der in Hostels o. ä. Beherbergungsbetrieben provisorisch einquartierten Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 015 2 Personen im Vergleich zum Höchststand um nahezu ein Drittel reduziert werden. Seit Jahresbeginn konnte die landesweite Kapazität damit in erheblichem Umfang, nämlich über 10.000 Plätze bzw. 24 Unterkünfte ausgebaut werden. Die Schaffung zusätzlicher Plätze steht mit höchster Priorität laufend auf der Agenda des LKF. Gleichwohl kann als Folge des anhaltend sehr hohen Asylzuzugs zumindest derzeit noch nicht zur Gänze auf die Nutzung von freien Plätzen in Hostels o. ä. Beherbergungsbetrieben verzichtet werden, um Obdachlosigkeit bei den neu eintreffenden Flüchtlingen zu vermeiden und für alle in Berlin aufzunehmenden Personen eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten. 1. Nach welcher grundlegenden Systematik erfolgt in Berlin die Zuweisung von Hostelgutscheinen an Flüchtlinge ? Wer entscheidet nach welchen Kriterien, wer diese Gutscheine erhält? 2. Wann und wie werden diese Gutscheine an die Flüchtlinge verteilt und innerhalb welchen Zeitraumes müssen sie genutzt werden? 3. Auf welche Weise werden die Betroffenen informiert , in welchen Hostels o.ä. Einrichtungen sie die Gutscheine einlösen können? 4. Welche Hilfestellung erhalten die Betroffenen bei der Suche nach diesen Einrichtungen, bei der Kontaktaufnahme und bei der Beförderung zu diesen Einrichtungen? 8. Wie geht die Verwaltung mit Flüchtlingen um, die mit einem solchen Gutschein auf die Suche geschickt werden und dennoch keine Unterkunft finden? Zu 1. bis 4. und 8.: Die Ausgabe einer Kostenübernahmebescheinigung für die Einquartierung in ein Hostel oder einen ähnlichen Beherbergungsbetrieb erfolgt nur dann, wenn zum Zeitpunkt der Meldung als Asylbewerberin /Asylbewerber kein Platz in einer Aufnahmeeinrichtung bzw. Notunterkunft bereitgestellt werden kann und der/die Asylbegehrende erklärt, auch nicht vorübergehend bei in Berlin lebenden Bezugspersonen (Verwandte oder Bekannte) unterkommen zu können. Es handelt sich somit um eine behelfsmäßige Maßnahme , um ungeachtet der in der Vorbemerkung dargestellten Zuzugsentwicklung und der daraus resultierenden angespannten Belegungssituation Obdachlosigkeit zu vermeiden. Bei der Ausgabe der Kostenübernahmebescheinigungen werden die Asylbegehrenden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbegehrende (ZAA) entsprechend informiert. Im Bedarfsfall erfolgt eine weitergehende Beratung durch den Sozialdienst des LAGeSo, welcher in Einzelfällen auch bei der Hostelsuche behilflich ist, sofern die Betroffenen angeben, kein freies Hostel gefunden zu haben. Die Kostenübernahmebescheinigungen werden nach Maßgabe der tagesaktuellen Gegebenheiten mit einer Laufzeit von zehn Tagen und rund acht Wochen ausgestellt . 5. Wie viele Hostelgutscheine wurden in den Jahren 2012 bis 2015 jährlich ausgegeben und wie hoch ist der prozentuale Anteil der Flüchtlinge, die einen solchen Gutschein erhalten hat, in Bezug auf die Gesamtzahl der Flüchtlinge in Berlin pro Jahr (bitte tabellarische Darstellung )? 6. Welche statistischen Daten liegen dem Senat hinsichtlich der Hostelsuche vor? Wie viele der ausgegebenen Gutscheine werden tatsächlich eingelöst und wie viele der Flüchtlinge mit Gutscheinen finden keine Unterkunft in Hostels o.ä. Einrichtungen? Zu 5. und 6.: Die Ausgabe von Kostenübernahmen in den Jahren 2012 bis 2015 ist statistisch nicht erfasst worden . Mit Stand 22.09.2015 waren rund 1.400 Personen in Hostels o. ä. Beherbergungsbetrieben untergebracht. Diese Zahl setzt sich zusammen zum einen aus der Anzahl der Personen, die zum Stichtag auf Grund der mit einigen Betreiberinnen und Betreibern vereinbarten festen Kontingente in diesen Häusern untergebracht worden sind. Zum anderen geht in die ausgewiesene Belegung auch jener Anteil der von der Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin für Asylbewerber (ZAA) ausgegebenen Kostenübernahmen ein, der tatsächlich von den Berechtigten zur Einquartierung in ein Hostel oder eine Pension genutzt wurde und dessen Rücklauf durch den Beherbergungsbetrieb bis zum jeweiligen Stichtag erfolgt ist. Weitergehende statistische Erkenntnisse liegen zum Fragegegenstand nicht vor. 7. In wie vielen Fällen haben sich in den Jahren 2012, 2013, 2014 und 2015 Hostels geweigert, Gutscheine anzunehmen und welche Gründe wurden dafür angegeben? Zu 7.: Dem LAGeSo liegen hierzu keine konkreten Erkenntnisse vor. 9. Wie ist der Prozess der Bezahlung der eingelösten Gutscheine an die Hostels geregelt? Wie bewertet der Senat die öffentliche Kritik am LAGeSo hinsichtlich der nicht zeitnahen Auszahlung eingelöster Gutscheine an die Betreiber? 10. Welche Schritte plant der Senat, um den gesamten Prozess von der Ausgabe bis zur Kostenerstattung im Interesse der Flüchtlinge sowie im Interesse einer effizienten Verwaltung zu optimieren? Zu 9. Und 10.: Die Beherbergungsbetriebe rechnen die für die Unterbringung der Asylsuchenden entstandenen Kosten mit dem LAGeSo schriftlich ab. Als Folge der in der Vorbemerkung dargestellten Situation war es dem LAGeSo ungeachtet aller Bemühungen der zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 015 3 nicht möglich, mit den bisher verfügbaren Personalressourcen eine termingerechte Begleichung der Rechnungen von Hostels und ähnlichen Beherbergungsbetrieben zu gewährleisten. Die in der Antwort auf Frage 7 der Schriftlichen Anfrage 17/15713 vom 10.03.2015 dargestellten Anstrengungen laufen unvermindert fort, wobei die im LAGeSo für die Abrechnungen zuständige Organisationseinheit um eine Stelle und zehn Beschäftigungspositionen verstärkt wurde. Davon sind z. Z. fünf Beschäftigungs-positionen besetzt, bei vier weiteren steht das Besetzungsverfahren unmittelbar vor dem Abschluss. Der Senat geht davon aus, dass die Bereitschaft von Hostelbetreiberinnen und Hostelbetreibern, Flüchtlinge aufzunehmen, wieder zunimmt, sobald durch die intensiven Bemühungen des LAGeSo, die Außenstände zügig abzuarbeiten, Zahlungsrückstände vermieden werden können. 11. Wie bewertet der Senat den Vorschlag, registrierte Hostelbetreiber um Angebote für feste Platzkontingente für Flüchtlinge zu bitten, denen kurzfristig keine andere angemessene Unterkunft zur Verfügung gestellt wird? Zu 11.: Das LAGeSo hat bereits mit neun Betreiberinnen und Betreibern von Hostels o. ä. Beherbergungsbetrieben Kontingentvereinbarungen über die Unterbringung von Asylbegehrenden abgeschlossen und strebt den Abschluss derartiger Vereinbarungen mit weiteren Betreiberinnen und Betreibern an. 12. Wie hoch waren die Ausgaben des Landes Berlin für die Hostelgutscheine in den Jahren 2012, 2013, 2014 und 2015? Zu 12.: Es wurden Mittel in folgender Höhe verausgabt : 2012: entfällt 2013: rd. 38.000 Euro 2014: rd. 6.000.000 Euro 2015: rd. 18.000.000 Euro (Stand 18.09.2015). 13. Geht der Senat davon aus, dass die im Haushalt veranschlagten Mittel für die Hostelgutscheine in den kommenden zwei Jahren hinreichend sein werden? Zu 13.: Die künftig benötigten Mittel sind von mehreren Einflussfaktoren abhängig, welche nur schwer auf valider Grundlage prospektiv bestimmt werden können. Dies gilt insbesondere für die Zuzugsentwicklung einschließlich der Anteile der verschiedenen Herkunftsländer (welche sich im Hinblick auf unterschiedliche Erfolgsaussichten des Asylverfahrens auf die Bleibeperspektive und damit den Unterkunftsbedarf auswirken). In diesem Zusammenhang kommt auch der auf Bundesebene derzeit angestrebten Rechtsänderung durch ein Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz Bedeutung zu. Ferner ist zu berücksichtigen , dass es sich – wie bei der Antwort zu 1. bis 4. und 8. ausgeführt wurde – bei der Unterbringung in Hostels o. ä. Beherbergungsbetrieben um eine provisorische Maßnahme zur Vermeidung von Obdachlosigkeit handelt und der Senat anstrebt, hierauf perspektivisch verzichten zu können. Dies soll vorrangig durch einen zügigen Ausbau der Kapazitäten durch Inbetriebnahme weiterer Notunterkünfte ermöglicht werden, was eine primäre Aufgabenstellung des (LKF) darstellt. Durch die hierbei bereits erreichten Erfolge bei der Akquise zusätzlicher Unterkünfte – wie in der Vorbemerkung beschrieben – konnte die Zahl der in Hostels untergebrachten Personen ungeachtet der sehr hohen Zuzugszahlen der vergangenen Wochen nahezu konstant gehalten werden. Vor diesem Hintergrund entsprechen die im Haushaltsplan 2016/2017 eingestellten Ansätze den zum Aufstellungszeitpunkt erwarteten Ausgaben für die Unterbringung von Asylbegehrenden. Das weitere Verfahren der Beratungen zum Doppelhaushalt bleibt abzuwarten. Berlin, den 02. Oktober 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Okt. 2015)