Drucksache 17 / 17 022 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marion Platta und Hakan Taş (LINKE) vom 15. September 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. September 2015) und Antwort Freiwillige Flüchtlingshilfe statt staatlich garantierter Leistungen in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat das freiwillige Engagement in der Flüchtlingshilfe in Berlin, ohne das die humanitäre Krise in den Bereichen der Flüchtlingsunterbringung, - unterstützung und -betreuung auf dem LAGeSo-Campus und in den Unterkünften etc. noch viel größer wäre? Zu 1.: Das Engagement der Berlinerinnen und Berliner ist für den Berliner Senat von unschätzbarem Wert. Die aktuelle Situation zeigt, dass das bürgerschaftliche Engagement auch in dieser besonderen Situation als etablierte Säule des Gemeinwesens steht. Die Zahl der Flüchtlinge , die Berlin aufnimmt, ist sehr hoch und wird auch in absehbarer Zeit nicht sinken. Die Integration dieser Personen ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe für die gesamte Stadt, die weit über die Erstversorgung und Unterbringung hinausgeht. Um diese Integration von Beginn an leisten zu können, ist das Land Berlin auf die Unterstützung der vielen Freiwilligen und ihrer Unterstützernetzwerke angewiesen. 2. Wie viele Menschen engagieren sich nach Kenntnis /Schätzung des Senats freiwillig in der Flüchtlingshilfe Berlin? Zu 2.: Dem Senat ist keine Schätzung der Anzahl der Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe in Berlin bekannt. Aufgrund der Vielzahl von Bündnissen, die teilweise nach wie vor stetig neu gegründet, fusioniert oder auch aufgelöst werden, ist ein Überblick nur schwer möglich. Derzeit sind dem Berliner Senat knapp 150 Bündnisse bekannt . 3. Welche Angebote von Freiwilligen und Freiwilligen -Gruppen gibt es nach Kenntnis des Senats derzeit in den Bereichen der Flüchtlingsunterbringung, -unterstützung und -betreuung in Berlin (bitte nach Gruppe, Angebot und ggf. Einrichtung aufschlüsseln)? Zu 3.: Im Umfeld jeder Flüchtlingsunterbringung existiert ein sehr heterogenes Netz an vielfältigen Initiativen, welches eine sehr große Vielfalt an Angeboten bereithält. Da dieses Engagement nicht zentral gesteuert wird, sondern sich vor allem mittels sozialer Medien selbst organisiert , ist es dementsprechend dynamisch und ständig in Veränderung begriffen. Ein Gesamtüberblick über alle Gruppen mit deren Angeboten für Berlin existiert nicht. Auf dem Internetportal der Senatskanzlei bürgeraktiv: (http://www.berlin.de/buergeraktiv/engagieren/fuerfluechtlinge /berliner-initiativen/) werden aktuell knapp 150 Initiativen aufgelistet. Diese Auflistung wird beinahe täglich ergänzt. 4. In welchen Bereichen der Flüchtlingsunterbringung, -unterstützung und -betreuung übernehmen Freiwillige und Freiwilligen-Gruppen derzeit staatlich garantierte Leistungen in Berlin, etwa bei der Erstausstattung, der medizinischen Versorgung, der Versorgung von Asylsuchenden mit Nahrungsmitteln oder bei der Betreuung von Flüchtlingskindern etc. (bitte aufschlüsseln nach Bereich, Ort und Grund)? Zu 4.: Aufgrund des enormen Flüchtlingszustroms nach Berlin müssen die zur Unterbringung notwendigen neuen Einrichtungen bereits nach sehr kurzer Vorlaufzeit in Betrieb genommen werden. Daher ist es für die Betreiberinnen und Betreiber nicht immer möglich, bereits zur Inbetriebnahme der Einrichtung alle notwendigen Ausstattungs - und Versorgungsmittel vollumfänglich bereit zu stellen. Ähnliche Anlaufschwierigkeiten gibt es teilweise hinsichtlich der zeitnahen Einstellung geeigneten Personals, z. B. zur Kinderbetreuung in den Einrichtungen . Ergänzend zur Lebensmittelversorgung in den Einrichtungen wurden Flüchtlinge während der Wartezeiten beim Einchecken bzw. auf dem Gelände der Turmstraße und während der Ankunft bzw. dem Umstieg am Bahnhof in die bereitgestellten Busse von Ehrenamtlichen mit Snacks und Getränken versorgt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 022 2 Die gesundheitliche Versorgung in einigen Notunterkünften wird ergänzend auf ehrenamtlicher Basis geleistet . 5. Wie hoch schätzt der Senat die finanziellen Einsparungen für das Land Berlin durch das freiwillige Engagement in der Flüchtlingshilfe? Zu 5.: Der Senat ist der Auffassung, dass sich die Bereitstellung staatlicher Leistungen (Unterkunft, Betreuung , Zugang zur Krankenversorgung u. a.) und die Leistungen der Ehrenamtlichen in ihrem unschätzbaren Beitrag zu einer gesamtgesellschaftlich geprägten Willkommenshaltung in idealer Weise ergänzen. Er ist außerordentlich dankbar, dass dadurch die große Herausforderung der Flüchtlingsaufnahme als gemeinsame Aufgabe verstanden wird und lösungsorientiert trotz des hohen Bedarfs in kurzer Zeit ein menschenwürdiges Angebot realisiert werden kann. 6. Welche Unterstützung bietet der Senat den in der Flüchtlingshilfe engagierten Freiwilligen und Freiwilligen -Gruppen derzeit? Zu 6.: Im Jahr 2015 sind insgesamt sechs Stadtteilzentren im Rahmen des Projektes Willkommenskultur und lebendige Nachbarschaft tätig. Jeweils aufbauend auf bestehende Strukturen der etablierten und bereits gut vernetzten Nachbarschaftshäuser konnten so mit vergleichsweise geringen Fördersummen (jeweils ca. 20.000 €) in sehr kurzer Zeit spürbare Wirkungen erzielt werden. Diese erfolgreiche Arbeit soll im kommenden Doppelhaushalt verstetigt und auf weitere Standorte ausgeweitet werden. Einen besonderen Schwerpunkt wird dabei die Unterstützung und mittelfristige Sicherung des Engagements der regionalen Willkommens- und Hilfsbündnisse darstellen. Mit Einrichtung der „Arbeitsgruppe Koordination Ehrenamt “ im Rahmen des Landesweiten Koordinierungsstabes Flüchtlingsmanagement (LKF) wurde eine Struktur geschaffen, die sich gezielt um die Verbesserung des Matchings von Engagementwilligen und Einsatzorten /Bedarfen vor Ort kümmert. Dazu wurde eine wöchentlich tagende Arbeitsgruppe (AG) gegründet, bestehend aus Vertreterinnen und Vertreter z. B. des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin (DPW), Verband für sozial-kulturelle Arbeit e. V. (VskA), bezirklicher Ehrenamtskoordinatorinnen und Ehrenamtskoordinatoren, Landesfreiwilligenagentur (LAGFA), Senatskanzlei, Stiftung Gute Tat. Diese AG lädt themenbezogen weitere wichtige Akteurinnen und Akteure, wie z. B. weitere Hauptverwaltungen, die bezirklichen Ehrenamts-Koordinatorinnen und EhrenamtsKoordinatoren , Vertreterinnen und Vertreter lokaler Hilfsbündnisse, Kirchen und Religionsgemeinschaften bzw. Moscheevereine hinzu. Ein weiteres angestrebtes Ziel ist es, den Bündnissen, Initiativen und Organisationen die strukturellen Vorrausetzungen für das Wirken und Gestalten zu verbessern bzw. zu schaffen. Im Rahmen eines Projektes wird die Homepage eines lokalen Hilfsbündnisses so weiterentwickelt, dass sie zukünftig allen Berliner Hilfsbündnissen, Stadtteilzentren, Trägern und Vereinen die sich mit der Koordinierung von Ehrenamtlichen und Sachspenden beschäftigen, als Open Source kostenlos zur Verfügung gestellt werden kann. Des Weiteren arbeitet der LKF an der Einrichtung eines zentralen Spendensammellagers. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales nutzt seit Mitte September 2015 soziale Medien um die Öffentlichkeit zu informieren und um die wertvolle Arbeit der Freiwilligen mit Informationen zu unterstützen. 7. Wie werden Angebote, insbesondere Qualifizierungsmaßnahmen , für Freiwillige organisiert, damit deren Hilfe durch den Kontakt zu besonders Schutzbedürftigen nicht in Eigengefährdung umschlägt? Zu 7.: Ein Arbeitsschwerpunkt der „Arbeitsgruppe Koordination Ehrenamt“ im Rahmen des LKF ist die Sicherstellung von vielfältigen und abgestuften Informations - und Weiterbildungsmöglichkeiten für freiwillige Helferinnen und Helfer und Unterstützerinnen und Unterstützer im Umfeld der Flüchtlingseinrichtungen. Beginnend bei niedrigschwelligen mehrstündigen Informationsveranstaltungen durchgeführt z. B. von der Stiftung Gute Tat und/oder den Ehrenamtskoordinatorinnen und Ehrenamtskoordinatoren vor Ort über Weiterbildungsangebote der bezirklichen Volkshochschulen zum Themenkomplex ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge (z. B. VHS Tempelhof-Schöneberg), Arabisch-Sprachkurse (VHS Friedrichshain-Kreuzberg) bis hin zur Konzipierung von Fortbildungsmodulen (z. B.an der Paritätischen Bundesakademie bzw. der Akademie für Ehrenamt) werden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern die bestehenden Angebote vernetzt bzw. neue Formate entwickelt. Ein weiteres wichtiges Ziel ist der geplante Aufbau eines Supervisions- bzw. Mediatorenpools im Rahmen der Tätigkeit der o. g. AG Koordination Ehrenamt. 8. Plant der Senat zur Unterstützung der Freiwilligen in der Flüchtlingshilfe die Einrichtung einer bzw. mehrerer durch Hauptamtliche besetzte Koordinierungsstellen? Wenn ja, wo sollen diese angesiedelt werden, und wie viele Hauptamtliche sind dafür vorgesehen? Wenn nein, warum nicht? Zu 8.: Zur Sicherung der Bewältigung des zusätzlichen Aufkommens im Zusammenhang mit der Unterbringung der Flüchtlinge und Asylsuchenden sowie deren Betreuung sind im Januar 2015 durch die Senatsverwaltung für Finanzen je Bezirk zwei zusätzliche Beschäftigungspositionen befristet bis 31.12.2016 außerhalb der vereinbarten Personalzielzahl bewilligt worden. Des Weiteren wird geprüft, ob entsprechende Personalstellen in den Flüchtlingseinrichtungen eingerichtet werden sollten um den Einsatz der Ehrenamtlichen in der Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 022 3 Einrichtung und die Koordination mit den Partnern im Sozialraum zu verbessern. 9. Sind Freiwillige, die sich in den Bereichen der Flüchtlingsunterbringung, -unterstützung und -betreuung im Land Berlin engagieren, generell unfall- und haftpflichtversichert ? Wenn nein, nach welchen Kriterien ist die Freiwilligenarbeit in der Flüchtlingshilfe unfall- und haftpflichtversichert? Zu 9.: Viele bürgerschaftlich Engagierte sind bereits gesetzlich unfallversichert und über ihren Träger oder die Behörde, für die sie tätig sind, haftpflichtversichert. Damit sich auch bürgerschaftlich Engagierte in Nachbarschaftshilfen , Selbsthilfegruppen oder in kleinen, rechtlich unselbständigen Bürgerinitiativen der solidarischen Unterstützung in Schadensfällen sicher sein können, hat der Berliner Senat eine pauschale Haftpflicht- und eine pauschale Unfall-Sammelversicherung abgeschlossen. Als Auffanglösung gelten diese Verträge nachrangig: Leistungen werden nur erbracht, soweit das Haftpflicht- oder Unfallrisiko nicht anderweitig abgesichert ist. Initiativen, Gruppen oder Projekte müssen sich dazu nicht gesondert anmelden. Die Kosten der Sammelversicherungen trägt das Land Berlin als Dank an alle Berlinerinnen und Berliner , die sich in ihrer Freizeit für unsere Gesellschaft engagieren , und zur Ermutigung für weiteren selbstlosen ehrenamtlichen Einsatz. 10. Inwiefern werden von Freiwilligen erbrachte Sachspenden (Kleidung, Nahrungsmittel, Erstausstattung, Ausrüstungsgegenstände für Notunterkünfte/Zeltlager etc.) sowie Zeitspenden (Essenszubereitung und -ausgabe, medizinische Versorgung, Kinderbetreuung etc.) bei der Erstattung von Kosten an Heimbetreiber bzw. im Rahmen der Tagessatzkalkulation sowie bei Rückforderungen berücksichtigt? Zu 10.: Die Zuwendungen/Spenden privater Dritter an die Bewohnerinnen und Bewohner einer Unterkunft für Asyl suchende Menschen und Flüchtlinge werden nicht angerechnet. 11. Trifft es zu, dass Heimbetreiber die Ausstattung der Gemeinschaftsräume (Aufenthaltsräume, Fernsehräume , Küche etc.) vom LAGeSo nicht bzw. nur teilweise finanziert erhalten und Tische, Stühle, Tafel, Fernseher etc. selbst finanzieren oder durch Sachspenden aufbringen müssen? Wenn ja, warum? Zu 11.: Nein. Berlin, den 02. Oktober 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Okt. 2015)