Drucksache 17 / 17 061 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 15. September 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. September 2015) und Antwort Organisierte Kriminalität in Berlin – Menschenhandel, Zwangsprostitution und Sperrbezirke Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Fälle von Menschenhandel sind seit 2010 bis heute in Berlin polizeilich bekannt bzw. aktenkundig geworden? (Auflistung erbeten.) Zu 1.: Da bei Bekanntwerden von Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Straftat grundsätzlich ein Strafermittlungsverfahren eingeleitet wird, sind alle polizeilich bekannt gewordenen Fälle von Menschenhandel auch aktenkundig . Statistische Erhebungen hierzu werden im Bundeslagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes jährlich veröffentlicht. Nachfolgende Statistik ist den Lagebildern des Landeskriminalamtes Berlin (LKA) der vergangenen Jahre für Berlin entnommen und bildet alle im jeweiligen Jahr dort geführten Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Menschenhandels (§§ 232, 233 und 233a des Strafgesetzbuches (StGB)) ab: Jahr Ermittlungsverfahren des LKA Berlin 2010 66 2011 76 2012 64 2013 84 2014 66 2. Kam es bei den bekannten Fällen zur Strafverfolgung und Verurteilung von Tätern? (Wenn ja, wann und in welcher Höhe wurden hierbei Haftstrafen verhängt?) Zu 2.: In der Strafverfolgungsstatistik der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (SenJustV) sind für das Deliktsfeld Menschenhandel folgende Verurteilungen zu Freiheitsstrafen in Strafverfahren wegen §§ 232, 233 und 233a StGB in Berlin erfasst: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 061 2 2010 2011 2012 2013 2014 Menschenhandel (§§ 232, 233 233a StGB) insgesamt Verurteilte (nur Freiheitsstrafen) 13 3 2 4 3 darunter zu: Freiheitsstrafe ohne Bewährung 5 1 2 davon zu mehr als 1 Jahr bis einschl. 2 Jahre 1 als 2 Jahre bis einschl. 3 Jahre 1 als 3 Jahre bis einschl. 5 Jahre 5 1 Jugendstrafe ohne Bewährung 1 davon zu mehr als 9 Monate bis einschl. 1 Jahr 1 Freiheitsstrafe mit Bewährung 7 3 2 3 1 davon zu 6 Monaten 1 mehr als 6 Monate bis einschl. 9 Monate 1 1 1 mehr als 9 Monate bis einschl. 1 Jahr 2 mehr als 1 Jahr bis einschl. 2 Jahre 4 2 1 2 1 3. Wie hoch schätzt das Landeskriminalamt Berlin die Dunkelziffer im Bereich der Zwangsprostitution in Berlin ein? Zu 3.: Die Polizei Berlin kann hierzu keine belastbaren Angaben machen. 4. Welche Rolle spielen dabei die legalen und illegalen Bordelle in Berlin? 5. Welche Unterscheidung nimmt das Landeskriminalamt Berlin bzgl. legaler und illegaler Bordelle in Berlin vor? Zu 4. und 5.: Da für den Betrieb von Bordellen keine gewerberechtlichen Verpflichtungen bestehen, liegen dem Senat keine belastbaren Zahlen über deren tatsächliche Anzahl vor. Als „illegale“ Bordelle können demzufolge lediglich solche beschrieben werden, die gegen bestehende Bestimmungen verstoßen. Bei Bekanntwerden von Verstößen meldet die Polizei Berlin diese den zuständigen Behörden (z.B. Bezirksamt, Gesundheitsamt, Bauamt, Ordnungsamt ), welche erforderliche Maßnahmen im Rahmen der jeweils eigenen Zuständigkeit prüfen und ergreifen. 6. Welche rechtlichen Möglichkeiten hat das Landeskriminalamt Berlin diese Einrichtungen unverzüglich zu schließen? Welche Voraussetzungen müssen hierzu bei legalen und welche bei Illegalen Bordellen erfüllt sein? Zu 6.: Die Schließung eines Bordellbetriebes kann mittels einer gefahrenabwehrrechtlichen Verwaltungsverfügung angeordnet werden. Für den Erlass einer solchen Verfügung wären die Ordnungsbehörden zuständig, die Polizei nur dann, wenn die Abwehr der Gefahr durch die zuständige Ordnungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint (vgl. § 4 Absatz 1 Satz 1 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG Bln)). 7. Ist den Vermietern oftmals bekannt, dass es sich bei Vermietungen um illegale Bordelle handelt? Zu 7.: Belastbare Aussagen sind hierzu nicht möglich. 8. Welche strafrechtlichen Konsequenzen kann dies für Vermieter und Betreiber nach sich ziehen? Zu 8.: Das Betreiben eines Bordells bzw. das Vermieten von Räumlichkeiten dafür, ist an sich nicht strafbar, unabhängig vom Vorliegen einer gewerberechtlichen Erlaubnis. Sofern ein Anfangsverdacht für die Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 StGB) oder des gewerbsmäßigen Betreibens eines Bordells, in dem die Personen, die dort der Prostitution nachgehen, in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden (§ 180a StGB) besteht, ist aufgrund des Legalitätsprinzips gemäß § 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung von den Strafverfolgungsbehörden ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 061 3 9. Gibt es Schwerpunktortsteile in Berlin, in denen ein gehäuftes Auftreten von Zwangsprostitution bzw. Menschenhandel bekannt ist und um welche handelt es sich? Zu 9.: Die Tatorte von Zwangsprostitution und Menschenhandel korrespondieren grundsätzlich mit den bekannten örtlichen Strukturen von Bordellbetrieben. Als herausragend kann hierbei aufgrund des konzentrierten Auftretens einer großen Anzahl von Prostituierten der Bereich des etablierten Straßenstrichs rund um die Kurfürsten- / Bülowstr. in den Bezirken TempelhofSchöneberg und Mitte benannt werden. 10. Inwiefern spielen Gruppen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität, speziell aus dem Bereich der Rockerkriminalität und der sogenannten, vom Innensenator so betitelten, „kriminellen Clans“, eine Rolle beim Menschenhandel und Zwangsprostitution in Berlin? Zu 10.: Im Rahmen der unter Frage 1 aufgeführten Ermittlungsverfahren wurden durch die Polizei Berlin auch Tatverdächtige ermittelt, die dem „Rockermilieu“ zuzuordnen sind. Eine exponierte Stellung lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Die Familienzugehörigkeit von Straftätern unterliegt keiner statistischen Erfassung, weil gegen Straftäter unabhängig von ihrer Familienzugehörigkeit ermittelt wird. 11. Gibt es eine Aufteilung von Ortsteilen und Bezirken durch Tätergruppen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität? (Wenn ja, welche? Auflistung erbeten) Zu 11.: Eine solche Aufteilung ist der Polizei Berlin nicht bekannt. 12. Welche Konsequenzen hätte die Einführung eines Sperrbezirkes als Mittel gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution in Berlin? Zu 12.: Grundsätzlich erscheint die Einführung von Sperrgebieten nicht geeignet, Menschenhandel zu bekämpfen . Eine anzustrebende Förderung der Aussagebereitschaft von Zeuginnen und Zeugen ist mit einer derartigen Ausrichtung nicht zu erwarten. Die Einführung eines Sperrbezirkes würde aber gleichwohl zwingend auch die Festlegung von Toleranzzonen nach sich ziehen, in denen die Ausübung der Prostitution erlaubt wäre. Die Festlegung dieser Toleranzzonen könnte die Möglichkeit eröffnen, die bestehenden Hilfsangebote örtlich zu konzentrieren. 13. Sind die rechtlichen Voraussetzungen vorhanden, um einen Sperrbezirk in Berlin einzuführen? Wenn nicht, was spricht dagegen? Zu 13.: Mit Artikel 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) besteht eine bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von sogenannten Sperrgebietsverordnungen. Nach dieser Regelung könnte der Senat zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes durch Rechtsverordnung in bestimmten Gebieten verbieten, der Prostitution nachzugehen. 14. Gibt es bundesweit Beispiele, bei denen die Einrichtung eines Sperrbezirkes Erfolge gegen Organisierte Kriminalität und Zwangsprostitution gebracht haben? Zu 14.: Der Polizei Berlin sind Beispiele, bei denen ein entsprechender konkreter Zusammenhang beweissicher feststellbar ist, nicht bekannt. 15. Wohin können sich Betroffene und Opfer von Zwangsprostitution in Berlin vertrauensvoll wenden? Zu 15.: Grundsätzlich können sich Opfer von Straftaten an jede Polizeidienststelle wenden. Spezielle Ansprechpartner für Opfer von Menschenhandel oder Zuhälterei sind die Fachdienststellen des Landeskriminalamtes LKA 423 beziehungsweise LKA 424. In den Bezirksämtern stehen die Beratungsstellen für sexuell übertragbare Krankheiten als Ansprechpartner zur Verfügung. Darüber hinaus hat sich aufgrund ihrer überproportionalen Betroffenheit insbesondere für Frauen ein gut ausgebautes Netz an Beratungs- und sicheren Unterbringungsmöglichkeiten mit folgenden spezialisierten Einrichtungen etabliert: - Ban Ying e.V. (Beratungsstelle und Zufluchtswohnung ; www.ban-ying.de), - IN VIA (Beratungsstelle für Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind; www.inviaberlin .de/beratungsstellen-fuer-frauen-2.html), - Ona e.V. (Zufluchtswohnung; www.ona-berlin.de) sowie - SOLWODI (Beratungsstelle; www.solwodi.de). Für Jungen und Männer steht SUBWAY als Ansprechpartner zur Verfügung (www.subway-berlin.de). 16. Wie hoch schätzt das Landeskriminalamt Berlin den Umsatz ein, der durch Zwangsprostitution und Menschenhandel in Berlin jährlich generiert wird? Zu 16.: Der Polizei Berlin liegen hierzu keine belastbaren Erkenntnisse vor. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 061 4 17. Sind Fälle bekannt, in denen geflüchtete Frauen in Gemeinschaftsunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen abgefangen wurden, um dann der Prostitution zugeführt zu werden? (Wenn ja, wie viele?) Zu17.: Bislang sind der Polizei Berlin keine entsprechenden Fälle bekannt geworden. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen , dass sich die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen am 12.10.2015 mit der Informationsveranstaltung „Was tun bei Gewalt gegen Frauen?“ gezielt an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Flüchtlingsunterkünfte wendet, um sie unter anderem auch für dieses Themenfeld zu sensibilisieren. Berlin, den 06. Oktober 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Okt. 2015)