Drucksache 17 / 17 087 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (GRÜNE) vom 24. September 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. September 2015) und Antwort Rassistische Angriffe gegen Geflüchtete und Unterkünfte für Geflüchtete in Berlin 2015 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse hat der Senat über Angriffe/ Anschläge auf Geflüchtete und bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2015 (aktueller Stand zum Bearbeitungszeitpunkt) in Berlin, die im Definitionssystem "Politisch Motivierte Kriminalität" (PMK) erfasst sind? (Bitte tabellarisch nach Bezirk, Ort, Unterkunft, Datum, Phänomenbereich und Delikt aufschlüsseln.) Zu 1.: Grundlage für die Beantwortung der Anfrage bildet der „Kriminalpolizeiliche Melde-dienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK). Hierbei handelt sich entgegen der Polizeiliche Kriminalstatistik um eine Eingangsstatistik. Die Fallzählung erfolgt tatzeit-bezogen, unabhängig davon, wann das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde . Die folgenden statistischen Angaben stellen keine Einzelstraftaten der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) dar. Bei der Darstellung handelt es sich um Fallzahlen . Ein Fall bezeichnet jeweils einen Lebenssachverhalt in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit identischer oder ähnlicher Motivlage, unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen, Tathandlungen, Anzahl der verletzten Rechtsnormen oder der eingeleiteten Ermittlungsverfahren . Einem Fall können unter Umständen mehrere Themenfelder und Unterthemen zugeordnet werden. Deshalb lässt die Anzahl der Themenfeld- und Unterthemennennungen keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Fallaufkommen zu. Die Fallzahlen der PMK unterliegen bis zum Abschluss der Ermittlungen, ggf. bis zum endgültigen Gerichtsurteil , einer Bewertung gemäß der angenommenen Täter-motivation. Darüber hinaus können Fälle der PMK erst nach dem Statistikschluss bekannt und entsprechend gezählt werden. Deshalb kommt es sowohl unter- als auch überjährig immer wieder zu Fallzahlenänderungen. Um die Fallzahlen übersichtlich und in Teilbereichen vergleichbar darzustellen, er-folgt die Unterteilung in die Deliktsarten: - Gewaltdelikte, - Propagandadelikte und - sonstige Delikte. Zu den Gewaltdelikten zählen Tötungsdelikte, Körperverletzungen , Brand- und Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch , Gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft- , Bahn- und Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte sowie Sexualdelikte einschließlich Versuche. Unter Propagandadelikten werden das Verbreiten von Propagandamitteln und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen subsumiert. Die sonstigen Delikte beinhalten alle weiteren Strafrechtsnormen des Strafgesetzbuches sowie der Strafrechtsnebengesetze . Der Abfragezeitraum umfasst Januar bis September 2015. Für den angefragten Zeitraum sind noch nicht alle relevanten Straftaten im Rahmen des KPMD-PMK erfasst und bewertet worden. Aus diesem Grund liegen noch keine validen Fallzahlen vor. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 087 2 Um das Fallaufkommen gegen Unterkünfte für Asylbegehrende und geflüchtete Menschen trennscharf auswerten zu können, wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2014 das Unterthema „gegen Asylunterkünfte“ im bundesweit verbindlichen Themenfeld-katalog erstmals eingeführt . Dem Unterthema „gegen Asylunterkünfte“ werden Taten der PMK zugerechnet, die sich gegen jede Art der Unterkunft als direktes Angriffsziel aber auch gegen Personen innerhalb der Unterkunft richten. Als Unterkunft werden unter anderem bestehende, im Bau befindliche sowie geplante Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte und Wohnungen gewertet. Der Personenkreis umfasst z. B. Asylbegehrende, Asylberechtigte und Personen mit Flüchtlingsschutz. Sachverhalte im Unterthema „gegen Asylunterkünfte“ phänomenbereichübergreifend für das Jahr 2015 (Stand: 29. September 2015) Lfd. Nr. Zähldelikt Deliktsart Tatzeit Straße HausNr . Ortsteil Phänomen 1 § 303 StGB (Strafgesetzbuch ) sonstige 01.01.2015 03:51 Landsberger Allee 530 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts 2 § 303 StGB sonstige 03.01.2015 09:00 Karower Chaussee 21 13125 BerlinBuch PMK-rechts 3 § 303 StGB sonstige 14.01.2015 17:05 Landsberger Allee 530 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts 4 § 303 StGB sonstige 18.01.2015 12:00 Soorstr. 83 14050 BerlinWestend PMK-unklar 5 § 86a StGB Propaganda 21.01.2015 07:45 Radickestr. 76 12489 BerlinAdlershof PMK-rechts 6 § 185 StGB sonstige 26.01.2015 17:30 Otto-RosenbergStr . 10 12681 BerlinMarzahn PMK-rechts 7 § 303 StGB sonstige 31.01.2015 07:15 Schönagelstr. 70 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts Blumberger Damm 158 9 § 303 StGB sonstige 01.02.2015 Schneeberger Str. 17 12627 BerlinHellersdorf PMK-rechts 10 § 303 StGB sonstige 10.02.2015 00:01 Landsberger Allee 530 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts 11 § 303 StGB sonstige 22.02.2015 17:30 Neue Späthstr. 47 12359 BerlinBritz PMK-unklar 12 § 303 StGB sonstige 14.03.2015 03:15 Radickestr. 76 12489 BerlinAdlershof PMK-unklar 13 § 123 StGB sonstige 25.03.2015 19:47 Groscurthstr. 30 13125 BerlinBuch PMK-rechts 14 § 303 StGB sonstige 11.04.2015 06:00 Schönagelstr. 70 12679 BerlinMarzahn PMK-unklar 15 § 224 StGB Gewalt 20.04.2015 22:00 Groscurthstr. 29 13125 BerlinBuch PMK-rechts 16 § 303 StGB sonstige 26.04.2015 09:00 Maxie-WanderStr . 78 12619 BerlinHellersdorf PMK-unklar 17 § 303 StGB sonstige 30.04.2015 07:00 Schönagelstr. 70 12679 BerlinMarzahn PMK-unklar 18 § 303 StGB sonstige 10.05.2015 10:30 Kruppstr. 16 10557 BerlinMoabit PMK-rechts Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 087 3 19 § 123 StGB sonstige 15.05.2015 06:30 Schönagelstr. 70 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts 20 § 224 StGB Gewalt 17.05.2015 00:20 Soorstr. 82 14050 BerlinWestend PMK-rechts 21 § 303 StGB sonstige 25.05.2015 05:20 Schönagelstr. 70 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts 22 § 306a StGB Gewalt 12.06.2015 02:35 Soorstr. 83 14050 BerlinWestend PMK-rechts 23 § 185 StGB sonstige 23.06.2015 03:20 Hausvaterweg 21 13057 BerlinFalkenberg PMK-rechts 24 § 303 StGB sonstige 23.06.2015 05:00 Blumberger Damm (ehemals Schönagelstr.) 163 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts 25 § 126 StGB sonstige 01.08.2015 15:00 Mühlenstr. 33 13187 BerlinPankow PMK-rechts 26 § 306b StGB Gewalt 20.08.2015 23:45 Blumberger Damm (ehemals Schönagelstr.) 163 12679 BerlinMarzahn PMK-rechts 27 § 123 StGB sonstige 28.08.2015 10:50 Storkower Str. 139C Prenzlauer Berg PMK-rechts 28 § 306a StGB Gewalt 09.09.2015 00:10 Glambecker Ring 54 Marzahn PMK-rechts 29 § 86a StGB Propaganda 13.09.2015 01:00 Blumberger Damm 163 Marzahn PMK-rechts 30 § 224 StGB Gewalt 13.09.2015 02:50 Glambecker Ring 54 Marzahn PMK-rechts 31 § 111 StGB sonstige 19.09.2015 23:30 Georg-BenjaminStr . 57 Buch PMK-rechts 2. Welche Erkenntnisse hat der Senat über Organisatoren /Initiatoren dieser Angriffe/ Anschläge? Zu 2.: Die eingeleiteten polizeilichen Ermittlungen haben bisher keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung ergeben. 3. a)Welche Erkenntnisse hat der Senat über die Beteiligung der NPD, ihrer Organisationen bzw. Mitglieder der NPD oder ihrer Organisationen an Angriffen/Anschlägen auf Geflüchtete und bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte in Berlin? Zu 3. a): Im Jahr 2015 lagen keine konkreten Hinweise auf eine gezielte Beteiligung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), ihrer Organisationen bzw. von Mitgliedern der NPD an Straftaten im Sinne der Fragestellung vor. 3. b) Welche Erkenntnisse hat der Senat über die Beteiligung von Akteuren und Gruppen der Hooligan-Szene in Berlin an Angriffen/ Anschlägen auf Geflüchtete und bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte in Berlin ? Zu 3. b): Bei Hooligans handelt es sich um Personen, die gemeinsam im Umfeld von Fußballspielen durch gewalttätige Aktionen gegen Personen und Sachen auffallen . Bisher liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Berliner Hooligan-gruppen sich aktiv an Angriffen / Anschlägen auf Geflüchtete und / oder bestehende Flüchtlingsunterkünfte beteiligt haben. Seit Sommer 2014 bildete sich am Rande der Fußballfanszene eine neue Szene mit Schwerpunkt in NordrheinWestfalen heraus, die unter dem Namen „Hooligans gegen Salafisten“ bzw. „HoGeSa“ bekannt wurde. In Berlin formierte sich im Winter 2014/15 ein eigener Ableger dieser Szene, unter dem Namen „Bündnis deutscher Hools“ bzw. „B.D.H.“. Teile dieser Berliner Gruppierung nahmen aktiv am Demonstrationsgeschehen in Berlin gegen geplante und bestehende Flüchtlingsunterkünfte teil. Für den am 20. August 2015 auf das Flüchtlingsheim in Marzahn (lfd. Nr. 26) verübten Brandanschlag, gelten damalige Mitglieder des „B.D.H.“ als mutmaßliche Initiatoren . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 087 4 3. c) Welche Erkenntnisse hat der Senat über die Beteiligung von Akteuren/ Mitgliedern von BÄRGIDA an Angriffen/ Anschlägen auf Geflüchtete und bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte in Berlin? d) Welche Erkenntnisse hat der Senat über die Beteiligung von der Partei „Der III. Weg“ bzw. ihrer Mitglieder an Angriffen/ Anschlägen auf Geflüchtete und bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte in Berlin? e) Hat der Senat Kenntnisse über weitere Akteure, Gruppen oder Parteien, die Angriffe oder Anschläge initiieren oder an diesen beteiligt sind/ waren? Wenn ja, um welche Akteure handelt es sich? Zu 3. c – e): Dem Senat liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Partei „Der III. Weg“ oder einzelne Anhängerinnen bzw. Anhänger der Partei an Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte beteiligt waren. Darüber hinaus liegen keine konkreten Hinweise auf eine gezielte Beteiligung von Akteurinnen bzw. Akteuren / Mitgliedern der BÄRGIDA, der Partei „Der III. Weg“ und sonstiger Parteien oder Gruppierungen im Sinne der Fragestellung vor. 4. Wie schätzt der Senat das Gewaltpotenzial rechter Akteure, Gruppen, Parteien in Berlin ein? (Bitte nach den unter 3. abgefragten Akteuren aufschlüsseln). Zu 4.: Die Sicherheitslage in Berlin lebender Flüchtlinge und deren Unterkünfte ist Gegenstand einer stetigen Gefahrenanalyse. Sollte im Ergebnis dieser Gefahrenanalyse polizeiliches Handeln erforderlich sein, werden entsprechende Maßnahmen lageangepasst initiiert bzw. durchgeführt. Grundsätzlich werden auch Erkenntnisse zu politisch aktiven Personen, Gruppen und Parteien in eine solche Gefahrenanalyse eingebunden, um ein mögliches Gewaltpotenzial frühzeitig erkennen und etwaige Gefahrenlagen verhindern bzw. minimieren zu können. Grundsätzlich ist bei BÄRGIDA-Veranstaltungen ein Gefahrenpotential zu konstatieren. Jedoch ist in diesem Zusammenhang aktuell weder eine steigende Teilnehmerzahl noch eine wachsende Beteiligung „rechter Gruppierungen “ festzustellen. Auch die dabei registrierten Straftaten bewegen sich auf gleichbleibendem Niveau. Gewaltaufrufe gegen Flüchtlinge, insbesondere in den sozialen Netzwerken, haben spätestens seit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen an Quantität und Qualität zugenommen . Diese Entwicklung wird vom Senat genauestens beobachtet und ihr wird mit Entschiedenheit und allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegengetreten. Die nachhaltige Bekämpfung fremdenfeindlicher Gewalt und entsprechender Agitationen kann jedoch nur durch ein gesamtgesellschaftliches Engagement von Politik, Sicherheitsbehörden , zivilgesellschaftlichen Akteuren und Privatpersonen gelingen. Gewalt und fremdenfeindliche Hetzkommentare sind inakzeptabel und dürfen nicht unwidersprochen bleiben. 5. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Beteiligung von Personen oder Gruppen aus Berlin an Angriffen / Anschlägen auf Geflüchtete und bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte in anderen Bundesländern im Jahr 2015? (Bitte aufschlüsseln nach Akteuren, Bundesland, Ort, Datum, Delikt). Zu 5.: Dem Berliner Senat liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Berlin, den 09. Oktober 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Okt. 2015)