Drucksache 17 / 17 129 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Susanne Graf (PIRATEN) vom 01. Oktober 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Oktober 2015) und Antwort Wie will der Senat zukünftig obdachlosen Kindern und ihren Familien helfen? - Zum Stand der Umsetzung des Maßnahmenplans zum Entwurf der neuen Leitlinien zur Wohnunglosenhilfe/ -politik Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Schwerpunktgespräche mit welchen Verwaltungen , Trägern, Verbänden und Interessenvertretungen sind im Rahmen des Konsultationsprozesses zum Entwurf der neuen Leitlinien für die Wohnungslosenhilfe und -politik bisher erfolgt bzw. welche stehen noch aus? a) Wie ist die konkrete weitere Zeitplanung bis zur Vorstellung des Leitlinienentwurfs im Berliner Abgeordnetenhaus (bitte anhand eines Zeitstrahls verdeutlichen)? Zu 1. und 1a: Der Berliner Senat erarbeitet die Fortschreibung der „Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe/ - politik“ in der Federführung der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung und hat dazu ein Eckpunktepapier entwickelt . Dieses hat die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales den unterschiedlichen Verwaltungen in ihren jeweiligen fachspezifischen Zuständigkeiten und Verbänden mit der Bitte um Benennung von konkreten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern kommuniziert. Ergänzend haben unterschiedliche Interessenvertretungen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner benannt. Darüber hinaus wurde das Eckpunktepapier bereits bei der Sitzung der für Soziales zuständigen Bezirksstadträtinnen und Bezirksstadträte diskutiert und zusätzlich in der Runde der Sozialamtsleitungen vorgestellt. Die angeführten Schwerpunktgespräche werden bis Ende des Jahres terminiert, um erste übergreifende Ergebnisse zu formulieren . Dabei steht die Klärung der Voraussetzungen in Verbindung mit der ressortübergreifenden Bestandsaufnahme im Vordergrund mit dem Ziel schnellstmöglich eine Erprobungsphase zu beginnen und die Umsetzung zu realisieren. Der Diskussionsprozess ist bewusst offen gestaltet um fachspezifische Sichtweisen zu berücksichtigen. 2. Welche Maßnahmen plant der Senat, die speziell auf Familien mit Kindern in Wohnungsnotlagen zugeschnitten sind? Zu 2.: Grundsätzlich besteht das Ziel, dass Familien und Frauen mit Kindern nicht in Einrichtungen gemäß dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln) untergebracht werden oder Notunterkünfte in Anspruch nehmen müssen. In Abwägung der besonderen Bedürfnisse und vorrangigen Notlage kann in Folge des angespannten Wohnungsmarktes dennoch eine entsprechende Unterbringung zur Gefahrenabwehr notwendig sein. Der Senat unterstützt, dass in Fällen von bekannten Wohnungsnotlagen von Familien oder Alleinstehenden mit Kindern die zuständigen Jugendhilfen einbezogen werden, um alle mögliche Unterstützungsleistungen im Rahmen des SGB VIII zu prüfen und ggf. einzuleiten. Darüber hinaus finden aktuell Gespräche mit Trägern und Verbänden zur konkreten Ausgestaltung von spezialisierten Angeboten in Zusammenarbeit mit der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung und den Bezirken statt. Die Einbeziehung der besonderen Situation von Familien / Alleinstehenden mit Kindern ist dem Senat bei der Weiterentwicklung der „Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe / -politik“ ein besonders wichtiges Anliegen. Eine Stärkung der Wohnungsnotfallprävention in Verbindung mit dem Erhalt und der Öffnung niedrigschwelliger Angebote ist vorgesehen. Bei den vorgesehenen Schwerpunktgesprächen, insbesondere mit den Bezirken sowie der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung, sind weitere Konkretisierungen geplant. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 129 2 3. Welche Zielsetzung, Methodik und Analyseform liegt der Bestandsaufnahme der Zahlen zu Grunde? a) Welchen Nachjustierungsbedarf kann der Senat bereits jetzt schon erkennen bzw. nach welchen Kriterien wird ein Nachjustierungsbedarf durch den Senat bzgl. der Bestandsaufnahme der Zahlen ermittelt? Zu 3. und 3a: In Zusammenhang mit der Wohnungslosenstatistik können drei Säulen unterschieden werden: Die ASOG-Statistik zur Anzahl der wohnungslosen Menschen, die von Bezirken im Rahmen des ASOG untergebracht werden, basiert auf den bezirklichen Daten sowie den Daten der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL). Das Verfahren wird aktuell in Zusammenarbeit mit den Bezirken und der BUL aktualisiert und die Daten validiert. Im Fachverfahren OPEN/PROSOZ wird die Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer von Einrichtungen nach § 67 SGB XII abgebildet. Ergänzend werden die jährlichen Qualitätsberichte der leistungserbringenden Träger herangezogen . Darüber hinaus erfolgt eine statistische Auswertung der Dokumentation der Dienste der niedrigschwelligen Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe im Integrierten Sozial-programm (ISP). 4. Plant der Senat die Kosten für die ordnungsrechtliche Unterbringung wohnungsloser Menschen nach dem SGB II, SGB XII und AsylbLG in der Haushaltssystematik jeweils gesondert sichtbar zu machen? a) Falls nein, wie will der Senat ohne nachvollziehbare Datenbasis die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit verschiedener Lösungsmodelle wie Wohnungserhalt durch Anpassung der "angemessenen" Bruttokaltmieten (AV Wohnen) im Vergleich zur ordnungsrechtlichen Unterbringung (Hostels/Wohnheime/Pensionen etc.) prüfen und daraus nachhaltige und menschenwürdige Versorgungskonzepte ableiten? Zu 4. und 4a: Da die Leistungsgewährung für Kosten der Unterkunft und Heizung unabhängig von der Art und Form der Unterkunft nach gleichen Kriterien erfolgt, ist auch insoweit keine gesonderte Zuordnung vorgesehen. Das Berliner Regelwerk (Ausführungsvorschrift Wohnen / AV – Wohnen) regelt den Wohnungserhalt auch bei unangemessenen Mieten, sofern und solange angemessener Ersatzwohnraum nicht gefunden werden kann. Ein Verweis auf ordnungsrechtliche Unterbringung findet nicht statt. Der Senat plant aktuell keine Veränderung der Haushaltssystematik . Zum kosten-seitigen Vergleich hat sich das Heranziehen der individuellen Tagessätze der Einrichtungen bewährt. 5. Plant der Senat, Hausbesuche durch Sozialarbeiter *innen der Sozialen Wohnhilfen bei Mieter*innen mit anhängiger Räumungsklage in das angedachte Frühwarnsystem für drohende Wohnungsnotfälle zu integrieren? a) Falls nein, warum ist dies trotz entsprechender Forderungen aus der Fachwelt nicht vorgesehen? Zu 5.: Der Senat befürwortet und fördert eine aufsuchende sozialarbeiterische Intervention. Der Senat geht davon aus, dass die Bezirke alles Notwendige veranlassen , um in geeigneter Weise bedarfsdeckende Leistungen sicherzustellen. Im Rahmen der Hilfen nach dem Berliner Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII besteht bereits mit dem Leistungstyp „Wohnungserhalt und Wohnungserlangung“ ein fachliches Angebot nach § 67 SGB XII auch zur aufsuchenden Beratung bei drohenden Wohnungsnotfällen. Den bezirklichen Sozialen Wohnhilfen steht damit in Fällen eines Leistungsanspruchs gemäß § 67 SGB XII die Möglichkeit zur Verfügung, ergänzend freie Träger zur Durchführung einer aufsuchenden Unterstützung zu beauftragen . 6. Welche niedrigschwelligen Informations- und Beratungsangebote stehen Eltern mit Kindern in Wohnungsnotlagen derzeit zur Verfügung und wie ist sichergestellt, dass die Betroffenen von diesen rechtzeitig erfahren (bsp. durch entspr. Aushänge in Kitas, Schulen, Familienzentren und sozialen Angeboten für Familien)? Zu 6.: In einzelnen Familienzentren des Landesprogrammes wird bedarfsabhängig eine Sozialberatung zu Themen wie Existenzsicherung, SGB II, Wohnungssuche, Wohngeld sowie Antragstellungen angeboten. Teilweise wird dann an eine Schuldnerberatungsstelle übergeben. Zudem wurden dazu bereits Informationsveranstaltungen zum Thema Existenzsicherung mit einer Schuldnerberatung (z. B. der Arbeiterwohlfahrt/AWO) in einzelnen Familienzentren durchgeführt. In einem Familienzentrum gibt es das regelmäßige Angebot „Sozialberatung zum Thema Wohnraum und Finanzen“. Eltern, die sich in problematischen Wohnungs - und Finanzsituationen (z. B. Bedrohung von Wohnungsnot, Mietrückstand, Überschuldung) befinden, wird ein Anlaufpunkt für die Klärung der individuellen Problemlagen mit der Möglichkeit einer Vermittlung in weitere Angebote geboten. Die Sozialberatung wird durch den Kooperationspartner Bürgerhilfe - Kultur des Helfens gGmbH durchgeführt. Auf die Angebote wird in der Regel in Flyern, durch Aushänge (z. B. in Schaukästen am/im Familienzentrum, in der Kita, teilweise in Schulen oder anderen sozialen Einrichtungen/Kooperationspartnern), auf den Internetseiten des Familienzentrums, in Gesprächen mit den Eltern im Familienzentrum, in der Kita (z. B. über die Erzieherinnen und Erzieher) und teilweise im Jugendamt, Kinderund Jugendgesundheitsdienst etc. aufmerksam gemacht. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 129 3 Niedrigschwellige Einrichtungen und Dienste mit unbürokratischem Zugang für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen werden im Integrierten Sozialprogramm – ISP finanziert. Ziel der Beratung und Unterstützung ist die Integration in die Regelversorgung . Dazu zählen Beratungsstellen, Straßensozialarbeit , Bahnhofsdienste, ambulante medizinische Versorgung und Notübernachtungen. Die Information über die Angebote ist durch Internet sowie durch die Anbieter in vielfältiger Weise sichergestellt. 7. Zieht der Senat wegen der starken Mietsteigerungen der letzten Jahre in Betracht, den Ermessensspielraum für “angemessene” Bruttokaltmieten nach dem SGB II bzw. SGB XII für Härtefälle wie Eltern mit Kindern über die Spielräume der AV Wohnen hinaus zu erhöhen? a) Falls ja, um welche konkrete Größenordnung handelt es hier? b) Falls nein, warum nicht? Zu 7., 7a und 7b: Der Senat prüft gegenwärtig vor dem Hintergrund des verstärkten Zuzugs und der Gesamtsituation auf dem Berliner Wohnungsmarkt, welche Konsequenzen zwecks Beschaffung und Erhalt von Wohnraum für Sozialleistungsbezieher zu ziehen sind. 8. Welche Leistungen nach dem SGB VIII sollen wohnungslosen Eltern und ihren Kindern anstatt einer Unterbringung nach ASOG Bln im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe und -politik zukünftig vorrangig gewährt werden? a) Wie weit ist in dem Zshg. die geplante Erarbeitung einer Kooperationsvereinbarung zwischen SenGesSoz und SenBildJugWiss vorangeschritten und welche konkreten Ergebnisse wurden hier bereits erzielt? Zu 8. und 8a: Aus Perspektive der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung begründet Obdachlosigkeit an sich nicht automatisch eine Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe. In jedem Einzelfall bedarf es der Prüfung, ob die Obdachlosigkeit den alleinigen Mangel darstellt oder darüber hinaus familiäre Probleme und kindeswohlgefährdende Aspekte vorliegen, die einen besonderen Jugendhilfebedarf rechtfertigen. Eltern haben bei Bedarf einen besonderen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VIII wie z. B. Hilfe zur Erziehung und Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie. „Auslöser“ und Ziel der Leistungen ist die notwendige Unterstützung und Sicherstellung der Erziehung der Eltern, jedoch nicht die Gewährleistung von Wohnraum und die Vermeidung von Obdachlosigkeit als solche. Da Wohnungslosigkeit von Familien / Alleinstehenden mit Kindern immer die Entwicklung des Kindes tangiert , werden noch im Jahr 2015 zur weiteren Abstimmung und Konkretisierung der besonderen Bedarfe Gespräche zwischen den für Jugend und Soziales zuständigen Senatsverwaltungen vereinbart. 9. Ist unabhängig von der Prüfung einer möglichen Leistungsgewährung nach dem SGB II für wohnungslose Familien eine Einführung kindgerechter Mindeststandards für die ordnungsrechtliche Unterbringung wohnungsloser Familien geplant? a) Falls nein, wie plant der Senat das Kindeswohl für die betroffenen Kinder sicherzustellen, die derzeit mit ihren Eltern überwiegend in prekären engen Wohnverhältnissen z.T. in nächster Nähe zu Personen mit Alkohol- oder Drogenproblemen untergebracht sind? Zu 9. und 9a: Die Kooperation der Bezirke mit der BUL zur Unterbringung wohnungsloser Menschen ist in der Rahmenvereinbarung über Serviceleistungen der BUL geregelt. Diese Rahmenvereinbarung haben die Berliner Bezirke mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) vor dem Hintergrund der bezirkseigenen Zuständigkeit gemäß Zuständigkeitskatalog ASOG Nr. 19 in eigener Verantwortung geschlossen. Die Rahmenvereinbarung umfasst u. a. Standards über die Mindestanforderungen zu Art der Räumlichkeiten, zu Belegungsdichte je Zimmer, zur Mindestfläche, zur Ausstattung der Zimmer, zur Küchenausstattung/Waschmöglichkeiten und zu den Sanitärräumen. Im Rahmen des angestoßenen Diskussionsprozess zur Fortschreibung der „Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe/- politik“ wird die Notwendigkeit weitergehender Standards mit den Bezirken erörtert. Parallel wird zu Fragen des Kinderschutzes die für Jugend zuständige Senatsverwaltung einbezogen. 10. Wie viele wohnungslose Familien konnten in den letzten drei Jahren nicht über das geschützte Marktsegment in Anschlusswohnraum vermittelt werden, da keine geeigneten Wohnungen zur Verfügung standen? Welche Schlüsse zieht der Senat daraus künftig für den Ausbau eines bedarfsgerechten geschützten Marktsegments? Zu 10.: Die Zentrale Koordinierungsstelle des LAGeSo dokumentiert keine Zahlen von wohnungslosen Familien. Anhand der dokumentierten Zahlen auf Grundlage der Datenerhebung in den jeweiligen Bezirksämtern nach Wohnungsgröße können Aussagen zu den Vermittlungsberechtigten in Mehrpersonenhaushalten getroffen werden . Vermittelbar ist der Personenkreis, der die Kriterien für die Aufnahme in das Geschützte Marktsegment erfüllt. * A-Berechtigte: akut von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen ** B-Berechtigte: bereits wohnungslose Menschen gemeldete Vermittlungsberechtigte 2013 2014 Mai 15 Mehr-Personenhaushalte 7.313 7.195 3.311 davon A-Berechtigte* 5.681 5.094 2.327 davon B-Berechtigte** 1.632 2.101 984 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 129 4 11. Wird im Zuge der Gespräche mit den Bezirken über die geplante Einrichtung einheitlicher Strukturen und Prozesse in den sozialen Wohnhilfen erwogen, den Sozialen Wohnhilfen eine bindende Weisungsbefugnis gegenüber dem Jobcenter bei Entscheidungen zur Übernahme von Mieten bzw. Mietschulden zu geben? a) Falls nein, warum nicht? Zu 11. und 11a: Zur Übernahme von Mietschulden gelten die verbindlichen Vorgaben in Ziff. 10.2 AVWohnen . Insbesondere bedarf die Ablehnung der Übernahme von Mietschulden der vorherigen Zustimmung des zuständigen Bezirksamtes (Ziff. 10.2 Abs. 3 a) ff). Berlin, den 21. Oktober 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Okt. 2015)