Drucksache 17 / 17 147 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 06. Oktober 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Oktober 2015) und Antwort Aktuelle Situation alleinreisender Kinder und Jugendlicher auf der Flucht in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben zurzeit In Berlin? (Bitte nach Geschlecht und Alter aufgeschlüsselt darstellen) 2. Wie werden sie untergebracht? Wie viele leben jeweils in Pflegefamilien, Einrichtungen der Jugendhilfe, speziellen Notunterkünften für Jugendliche, in Gemeinschaftsunterkünften , in Hostels oder in allgemeinen Notunterkünften ? 3. Für welche Zeiträume werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge außerhalb von Pflegefamilien und Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht? 4. Wie wird die Betreuung und Förderung derjenigen Jugendlichen gesichert, die noch nicht in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht werden konnten? 6. Wie wird Bildung und Ausbildung für diejenigen Jugendlichen gesichert, die noch nicht in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht werden konnten? 10. Wie wird der Zugang der Jugendlichen zu Leistungen und Schutz der Jugendhilfe gesichert, die noch nicht in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht werden konnten? 11. Werden integrative Angebote der Zivilgesellschaft , wie zum Beispiel formelle oder informelle Patenschaften für Jugendliche oder Gruppen von Jugendlichen unterstützt? Wenn ja wie? Zu 1. bis 4., 6., 10. und 11.: Die Zahl der nach Berlin kommenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) steigt – analog der Entwicklung der Flüchtlingszahlen insgesamt – stetig an. Allein im dritten Quartal des Jahres 2015 (Juli bis September) wurden in Berlin rund 1.500 UMF neu erfasst. Dies waren doppelt so viele junge Menschen wie im gesamten ersten Halbjahr 2015 (n = 728 UMF). Mit 691 Zugängen wies der September den höchsten je erfassten Wert aus. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (SenBildJugWiss) rechnet nunmehr unter der Annahme einer Fortschreibung des Zugangsniveaus des dritten Quartals (durchschnittlich 500 Zugänge / Monat) mit mindestens ca. 3.700 Zugängen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge im Verlauf des Jahres 2015, sodass annähernd mit einer Vervierfachung der Erstaufnahmen von UMF gerechnet werden muss. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 147 2 Ist-Entwicklung der UMF-Fälle 2015 in Berlin nach Monaten (Stand: 09/2015; n = 2.186 Fälle); Quelle: Erstaufnahme - und Clearingstelle; Nachrichtlich: für 10-12/2015 – aktuelle Arbeitshypothese SenBildJugWiss zur mittleren Zugangszahl UMF. Zum Stichtag 30.06.2015 wurden durch die Berliner Jugendämter 586 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und 276 junge volljährige Flüchtlinge (gemäß § 41 SGB VIII) betreut. Hiervon waren laut Hilfeplanstatistik der Bezirke am Stichtag 30.06.2015 neun unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Alter unter 14 Jahren in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII untergebracht. Von den 862 in den Jugendämtern zum Stichtag Betreuten sind 697 männlich und 165 weiblich. Der Anstieg der Fallzahlen kann mit den bestehenden Angebotsstrukturen für das Erstaufnahme und Clearingverfahren nicht bewältigt werden. Die derzeit vorhandene Kapazität an Clearingplätzen (n = 141 Plätze) reicht nicht aus. In der Übergangsphase bedarf es daher einer ausreichenden Anzahl von Plätzen für eine kurzfristige Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und zur Sicherstellung des Schutzauftrages. Aus diesem Grund nutzt die SenBildJugWiss gegenwärtig ergänzend temporäre Unterbringungseinrichtungen und Beherbergungsbetriebe zur Abfederung der Spitzenlastsituation. Hier erhalten junge unbegleitete Flüchtlinge (Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, Mädchen, Schwangere und junge Mütter werden von der Erstaufnahme- und Clearingeinrichtung (EAC) nicht an diese Standorte weitergeleitet) neben einer Erst- und Grundversorgung auch eine ambulante sozialpädagogische Betreuung In Kooperation mit Hilfsdiensten, die auch anerkannte Träger der Jugendhilfe sind, werden zurzeit vier temporäre Unterbringungseinrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit bis zu 59 Plätzen betrieben. Weitere fünf Objekte sind gegenwärtig in Prüfung und/oder Vorbereitung. Zusätzlich wird aktuell in 14 unterschiedlichen Beherbergungsbetrieben (z.B. Hostels, Hotels, Jugendherbergen , Jugendgästehäuser) im Rahmen der jeweils belegbaren Kapazitäten, eine Versorgung mit ambulanter sozialpädagogischer Betreuung im Schichtbetrieb durch ein Netzwerk ambulanter sozialpädagogischer Träger, nach den mit der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung vereinbarten Betreuungsinhalten und Leistungsumfängen, sichergestellt. Hinzu kommen 8 kleinere Kontingente an Standorten an denen die Betreuung durch die anbietenden Jugendhilfeträger selbst sichergestellt werden konnte. Die Anzahl der Standorte und Platzkontingente in den verschiedenen Unterbringungsvarianten unterliegt den sich täglich ändernden Anforderungen bzw. trägerseitigen (Eigen-)-Bedarfen. Insofern stellt diese nur einen Zwischenstand dar. Aktuell werden in diesen temporären Unterbringungseinrichtungen rd. 1000 UMF versorgt und betreut. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 147 3 Die Dauer des Aufenthalts der jungen Flüchtlinge in diesen temporären Unterbringungseinrichtungen soll so kurz wie möglich gehalten werden. Aktuell dauert die Unterbringung bis zu drei bis vier Monate. Deshalb wird derzeit abgestimmt, dass auch in dieser Phase – über die bestehenden Angebote für Deutschkurse hinaus – der Schulbesuch gesichert wird. Integrative Angebote der Zivilgesellschaft werden begrüßt und unterstützt. Um dem besonderen Schutzauftrag gegenüber Minderjährigen gerecht werden zu können, ist in gruppen- oder einzelfallbezogenen Betreuungsformen die Eignung der Betreuungskräfte/Paten in der angemessenen Weise sicherzustellen. (Vermittlung über Träger, Jugendämter, Patenschaftsprojekte). 5. Wie wird die Aufarbeitung von Traumata durch Flucht auslösende Erlebnisse, die Trennung von der Familie und erschütternde Erfahrungen auf der Flucht unterstützt oder Gewalterlebnisse in den Sammeleinrichtungen ? Welche speziellen Angebote für Kinder und Jugendliche (gibt es spezifische Angebote für Mädchen?) werden wo und von wem vorgehalten und wie werden die Bedarfe der Jugendlichen mit den Angeboten zusammengeführt ? 12. Welche Schutzkonzepte gibt es, um die Jungen und Mädchen vor Gewalterfahrungen in Sammelunterkünften zu schützen? Zu 5.und 12.: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden nicht in Sammelunterkünften untergebracht. Wenn sich in den Flüchtlingsgruppen, die nach der Ankunft von Sonderzügen oder Bussen in den entsprechenden Sammelunterkünften untergebracht werden, unbegleitete Minderjährige befinden, dann werden diese an die EAC weitergeleitet. Wird bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durch die sozialpädagogischen Fachkräfte ein durch traumatisierende Erlebnisse bedingter akuter bzw. erhöhter Betreuungsbedarf festgestellt, so erhalten sie die notwendige Hilfe durch die bestehenden Angebote im Rahmen der Kranken- bzw. Jugendhilfe. Letztere hält auch spezifische Einrichtungen bzw. Angebote für Mädchen vor. 7. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben einen Vormund? Wie viele davon stehen unter Amtsvormundschaft und wie viele Mündel muss ein/e Mitarbeiter/in gegenwärtig betreuen? Wie viele Vormundschaften werden durch Organisationen oder Vereine geführt und wie viele durch Einzelpersonen? Wie viele Vormundschaften erfolgen ehrenamtlich? 8. Wie wird die Wahrung der Rechte und Interessen derjenigen Jugendlichen gesichert, die ohne Vormundschaft leben? 9. Wie wird die Wahrung der Rechte und Interessen derjenigen Jugendlichen gesichert, bei denen die elterliche Sorge durch die im Ausland lebenden Erziehungsberechtigten ausgeübt werden soll? Wie vollzieht sich diese Ausübung der elterlichen Sorge praktisch? Wie wird mit Situationen umgegangen, die schnellere Entscheidungen verlangt, als über eine Kontaktaufnahme mit den Erziehungsberechtigten möglich ist, z. B. bei gesundheitlichen Krisensituationen? Welche Vorkehrungen zur Gewährleistung des Kindeswohls werden getroffen, wenn die Entscheidungen der Erziehungsberechtigten als nicht angemessen förderlich erscheinen (z. B. Abbruch von Bildungsgängen)? Zu 7. bis 9.: Im Jugendamt Steglitz-Zehlendorf, das die Amtsvormundschaften für UMF als gesamtstädtische Aufgabe wahrnimmt, waren zum Stand 1. Oktober 472 Amtsvormundschaften bzw. -pflegschaften von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) erfasst. Zur Sicherstellung der erhöhten Aufgabenerfüllung hat das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf einen Stellenmehrbedarf im Umfang von 5 Vollzeitäquivalenten (VZÄ) geltend gemacht und erhalten. Zu Vereins- und Einzelvormundschaften liegen keine Erhebungen vor. Solange für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling keine Vormundschaft oder Ergänzungspflegschaft bestellt ist, wird die rechtliche Vertretung durch das in Obhut nehmende Landesjugendamt bzw. durch das jeweils zuständige Jugendamt des Bezirks ausgeübt. Berlin, den 21. Oktober 2015 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Okt. 2015)