Drucksache 17 / 17 178 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Hämmerling (GRÜNE) vom 13. Oktober 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Oktober 2015) und Antwort Welche Aussagekraft hat die Tierversuchsstatistik hinsichtlich der für Tierversuche getöteten Tiere? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Veränderungen hinsichtlich der Tierversuchszahlen gibt es gegenüber dem Vorjahr (bitte auflisten nach Tierarten)? Zu 1.: Die erbetenen Angaben sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Tierzahlen nach Tierarten im Vergleich der Jahre 2012 bis 2014 Stand: 16.06.2015 Tierart Code Anzahl der Tiere erneut verwendet 2012 2013 2014 2012 2013 2014 Maus A1 396.984 369.962 217.894 0 0 3.715 Ratte A2 30.656 26.340 21.483 0 0 124 Meerschweinchen A3 50 180 258 0 0 4 Goldhamster A4 246 219 404 0 0 4 Chinesischer Grauhamster A5 0 0 0 0 0 0 Mongolische Rennmäuse A6 0 0 168 158 154 463 andere Nager A7 568 752 163 0 0 0 Kaninchen A8 397 351 260 43 47 978 Katzen A9 0 19 86 0 0 26 Hunde A10 84 93 144 0 0 38 Frettchen A11 0 0 0 0 0 andere Fleischfresser A12 0 0 0 0 0 Pferde; Esel, Kreuzungen A13 9 0 41 0 0 12 Schweine A14 1005 768 1.117 0 0 61 Ziegen A15 30 0 4 0 0 3 Schafe A16 165 113 136 66 68 5 Rinder A17 29 70 39 0 0 15 Halbaffen A18 0 0 0 0 0 0 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 178 2 Mamosetten und Tamarine A19 0 0 0 0 0 0 Javaneraffen A20 0 0 108 0 0 51 Rhesusaffen A21 0 0 0 0 0 0 Grüne Meerkatzen A22 0 0 0 0 0 0 Paviane A23 0 0 0 0 0 0 Totenkopfäffchen A24 0 0 0 0 0 0 andere nicht menschliche Primaten A25 165 265 0 0 0 0 Menschenaffen A26 0 0 0 0 0 0 andere Säugetiere A27 95 64 117 0 0 0 Haushühner A28 0 0 4.200 0 0 6 andere Vögel A29 2837 1828 248 0 0 13 Reptilien A30 0 0 0 0 0 0 Frösche A31 0 0 0 0 0 0 Krallenfrösche A32 0 0 1.376 0 0 60 andere Amphibien A33 46 970 1.027 0 0 0 Zebrabärblinge A34 0 0 2.586 0 0 0 andere Fische A35 2797 20181 7.920 0 0 0 Kopffüßer A36 0 0 0 0 0 0 Gesamt 436.163 422.175 259.779 267 269 5.578 2. Wie begründet der Senat diese signifikanten statistischen Veränderungen? Zu 2.: Im Jahr 2014 wurden die Schwanzspitzenbiopsien , die für die Genotypisierung genetisch veränderter Mäuse und Ratten erforderlich wurden, nicht mehr als Tierversuche bewertet, sondern als Gewebeentnahme nach § 6 Tierschutzgesetz. Diese Gewebeentnahme ist zwar nach wie vor anzeigepflichtig, aber nach der Versuchstiermeldeverordnung nicht meldepflichtig. 3. Treffen Informationen zu, dass insbesondere bei der Zucht gentechnisch veränderter Mauslinien eine Vielzahl von Tieren nicht die für den Tierversuch erwünschten Eigenschaften besitzen? Zu 3.: Ja. 4. Wie groß ist die Spanne der unerwünschten gentechnisch veränderten Individuen je Zuchtlinie? Zu 4.: Je nach Verpaarungsmodell können 100, 50 oder 25% der Tiere den gewünschten Genotyp haben. 5. Was geschieht mit den Tieren, die die gewünschten Eigenschaften nicht besitzen? Zu 5.: Soweit möglich werden die Tiere in anderen Versuchsvorhaben eingesetzt. Ist dies nicht möglich, werden die Tiere getötet und möglichst als Futtertiere weiter verwendet. 6. Treffen Informationen zu, dass der Senat die Genehmigung für die Zucht von ca. 1.200.000 Versuchstieren erteilt hat? Zu 6.: Das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) hat Erlaubnisse zur Zucht von insgesamt ca. 1.200.000 Versuchstieren erteilt. Siehe hierzu die Antwort zu Frage 5 der Schriftlichen Anfrage Nr. 17/16184. Die Zahl tatsächlich gezüchteter Versuchstiere lässt sich daraus nicht ableiten. 7. Wie viele getötete Versuchstiere weist die neue Tierversuchsstatistik aus und wie viele gentechnisch veränderte Tiere fallen darunter? Zu 7.: Die genaue Anzahl der getöteten Tiere kann der Versuchstierstatistik nicht entnommen werden. In Versuchen eingesetzt wurden 259.779 Tiere, davon waren 105.194 Tiere genetisch verändert. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 178 3 8. Wie hoch ist die Zahl der sogenannten schwer belasteten und wie hoch ist die Zahl der gering belasteten gentechnisch veränderten Mäuse an der Gesamtzahl aller Tiere, für die eine Zuchterlaubnis erteilt wurde? Zu 8.: Es wurden Zuchterlaubnisse für die Zucht von maximal 1.005.719 Mäusen pro Jahr erteilt. Gemeldet nach der Versuchstiermeldeverordnung wurde für 2014 der Einsatz von 3762 gering, 3847 mittel und 598 schwer belasteten genetisch veränderten Mäusen im Rahmen genehmigter Tierversuche. 9. Erfolgt die statistische Erfassung der „verbrauchten Versuchstiere" in allen Bundesländern nach einheitlichen Kriterien und werden z. B. Schwanzspitzenbiopsien bei Mäusen in Berlin anderen Bundesländern statistisch als Tierversuche erfasst oder nicht? Zu 9.: Die Erfassung der Versuchstierzahlen erfolgt bundeseinheitlich nach den Vorgaben der Versuchstiermeldeverordnung . Die Schwanzspitzenbiopsien sollten auch in den anderen Ländern nicht gemeldet werden. 10. Zu welchen Erkenntnissen gelangte der Nationale Ausschuss des BfR im Zusammenhang mit der Frage, ob die Tötung von überzähligen Zuchttieren einen "vernünftigen Grund" nach § 1 Satz 2 TierSchG und § 17 TierSchG darstellt? Zu 10.: Das Gutachten zu diesem Thema ist in der Zeitschrift „Natur und Recht“ 2015 veröffentlicht. Als Fazit wird der vernünftige Grund zur Tötung überzähliger und zu Versuchszwecken gezüchteter Tiere nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen aus den geltenden Regelungen und Rechtsprechungen abgeleitet. 11. Wie haben sich die Tierversuchszahlen im MDC und in der Charité jeweils im Jahr 2014 gegenüber 2013 verändert? Zu 11.: Die nach der Versuchstiermeldeverordnung an das LAGeSo übermittelten Versuchstierzahlen erlauben diese Differenzierung nicht. Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) teilte hierzu mit, dass 2013 147.985 und 2014 42.816 Tiere in Versuchen verwendet wurden. Aufgrund der ab dem Jahr 2014 geänderten Melderegelungen sind die Zahlen jedoch nicht uneingeschränkt miteinander vergleichbar. Vergleiche hierzu auch die Antwort zu Frage 2. Aus der Charité liegen dem Senat keine Zahlen vor. 12. Wie haben sich die Tierhaltungen im MDC und in der Charité jeweils im Jahr 2014 gegenüber 2013 verändert ? Zu 12.: Gegenüber 2013 hat sich 2014 keine relevante Veränderung ergeben. 13. Sollten die Zahlen der tatsächlich für Tierversuche gezüchteten und gehaltenen Tiere gesunken sein, weshalb wird für das MDC ein neues Tierversuchslabor für 24 Mio. € errichtet? Zu 13.: Die Zahlen der gezüchteten und gehaltenen Tiere haben sich nicht maßgeblich verändert. Das Gebäude für ein neues Tierversuchslabor ist ein Ersatzneubau. Ein anderes Tierhaus wird dafür geschlossen . Die Haltungskapazität am MDC wird mit dem Neubau nicht weiter steigen. Das neue Gebäude trägt sowohl dem wissenschaftlichen Fortschritt Rechnung, indem es Möglichkeiten für modernste Verfahren (z. B. Bildgebung ) bietet, als auch dem Tierschutz und den 3RPrinzipien : Mittels nicht-invasiver Verfahren sollen Versuchstierzahlen reduziert (Reduction) und die Versuche selbst weniger belastend werden; außerdem sollen modernere Methoden bessere Daten liefern (Refinement). 14. Sollten die Zahlen der tatsächlich für Tierversuche gezüchteten und gehaltenen Tiere gesunken sein, weshalb wird für die Charité ein neues Tierversuchslabor für 36 Mio. € und einer Kapazität von 40.000 Plätzen als Ersatz für den Steglitzer Mäusebunker errichtet, obwohl in Steglitz nur noch 25.000 Tiere gehalten werden, errichtet? Zu 14.: Die Zahlen der gezüchteten und gehaltenen Tiere haben sich nicht maßgeblich verändert. Mit der für 2017 vorgesehenen Inbetriebnahme des Neubaus der Charité am Standort Buch werden die Tierhaltung am Standort Benjamin Franklin (Krahmerstraße) und alle derzeit genutzten Interimsflächen (das Bestandsgebäude musste bereits teilweise außer Betrieb genommen werden) vollständig aufgegeben. Es werden mit dem Neubau der FEM (Forschungseinrichtungen für Experimentelle Medizin ) keine zusätzlichen Tierforschungskapazitäten geschaffen . 15. Treffen Informationen zu, dass in Berlin Hirnforschungsvorhaben an Nagetieren durchgeführt werden, bei denen die Tiere, vergleichbar mit den PrimatenVersuchen in Tübingen, durch Flüssigkeitsentzug gefügig gemacht und mit einem in den Schädel eingeführten Bolzen fixiert werden? Wenn ja, welche Humanrelevanz besitzen diese Versuche? Zu 15.: Es werden Versuche an Nagetieren mit Einzelzellableitungen aus Hirnzellen vorgenommen. Die Tiere erhalten eine reduzierte Wassermenge. Während der Zellableitungen können sie ihren Wasserbedarf stillen. Der Kopf wird nicht mit einem in den Schädel eingeführten Bolzen fixiert, sondern mit einer auf dem Kopf außen angebrachten Halterung. Es handelt sich hierbei um Grundlagenforschung, bei der es um das Grundverständnis der Informationsübermittlung und Informationsspeicherung im Gehirn, u.a. um Lernen und Gedächtnis geht. Es wird erwartet, dass die gewonnenen Erkenntnisse langfristig dazu führen können, Störungen in der Funktion des Gehirns beim Menschen besser verstehen, diagnostizieren und ggf. auch behandeln zu können. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 178 4 16. Welche Aussagekraft misst der Senat der Tierversuchsstatistik zu vor dem Hintergrund, dass die statistisch erfassten Tierversuche nur einen Bruchteil der im Zusammenhang mit Tierversuchen getöteten Tiere ausmachen ? Zu 16.: Die Versuchstiermeldeverordnung dient der Umsetzung der RL 2010/63/EU (Versuchstierrichtlinie) und des Durchführungsbeschlusses 2012/707/EU, mit denen Inhalt und Format der durch die Mitgliedstaaten zu erhebenden statistischen Daten über die Verwendung von Tieren in Tierversuchen vorgegeben werden. Die ermittelten Daten erlauben somit einen EU-weiten Vergleich über alle in Tierversuchen eingesetzten Wirbeltiere. Die Aussagekraft ist durch die feingliedrige Unterteilung der Verwendungszwecke sehr hoch. Darüber hinaus wird nun auch der Belastungsgrad der eingesetzten Tiere erfasst. Es ist nicht Ziel der Versuchstiermeldeverordnung die Versuchstiere der Zuchten zu erfassen, die nicht in Versuche eingesetzt werden. Die Tiere, die gezüchtet, getötet und nicht in Verfahren eingesetzt werden, einschließlich der genetisch veränderten Tiere, die nicht unter die Jahresstatistik fallen, sind der EU zum ersten Mal bis zum 28. November 2018 zu melden und danach alle fünf Jahre. 17. Vor dem Hintergrund, dass die USA bereits 150 Mio. US$ in die Erforschung von tierversuchsfreien Methoden investieren und dieses Programm künftig um 400 Mio. US$ aufstocken werden, mit welchen konkreten Investitionssummen unterstützt der Berliner Senat diese Forschung? Zu 17.: Der Senat hält den Vergleich des Landes Berlins mit den USA in diesem Zusammenhang für ehrenhaft , aber unzulässig. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Investitionssummen des Bundes und der Länder, die direkt oder indirekt in die Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen fließen, nicht hinter den Ausgaben der USA zurückstehen. Bezüglich der vom Berliner Senat durchgeführten Maßnahmen zur Förderung der Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen wird auf den Bericht des Senats zum Beschluss des Abgeordnetenhauses „Berlin zur Forschungshauptstadt für Alternativmethoden zu Tierversuchen machen“ vom 31.03.2015 (Drs. 17/2204) verwiesen. Darüber hinaus wird in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin eine weitere Professur zur Erforschung und Entwicklung von Alternativmethoden eingerichtet, die vom Senat mit 400.000, - € unterstützt werden soll. 18. Falls der Senat die tierversuchsfreie Forschung nicht mit eigenen Investitionsmitteln unterstützt, weshalb? Zu 18.: Entfällt. Berlin, den 23. Oktober 2015 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Okt. 2015)