Drucksache 17 / 17 224 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Heiko Thomas (GRÜNE) vom 20. Oktober 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Oktober 2015) und Antwort Kooperation der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit Saudi-Arabien zur Facharztqualifizierung (Weiterbildung) von sogenannten Delegationsärzten Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft größtenteils Sachverhalte , die der Senat nicht allein aus eigener Kenntnis beantworten kann. Er hat daher die Charité - Universitätsmedizin Berlin um Stellungnahme gebeten. 1. Die Charité – Universitätsmedizin hat am 1. September 2015 einen Kooperationsvertrag mit dem Königreich Saudi-Arabien zur Facharztweiterbildung von saudiarabischen Stipendiaten („Delegationsärzten“) unterzeichnet . Nach Mitteilung der Charité ist ein strukturiertes Programm geschaffen worden, das Sprach-studium und medizinische Weiterbildung verbindet. Saudi-Arabien entsende jährlich zehn bis fünfzehn Delegationsärzte zur Facharztweiterbildung an der Charité. Laut Mitteilung der Charité ist das mit Saudi-Arabien verabredete Weiterbildungsprogramm „deutschlandweit einmalig“. Wird das Programm exklusiv saudi-arabischen Stipendiaten angeboten ? Zu 1.: Das Programm ist neuartig, weil die Sprachausbildung in Deutschland und die Weiterbildung aus einer Hand angeboten werden. Interesse an diesem integrierten Konzept besteht prinzipiell auch aus anderen Ländern, für die dieses Programm offen ist. Eine vertragliche Vereinbarung wurde bisher nur mit Saudi-Arabien getroffen. 2. Der Marburger Bund hält es „für absolut untragbar, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse von Ärzten an den Meistbietenden regelrecht verkauft werden“ (Pressemitteilung des Marburger Bundes Bundesverband vom 1. September 2015). Er kritisiert, eine derartige Praxis benachteilige in- und ausländische Ärztinnen und Ärzte, die sich auf regulärem Weg um eine Stelle bemühen und keinen Geldgeber hinter sich haben, der die Bezahlung des vollständigen Gehalts einschließlich Lohnnebenkosten übernimmt. a) Trifft es zu, dass Saudi-Arabien das vollständige Gehalt der Stipendiaten inklusive Lohnnebenkosten und Kosten der Sprachausbildung übernimmt? b) Erhält die Charité eine Erstattung dieser Gesamtkosten auf direktem Wege durch Saudi-Arabien? Zu 2.: a) Ja. Das Verfahren der Charité, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit ausländischen Delegationsärztinnen und Delegationsärzten abzuschließen und die Refinanzierung durch das jeweilige Heimatland abzusichern, beruht auf Regelungen, die in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit, dem Auswärtigen Amt und der Charité getroffen wurden. Dies entspricht den Forderungen des Marburger Bundes. b) Die Botschaft Saudi Arabiens in Deutschland trägt die o.g. Kosten. 3. Sofern Saudi-Arabien für die Gesamtkosten der Sprachausbildung und Weiterbildung der Delegationsärzte aufkommt: Gibt es andere Länder, die in ähnlicher Weise mit der Charité kooperieren oder dies beabsichtigen ? Zu 3.: Ja, dies betrifft wenige Medizinerinnen und Mediziner, die schon längere Zeit ihre Weiter-bildung absolvieren und für deren Stipendien nun auch Steuern und Sozialabgaben ab-geführt werden (siehe dazu auch 1.). Weitere Informationen liegen nicht vor. 4. Erhält die Charité darüber hinaus noch Prämien von Saudi-Arabien, mit der weitere Kosten abgedeckt werden ? Wie hoch sind diese Prämien bemessen? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 224 2 Zu 4.: Die Charité erhält keine „Prämien“. Neben den unter 2a) genannten Kosten, trägt Saudi-Arabien den zusätzlichen Verwaltungsaufwand u.a. in Person einer Programmmannagerin/eines Programmmanagers zur Betreuung der Delegationsärztinnen und -ärzte. Die Absprachen dazu laufen noch. 5. Werden zusätzliche Stellen geschaffen, um die saudi -arabischen Ärzte weiterzubilden oder werden die jährlich zehn bis 15 Stellen dem vorhandenen Stellenpool entnommen? Zu 5.: Die Medizinerinnen und Mediziner aus SaudiArabien besetzen zusätzliche Stellen. 6. Wie stellt die Charité sicher, dass genügend weiterbildungsrelevante Operationen, Untersuchungen etc. vorhanden sind, damit die saudi-arabischen Ärzte am Ende auch zur Facharztprüfung zugelassen werden können ? Warum werden diese Stellen nicht als reguläre Weiterbildungsstellen ausgewiesen, wenn diese Kapazitäten doch vorhanden zu sein scheinen? Zu 6.: Auf die Qualität der Facharztweiterbildung legt die Charité – Universitätsmedizin Berlin großen Wert. Delegationsärztinnen und -ärzte durchlaufen dieselben Weiterbildungsinhalte gemäß der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Berlin wie die deutschen Medizinerinnen und Mediziner. Aufgrund der Größe der Charité , an drei Standorten in Berlin mit der großen Anzahl an Weiterbildungsbefugten (derzeit 261), bezogen auf fast 1000 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, wird es durch die vergleichsweise kleine Zahl zusätzlicher Delegationsärztinnen und -ärzte zu keinerlei Engpässen in der Weiterbildung kommen. Die Stellen werden nicht als reguläre Weiterbildungsstellen ausgewiesen, da sie, wie unter 5. erwähnt, zusätzliche Stellen besetzen, welche extrabudgetär vergütet werden. 7. Sieht der Senat in der Vereinbarung der Charité mit Saudi-Arabien eine Ungleichbehandlung und Wettbewerbsverzerrung zu Lasten von anderen in- und ausländischen Ärzten, die sich auf regulärem Weg um eine Weiterbildung zum Facharzt an der Charité bemühen? Zu 7.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft sieht in dieser Kooperation einen Betrag zur Verbesserung der medizinischen Versorgung im internationalen Bereich. Die Unterstützung der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten aus Saudi-Arabien, welche ausnahmslos in ihre Heimat zurückkehren um dort Patientinnen und Patienten zu versorgen, hält auch die Charité für eine wichtige Aufgabe im Rahmen ihres Auftrages. Anzumerken ist, dass sich insbesondere Ärztinnen für eine Weiterbildung in der Charité interessieren bzw. schon begonnen haben, von denen zu erwarten ist, dass sie nach Abschluss ihrer Weiterbildung in Saudi Arabien Leitungspositionen besetzen werden. Der Senat sieht keine Ungleichbehandlung und Wettbewerbsverzerrung zu Lasten von anderen in- und ausländischen Ärztinnen und Ärzten. 8. Laut der Pressemitteilung der Charité vom 2. September 2015 ermittelt eine Auswahlkommission, bestehend aus Charité-Medizinern und Vertretern des Königreichs Saudi-Arabien, jährlich Ärztinnen und Ärzte, die ihre Facharztweiterbildung in Berlin antreten werden. Das Verfahren sei „streng und an der besonderen Eignung der Bewerber ausgerichtet“. In Krankenhäusern, die sich überwiegend in öffentlicher Hand befinden, kann bei der Vergabe von Stellen als Ausfluss aus Art. 33 II Grundgesetz jedoch nur die „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ aller Bewerber ausschlaggebend sein. Wie ist es dann möglich, dass die Charité ein Verfahren anwendet , bei dem nur Ärzte aus einem ganz bestimmten Land und bei Erfüllung bestimmter ökonomischer Voraussetzungen nach ihrer Eignung ausgewählt werden können? Zu 8.: Die Charité wählt die Bewerberinnen und Bewerber auf die zusätzlichen Stellen (siehe 5.) mit der gleichen Sorgfalt aus, wie auch Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland für die regulären Stellen ausgewählt werden. Familiäre Herkunft und ggf. andere Einflussfaktoren sollen mit einem einmal jährlich stattfindenden Auswahlverfahren bewusst ausgeschlossen werden. 9. Wie viele Stipendiaten/Delegationsärzte beschäftigt die Charité insgesamt? Aus welchen Ländern stammen diese Ärzte und in welchen Fachrichtungen werden sie weitergebildet? Werden auch bei anderen Stipendiaten /Delegationsärzten Lohnkosten vollständig durch die Heimatländer finanziert oder stattdessen ganz oder teilweise von der Charité getragen? Zu 9.: Insgesamt beschäftigt die Charité aktuell 30 Delegationsärztinnen und -ärzte (siehe 1.). Sie befinden sich in der Weiterbildung zu Fachärztinnen und Fachärzten für Gynäkologie/Geburtshilfe, Hals-Nasen-Ohren, Hämatologie/ Onkologie, Pathologie, Dermatologie, Radiologie , Kinderheilkunde, Orthopädie/ Unfallchirurgie, Allgemeinchirurgie, Urologie, Augenheilkunde, Nuklearmedizin , Transfusionsmedizin und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (siehe auch Antwort 2a). Weitere Informationen liegen nicht vor. 10. Hat die Charité eine Obergrenze für die jährliche Aufnahme von Stipendiaten/Delegationsärzten festgesetzt? Zu 10.: Eine Obergrenze wurde nicht festgesetzt, da sich die Delegationsärztinnen und -ärzte auf viele unterschiedliche Fachgebiete verteilen (siehe 9.). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 224 3 11. Die Charité teilt in ihrer Pressemitteilung vom 2. September 2015 mit, dass die Programmteilnehmer „eine einjährige, medizinisch ausgerichtete Sprachausbildung“ erhalten. Weiter heißt es: „Von Beginn an sind die angehenden Fachärztinnen und Fachärzte in engem Kontakt mit der Klinik, an der sie sich in den folgenden fünf bis sechs Jahren qualifizieren werden.“ Was ist unter „engem Kontakt mit der Klinik“ zu verstehen, wenn zu Beginn der Sprachausbildung noch keine Berufserlaubnis vorliegen kann, die einen Patientenkontakt ermöglichen würde? Zu 11.: Während des einjährigen Spracherwerbs nimmt keine Delegationsärztin bzw. kein Delegationsarzt an der Patientenversorgung teil. Der Hinweis in der Pressemitteilung bezieht sich darauf, dass Delegationsärztinnen und -ärzte bereits zu Beginn der Sprachausbildung die Chefärztinnen und Chefärzte kennenlernen und nach ca. 6 Monaten Sprachkurs in Fortbildungen ihrer Fachrichtung eingeladen werden. So können sie auch ihre zukünftigen Kolleginnen und Kollegen kennenlernen. 12. Eine Berufserlaubnis oder Approbation kann erst dann erteilt werden, wenn allgemeinsprachliche Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 des GER und Fachsprachenkenntnisse orientiert am Niveau C1 des GER nachgewiesen worden sind. Werden die saudi-arabischen Ärzte ein Jahr lang auf die allgemeinsprachliche Prüfung B2 des Goethe-Instituts, der telc gGmbH oder des TestDaFInstituts sowie auf die Fachsprachenprüfung der Ärztekammer Berlin vorbereitet, bevor sie die Weiterbildung beginnen? Hält der Senat das gewählte Verfahren für geeignet? Zu 12.: Die saudischen Facharztanwärterinnen und - anwärter durchlaufen zunächst einen Intensivsprachkurs mit medizinischem Schwerpunkt an der Charité International Academy, der mit der B2-Prüfung (telc) abschließt. Der Antrag auf Berufserlaubnis beim Landesamt für Gesundheit und Soziales erfolgt mit dem B2-Zertifikat. Anschließend belegen die Kandidatinnen und Kandidaten ein Kommunikationstraining an der Charité International Academy. Dieses Fachsprachentraining bereitet u.a. mittels Anamnesegesprächen mit Simulationspatientinnen und -patienten auf die klinische Phase vor, gleichzeitig werden die Inhalte der Fachsprachenprüfung Medizin (Prüfungsort: Berliner Ärztekammer) trainiert. Berlin, den 04. November 2015 In Vertretung Steffen Krach Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Nov. 2015)