Drucksache 17 / 17 253 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 07. Oktober 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Oktober 2015) und Antwort Spezialgefängnisse für verurteilte Terroristen in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In welchen Justizvollzugsanstalten sitzen momentan wie viele verurteilte Mitglieder von terroristischen Vereinigungen ? (Aufstellung erbeten.) Zu 1.: *JVA Moabit - JVA Tegel 2 JVA Heidering 1 JVA Plötzensee 1 JVA für Frauen 1 Jugendstrafanstalt Berlin - JVA des offenen Vollzuges Berlin - *Justizvollzugsanstalt Weitere sieben Gefangene mit Tatvorwurf nach §§ 129 a, b; 89 a, b Strafgesetzbuch (StGB) befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. 2. Welche besonderen Voraussetzungen müssen für verurteilte Mitglieder von terroristischen Vereinigungen in den Justizvollzugsanstalten in Berlin geschaffen werden und sind die für alle unter 1. erfragten Personen umgesetzt ? Zu 2.: Zum Umgang mit Gefangenen speziell des radikal -islamistischen Täterkreises bestehen seit Juni 2015 konzeptionelle Vorgaben der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz als Fachaufsichtsbehörde. Sie sind für alle Justizvollzuganstalten verbindlich und werden umgesetzt. Nach Rechtskraft des Urteils und Übergang der oder des Verurteilten in Strafhaft wird der Einzelfall in Vollzugskonferenzen erörtert und es werden bestehende Sicherungsregelungen aus der vorangegangenen Untersuchungshaft den Vorschriften und Bedingungen der Strafhaft angepasst. Wie bei allen anderen rechtskräftig gewordenen Urteilen ermittelt die Einweisungsabteilung des Berliner Justizvollzuges den spezifischen Behandlungsbedarf der Gefangenen und erstellt einen ersten Vollzugsplan. Basis hierfür bilden auch Erkenntnisse, die während des Untersuchungshaftvollzuges gewonnen wurden und den Feststellungen des Urteils hinsichtlich Tatbegehung und Tathintergrund zu entnehmen sind. Sodann erfolgt die Einweisung und Verlegung in eine zur sicheren Unterbringung der oder des Gefangenen geeignete Vollzugsanstalt. Im weiteren Vollzugsverlauf greifen Vorkehrungen zur Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit der Anstalt bezogen auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Dabei handelt es sich - unter Kooperation mit den Sicherheitsbehörden - um Maßnahmen zur Entweichungsprävention, zur Verhinderung der Radikalisierung anderer Gefangener und zur Bereitstellung besonderer Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen mit dem Ziel der Deradikalisierung. Zum Haftende sind besondere Regelungen und Konferenzen im Rahmen der Entlassungsvorbereitung zur Übergabe an Verantwortliche außerhalb des Justizvollzuges (Sicherheitsbehörden, Soziale Dienste, Führungsaufsichtsstelle, Bewährungshilfe u. a.) vorgesehen. 3. Welche Herausforderung stellt die Inhaftierung von Mitgliedern terroristischer Vereinigungen gegenüber dem Personal im Justizvollzug dar? Zu 3.: Mitglieder terroristischer Vereinigungen werden bei Haftbeginn umfassenden Sicherungsverfügungen unterworfen, die gegenüber gewöhnlichen Gefangenen erhöhte Aufmerksamkeit und erhöhten Personaleinsatz durch vermehrte Kontrollen und Überwachungen erfordern . Hier sind zu nennen insbesondere der Besuchs- und Schriftverkehr sowie Telefonate, eine verstärkte Durchsuchung der Gefangenen sowie die häufigere Revision ihrer Hafträume und ggf. Arbeitsplätze hinsichtlich des Besitzes verbotener Gegenstände wie z. B. Handys. Zudem ist auf Sympathisanten zu achten und als potentiell anfällig erkannte Gefangene sind vor Einwirken und Beeinflussung durch Gefangene mit terroristischem Hintergrund zu schützen. Abgesehen davon sind alle Gefangene auf Anzeichen und Hinweise einer Radikalisierung im Verhalten oder in äußeren Umständen zu beobachten. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 253 2 4. Wie wird das Personal dahingehend geschult und geschützt? Zu 4.: Bedienstete der Justizvollzugsanstalten werden bereits während der Ausbildung und später bei der Berufsausübung in Fortbildungsveranstaltungen mit Phänomenen des gewaltbereiten Terrorismus in rechtsradikalen, linksradikalen und religiösen Erscheinungsformen vertraut gemacht sowie im Umgang mit sich daraus im Vollzug ergebenen besonderen Problemen unterwiesen. Ein Schwerpunkt in der Ausbildung von Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes besteht in der Wahrnehmung von Verhaltensauffälligkeiten Gefangener vor allem hinsichtlich radikal-islamistischer Haltungen und einer professionellen Reaktion darauf. Hieran sind auch fachkundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes beteiligt, darunter Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler. Als Hilfsmittel für das Personal stehen bereits seit Jahren Handbücher und Indikationslisten der EU-Kommission zur Verfügung. Ausund Fortbildung im Berliner Justizvollzug sind insgesamt darauf ausgerichtet, subkulturelle Strukturen zu erkennen; dies gilt nicht nur für Formen des politisch-religiösen Terrorismus, sondern auch für die organisierte Kriminalität wie z. B. Rockergruppen. 5. Müssen bauliche Veränderungen in den Justizvollzugsanstalten vorgenommen werden, um den Aufbau von neuen bzw. weiteren Netzwerken durch verurteilte Mitglieder terroristischer Vereinigungen frühzeitig zu unterbinden ? Zu 5.: Bauliche Veränderungen größeren Umfangs sind abgesehen von punktuellen Ausstattungsänderungen in einzelnen Hafträumen nicht erforderlich. Zur Verhinderung von Netzwerken werden zur Unterbringung allerdings Anstalten und Anstaltsbereiche ausgewählt, in denen durch Baulichkeit und Konzeption eine intensive Beobachtung und Überwachung der relevanten Gefangenen gewährleistet ist. 6. Wird bundesweit darüber nachgedacht, ein Spezialgefängnis im Verbund zu realisieren, welches explizit verurteilte terroristische Straftäter als Insassen hat? Zu 6.: Dem Senat sind keine Pläne anderer Bundesländer bekannt, Gefängnisse ausschließlich für terroristische Straftäterinnen und Straftäter zu errichten. Es überwiegt bundesweit die Auffassung, dass derartige Einrichtungen kontraproduktiv zur angestrebten Prävention anfälliger Gefangener und zur Deradikalisierung bereits radikalisierter Inhaftierter wären. Hier wird die Lehre gezogen aus der Zeit des Terrorismus durch die „Rote Armee Fraktion“, in der Sonderbereiche bestanden und in ihnen unter Gruppendruck eine massive Verfestigung radikal-fanatischer Haltungen zu verzeichnen war. Angestrebt ist vielmehr die dezentrale Unterbringung in überschaubaren Einheiten mit geschultem Personal bei konsequenter örtlicher Trennung radikalisierter von gefährdeten Gefangenen. 7. Werden wir in den kommenden Jahren bundesweit mit mehr verurteilten Mitgliedern von terroristischen Vereinigungen zu rechnen haben und welche Überlegungen hinsichtlich veränderter Anforderungen hat der Berliner Senat dazu? Zu 7.: Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sind mit Stand Ende September 2015 bundesweit 750 Personen in das Kampfgebiet Syrien/Irak ausgereist, davon ca. 100 aus Berlin, die zum Teil entweder schon zurückgekehrt sind oder deren Rückkehr zu erwarten ist. Berlin weist 670 Salafisten auf, davon werden 350 als gewaltbereit eingeschätzt. Diese Zahlen und die Zuständigkeit des Kammergerichts mit seinen Staatsschutzsenaten auch für Brandenburg und Sachsen-Anhalt lässt einen Anstieg der Verurteilungen nicht ausschließen. Die beschriebenen Strategien werden dann der Entwicklung angepasst und ausgeweitet. Berlin, den 05. November 2015 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Nov. 2015)