Drucksache 17 / 17 325 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Cornelia Seibeld (CDU) vom 09. November 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. November 2015) und Antwort Willkommensklassen – mehr als ein Feigenblatt? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Nach welchem Anforderungsprofil werden Lehrende für Willkommensklassen ausgewählt und eingestellt ? Zu 1.: Die in der Ausschreibung genannten Einstellungsvoraussetzungen sind ein Lehramtsbezogener Master of Education bzw. 1. Staatsprüfung und (2.) Staatsprüfung für ein Lehramt oder eine abgeschlossene Lehramtsausbildung nach Recht des Herkunftslandes oder eine 1. Staatsprüfung für ein Lehramt, ein lehramtsbezogener Master of Education, ein Diplom- ,Magister- oder ein anderer Masterabschluss, der an einer Universität oder an einer Fachhochschule erworben wurde und gute Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Für die deutschen Sprachkenntnisse ist ein Nachweis zu erbringen (z.B. Nachweis des Zertifikats Niveau C 2 vom Goethe-Institut). 2. Werden dem Lehrpersonal in den Willkommensklassen seitens der Bildungsverwaltung Konzeptvorlagen oder Rahmenpläne zur Verfügung gestellt? Zu 2.: Auch der Unterricht in den Willkommensklassen orientiert sich an den Rahmenlehrplänen der einzelnen Fächer. Da die Willkommensklassen sehr heterogen sind, erfordert dies eine durchgehende Individualisierung des Unterrichts, um Voraussetzungen und Vorwissen jedes Schülers und jeder Schülerin effektiv in den individuellen Lernprozess einzubinden. Ein verbindlicher Lehrplan mit einer festgelegten Stundentafel ist somit nicht zielführend. Vielmehr müssen die Vorkenntnisse, das Wissen und die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler innerhalb einer Lerngruppe im stärkeren Maße berücksichtigt und der Unterricht entsprechend gestaltet werden. 3. Wie stellt die Bildungsverwaltung die Versorgung der Willkommensklassen mit nötigem und speziellem, an den Bedürfnissen der Willkommensklassen ausgerichtetes Unterrichtsmaterial sicher? 10. Wie werden die von den Willkommenslehrern privat verauslagten Kosten für Unterrichtsmaterialien erstattet oder baut die Senatsverwaltung bei der Ausstattung der Willkommensklassen auf Spenden? Zu 3. und 10.: Für die Ausstattung der Willkommensklasse mit Lehr- und Lernmitteln sind ausschließlich die Schulträger (Bezirke, bei zentral verwalteten Schulen die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft) zuständig. Die Bezirke erhalten über eine Basiskorrektur einen entsprechenden Ausgleich. Kinder und Jugendliche, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, erhalten im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe Mittel für den persönlichen Schulbedarf (in der Regel 70 € zum 1. Halbjahr, 30 € zum 2. Halbjahr). Erfolgt die Aufnahme in die Schule während der laufenden Schulhalbjahre, erhalten die Kinder und Jugendlichen in dem Monat, in dem der erste Schultag liegt, immer 70 € für den persönlichen Schulbedarf. 4. Wie sehen die speziellen Angebote für Kommunikation und Information aus, die für die Lehrenden in Willkommensklassen eingerichtet wurden? 5. Bietet die Bildungsverwaltung Systeme zum Austausch von Erfahrungen an, beispielsweise internetbasierte Foren oder regelmäßige Veranstaltungen? 6. Werden den Lehrenden, sowohl denen in Willkommensklassen wie auch allen anderen Lehrenden, Fortbildungen für die Arbeit mit Flüchtlingen oder in Willkommensklassen angeboten? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 325 2 Zu 4., 5. und 6.: Zur Qualifizierung sowie zur Kommunikation und zum Austausch von Erfahrungen des pädagogischen Personals, das in Willkommensklassen arbeitet, wurde ein aufeinander aufbauendes umfassendes Angebot aufgestellt. Alle neu einsteigenden Lehrkräfte werden mehrmals jährlich zu einer Informationsveranstaltung eingeladen und über diese Qualifizierungsangebote informiert. Seit 2014 werden praxisbegleitende Jahresfortbildungen für Lehrkräfte der Willkommensklassen in Grundschulen und für Schulen mit Sekundarstufen zu den Themenschwerpunkten : Wortschatzarbeit in heterogenen Lerngruppen, Alphabetisierung in der Zielsprache Deutsch, Mehrsprachigkeit nutzen und Unterrichtsmethodik angeboten. Für neu einsteigende Lehrkräfte finden Informationsveranstaltungen zu den schulischen und außerschulischen Rahmenbedingungen (Leitfaden, Fortbildungsangebote, Unterstützungssysteme, Starterpaket) sowie ab 24. November 2015 Kompaktkurse mit den Themenschwerpunkte Basisqualifikation zu den Stolpersteinen der deutschen Sprache und die Planung von Unterrichtssequenzen statt. Ab Dezember 2015 wird ein Alphabetisierungskurs für Lehrkräfte eingerichtet, die nicht alphabetisierte Kinder und Jugendliche unterrichten. Zudem wird ab Mai 2016 ein E-Learning-Kurs (Grundlagenkurs) für Lehrkräfte, die eine Willkommensklasse übernehmen, angeboten. Regelmäßig finden Fachtage mit verschiedenen Schwerpunkten für das pädagogische Personal, das mit Kindern aus Willkommensklassen arbeitet, statt. Ein weiteres Angebot sind die Werkstattgespräche für Schulleitungen zum Thema Integration von Schülerinnen und Schülern aus Willkommensklassen in das Regelsystem. In allen Regionen Berlins gibt es mittlerweile Personen , die für Lehrkräfte der Willkommensklassen Beratung und regelmäßige Netzwerktreffen anbieten und von den gesamtstädtisch organisierten Schulberaterinnen und Schulberatern für Sprachbildung unterstützt werden. Zur Beratung steht außerdem das Zentrum für Sprachbildung (ZeS) für das pädagogische Personal der Willkommensklassen zur Verfügung. 7. Wie reagiert die Senatsverwaltung auf die nun vermehrt auftretenden und aggressiven Konfliktsituationen innerhalb der Schulen? Zu 7.: Der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft ist nicht bekannt, dass durch die wachsende Zahl der Willkommensklassen vermehrt aggressive Konfliktsituationen innerhalb der Schule auftreten. Die mit der Fragestellung insinuierte Verknüpfung wird ausdrücklich zurückgewiesen. Erkennbar ist, dass die psychische Belastung bei den Lehrkräften durch die Konfrontation mit den besonderen Lebenslagen der Schülerinnen und Schüler, deren Schicksalen und traumatischen Erfahrungen zunimmt. 8. Werden Erzieher mit entsprechender Ausbildung oder Lerntherapeuten als Unterstützung in den Willkommensklassen eingesetzt? Zu 8.: Der Einsatz der Erzieherinnen und Erzieher in Willkommensklassen der Ganztagsschulen erfolgt gemäß Verwaltungsvereinbarung Zumessung und liegt bei öffentlichem Personal in der Verantwortung der Schule. Sofern Schulen mit einem Träger der freien Jugendhilfe kooperieren, entscheidet der Träger über den Personaleinsatz . Spezielle Fortbildungen für Erzieherinnen und Erzieher befinden sich in der Planung. 9. Wird von den Bestandslehrern der Schulen eine freiwillige, unbezahlte Unterstützung in den Willkommensklassen erwartet? Zu 9.: Nein. 11. Wie sollen die Erst- und Zweitklässler der Flüchtlingsfamilien bei dem jetzigen Personalschlüssel und den bestehenden Klassengrößen (plus Inklusionskinder) im Klassenverbund zielführend beschult werden? Zu 11.: Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 und 2 werden in der Regel in der Schulanfangsphase nicht in Willkommensklassen, sondern in regulären Lerngruppen unterrichtet. Je nach seiner Lernentwicklung kann ein Kind aus der Schulanfangsphase bereits nach einem Jahr in die Jahrgangsstufe 3 wechseln oder aber drei Jahre in der Schulanfangsphase verweilen. In vielen Berliner Schulen ist die Schulanfangsphase jahrgangsstufenübergreifend organisiert. Auf die vorhandene Heterogenität in einer Lerngruppe kann so pädagogisch in besonderem Maße reagiert werden. Der Lernstand und die Lernentwicklung der Kinder werden in der Schulanfangsphase intensiv beobachtet, um alle Kinder entsprechend der individuellen Lernausgangslage individuell zu fördern und zu fordern. Für die Förderung des Erwerbs der deutschen Sprache erhalten Schulen zusätzliche Ressourcen. Die Sprachförderung erfolgt in den Unterrichtsstunden aller Fächer (integrative Sprachförderung ) sowie für Schülerinnen und Schüler mit spezifischem Förderbedarf darüber hinaus zusätzlich zur Stundentafel (additive Sprachförderung). Maßnahmen zur sprachsensiblen Unterrichtsgestaltung und zur individuellen Förderung werden im Rahmen des schuleigenen Sprachbildungskonzepts festgelegt. Grundschulen, die in der Nähe von Erstaufnahmeeinrichtungen liegen, können eine Genehmigung zur Einrichtung einer separaten Lerngruppe für Neuzugänge für Kinder der Jahrgangsstufe 1 und 2 erhalten. Dadurch soll vermieden werden, dass durch die hohe Fluktuation der Unterricht der bestehenden Klassen der Schulanfangsphase beeinträchtigt wird, da Familien die Erstaufnahmeeinrichtung in der Regel bereits nach rund drei Monaten verlassen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 325 3 12. Ist zu erwarten, dass die Marke "30 Schüler pro Klasse" in einzelnen Schulen oder gar berlinweit geknackt wird, wenn nach 8 Monaten die Kinder der Willkommensklassen in die Bestandsklassen überführt werden? Zu 12.: Im Schuljahr 2014/15 lag die durchschnittliche Klassenfrequenz im Grundschulbereich bei 22,4 Schülerinnen und Schülern, in den Integrierten Sekundarschulen bei 23,2 Schülerinnen und Schülern und an den Gymnasien bei 28,5 Schülerinnen und Schülern. Somit stehen berlinweit in den vorhandenen Klassen Platzkapazitäten beim Übergang der Schülerinnen und Schüler aus Willkommensklassen in die Regelklassen zur Verfügung. Sollten sich in Einzelfällen, insbesondere bei hoch nachgefragten Schulen oder beim Übergang von der Grundschule in weiterführende Schulen, Probleme abzeichnen, wird in Abstimmung Schule, regionale Schulaufsicht und Schulträger eine tragfähige Lösung entwickelt. Dazu finden regelmäßige Planungsgespräche statt. Berlin, den 24. November 2015 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Nov. 2015)