Drucksache 17 / 17 366 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 16. November 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. November 2015) und Antwort Fürsorgepflicht für Vollzugsbedienstete und Beschäftigte von freien Trägern beim Umgang mit und nach kritischen Situationen im Justizvollzug Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Maßnahmen, Regelungen und Absicherungen in Wahrnehmung der Fürsorgepflichten des Staates gibt es a) zugunsten der verbeamteten bzw. angestellten öffentlichen Bediensteten im Berliner Justizvollzug und b) zugunsten von Beschäftigen der freien Träger der Straffälligenhilfe, die im Berliner Justizvollzug tätig sind, hinsichtlich des Umgangs mit kritischen oder gefährlichen Situationen im Kontakt mit Inhaftierten und eventuellen Übergriffen (wie z.B. in der JVA Charlottenburg am 14.8.2015) insbesondere in den Bereichen - Arbeitssicherheit, - Prävention, - Aus- und Fortbildung, - psychologische Betreuung und praktische Unterstützung nach kritischen Ereignissen im Umgang mit Inhaftierten, - materielle Absicherungen für Folgeschäden oder vorübergehende bzw. dauerhafte Einschränkungen der Fähigkeit zur Berufsausübung (Versicherungen bzw. staatliche Unterstützungsleistungen)? Zu 1.: Der untermittelbare Kontakt mit Inhaftierten birgt für verbeamtete und angestellte öffentliche Bedienstete als auch für Beschäftigte der freien Träger Risiken, die in Gefahren und Schädigungen umschlagen können. Um die Bediensteten vor eventuellen Übergriffen zu schützen, wurden und werden in den einzelnen Justizvollzugsanstalten Maßnahmen verschiedenster Art (u. a. baulich -instrumentell, administrativ und sozial) getroffen, um Gefahrensituationen zu vermeiden, Risiken zu vermindern oder bei Eintreten einer Gefahr entsprechend reagieren zu können. Zu a): - Arbeitssicherheit: Die Arbeitssicherheit hat in den einzelnen Justizvollzugsanstalten eine hohe Priorität. Gemäß § 5 f. Arbeitsschutzgesetz werden die jeweiligen Arbeitsgebiete in den Anstalten nach der mit ihnen für die Beschäftigten verbundenen Gefährdung beurteilt und diese Beurteilung dokumentiert. Der darauf aufbauende konkrete Arbeitsschutz umfasst die Arbeitsplatzgestaltung und -einrichtung , die persönliche Schutzausrüstung (wie beispielsweise Funkgeräte mit Ortungsfunktion) und Schutzbekleidung als auch die Untersuchung derjenigen Faktoren , die zu psychischen Belastungen führen können. In den einzelnen Justizvollzugsanstalten bestehen des Weiteren interne Verhaltensregeln und Hausverfügungen sowohl zu allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen als auch für Alarmfälle. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Einbindung des betriebsärztlichen Dienstes. Es besteht eine strukturierte Zusammenarbeit mit der Charité Berlin. Unter anderem werden unter Beteiligung von einer Fachkraft für Arbeitssicherheit und einer Arbeitsschutzkoordinatorin oder einem Arbeitsschutzkoordinator gemeinsam mit der Ärztin und dem Arzt Begehungen in den Anstalten durchgeführt. - Prävention und Aus- und Fortbildung: Schon in der zweijährigen Ausbildung werden die angehenden Bediensteten mit den möglichen Risiken und den Gefährdungen sowohl in der Theorie als auch in der Praxis vertraut gemacht. Sie werden insbesondere hinsichtlich eines professionellen Umgangs bei gefährlichen, kritischen und unübersichtlichen Situationen geschult und auf den Umgang mit schwierigen und gewaltbereiten Gefangenen umfassend vorbereitet. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 366 2 Die Prävention wird des Weiteren durch Fortbildungen in Form von Trainings gewährleistet, die zum Teil je nach Arbeitsgebiet auch verpflichtend sind. Vorrangig nutzen die Anstalten das Fortbildungsprogramm der Bildungsstätte Justizvollzug (BJV). Betreffend die Vorbereitung auf gefährliche Situationen wurden 2015 unter anderem von der BJV folgende Fortbildungen angeboten: „Umgang mit psychisch auffälligen Inhaftierten“, „Situationstraining Sicherungstechniken“, „Training Sicherungstechniken -Abwehr von Hieb- und Stichwaffen“, „Souveränität im Umgang mit Aggression und Gewalt“, „Interdisziplinäres Praxistraining“ oder „Praxisorientiertes Ausführungsseminar“. Darüber hinaus gab es Fortbildungen der BJV, die Bedienstete bezüglich Deeskalation, Konfliktfähigkeit und Gesprächsführung mit Inhaftierten schulten. Weitere Fortbildungsangebote werden beispielsweise auch von der Verwaltungsakademie Berlin oder von der Unfallkasse Berlin angeboten. Zum Teil werden auch anstaltsinterne Fortbildungen angeboten, die durch freie Träger (z. B. Berliner Aidshilfe zum Thema Gesundheitsprophylaxe) durchgeführt werden. Neben Fortbildungen besteht immer wieder die Möglichkeit, an Fachtagungen teilzunehmen, u. a. zum Thema „Forum Persönlichkeitsstörungen“. - Psychologische Betreuung und praktische Unterstützung : In den einzelnen Anstalten haben die Bediensteten über mehrere Wege die Möglichkeit. sich psychologische Betreuung und auch praktische Unterstützung zu holen. Der oder die Bedienstete kann sich bei Problemen immer an die unmittelbaren Dienst- und Fachvorgesetzten wenden , die selber helfen oder an andere Stellen oder Personen zur psychologischen und/oder medizinischen Unterstützung weitervermitteln. In allen Anstalten ist mindestens eine Psychologin oder ein Psychologe vertreten, an die oder den sich die einzelnen Bediensteten jederzeit richten können. Einige Anstalten verfügen darüber hinaus über ein Kriseninterventionsteam, zu dem neben Psychologinnen und Psychologen auch Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie Angehörige der Laufbahn des allgemeinen Vollzugsdienstes gehören. Des Weiteren sind die Jugendarrestanstalt und Jugendstrafanstalt dabei, ein effektives Notfallmanagement mit Schulungsangeboten einzuführen, welches in Zusammenarbeit mit der Unfallkasse Berlin konzipiert wurde. Über die anstaltsinternen Maßnahmen hinaus haben die Bediensteten des Berliner Justizvollzuges jederzeit auch die Möglichkeit, die Sozialberatung der Berliner Justiz in Anspruch zu nehmen. - Materielle Absicherungen für Folgeschäden oder vorübergehende bzw. dauerhafte Einschränkungen der Fähigkeit zur Berufsausübung: Die materielle Absicherung erfolgt nach den rechtlichen Grundlagen des Landesbeamtenversorgungsgesetzes (LBeamtVG), insbesondere den §§ 30 bis 46 LBeamtVG, die die Unfallfürsorge zu den Themenschwerpunkten Sachschäden und besondere Aufwendungen (§ 32 LBeamt VG), Heilverfahren (§§ 33, 34 LBeamtVG), Unfallausgleich (§ 35 LBeamtVG), Unfallruhegehalt oder Unterhaltsbeitrag (§§ 36 bis 38 LBeamtVG), Unfall- Hinterbliebenenversorgung (§§ 39 bis 42 LBeamtVG), einmalige Unfallentschädigung (§ 43 LBeamtVG), Schadensausgleich in besonderen Fällen (§ 43a LBeamtVG) und Einsatzversorgung im Sinne des § 31 a LBeamtVG umfassen. Die gesetzlichen Regelungen für Beamtinnen und Beamte sehen zunächst keine Unterscheidung hinsichtlich der Verwendung in den Haftanstalten vor. Diese Regelungen schließen auch Unfälle bei gefährlichen Situationen mit Inhaftierten oder Übergriffen durch Inhaftierte auf die Bediensteten mit daraus resultierenden Gesundheitsschäden mit ein. Zusätzlich haben Beamtinnen und Beamte die Möglichkeit gemäß § 78 Landesbeamtengesetz (LBG) sich bei einer dienstunfallrechtlichen Situation (also einem Dienstunfall ohne gesundheitliche Schädigung ) den Sachschaden erstatten zu lassen. Tarifbeschäftigte sind unabhängig von ihrem Beschäftigungsort hinsichtlich der materiellen Absicherung und für Folgeschäden eines Arbeitsunfalls über das Sozialgesetzbuch (SGB) und Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgesichert. Für Tarifbeschäftigte ist die Unfallkasse Berlin als Versicherungsträger zuständig. Sobald hier ein anerkannter Arbeitsunfall vorliegt, entschädigt die Unfallkasse Berlin die Versicherte und den Versicherten im Falle eines Gesundheitsschadens. Zu b): - Arbeitssicherheit: Da die einzelnen Anstalten gemäß § 155 Abs.1 Satz 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) verpflichtet sind, auch nebenamtlich oder vertraglich verpflichtete Personen vor Risiken und Gefahren, die aus dem Umgang mit Inhaftierten resultieren können, zu schützen, gelten zum größten Teil die gleichen Aspekte zur Arbeitssicherheit wie zu a). Bei fehlender Qualifizierung der Beschäftigten der freien Träger der Straffälligenhilfe wird ihnen hauptamtlich geschultes Personal zur Verfügung gestellt, die den freien Träger unterstützen und adäquat bei Gefahrensituationen reagieren können. Die Beschäftigten der freien Träger haben zudem in jeder Anstalt Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, die sie im Hinblick auf mögliche Gefahren unterweisen und auf gefährliche Situationen hinweisen (z. B. Verhalten im Alarmfall, Eigenschutz, Besonderheiten im Umgang mit Gefangenen; Belehrungen hinsichtlich des Datenschutzes etc.). Sofern Beschäftigte der freien Träger öfter in einer Anstalt arbeiten, werden sie ebenfalls mit Funkgeräten ausgestattet. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 366 3 - Prävention und Aus- und Fortbildung: Die Aus- und Fortbildungen (und damit auch die Präventionsmaßnahmen ) erfolgen durch die freien Träger selbst. Das Fortbildungsprogramm der Anstalten ist den Beschäftigten freier Träger im Regelfall nicht zugänglich. - Psychologische Betreuung und praktische Unterstützung : Bei belastenden Situationen stehen den Beschäftigten der freien Träger die Hilfsangebote der einzelnen Anstalten ebenso zur Verfügung wie den Bediensteten. Sie können sowohl ihre Ansprechpartnerin oder ihren Ansprechpartner kontaktieren, die/der den Beschäftigten weiter vermittelt als auch direkt die anstaltsinterne Psychologin oder den anstaltsinternen Psychologen oder das Kriseninterventionsteam in Anspruch nehmen. - Materielle Absicherungen für Folgeschäden oder vorübergehende bzw. dauerhafte Einschränkungen der Fähigkeit zur Berufsausübung: Ähnlich wie bei den Tarifbeschäftigten sind die Beschäftigten der freien Träger bei einem Unfall oder einem anderen Schaden über das SGB und BGB sowie der Unfallkasse Berlin abgesichert. Alle weiteren Aspekte sind abhängig von den jeweiligen Arbeitsverträgen zwischen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer. 2. Welche Möglichkeiten gibt es a) für Bedienstete im Berliner Justizvollzug und b) für Beschäftige von freien Trägern der Straffälligenhilfe, die im Berliner Justizvollzug tätig sind, eine Auskunftssperre für das Melderegister zu beantragen und welche Unterstützung erhalten sie dabei vom Senat? Zu 2.: a) Vorrangig unterstützt die jeweilige Anstalt ihre Bediensteten , wenn diese in begründeten Fällen eine Auskunftssperre beim Melderegister beantragen möchten. Bei konkreten Gefährdungssituationen besteht dann die Möglichkeit , beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten eine Auskunftssperre im Melderegister im örtlichen Fahrzeugregister zu beantragen. b) Eine Unterstützung für eine Auskunftssperre bei den Beschäftigten der freien Träger erfolgt im Regelfall über den freien Träger selbst. Es besteht jedoch die Möglichkeit , dass die Anstalten den Beschäftigten der freien Träger eine Bescheinigung ausstellen, falls diese bei der Arbeit in der Anstalt besonders gefährdet ist. Berlin, den 02. Dezember 2015 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Dez. 2015)