Drucksache 17 / 17 406 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (LINKE) vom 18. November 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. November 2015) und Antwort Weiterentwicklung des Leistungs-und Vergütungssystems für stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe (Projekt Heime) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Schlussfolgerungen hat der Senat aus den Handlungsempfehlungen der Gesellschaft für Beratung Bildung Innovation mbH (BBI GmbH), die im Evaluationsbericht (Projekt Heime) vom März 2014 benannt sind, gezogen? 2. Was wurde bisher umgesetzt, was ist wann geplant und welche Handlungsempfehlungen will oder kann der Senat nicht berücksichtigen? Zu 1. und 2.: Wesentlicher Inhalt und Auftrag der Evaluation war einerseits die Überprüfung der seinerzeitigen Budgetneutralität der Umsetzung des Projektes sowie andererseits die Ermittlung von Aspekten der Feinsteuerung bezüglich der gemeinsam mit der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege (LIGA) beschlossenen Differenzierung der Leistungsgruppen. Der Senat sieht im vorliegenden Ergebnis der Evaluation zunächst eine Bestätigung der Richtigkeit und Notwendigkeit des Weges der leistungsbezogenen Angleichung der bisher sehr unterschiedlichen Entgelte für die Leistungen in den stationären Angeboten für Menschen mit Behinderung durch Ausgleich und Umverteilung in der Finanzierung (Konvergenz). Ebenso wird - im Rahmen der Bildung von Gruppen vergleichbaren Hilfebedarfs - die Differenzierung von ehemals vier auf jetzt sechs Leistungsgruppen mit der gleichzeitig damit verbundenen durchschnittlichen Zeitzumessung durch die vorliegenden Empfehlungen im Grundsatz nicht in Frage gestellt. Der Senat entnimmt darüber hinaus der von ihm beauftragten Evaluation eine Reihe von thematischen Schwerpunkten, die -mittelfristig betrachtet- sowohl die Rahmenbedingungen selbst, als auch die künftige Weiterentwicklung des stationären Sektors der Behindertenhilfe insgesamt betreffen. Die parallele Bearbeitung dieser Themen wurde in einem Arbeitsplan festgelegt und betrifft die Bereiche • Bedarfsfeststellung (Leitfaden, besondere Zielgruppen ) • Bedarfsdeckung (Konvergenz, Tagestruktur, Module ) • Begleitende Prozesse (Wissenschaftlicher Dialog, Information und Öffentlichkeitsarbeit, Schnittstellen Pflege und ärztliche Versorgung, Qualifikation ). Die Konvergenzphase (die weitere Anpassung von Entgelt und entsprechender Leistung) wird gemäß Beschluss 2/2011 der gemeinsamen Kommission 75 (KO75) unabhängig von den vorgenannten Arbeitspaketen fortgeführt . Da ein Teil dieser Themen im engen Zusammenhang mit der bundespolitischen Diskussion um die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe steht (z. B. Leistungsberechtigter Personenkreis – Definition von Behinderung, Bedarfsermittlung, Bedarfsfeststellung etc.) wird Berlin derzeit keinen eigenen Berliner Weg beschreiten. Vielmehr bringt sich Berlin mit den Erkenntnissen der Evaluation in den fachlichen Diskurs ein. 3. Welche konkreten Auswirkungen ergeben sich aus den Ergebnissen der Evaluation für die Gestaltung und Umsetzung der Konvergenzphase II zur weiteren Anpassung der Betreuungszeiten und Wohnheim-Vergütungen? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 406 2 Zu 3.: Die Anpassung der Leistungsminuten wird im Zeitraum 1/2016 bis längstens 12/2020 durchgeführt. Den Einrichtungen, die über den vereinbarten Soll- Leistungszeiten liegen, werden die Ist-Minuten im Regelfall um 5 % pro Jahr abgesenkt, bis die vereinbarten Soll- Minuten erreicht sind (gem. Beschluss 2/2011 Ziff. 3c). Die gesamte Anpassung wird in längstens fünf Jahren realisiert. Die „dabei frei werdenden“ Leistungs-Minuten der abgebenden Einrichtungen werden parallel an die Einrichtungen verteilt, die unter den vereinbarten Soll- Minuten liegen. Die Einrichtungen, die am weitesten vom Soll entfernt liegen, erhalten die meisten der frei werdenden Minuten. 4. Wird den Forderungen der Verbände und des Landesbeirates für Menschen mit Behinderung entsprochen, die Konvergenzphase weiterhin auszusetzen, bis es zu einvernehmlichen Lösungen mit den Leistungserbringern kommt und wenn nein, warum nicht? Zu 4.: Die aktuell verbindlich geltenden Leistungszeiten wurden im Jahre 2011, in seit 2004 laufenden Verhandlungen , im Berliner Rahmenvertrag (BRV) vereinbart (- konkret: in der zum BRV gehörenden Leistungsbeschreibung für den Leistungstyp Betreutes Wohnen im Heim für erwachsene Menschen mit Behinderung; kurz: WHGKE). In zuvor zwischen den einzelnen Leistungserbringern und dem Land geschlossenen Einzelverträgen waren z. T. andere Leistungszeiten vereinbart. Die Rahmen -vertragspartner haben deren schrittweise Anpassung an den BRV gemäß Beschluss der KO75 Nr. 2/2011 vereinbart . Dementsprechend folgte die erste Konvergenzphase (5/2011 bis 12/2013) und im Jahr 2017 sollte die Konvergenz ganz abgeschlossen sein (Beschluss der KO75 Nr. 6/2014). Zwischenzeitlich wurde - ohne Ergebnis - eine erneute Anpassung des BRV diskutiert. Nach Vorliegen des Evaluationsberichts der Gesellschaft für Beratung Bildung Innovation mbH (BBI GmbH) Anfang 2014 wurden im Rahmen der Arbeitsgruppe (AG) Umsetzung zwischen Land und LIGA Verhandlungen erneut auch über die Leistungszeiten aufgenommen. Vorschläge der AG Umsetzung fanden auf LIGA - Seite außerhalb der AG Umsetzung jedoch keine Mehrheit und im August 2015 erklärte diese, kein Mandat für eine Anpassung des BRV und auch keines für die Weiterführung der Konvergenz zu haben. Konkrete Vorschläge der LIGA - Seite liegen nicht vor. Im Ergebnis hat die Evaluation damit keine Erkenntnisse erbracht, deren Umsetzung die Vertragspartner gemeinsam als eine Verbesserung gegenüber dem bestehenden BRV bewerten. Der BRV ist dementsprechend nicht geändert worden. Daher ist dieser (nun) umzusetzen. Der BRV 2011 hält die erforderlichen Maßstäbe ein. Die vereinbarten Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, § 76 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Hiervon abweichende Vereinbarungen darf das Land nicht schließen. Diese Anforderungen erfüllt der 2011 geschlossene BRV. Zu den Zielen der Vertragspartner hatte es gehört, die Leistungen angemessen und bedarfsgerecht zu verteilen. Dazu waren u. a. die zuvor bei vielen Einrichtungen bestehenden Unterschiede in den Betreuungszeiten aufzuheben. Mit dem BRV 2011 ist im Zuge der Vereinbarung neuer Leistungsgruppen und eines einheitlichen Maßstabes der Bedarfsdeckung das erforderliche Maß an Leistungszeiten angemessen ausgestaltet, d. h. dieses Ziel umgesetzt worden. Nach Vorliegen des BBI-Berichts wurde dieses Ergebnis aus 2011 zwar erneut diskutiert, doch nicht geändert. Das heißt u. a. dass mit der Umsetzung der Konvergenz die Einhaltung des vereinbarten und des gesetzlichen Maßstabes herbeigeführt wird. In Anbetracht des genannten Zeitablaufs kann die Umsetzung nicht weiter verzögert werden. Das bestehende Ungleichgewicht zwischen den Einrichtungen kann nicht länger bestehen bleiben. Derzeit existieren 44 Einrichtungen , deren Personalzeiten unter den rahmenvertraglichen Soll-Zeiten liegen, d. h. deren Zeiten nun erhöht werden. 34 Einrichtungen entsprechen dem Soll. 28 Einrichtungen von 15 Trägern müssen Absenkungen realisieren. Zwei Träger betreiben sowohl Einrichtungen, die Leistungszeiten erhöhen als auch eine Einrichtung, die Zeiten absenken muss. Dem Land liegen mehrere Anträge sowie Klageankündigungen von Trägern vor, die derzeit unter den rahmenvertraglichen Zeiten liegen, die die bestehende Benachteiligung nicht länger hinnehmen wollen. 5. Was unternimmt der Senat, um der Benachteiligung von Menschen mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf schnellstmöglich entgegenzuwirken? Zu 5.: Das Projekt Heime umfasst alle 106 stationären Wohneinrichtungen im Land Berlin. In diesen Einrichtungen leben ca. 3.300 Menschen mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung, davon bilden ca. 10 % den Personenkreis der Menschen mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf. Im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Angleichungen im Rahmen des Projektes Heime sind die LIGA und das Land Berlin nach den gemeinsam verabredeten und durchgeführten Erhebungen von dem Grundsatz ausgegangen, dass in Berlin von den Trägern der Einrichtungen in der Gesamtheit die notwendigen Leistungen erbracht werden und die individuell festgestellte Bedarfsdeckung zufriedenstellend erfolgt. Durch die Ausdifferenzierung der Hilfebedarfsgruppen von bisher 4 Hilfebedarfsgruppen in nunmehr 6 Leistungsgruppen können individuelle Hilfebedarfe besser abgebildet werden. Diese Ausdifferenzierung führte dazu, dass bei der während der Umstellung notwendigen Neubegutachtung teilweise Verschiebungen aus den vormals hohen Hilfebedarfsgruppen in die nun niedrigeren Leistungsgruppen erfolgt sind, ohne dass sich die individuellen Bedarfsumfänge geändert haben. Erste Erkenntnisse zur Eingruppierung in die Leistungsgruppen bei Folgebegutachtungen durch die sozialpsychiatrischen Dienste und das bezirkliche Fallmanagement weisen eindeutig einen Anstieg in der Zuordnung zu den hohen Leistungsgruppen unter Berücksichtigung der individuellen Bedarfe auf. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 406 3 Insofern geht der Senat auch weiterhin davon aus, dass in der stationären Versorgung keine Benachteiligung von Personenkreisen per se erfolgt, sondern der Einzelfall entsprechend dem individuellen Bedarf bedarfsgerecht betreut wird. 6. Wie wurde die 2011 im Rahmen der Gemeinsamen Erklärung zwischen Senatsverwaltung, Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege und Angehörigenvereinen vereinbarte Einbindung von Angehörigen und Selbstvertretern bei der Umsetzung des „Projektes Heime“ vollzogen ? Zu 6.: Seit 2011 wurden mehrere Veranstaltungen seitens der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales mit den Interessensgemeinschaften und Angehörigenvereinen durchgeführt. Schwerpunkte dieser Veranstaltungen waren u. a. die Mitwirkung an den inhaltlichen Fragestellungen zum Evaluationsauftrag aus Sicht der Angehörigen , Information über die Auswahl des Auftragnehmers und der inhaltliche Rahmen des Auftrages, Information über die Ergebnisse und das weitere Vorgehen. Darüber hinaus wurden Gesprächsrunden zu aktuellen Entwicklungen und Erkenntnissen aus trägerinternen Evaluationen mit dem Staatssekretär geführt. Eine Beteiligung an der KO75 ist nicht möglich, da dies strukturell nicht vorgesehen ist. Berlin, den 08. Dezember 2015 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Dez. 2015)