Drucksache 17 / 17 409 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 12. November 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. November 2015) und Antwort NPD-Demonstration in Berlin-Schönweide am 02. November 2015 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wann und durch wen wurde die am Montag, den 2. November 2015 stattgefundene Demonstration mit dem Titel „Das Boot ist voll – Asylbetrüger abschieben!“ angemeldet und wann wurde sie genehmigt? Zu 1.: Für diese Versammlung lagen insgesamt zwei Anmeldungen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), Landesverband Berlin, für jeweils einen Aufzug vor. Der erste Aufzug sollte hierbei zum Sammelplatz des zweiten Aufzugs führen. Angemeldet wurden diese am 11. Oktober 2015, wobei eine Anmeldung , vermutlich auf Grund eines technischen Fehlers, zunächst nicht übermittelt werden konnte und erst am 22. Oktober 2015 bei der Versammlungsbehörde Berlin eingegangen ist. Wegen des hohen Verfassungsranges der Versammlungsfreiheit hat der Gesetzgeber für die Durchführung von Versammlungen kein Genehmigungsverfahren vorgesehen . Versammlungen unter freiem Himmel unterliegen gemäß § 14 des Versammlungsgesetzes (VersG) lediglich einer Anmelde- beziehungsweise Anzeigepflicht. Nur dann, wenn erkennbare Umstände hinzutreten, die bei Durchführung der Versammlung zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen, kann die Versammlungsbehörde nach § 15 VersG ordnungsrechtlich tätig werden und Auflagen erlassen. Die entsprechenden Auflagenbescheide wurden dem Anmelder am 30. Oktober 2015 zugestellt. 2. Wann fand das Anmelderinnengespräch im bzw. mit dem zuständigen Abschnitt der Berliner Polizei statt und wie viele Personen haben daran teilgenommen? Zu 2.: Anlässlich der Versammlungsanmeldungen der NPD wurde am 22. Oktober 2015 ein Sondierungsgespräch und am 27. Oktober 2015 ein Kooperationsgespräch durchgeführt. An dem Sondierungsgespräch nahmen neben dem stellvertretenden Dienststellenleiter des Polizeiabschnitts 65 fünf weitere Polizeibeamte sowie die Versammlungsanmelder teil. Bei dem weiteren Kooperationsgespräch am 2. November 2015 waren neben dem Leiter der Polizeidirektion 6 (gleichzeitig Polizeiführer dieses Einsatzes) acht weitere mit der Vorbereitung beziehungsweise Durchführung des Einsatzes betraute Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte der Direktion 6 sowie der Anmelder des zweiten Aufzuges anwesend. 3. Welche Auflagen wurden bzgl. des o.g. Demonstrationszuges der Nationaldemokratische Partei NPD formuliert ? Zu 3.: Für die beiden von der NPD für den 2. November 2015 angemeldeten Aufzüge wurden die nachfolgend genannten versammlungsrechtlichen Auflagen erlassen: 1. Die Verwendung von Fahnen - außer der Bundesflagge und den Flaggen der bestehenden deutschen Bundesländer und der Flagge der Europäischen Union, deren Einsatz unbeschränkt bleibt - wird mit der Maßgabe gestattet , dass eine Fahne pro 50 Teilnehmer verwendet werden darf. Nicht mitgeführt werden dürfen Fahnen, die gesetzlich verboten sind. 2. Untersagt wird die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung, militärischen Kopfbedeckungen, sowie das gemeinsame Tragen von dunklen Springerstiefeln, Bomberjacken in den Farben schwarz, blau, militärgrün und dunkelrot. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 409 2 3. In Versammlungsreden und Sprechchören sowie auf Transparenten haben Aussagen zu unterbleiben, die das Nationalsozialistische (NS-) Regime, seine Organisationen und deren (auch selbst ernannten) Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen glorifizieren, verharmlosen oder sonst wiederbeleben. Untersagt sind insbesondere die Sprüche: „Wir sind wieder da!“ und „Trotz Verbot sind wir nicht tot!“ und „Die Straße frei!“. Untersagt werden des Weiteren Sprüche, in denen zu Gewalt gegenüber Dritten aufgerufen wird, wie zum Beispiel „Linke gibt’s in jeder Stadt, haut sie um und macht sie platt!“ oder „9mm! - 9mm!“ sowie das Verlesen von Namenslisten „politischer Gegner“ in Verbindung mit bedrohenden Zusätzen wie zum Beispiel „Wir kriegen Euch alle!“. Gleiches gilt für Druckwerke, Transparente und musikalische Darbietungen, die bei Ihrer Kundgebung Verwendung finden. 4. Die im Aufzug mitgeführten Kraftfahrzeuge (Kfz) sind im Frontbereich und beidseitig an jeder Achse durch Ordnerpersonal zu sichern, um so ein etwaiges Überfahren von Versammlungsteilnehmenden zu verhindern. Für das gesamte Ordnerpersonal sowie Fahrzeugführende gilt absolutes Alkoholverbot. 5. Für die Umsetzung und Einhaltung der Auflage zu 4. ist für jedes im Aufzug mitgeführte Kfz von der Veranstalterin oder vom Veranstalter beziehungsweise von der Leiterin oder dem Leiter vor Beginn der Versammlung eine Person mit spezieller Wagenverantwortlichkeit zu bestimmen und der Polizeieinsatzleitung unter Angabe der vollständigen Personalien und des Kfz-Kennzeichens des zu überwachenden Fahrzeuges schriftlich zu benennen . Ohne Einsetzung und Benennung einer Person mit Wagenverantwortung darf kein Fahrzeug im Aufzug mitgeführt werden. Die Auflagen zu 1. bis 3. sind den Versammlungsteilnehmenden vor Ort - gegebenenfalls auch wiederholt - bekannt zu geben. 4. Wieweit entfernt hielt sich der Demonstrationszug der NPD von der Flüchtlingsunterkunft am Groß-Berliner Damm 59 und konnten sich dabei die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vereinzelt oder gemeinsam der Unterkunft nähern? Wenn ja, bis auf welche Distanz? Zu 4.: Die Versammlungsteilnehmenden des NPD- Aufzuges konnten aufgrund polizeitaktischer Maßnahmen nicht näher als etwa 200 Meter an das Gelände der Unterkunft herantreten. Auf Höhe Groß-Berliner Damm/ Nieberstraße wurde durch Einsatzkräfte zusätzlich eine Sperrlinie errichtet, so dass auch keine Einzelpersonen aus dem NPD-Aufzug vor das Objekt gelangen konnten. 5. Welche Regelung besteht hinsichtlich politischer Kundgebungen und Demonstrationen in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft im Groß-Berliner Damm 59 sowie anderen Unterkünften für Geflüchtete im Land Berlin? Zu 5.: Die Polizei Berlin achtet und schützt die Privatsphäre aller Flüchtlinge. Insofern dürfen Versammlungen nur in einer Nähe zu den Unterkünften stattfinden, dass jedwede Anprangerungs- und Einschüchterungsversuche unterbunden werden können und die zu schützenden Flüchtlinge die Möglichkeit haben, sich dem Versammlungsgeschehen jederzeit zu entziehen. 6. Existieren diesbezüglich Bannkreise bzw. Bannmeilen ? Wenn ja, welche Ausdehnung haben diese? Wenn nein, welche Voraussetzungen müssen für die Einrichtung von solchen vorliegen? Zu 6.: Nein, die Einrichtung von Bannkreisen beziehungsweise Bannmeilen bedarf der Regelung durch den Gesetzgeber. 7. Waren, neben der Sicherung der Demonstration sowie der Gegendemonstration, auch Einsatzkräfte vor der Flüchtlingsunterkunft am Groß-Berliner Damm 59 eingesetzt? (Wenn ja, wie viele? Falls nicht, warum nicht?) Zu 7.: Ja, vor der Flüchtlingsunterkunft am Groß- Berliner Damm 59 waren etwa 20 uniformierte und nichtuniformierte Einsatzkräfte eingesetzt. 8. Wie viele Beamtinnen und Beamte der Berliner Polizei sowie anderen Länder waren bei dieser Demonstration im Einsatz? Zu 8.: Zur Bewältigung des Einsatzes waren insgesamt 757 Beamtinnen und Beamte eingesetzt, davon 89 Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei. 9. Wie viele Personen nahmen an der Demonstration und wie viele an der Gegendemonstration teil? Zu 9.: 105 Personen beteiligten sich an dem NPD- Aufzug vom S–Bahnhof Schöneweide bis zur Kreuzung Sterndamm/ Groß–Berliner Damm. Nach dem Erreichen des Endplatzes schlossen sich die Teilnehmenden dem zweiten NPD-Aufzug an, so dass in der Spitze insgesamt 170 Personen teilnahmen. An den Gegenkundgebungen nahmen insgesamt etwa 900 Personen teil. 10. Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden für die Demonstration der NPD angemeldet und in welchem Verhältnis steht dies zur realen Anzahl dieser? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 409 3 Zu 10.: Für jeden Aufzug wurden von Seiten des Anmelders jeweils 150 Personen als Teilnehmende angegeben . In einem Kooperationsgespräch wurden diese Zahlen vom Anmelder auf 100 Personen beim ersten Aufzug und 150 bis 200 Personen beim zweiten Aufzug präzisiert. Das jeweilige Verhältnis zur tatsächlichen Anzahl von Teilnehmenden ergibt sich aus der Gegenüberstellung mit den in der Antwort zu Frage 9. genannten Zahlen. 11. Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind schätzungsweise dem rechtsextremen Spektrum außerhalb der NPD zuzuordnen? 12. Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer entfielen schätzungsweise auf die Organisationen: a. „Die Rechte“ b. „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ c. „Reichsbürger“ d. „Europäische Aktion“ e. „Identitäre Bewegung“ f. „Freie Kameradschaften“ ? Zu 11. – 12.f.: Über den Anteil von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten oder die Zugehörigkeit einzelner Teilnehmender zu bestimmten rechtsextremistischen Organisationen bei der NPD-Demonstration am 2. November 2015 kann der Senat keine valide Aussage treffen. 13. Welche und wie viele Straftaten wurden während und im Umfeld der NPD-Demonstration festgestellt? (Aufstellung nach Deliktarten erbeten.) Zu 13.: Zum jetzigen Zeitpunkt sind fünf Straftaten im Zusammenhang mit den in Rede stehenden NPD- Aufzügen bekannt (2x Verdacht des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, 1x Verdacht des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, 2x Verdacht der Körperverletzung). 14. In wie vielen Fällen kam es bei der NPD- Demonstration zu Festnahmen durch die Polizei? Zu 14.: Insgesamt kam es zu acht freiheitsentziehenden beziehungsweise freiheitsbeschränkenden Maßnahmen , davon zwei mit Bezug zu Teilnehmenden der NPD- Aufzüge. 15. Welche und wie viele Ordnungswidrigkeiten wurden während und im Umfeld der NPD-Demonstration begangen? (Aufstellung nach Deliktarten erbeten.) Zu 15.: Keine. 16. Wie viele der festgestellten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sind hierbei dem Bereich PMK (rechts) zuzuordnen? Zu 16.: Grundlage für die Beantwortung der Frage bildet der „Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK). Dabei handelt es sich entgegen der „Polizeilichen Kriminalstatistik “ (PKS) um eine Eingangsstatistik, die erst nach dem Statistikschluss bekannt und entsprechend gezählt wird. Für den konkret genannten Termin 2. November 2015 sind noch nicht alle relevanten Straftaten im Rahmen des KPMD-PMK erfasst und bewertet worden. Die Recherche im KPMD-PMK ergab bislang ein Propagandadelikt im Phänomenbereich PMK rechts. Ordnungswidrigkeiten werden im KPMD-PMK nicht erfasst und sind somit nicht auswertbar. 17. Wie bewertet der Senat die psychische Belastung und die weitergehende Traumatisierung von geflüchteten Menschen in den Unterkünften in Anbetracht von Demonstrationszügen (wie beispielsweise durch die NPD)? Zu 17.: Zu möglichen subjektiven Eindrücken betroffener Personen kann keine Aussage getroffen werden. Berlin, den 02. Dezember 2015 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Dez. 2015)