Drucksache 17 / 17 428 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Andreas Otto und Clara Herrmann (GRÜNE) vom 20. November 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. November 2015) und Antwort Vergabepraxis der Berliner Wasserbetriebe Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nur zum Teil in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Berliner Wasserbetriebe - Anstalt öffentlichen Rechts - (BWB) um eine Stellungnahme gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurde. Sie wurde der Beantwortung zugrunde gelegt. Die Berliner Wasserbetriebe vergeben jährlich ca. 350 Mio. € Bau-, Liefer- und Dienstleistung. Dazu werden jährlich ca. 60.000 Verträge (Einzelbestellungen und Abrufe) geschlossen. Ca. 40 % des Einkaufsvolumens wird auf Basis förmlicher Verfahren vergeben, knapp 30 % als EU-Verfahren und rund 10 % als nationale Verfahren . Rund 80 % der Aufträge gehen an Berliner bzw. Brandenburger Firmen, i.d.R. an Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU), die z.T. auch als Bietergemeinschaften anbieten. Von der Gesamtzahl von jährlich rund 2.000 Lieferanten mit aktiver Vertragsbeziehung sind ca. 900 (45 %) Berliner und ca. 300 (15 %) Brandenburger Firmen. Die zehn auftragsstärksten Firmen sind Tiefbauunternehmen mit einem jährlichen Einkaufsvolumen zwischen 6 und 11 Mio. €. Darin sind alle Abrufe aus geltenden Rahmenverträgen enthalten. Die folgenden Antworten zu den Einzelfragen beruhen auf der Auswertung von Massendaten durch die BWB, die nur als grob plausibilisiert, nicht aber als bis ins Detail gesichert angesehen werden können. 1. In wie vielen Fällen haben die Berliner Wasserbetriebe (BWB) 2014 und 2015 Bauleistungen öffentlich ausgeschrieben? Zu 1.: 2014 wurden 461 Baumaßnahmen und in 2015 472 Baumaßnahmen durch die BWB öffentlich ausgeschrieben . 2. Nach welchen Verfahrensarten sind diese Ausschreibungen im Einzelnen erfolgt (öffentliche Ausschreibungen , freihändige Vergabe et c.)? Zu 2.: Die erbetenen Angaben sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen: gesamt Veröffentlichungen freihändige Vergabe öffentliche Ausschreibung beschränkte Ausschreibung förmlich national offenes Verfahren nicht offenes Verfahren Verhandlungsverfahren Prüfsystem förmlich EU 0 12 1 37 48 17 65 24 2014 Anzahl 461 359 Anzahl 472 381 43 12 55 22 2 12 0 36 2015 Stand: 31.10.2015 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 428 2 3. In wie vielen Fällen und warum wählten die BWB die Verfahrensart „freihändige Vergabe im Wettbewerb (nicht förmlich)“? Zu 3.: Die Anzahl ist der Tabelle zu 2. zu entnehmen. Unterhalb des EU-Schwellenwertes sind die Berliner Wasserbetriebe gem. § 26 Berliner Betriebe-Gesetz (BerlBG) von der in § 55 Landeshaushaltsordnung (LHO) normierten Pflicht der öffentlichen Ausschreibung befreit. Diese Regelung hat der Berliner Gesetzgeber in Absprache mit der EU-Kommission bewusst getroffen, um den Anstalten öffentlichen Rechts die Möglichkeit einzuräumen , im Wirtschaftsverkehr flexibler handeln und bestehende Einsparungsmöglichkeiten nutzen zu können. Die BWB haben zur Erfüllung der Norm in Abstimmung mit der EU-Kommission eine Veröffentlichung auf ihrer Internetseite gewählt. Eine Veröffentlichung erfolgt ab einem Auftragswert in Höhe von 50.000 € gemäß § 23 BerlBG. Die BWB können deshalb dieselben Vorteile im Vergabeverfahren nutzen, wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen . Die zulässige Preisverhandlung im Rahmen der "freihändigen Vergabe" mit den aussichtsreichsten Bieterinnen und Bietern führte in den zurückliegenden Jahren zu Einsparungen in Höhe von rd. 3 % unter dem besten Erstangebot. Dies dient dem sparsamen Umgang mit öffentlichen Geldern und kommt den Gebührenzahlenden zugute. 4. Welchen konkreten Regeln folgt die „freihändige Vergabe im Wettbewerb (nicht förmlich)“ bei den BWB? Zu 4.: Die Vergabegrundsätze "Wettbewerb", "Transparenz " und "Diskriminierungsverbot" gelten auch unterhalb der Schwellenwerte. Die BWB orientieren sich deshalb auch bei der freihändigen Vergabe im Wettbewerb an den Vergabevorschriften. Die wichtigste Abweichung stellt die Verhandlung der Angebote dar (vergleichbar wie Verhandlungsverfahren mit vorgezogenem Teilnahmewettbewerb im Oberschwellenbereich). Zur Vorsorge gegen Organisationsverschulden und Compliance- Anfälligkeit sind Regeln für alle BWB-Bereiche in einem Einkaufs- und Vergabehandbuch (EVH) verbindlich vorgegeben , um die Grundsätze einzuhalten. Im EVH sind z.B. die Anzahl der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Firmen - nach Auftragswerten - vorgeschrieben: von 2.501 € bis 10.000 € mindestens drei Angebote, von 10.001 € bis 100.000 € vier bis sechs Angebote, von 100.001 € bis 5.185.999 € acht bis zwölf Angebote (davon möglichst zwei Angebote von neuen Bieterinnen und Bietern). Im Durchschnitt werden sechs bis neun Bieterinnen und Bieter zur Angebotsabgabe aufgefordert. Die Auswahl der Bewerberinnen/Bewerber erfolgt im Mehraugenprinzip . Dabei wird ein regelmäßiger Bieterwechsel angestrebt. Die Wertung und Verhandlung der Angebote erfolgt ebenfalls im Mehraugenprinzip. Die Regelungen im EVH begrenzen die willkürlichen Einflussfaktoren in ähnlichem Umfang wie bei den förmlichen Vergaben. Die Angemessenheit, Implementierung und Wirksamkeit des Compliance Management Systems im Einkauf wird regelmäßig auch durch externe Gutachten geprüft und testiert . 5. Wie bewertet der Senat die Anfälligkeit der Verfahrensart „freihändige Vergabe im Wettbewerb (nicht förmlich)“ bei den BWB für willkürliche Einflussfaktoren ? Zu 5.: Die bestehenden gesetzlichen und BWBinternen Regelungen erscheinen angemessen und ausreichend , um willkürlichen Einflussfaktoren entgegenzuwirken . 6. Trifft es zu, dass die BWB Bauleistungen nicht losweise ausschreiben, getrennt nach Gewerken und Fachlosen und damit einen weiteren Bieterkreis und folglich den Wettbewerb einschränken? Wenn ja, warum? Zu 6.: Nein, das trifft nicht zu. Sofern nicht technische oder wirtschaftliche Gründe ausdrücklich entgegenstehen, werden Bauleistungen zum Zwecke der Mittelstandsförderung in Teil- oder Fachlosen ausgeschrieben. 7. Nach welchen Kriterien werden von den BWB Bieter ausgewählt, die ein Angebot für Bauleistungen (insbesondere Tiefbau, Kanalbau, Bau von Entwässerungsanlagen , Trinkwasserversorgungsanlagen) abgeben dürfen? Zu 7.: Die Auswahl erfolgt nach vorher festgelegten und veröffentlichten Eignungskriterien zur Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Gesetzestreue, in Anlehnung an die Vorgaben für förmliche Vergaben (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen -GWB-, Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge -VgV-, Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - VOB/A-). Ein entsprechender Hinweis ist auch unter folgendem Link auf der Homepage der BWB nachzulesen (Berliner Wasserbetriebe.de/Unternehmen/Ausschreibungen /Vergabegrundlagen): www.bwb.de/content/language1/html/2576.php (Anforderungen an die Eignung der Bewerber/Bieter) sowie auch "Bekanntmachung eines Prüfungssystems der Berliner Wasserbetriebe für Arbeiten am Druckrohr-, Kanalnetz und für die endgültige Straßenwiederherstellung" - Eignungsanforderungen (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches - DVGW -, Güteschutz Kanalbau, Qualitätsgemeinschaft Städtischer Straßenbau e.V. - QGS -), im TED (Supplement zum Amtsblatt der EU) und unter www.Berliner Wasserbetriebe.de/Unternehmen /Ausschreibungen (http://www.bwb.de/content/language1/html/14620.php). 8. Nach welchen Maßgaben und anhand welcher Qualifikationen wurden diese Kriterien festgelegt? Zu 8.: Die Anforderungen stützen sich auf die Güte-, Prüf- und Durchführungsbestimmungen der einschlägigen Gütegemeinschaften (siehe auch Antwort zu Frage 7). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 428 3 9. Wie viele Unternehmen haben beim Vergabeverfahren „freihändige Vergabe im Wettbewerb (nicht förmlich )“ durch die BWB seit 2005 einen oder mehrere Zuschläge erhalten? Zu 9.: Ca. 600 Unternehmen pro Jahr erbringen Leistungen im Netz- bzw. Ingenieur- und Anlagenbau. 10. Wie viele Aufträge hat jedes der in 10. genannten Unternehmen seit 2005 durch die BWB erhalten? Zu 10.: Im Durchschnitt ergibt sich eine Beauftragung in Höhe von sieben Verträgen pro Jahr. Die in den letzten Jahren meist beauftragten Unternehmen haben zwischen 20 und 40 Aufträge pro Jahr erhalten. 11. Wie viele der 10 auftragshäufigsten Bieter, die beim Vergabeverfahren „freihändige Vergabe im Wettbewerb (nicht förmlich)“ durch die BWB seit 2005 einen oder mehrere Zuschläge erhalten haben, haben ihren Firmensitz in Berlin, wie viele außerhalb von Berlin? Zu. 11.: Von den zehn am häufigsten beauftragten Firmen waren in den Jahren 2005 bis 2009 alle in Berlin ansässig. Seit 2013 sind es sieben Firmen, die in Berlin ansässig sind. 12. Wie ist sichergestellt, dass im Vergabeverfahren „freihändige Vergabe im Wettbewerb (nicht förmlich)“ durch die BWB Transparenz gewahrt bleibt und alle Bieter gleichbehandelt werden? Zu 12.: Alle Maßnahmen mit einem geschätztem Auftragswert größer als 50.000 € werden seit Anfang 2005 auf der Vergabeplattform der BWB (www.Berliner Wasserbetriebe .de/Unternehmen/Ausschreibungen) öffentlich bekannt gemacht und sind für alle interessierten Bewerberinnen und Bewerber frei zugänglich. Die Bewerber- bzw. Bieterauswahl erfolgt in Anlehnung an die Regelungen für förmliche Verfahren anhand von Eignungs- und Zuschlagskriterien und regelmäßigem Bieterwechsel. Die Gleichbehandlung aller Bieterinnen und Bieter wird durch die Regelungen im EVH sichergestellt. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird regelmäßig durch die Innenrevision und externe Prüfer und Prüferinnen geprüft (siehe auch Antwort zu Frage 4). 13. Wie wird das Vergabeverfahren „freihändige Vergabe im Wettbewerb (nicht förmlich)“ bei den BWB im Einzelnen dokumentiert? Zu 13.: Wie bei den förmlichen Verfahren werden alle Entscheidungen in einem Vergabevermerk dokumentiert. Absehbar ist eine lückenlose, systemgestützte Dokumentation durch die vollumfängliche Nutzung der eingeführten E-Vergabe-Lösung garantiert. 14. Wie wird möglichen Preisabsprachen zwischen der begrenzten Anzahl von Bietern bei der „freihändigen Vergabe im Wettbewerb“ entgegengewirkt? Zu 14.: Bei der "freihändigen Vergabe im Wettbewerb " handelt es sich wie bei förmlichen Verfahren um einen geheimen Wettbewerb. Die "freihändige Vergabe" ist aber nicht mit der "beschränkten Ausschreibung" gemäß VOB/A gleichzusetzen, bei der im Vorfeld der Bieterkreis nach Kriterien festgesetzt wird und auch nur dieser beschränkte Kreis Informationen erhält. Bei einem geschätztem Auftragswert größer 50.000 € handelt es sich bei der freihändigen Vergabe durch die BWB um einen echten Teilnahmewettbewerb nach öffentlicher Bekanntmachung . Im Gegensatz zu förmlichen Verfahren findet aber zur Angebotsabgabe keine Submission statt. Das heißt, auch im Nachgang einer Ausschreibungen gibt es keine Austauschmöglichkeit für die Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmer, sie bleiben einander und den restlichen Marktteilnehmern unbekannt und können dadurch auch keine Rückschlüsse auf künftige Verfahren ableiten. Falls bei der Angebotsprüfung Auffälligkeiten auftreten, werden diese dokumentiert und an das Compliance Management zur Aufklärung weitergeleitet. 15. Ist dem Senat bekannt, dass das Bundeskartellamt 2012 gegenüber den BWB die Begrenzung der Jahreserlöse aus der Belieferung mit Trinkwasser unter anderem wie folgt begründet hat: „insbesondere aber ist fraglich, ob die hohen Baukosten der BWB gerade auch im Hinblick auf die Vergangenheit tatsächlich durch äußere Gegebenheiten verursacht wurden oder nicht vielmehr durch selbst zu verantwortende Umstände. So hat z.B. der Landesrechnungshof von Berlin noch in seinem Jahresbericht 2005 bemängelt, dass die BWB Bauleistungen unterhalb des Schwellenwerts von 5 Mio. € nur in wenigen Ausnahmefällen öffentlich ausgeschrieben hatte. Durch die bevorzugte freihändige Vergabe sei der Wettbewerb eingeschränkt und ein erhöhtes Risiko von Unregelmäßigkeiten in Kauf genommen worden.“? 16. Wenn Antwort zu 16. - ja, hat der Senat auf die BWB eingewirkt, die bemängelte Vergabepraxis zu ändern ? Zu 15. und 16.: Mit der Novellierung des früheren Berliner Betriebegesetzes zum Berliner Bertriebe-Gesetz 2006 wurde eine Vorschrift zur Veröffentlichungspflicht aufgenommen (§ 23 BerlBG), um den vergaberechtlichen Vorgaben der EU-Kommission unterhalb des Schwellenwertes gerecht zu werden. Damit wurde die von der EU- Kommission unterhalb des Schwellenwertes gewünschte Transparenz erreicht. Als geeignetes Medium zur Bekanntmachung werden u.a. die Internetseiten der Anstalten im Internet angesehen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 428 4 17. Wann wird die bemängelte Vergabepraxis der BWB abgestellt? Zu 17.: Die Vergabepraxis der Berliner Wasserbetriebe weist keine Mängel auf. Es gibt daher keinen Anlass zu einer Änderung. 18. Welche Kostenvorteile ergäben sich nach Auffassung des Senats, wenn bei Vergaben unterhalb des EU- Schwellenwertes von 5,186 Mio. Euro Auftragswert bei den BWB öffentlich, losweise und damit transparent ausgeschrieben würde? Zu 18.: Hierzu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Berlin, den 03. Dezember 2015 In Vertretung Henner B u n d e .................................................... Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Dez. 2015)