Drucksache 17 / 17 477 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Alexander J. Herrmann (CDU) vom 30. November 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. November 2015) und Antwort Häusliche Gewalt – kein Tabuthema! Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Fälle häuslicher Gewalt wurden in den letzten drei Jahren in Berlin festgestellt (es wird um eine Aufstellung unterteilt nach Bezirken gebeten)? Zu 1.: Die Fallzahlen zu Delikten der häuslichen Gewalt je Bezirk sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen : Bezirk 2012 2013 2014 Charlottenburg-Wilmersdorf 1 356 1 226 1 360 Friedrichshain-Kreuzberg 1 066 1 032 1 015 Lichtenberg 1 266 1 205 1 135 Marzahn-Hellersdorf 1 305 1 465 1 559 Mitte 2 216 2 159 2 016 Neukölln 1 815 1 724 1 612 Pankow 938 994 928 Reinickendorf 1 362 1 589 1 377 Spandau 1 439 1 474 1 391 Steglitz-Zehlendorf 710 738 634 Tempelhof-Schöneberg 1 381 1 319 1 244 Treptow-Köpenick 690 838 769 nicht zuzuordnen 253 208 214 Berlin -gesamt- 15 797 15 971 15 254 Quelle: PKS Jahresdaten 2012-2014 Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) (Fälle von häuslicher Gewalt nach Verwaltungsbezirk) 2. In wie vielen dieser Fälle waren Frauen, Kinder und Männer betroffen (es wird um eine Aufstellung unterteilt nach Bezirken gebeten)? Zu 2.: Eine Aufschlüsselung personenbezogener Daten (Tatverdächtigen- und Opferinformationen) nach Bezirken ist nicht möglich. Zur Erstellung des Berichts zur Kriminalitätsbelastung in öffentlichen Räumen (kurz: Kriminalitätsatlas) werden lediglich die Fallinformationen per Abgleich mit dem polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem um Regionalinformationen (u. a. Bezirksangabe ) erweitert. Die Opferangaben der PKS beziehen sich Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 477 2 nach bundeseinheitlicher Definition auf sogenannte „Opferdelikte “, d. h. auf Straftaten, die sich unmittelbar gegen die Freiheit und körperliche Unversehrtheit einer Person richten. Betroffene von nicht unmittelbar gegen die Person gerichteten Straftaten, wie z. B. Sachbeschädigungen oder Eigentumsdelikten, werden in der PKS nicht abgebildet . Da sowohl „Opferdelikte“ als auch nicht unmittelbar gegen die Person gerichtete Delikte als Straftaten der häuslichen Gewalt bewertet und erfasst werden können, kommt es zu Abweichungen zwischen der Gesamtzahl der Opfer und der Gesamtzahl der Fälle von häuslicher Gewalt. Für das Jahr 2012 sind für Berlin zu den Opferdelikten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt insgesamt 12.947 Opfer, davon 9.804 weibliche und 3.143 männliche Personen, in der PKS erfasst. Im Jahr 2013 wurden 13.166 Opfer, davon 9.970 weibliche und 3.196 männliche Personen registriert, im Jahr 2014 betrug die Gesamtzahl der Opfer im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt 12.790 Personen, davon waren 9.593 weiblich und 3.197 männlich. Straftaten zum Nachteil von Kindern fallen nicht unter die Berliner Definition zur häuslichen Gewalt. 3. In wie vielen Fällen führte die Feststellung zur Anzeige und / oder zur rechtskräftigen Verurteilung? Zu 3.: Bei den in Frage 1 und 2 aufgeführten Fällen häuslicher Gewalt handelt es sich gleichzeitig um Angaben zur Anzahl eingeleiteter Ermittlungsverfahren. Die folgende personenbezogene Auswertung für Verfahren aus dem Bereich der häuslichen Gewalt für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 7. Dezember 2015 beinhaltet alle Verfahren, in denen im genannten Zeitraum eine rechtskräftige Verurteilung erfolgte, unabhängig vom Eingangsdatum des Verfahrens: Art der Sanktion 2013 2014 2015 Freiheitsstrafe mit Bewährung 54 81 41 Freiheitsstrafe ohne Bewährung 19 10 7 Geldstrafe 709 865 484 Gesamtfreiheitsstrafe mit Bewährung 3 5 0 Gesamtfreiheitsstrafe ohne Bewährung 3 1 0 Gesamtgeldstrafe 50 21 1 Strafvorbehalt (§ 59 des Strafgesetzbuches (StGB) 1 5 2 Verurteilung zur vorbehaltenen Strafe (§ 59 StGB) 0 2 2 Summe 839 990 537 4. Welche Angebote gibt es für Opfer häuslicher Gewalt in Berlin und wie sind diese erreichbar (bitte soweit notwendig unterteilt nach Angeboten für Frauen, Männer und Kinder)? Zu 4.: Für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder steht in Berlin ein engmaschiges Netz von kultursensibel und inklusiv ausgerichteten Hilfeangeboten zur Verfügung. 6 Frauenhäuser (326 Plätze), 41 Zufluchtswohnungen (117 Plätze), 5 Interventions- und Fachberatungsstellen sowie die BIG-Hotline bieten Opfern häuslicher Gewalt Beratung-, Schutz- und Hilfe an. Die Hilfeangebote für Opfer häuslicher Gewalt an Frauen und deren Kinder werden in Berlin durch den Verein der Berliner Initiative gegen häusliche Gewalt (BIG e.V.) koordiniert. Neben der BIG-Koordinierung gehört dazu auch die BIG-Hotline. Als zentrale telefonische Beratungsstelle in Berlin bietet die BIG-Hotline Betroffenen häuslicher Gewalt unter der Rufnummer (030) 611 03 00 rund um die Uhr telefonische Beratung, Hilfe und Unterstützung an. Die BIG-Hotline vermittelt den betroffenen Frauen und Kindern auch freie Plätze in den Frauenhäusern . Daneben besteht durch die Anlaufstelle der BIG- Hotline ein ergänzendes Angebot bei häuslicher Gewalt in den Nachtstunden sowie an den Wochenenden und Feiertagen . Ein weiteres Angebot der BIG-Hotline ist die mobile Intervention. Dank eines multilingualen Teams und des Einsatzes eines Sprachmittlerinnenpools erreicht die BIG-Hotline auch Migrantinnen mit geringen oder ohne deutsche Sprachkenntnisse. Der bislang in neun Sprachen vorliegende Informationsflyer der BIG-Hotline wird derzeit in sieben weitere Sprachen übersetzt. Die Beratungs-, Schutz-, und Informationsangebote für Opfer häuslicher Gewalt sind kultursensibel und teilweise barrierefrei. Zwei Zufluchtswohnungen, ein Frauenhaus und drei Beratungsstellen sind rollstuhlgerecht. Eine Zufluchtswohnung kann blinde Frauen mit Führhund aufnehmen. Gehörlose und hörgeschädigte Frauen können die BIG- Hotline per Fax kontaktieren oder die Onlineberatung nutzen. Auf der Internetseite der BIG Koordinierung sind zudem Informationen in Gebärdensprache eingestellt. Mittlerweile sind zwei Frauenhäuser und zwei Zufluchtswohnungen auf die Bedürfnisse gehörloser Frauen eingestellt , so dass hier eine gezielte Weitervermittlung erfolgen kann. Information, Unterstützung und Begleitung erfahren viele behinderte Frauen auch über die Mobile Intervention, bei der auch eine Gebärdendolmetscherin hinzugezogen werden kann. Zur Unterstützung der Kinder, die häusliche Gewalt in der Familie miterleben mussten, werden in allen Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen pädagogische Angebote vorgehalten. Darüber hinaus stellt die Zusammenarbeit der bezirklichen Jugendämter mit den Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen eine wichtige Schnittstelle dar, um das Wohl von Kindern und Jugendlichen langfristig zu sichern. Das Achte Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) schafft dabei den Rahmen für die Unterstützung und Einleitung von geeigneten und erforderlichen Hilfen (§ 27 ff. SGB VIII). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 477 3 Zur Versorgung von Minderjährigen in Krisensituationen bei häuslicher Gewalt besteht eine Zusammenarbeit mit der BIG-Hotline und dem ebenfalls rund um die Uhr arbeitenden Kindernotdienst des „Berliner Notdienst Kinderschutz“ (BNK). Frauen und ihre Kinder können direkt zu Hause oder an einem anderen gewünschten Ort aufgesucht werden, wenn die Inobhutnahme eines Kindes erforderlich wird und das betroffene Kind abzuholen und schnell unterzubringen ist. Sobald sich im Rahmen eines Polizeieinsatzes im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt Anhaltspunkte für die Gefährdung von Minderjährigen ergeben, ist die Polizei verpflichtet, das Jugendamt zu informieren, so dass von dort aus die notwendigen Hilfsmaßnahmen zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung eingeleitet werden können . Daneben gibt es die „Hotline-Kinderschutz“, ein niedrigschwelliges , telefonisches und 24-stündig erreichbares Beratungs- und Unterstützungsangebot und eine erste Anlaufstelle für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich Sorgen um das Wohl von Kindern und Jugendlichen machen . Mit dem kultursensiblen Beratungsangebot bei der Hotline Kinderschutz werden auch türkische, russische und arabischsprachige Familien erreicht. Kinder und Jugendliche finden unter www.gewalt-istnie -ok.de ein umfassendes Informationsangebot zu häuslicher Gewalt. Die Website wendet sich sowohl an direkt Betroffene, in deren Familien häusliche Gewalt vorkommt , als auch an Kinder und Jugendliche, in deren Freundeskreis dies geschieht. Das Projekt "Kind im Blick" - Opferschutz für Kinder bei häuslicher Gewalt“, unter der Trägerschaft des „Sozialdienst katholischer Frauen e. V. Berlin“, bietet Beratung für Familien im Rahmen eines nachhaltigen Opferschutzes für Kinder, die häusliche Gewalt in der Familie miterleben mussten. Die Beratungsstelle in Neukölln arbeitet eng mit dem Täterprogramm der „Beratung für Männer - gegen Gewalt“ der Volkssolidarität Landesverband Berlin e. V. zusammen. BIG e.V. leistet mit dem Projekt „BIG-Prävention“ Präventionsarbeit in den 4. bis 6. Grundschulklassen in Berlin und wird erfolgreich in den Berliner Schulen umgesetzt . Zentrale Ziele sind Aufklärung, Sensibilisierung und Vorbeugung von häuslicher Gewalt. Mit den folgenden Angeboten werden alle Beteiligten aus dem Bereich Schule erreicht: Fortbildungen der Pädagoginnen und Pädagogen zum Thema „Kinder und häusliche Gewalt“ Kinderworkshops mit den Schülerinnen und Schülern der 4. und 5. Klassen Kindersprechstunden Fallbesprechungen mit den Lehrerinnen und Lehrern Multiplikatoren-Schulungen für Pädagoginnen und Pädagogen. Daneben stellt BIG e.V. allen Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu dem Thema arbeiten wollen (beispielsweise Schulen, Vereine, Freizeiteinrichtungen), die interaktive Ausstellung „ECHT FAIR" zur Prävention von (häuslicher) Gewalt kostenfrei zur Verfügung. Der Verein „Opferhilfe – Hilfe für Opfer von Straftaten in Berlin e.V.“ unterhält eine Beratungsstelle für männliche Jugendliche und Heranwachsende zwischen 13 und 21 Jahren, die Opfer einer Straftat geworden sind. Männliche Opfer häuslicher Gewalt haben die Möglichkeit , sich u. a. an die „Opferhilfe Berlin e. V.“ oder an „WEISSER RING e.V.“ zu wenden. Hilfesuchende männliche Opfer häuslicher Gewalt, die sich an die BIG- Hotline wenden, erhalten von dort aus Informationen über weitergehende Beratung in geeigneten Opferhilfeeinrichtungen . Sofern die Fälle den Deliktsbereich Stalking tangieren , bietet der Verein „Stop-Stalking“ sowohl für weibliche als auch für männliche Betroffene eine Beratung an. Die Gewaltschutzambulanz an der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist eine weitere Anlaufstelle für Gewaltopfer unabhängig von Geschlecht und Alter zur kostenlosen rechtsmedizinischen Dokumentation von Verletzungen . Durch die enge Zusammenarbeit mit BIG e.V. und durch die Kooperation mit den Berliner Netzwerken gegen Gewalt können Betroffenen und ihren Familien konkrete Hilfsangebote an die Seite gestellt werden. Berlin, den 15. Dezember 2015 In Vertretung Barbara Loth Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Dez. 2015)