Drucksache 17 / 17 520 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Silke Gebel (GRÜNE) vom 02. Dezember 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Dezember 2015) und Antwort Welche Strategie hat der Senat, um Industriechemikalien, Dioxine, Biozide und andere Schadstoffe aus den Gewässern Berlins rauszuhalten? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Für welche prioritär gefährlichen Stoffe werden die in Deutschland und Europa gültigen Grenzwerte (Umweltqualitätsnormen) in Berlins Gewässern überschritten ? Bitte führen Sie für alle Stoffe die Anzahl der Überschreitungen, die Messstelle und die jeweilig gemessenen Konzentrationen in den letzten sieben Jahren auf. Antwort zu 1: Gemäß Richtlinie 2008/105/EG bzw. Anlage 7 der Oberflächenwasserverordnung vom 20. Juli 2011 (OGewV) werden in Berliner Gewässern folgende Überschreitungen der Umweltqualitätsnormen (UQN) für prioritär gefährliche Stoffe nachgewiesen. Bei den Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) wird die UQN für die Summe Benzo (b)fluoranthen + Benzo(k)fluoranthen in der Wuhle und für Benzo(a)pyren in der Panke jeweils einmalig überschritten . Die UQN für die Summe Benzo(g,h,i)perylen + Indeno(1,2,3-cd)pyren wird an allen mehrjährig untersuchten Messstellen in Dahme, Vorstadt- und Stadtspree, Ober- und Unterhavel, Teltowkanal, den innerstädtischen Kanälen, Neuhagener Mühlenfließ (Erpe), Wuhle, Panke und Tegeler Fließ wiederholt überschritten. Tributylzinn wird an allen 2013 untersuchten Messstellen in Dahme, Stadtspree und Oberhavel überschritten. Zur Überprüfung der Biota-UQN für Quecksilber liegen für Berlin bisher nur Messwerte für Fische in der Stadtspree 2014 vor. Die UQN wird überschritten. Gemäß einer Konvention der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA), die auf umfassenden deutschlandweiten Untersuchungen beruht, wird von einer bundesweit flächenhaften Überschreitung von Quecksilber in Fischen ausgegangen . Gemäß der Richtlinie 2013/39/EG, deren Umsetzung in nationales Recht im Rahmen der aktuellen Überarbeitung der Oberflächenwasserverordnung erfolgt, werden zusätzlich folgende Überschreitungen der Umweltqualitätsnormen (UQN) für prioritär gefährliche Stoffe nachgewiesen . Es ist zu berücksichtigen, dass noch nicht alle zusätzlich geregelten Stoffe untersucht wurden bzw. bei gegenüber der Richtlinie 2008/105/EG verminderter UQN die messtechnischen Anforderungen noch nicht für alle Stoffe umgesetzt sind. Die gemäß der Richtlinie erforderlichen Biota- Untersuchungen in Fischen sind bisher für 2014 in der Stadtspree abgeschlossen. Für Bromierte Diphenylether (BDE) und Perfluoroktansulfonsäure und ihre Derivate (PFOS) wird die Biota-UQN überschritten. Die Biota- UQN für Dioxine und dioxinähnlichen Verbindungen wird nicht überschritten. Auf eine Auflistung der einzelnen Konzentrationswerte wird an dieser Stelle aufgrund der großen Datenanzahl verzichtet. Die Messwerte können bei Bedarf gesondert übermittelt werden. Entsprechendes gilt für die Fragen 2 und 3. Frage 2: Für welche prioritären Stoffe werden die in Deutschland und Europa gültigen Grenzwerte (Umweltqualitätsnormen ) in Berlins Gewässern überschritten? Bitte führen Sie für alle Stoffe die Anzahl der Überschreitungen , die Messstelle und die jeweilig gemessenen Konzentrationen in den letzten fünf Jahren auf. Antwort zu 2: Gemäß Richtlinie 2008/105/EG / OGewV (2011) bzw. Richtlinie 2013/39/EG wird in Berliner Gewässern die Umweltqualitätsnorm (UQN) für den prioritären Stoff Fluoranthen in der Wuhle wiederholt und in der Panke einmalig überschritten. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 520 2 Frage 3: Werden in den Berliner Gewässern die Konzentrationen der Schadstoffe gemessen, die sich auf der sogenannten „Beobachtungsliste“ (Durchführungsbeschluss 2015/495) der Europäischen Union befinden? Wenn ja, bitte listen Sie die Messstelle und die bisher gemessenen Konzentrationen für die einzelnen Stoffe auf. Antwort zu 3: Diclofenac wird in Dahme, Müggel-, Vorstadt- und Stadtspree, Ober- und Unterhavel, Tegeler See und Teltowkanal untersucht. Der UQN-Vorschlag des Umweltbundesamtes von 0,05 µg/l wird in der Vorstadtund Stadtspree, Unterhavel, Tegeler See und Teltowkanal wiederholt überschritten. Das Makrolid-Antibiotikum Erythromycin wurde zuletzt 2009 an vier Messstellen in Dahme, Stadtspree, Oberhavel und Teltowkanal untersucht. Es wurden nur im Teltowkanal positive Befunde festgestellt, die deutlich unterhalb des UQN-Vorschlages des Umweltbundesamtes von 0,2 µg/l liegen. Frage 4: Über welche Eintragpfade gelangen die Schadstoffe, bei denen die Grenzwerte überschritten wurden , in die Berliner Gewässer? Frage 4.1: Welchen Anteil haben die Kohlekraftwerke ? Frage 4.2: Welche Einleiter und Direkteinleiter von prioritär und prioritär gefährlichen Stoffen in den Wasserkreislauf gibt es in Berlin? Antwort zu 4, 4.1 und 4.2: Es ist zu berücksichtigen, dass die unter 1 und 2 aufgeführten Überschreitungen gemäß der Richtlinie 2013/39/EG, Artikel 8a - mit Ausnahme von Fluoranthen - durch ubiquitäre Stoffe verursacht werden, also über eine Vielzahl von Stoffeintragspfaden , insbesondere über den Luftpfad (Nah- und Ferntransport ) in die Umwelt gelangen. Eine dezidierte Bilanzierung der Emissionsanteile allein für das Land Berlin kann daher nicht vorgenommen werden. Grundsätzlich sind die wasserrechtlichen Instrumente nicht geeignet, die Belastung der Umwelt durch PAK und Quecksilber signifikant zu begrenzen. Siehe Antwort zu 6. Frage 4.3: Wurden in Berlin seit 2008 wasserrechtliche Genehmigungen erteilt, die eine Einleitung von prioritär gefährlichen Stoffen umfassen? Wenn ja, wie bewertet der Senat solche Genehmigungen im Bezug auf die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zur Beendigung der Einleitung solcher Stoffe? Frage 4.4: Wurden in Berlin in den letzten fünf Jahren wasserrechtliche Genehmigungen erteilt, die eine Einleitung von prioritären Stoffen umfassen? Wenn ja, wie bewertet der Senat solche Genehmigungen im Bezug auf die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zur Verringerung der Einleitung solcher Stoffe? Antwort zu 4.3 und 4.4: Dazu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Die Anforderungen an die Einleitung von Industrieabwässern regelt die Abwasserverordnung (AbwV) inclusive der betreffenden Anhänge zur Abwasserverordnung . Industrieabwässer werden in Berlin ausschließlich indirekt eingeleitet. Für die Umsetzung der Berliner Indirekteinleiterverordnung sind die Bezirke zuständig. Einheitliche Anforderungen für das Einleiten von prioritären und prioritär gefährlichen Stoffen für den wasserbehördlichen Vollzug in Deutschland, insbesondere zur Erreichung des Phasing-out-Ziels für prioritär gefährliche Stoffe, liegen noch nicht vor. Hierzu sind ergänzende vorsorgende Maßnahmen des Stoff-, Produkt- und Anlagenrechts erforderlich, um die Phasing-out-Zielsetzung zu erreichen. Frage 5: Bis wann muss das sogenannte Phasing Out, also die vollständige Unterbindung von Emissionen prioritär gefährlicher Stoffe, abgeschlossen sein? Antwort zu 5: Eine entsprechende Zielstellung findet sich auf europarechtlicher Ebene in Art. 4 Abs. 1 a) iv) der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Sie muss bis 2028 verwirklicht sein. Frage 6: Welche Maßnahmen wurden bisher im Hinblick auf das sogenannte Phasing Out in Berlin ergriffen? Antwort zu 6: Auf europäischer Ebene werden derzeit neue Anforderungen für Großfeuerungsanlagen erarbeitet. Diese umfassen u.a. auch Anforderungen für Quecksilber. Sobald diese Arbeiten abgeschlossen sind, wird das Land Berlin prüfen, inwiefern für Kraftwerke Nachrüstungen erforderlich werden. Frage 7: Welche Rolle spielen die prioritär und prioritär gefährlichen Stoffe für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) in Berlin? Antwort zu 7: Wie bereits ausgeführt, können mit wasserrechtlichen Instrumenten die Einträge nicht signifikant reduziert werden. Siehe auch Antworten zu 4, 6 und 8. Frage 8: Welche Maßnahmen hat der Senat in der Vergangenheit eingeleitet, um die Schadstoffbelastung der Gewässer in Berlin zu vermindern? Antwort zu 8: Aufgrund der Eintragsspezifik leisten Maßnahmen zur Regenwasserbehandlung einen unmittelbaren Beitrag zur Reduzierung der Belastungen der Gewässer mit PAK. Maßnahmen zur stofflichen Behandlung des Regenwassers über die belebte Bodenzone (Retentionsbodenfilter , Mulden-Systeme, Flächenversickerungen u.ä.) werden in Berlin ergriffen. Eine systematische Zusammenstellung aller stadtweit ergriffenen Maßnahmen, insbesondere der dezentralen Maßnahmen, liegt dem Senat nicht vor. Insgesamt wurden in Berlin bisher 16 Retentionsbodenfilter errichtet. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 520 3 Frage 9: Welche negativen Auswirkungen auf die aquatische Umwelt haben die einzelnen Schadstoffe, bei denen es zu Grenzwertüberschreitungen kam? Antwort zu 9: Anhand der biologischen und chemischen Monitoringdaten, die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt im Rahmen der Oberflächengewässerüberwachung erhoben werden, ist eine unmittelbare monokausale Bestimmung von Art und Umfang der potenziellen Auswirkungen nicht möglich. Ein konkreter Zusammenhang zwischen den festgestellten biologischen Defiziten und den chemischen Messwerten ist aufgrund der komplexen Wirkungszusammenhänge und Wirkungsüberlagerungen mit anderen Stressfaktoren nicht ohne Weiteres überprüfbar. Da die Umweltqualitätsnormen für prioritäre und prioritär gefährliche Stoffe auf der Grundlage von ökotoxikologischen Labortests abgeleitet werden, ist bei einer Überschreitung grundsätzlich von negativen Auswirkungen auf die aquatische Umwelt auszugehen. Frage 10: Können negative gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen durch die Schadstoffbelastung, etwa durch den Verzehr von regional gefangenen Fisch, ausgeschlossen werden? Antwort zu 10: Das Landeslabor Berlin-Brandenburg hat im Jahr 2014 im Rahmen des Landesprogramms Berlin Aale aus Berliner Gewässern untersucht. Dabei wurde bei fünf von 24 untersuchten Proben der gültige Höchstgehalt der Summe der Dioxine und der dioxinähnlichen polychlorierten Biphenyle (PCB) überschritten. Diese Ergebnisse deuten auf eine Belastung der Aale in bestimmten Teilen Berlins hin. Da der Verzehr von Aalen, die sehr fetthaltig sind, erheblich zur Aufnahme dieser Schadstoffe beim Menschen beiträgt, sollte auf einen häufigen Verzehr verzichtet werden. Frage 11: Sind die Messwerte zu den prioritären und prioritär gefährlichen Stoffen für die Bürger/-innen Berlins einsehbar? Wenn ja, wie und wo? Wenn nein, wieso nicht? Antwort zu 11: Die Auswertung der Berliner Messwerte zu den prioritären und prioritär gefährlichen Stoffen ist im Rahmen der chemischen Zustandsbewertung Bestandteil des Bewirtschaftungsplans der Flussgebietsgemeinschaft Elbe (FGG Elbe) gemäß EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Der Entwurf des Plans, der sich vom 22.12.2014 - 22.06.2015 in der öffentlichen Anhörung befand, ist auf der Internetseite der FGG Elbe unter http://www.fgg-elbe.de/eg-wrrl/bewirtschaftungsplan- 2015.html eingestellt. Die Endversion des Plans ist ab dem 22.12.2015 auf der Internetseite der FGG Elbe abrufbar . Darüber hinaus ist vorgesehen, im 1. Quartal 2016 einen aktualisierten Statusbericht zur Umsetzung der WRRL in Berlin auf der Internetseite http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/wasser/egwrrl /index.shtml zu veröffentlichen. Darin wird eine zusammenfassende Auswertung der Messwerte von prioritären und prioritär gefährlichen Stoffen der WRRL in Berliner Gewässern enthalten sein. Einzelne Messwerte zu den prioritären und prioritär gefährlichen Stoffen sind für die Berliner Messstelle Sophienwerder /Spree über das Fachinformationssystem (FIS) der FGG Elbe unter http://www.fgg-elbe.de/elbedatenportal .html abrufbar. Das FIS enthält derzeit Messwerte der Jahre 2007 bis 2013. Weitere Messwerte werden von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt auf Anfrage jeder Bürgerin bzw. jedem Bürger zur Verfügung gestellt. Berlin, den 16. Dezember 2015 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Dez. 2015)