Drucksache 17 / 17 531 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller (LINKE) vom 03. Dezember 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Dezember 2015) und Antwort Kinder im Justizvollzug Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Kinder waren im Zeitraum von 2005 bis 2015 in den Berliner Justizvollzugsanstalten für Frauen untergebracht (bitte aufschlüsseln nach Jahr, Alter des Kindes, JVA, offener/geschlossener Vollzug, Dauer der Unterbringung, Verurteilungstatbestand der Mutter)? Zu 1.: Es werden keine Statistiken über Kinder geführt , die mit ihren Müttern in der Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin untergebrachten sind, so dass die Zahlen geschätzt werden müssen. Im geschlossenen Vollzug am Standort Pankow sind durch das Landesjugendamt nur Kinder bis zum vollendeten ersten Lebensjahr zugelassen. In dem Zeitraum 2005 bis 2015 waren ca. 10 Kinder am Standort Pankow gemeinsam mit ihren Müttern untergebracht. Die Strafzeiten der Mütter ließen zu, dass die Mütter mit ihren Kindern spätestens nach einem Jahr entlassen oder in den offenen Vollzug verlegt werden konnten. Im offenen Vollzug (Standort Reinickendorf/Sozialtherapeutische Anstalt (SothA) am Standort Neukölln) waren es in dem Zeitraum ca. 25 Kinder. Davon haben ca. fünf Frauen ihre Kinder zeitweise in eine Kindertagesstätte gebracht. 2. Welche besonderen Vorkehrungen waren jeweils nötig, um die Kinder unterzubringen und den Alltag zu gestalten? Zu 2.: Die Gestaltung der Mutter-Kind Räume sind auf den Bedarf der gemeinsamen Unterbringung ausgerichtet . Die erforderliche Ausstattung und die Bedingungen für die Unterbringung sind in der „Gemeinsamen Richtlinie der Senatsverwaltung für Justiz, der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung sowie der für Frauen zuständigen Senatsverwaltung vom 30. Juli 2003, in der aktualisierten Fassung vom 1. September 2013“ geregelt. Die Richtlinie ist als Anlage beigefügt. 3. In wie vielen Fällen besuchten die Kinder während ihres Aufenthalts in der JVA eine Kindertagesstätte? Zu 3.: In dem Zeitraum 2005 bis 2015 besuchten ca. fünf Kinder zeitweise eine Kindertagesstätte. 4. Wann und unter welchen Voraussetzungen hält der Senat eine JVA für einen geeigneten Ort, um Kinder bei ihren verurteilten Müttern unterzubringen? 5. Nach welchen Vorschriften oder Richtlinien über § 80 des Strafvollzugsgesetzes hinaus erfolgt in Berlin der Umgang mit der Frage der Unterbringung von Müttern mit ihren Kindern im Strafvollzug (bitte beifügen)? Zu 4. und 5.: Die Standards der gemeinsamen Unterbringung von Müttern und Kindern im Strafvollzug, Jugendstrafvollzug und Untersuchungshaftvollzug regelt die o. g. „Gemeinsame Richtlinie“. Eine gemeinsame Unterbringung im Strafvollzug/Untersuchungshaftvollzug kann im Einzelfall vor allem dann infrage kommen, wenn das Kind zwischen 0 und einem Monat alt ist, insbesondere nach der Entbindung und in der Stillphase, die Mutter allein erziehend ist, die Strafhaft nicht länger als voraussichtlich zwei Jahre dauern wird und das Kind zum Zeitpunkt der Entlassung der Mutter nicht älter als 3 Jahre alt sein wird. Die wesentliche Voraussetzung ist, dass das Kindeswohl die gemeinsame Unterbringung mit der Mutter in der Haftanstalt zulässt. Dies wird vom Jugendamt in eigener Zuständigkeit geprüft. Die Details der Entscheidungsfindung sind in der „Gemeinsamen Richtlinie“ geregelt. 6. Welche Gründe waren für den Senat dafür ausschlaggebend , im Entwurf des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Berlin das Höchstalter der untergebrachten Kinder von „noch nicht schulpflichtig“ auf „bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres“ zu reduzieren (§ 15 Entwurf StVollzG Bln) und wie begründet der Senat die Festsetzung der Altersgrenze? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 531 2 Zu 6.: Die in § 15 des Entwurfs für ein Berliner Strafvollzugsgesetz (E-StVollzG Bln), Artikel 1, aufgenommene Regelung - Kinder können bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres gemeinsam mit der Mutter im Strafvollzug untergebracht werden - korrespondiert mit der bisherigen Praxis, die sich seit vielen Jahren bewährt hat und Grundlage der Gemeinsamen Richtlinie ist. Hintergrund für die Erwägung, die Aufnahme auf die Vollendung des dritten Lebensjahres zu beschränken und nicht wie in § 80 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) auf noch nicht schulpflichtige Kinder beizubehalten ist Folgender: Die Regelung des § 15 E-StVollzG Bln trägt dem grundgesetzlichen Anspruch der Mutter auf Pflege und Erziehung ihres Kindes Rechnung. Allerdings ist im Einzelfall stets ein sorgfältiger Interessenausgleich zwischen dem staatlichen Anspruch auf Strafvollstreckung und den Bedingungen des Strafvollzugs, dem Recht des Kindes auf Förderung seiner Entwicklung und der Förderung der Mutter-Kind-Beziehung erforderlich. Das Sozialgesetzbuch VIII (SGB) bildet die Rechtsgrundlage dafür, der Mutter, wenn sie durch die Inhaftierung in der Ausübung der Erziehung eingeschränkt wird, eine geeignete und notwendige Hilfe zu leisten oder andere Unterstützung zu vermitteln, um das Kind in seiner individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern. Das Kind ist eine eigenständige Person, deren Freiheit durch die gemeinsame Unterbringung mit der inhaftierten Mutter so wenig wie möglich beschränkt werden darf. Die Erfahrungen haben gezeigt , dass mit zunehmendem Alter eines Kindes die Gefahr einer Schädigung seines Wohls allein schon durch das Erkennen der Gefängnissituation ansteigt. Kinder, die über drei Jahre alt sind, nehmen ihr Umfeld und die dort aufgestellten Regeln sehr bewusst wahr; sie erleben, dass hinter ihnen und ihrer Mutter Türen geschlossen werden und sie und ihre Mutter sich nicht frei überall hin bewegen dürfen. Durch diesen Umstand wird die Mutter in ihrer Erziehungsaufgabe gerade nicht gestärkt, sondern ihre Autorität wird geschwächt, weil „andere“, d. h. die Bediensteten, Entscheidungen treffen. Aus diesen Grund wird eine gemeinsame Unterbringung von älteren Kindern mit ihren Mütter nicht befürwortet, sondern es werden im Frauenvollzug in enger Zusammenarbeit mit freien Trägern andere intensive Kontaktmöglichkeiten angeboten, wie etwa zusätzliche Besuche zum Spiel innerhalb und außerhalb der Anstalt, um die Mutter-Kind-Beziehung zu wahren bzw. zu fördern. Auch andere Länder regeln die Altersgrenze wie im Berliner Entwurf nämlich Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen oder Baden-Württemberg. 7. Wie bewertet der Senat Vorschläge, nach denen bei Müttern von Kindern bis zu einem Jahr der Vollzug der Freiheitsstrafe aufgeschoben werden soll? Zu 7.: Die Strafprozessordnung (StPO) sieht derzeit einen generellen Strafaufschub für Mütter mit Kindern unter einem Jahr nicht vor. Die Möglichkeit eines vorübergehenden Vollstreckungsaufschubs ergibt sich jedoch aus § 456 StPO. Voraussetzung dafür ist, dass durch die sofortige Vollstreckung der oder dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen, also über das gewöhnliche Strafübel hinausgehende Nebenwirkungen eintreten. Dazu ist in der zuvor genannten „Richtlinie“ ausgeführt, dass soweit irgend möglich, der Strafantritt bis zu Klärung der Versorgung und Betreuung des Kindes aufgeschoben werden sollte. Grundsätzlich ist die Frage eines Vollstreckungsaufschubs vom jeweiligen Einzelfall abhängig und kann aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse, Lebenssituationen , dem Strafmaß oder anderen Gesichtspunkten nicht von vornherein für alle Fälle gleich beantwortet werden. Hier kann nur die Einzelfallentscheidung der Vollstreckungsbehörde zu angemessenen Ergebnissen führen. Der Senat hält diese Regelung für sachgerecht und sieht daher keinen Änderungsbedarf insoweit. Berlin, den 17. Dezember 2015 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Dez. 2015) S17-17531 Anlage zur Antwort S 17-17531