Drucksache 17 / 17 624 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 15. Dezember 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Dezember 2015) und Antwort „Ihr Geschlecht ist leider nicht vorgesehen“ – Diskriminierung durch geschlechtsspezifische Formulare im Land Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Teilt der Senat die Einschätzung, dass es eine Diskriminierung von Regenbogenfamilien, gleichgeschlechtlichen Paaren und Trans*- und Inter*-Personen darstellt, wenn diese Personengruppen durch Formulare (beispielsweise für die Kita- oder Schulplatzanmeldung), die nur geschlechtsspezifische Einträge für „Mutter“ und „Vater“ (oder zwei Textfelder, von denen jeweils eines mit „Frau“ und eines mit „Herr“ betitelt ist) vorsehen, quasi gezwungen werden, diese Formulare „falsch“ auszufüllen ? 2. Teilt der Senat die Einschätzung, dass sich – unabhängig von möglicherweise gegenteiligen Intentionen der jeweiligen Behörden – betroffenen Personengruppen durch Formulare mit den in Frage 1 genannten Formulierungen der Eindruck aufdrängen könnte, von Seiten des Staates in ihrer Identität und Lebensweise nicht akzeptiert zu werden? Zu 1. und 2.: Einige Formulare im Schul- oder Kitabereich bilden nicht immer die Lebenswirklichkeit aller Familien ab und berücksichtigen zudem Menschen mit nicht weiblichen oder männlichen Geschlechtsidentitäten nicht genügend. Bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen und den in diesem Handlungsfeld tätigen zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen sind Beschwerden über nicht-inklusive Formulare sowohl bezogen auf gleichgeschlechtliche Lebenspartner bzw. Lebenspartnerinnen, Elternpaare als auch auf den Ausschluss trans- und intergeschlechtlicher Menschen eingegangen. 3. Welche Anstrengungen hat der Berliner Senat bisher unternommen, Formulierungen wie die in Frage 1 genannten in Formularen des Landes und der Bezirke soweit irgendwie möglich durch nicht-diskriminierende, nicht-geschlechtsspezifische Bezeichnungen (beispielsweise „Elternteil 1“, „Elternteil 2“) zu ersetzen? 4. Welche Schritte in Richtung der Einführung nichtgeschlechtsspezifischer Bezeichnungen in Formularen plant der Senat gegebenenfalls? Zu 3. und 4.: Bezogen auf Eingetragene Lebenspartnerschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz) ist seit 2001 und bezogen auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern (Regenbogenfamilien, 1. Reform des Lebenspartnerschaftsgesetzes ) seit 2005, bezogen auf Kinder ohne einen Geschlechtseintrag im Geburtenregister seit 1.11.2014 (Einführung des § 22, Abs.3 im Personenstandsgesetz ) die geltende Rechtslage auch bei der Gestaltung von Formularen zu berücksichtigen. Im Übrigen sind die zutreffenden Rechtsbegriffe wie „Personensorgeberechtigte “ oder „Erziehungsberechtigte“ zu verwenden. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen hat eine Expertise zu „Diskriminierungspotentialen gegenüber trans- und intergeschlechtlichen Menschen im deutschen Recht“ erstellen lassen und im November 2015 veröffentlicht (siehe http://www.berlin.de/sen/aif/ueberuns /presse/2015/pressemitteilung.409808.php). Daraus geht hervor, dass die Registrierung von Geschlecht, die zudem neben den Kategorien „weiblich“ und „männlich“, auch nach Einführung des § 22, Abs. 3 Personenstandsgesetz bisher in der Regel keine weiteren Geschlechtszugehörigkeiten vorsieht, in Verbindung mit der Digitalisierung personenbezogener Daten ein zentrales strukturelles Diskriminierungspotential für trans- und intergeschlechtliche Menschen darstellt. Daraus ergibt sich die Empfehlung , die Registrierung von Geschlecht zu unterlassen, wo dies nicht aus sachlichen Gründen zwingend erforderlich ist. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 624 2 In der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft wird es ab sofort ein internes Beratungsangebot für die Fachreferate bei der geschlechtssensiblen Gestaltung von Formularen und Anschreiben geben. Zudem wird eine entsprechende Formulierungshilfe mit Musterbeispielen für Formulare erstellt. Die Hinweise zur Einführung nicht-geschlechtsspezifischer Formulare für die Anmeldung zur Kindertagesbetreuung werden aufgenommen und geprüft. Die Umsetzung möglicher Änderungen erfordert einen zeitlichen und technischen Vorlauf. 5. Welche Erfahrungen mit nicht-geschlechtsspezifischen Formularen sind dem Senat aus Berliner Landesoder Bezirksbehörden, aus Bundesbehörden oder aus anderen Bundesländern und Kommunen bekannt und welche Erkenntnisse lassen sich daraus für die Praxis der Formularerstellung im Land Berlin gewinnen? Zu 5.: Dem Senat sind einige wenige Beispiele aus den Senatsverwaltungen und den Berliner Bezirken bekannt , in denen bei der Erhebung statistischer Daten neben den Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ auch die Angabe „Transgender“ oder „Anderes“ möglich ist. Im Rahmen des EU-geförderten Projekts „Vielfalt in der Verwaltung“, das von 2013-2015 in der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen durchgeführt wurde, haben Teilnehmende aus den Bezirksverwaltungen Pankow und Tempelhof-Schöneberg u.a. erörtert, wie Veröffentlichungen und Schreiben so gestaltet werden können, dass sie der Vielfalt der Bevölkerung gerecht werden. Im Rahmen des EU-geförderten Projekts „Trans* in Arbeit“, das im Jahr 2013-2014 umgesetzt worden ist, sind Empfehlungen für die inklusive Berücksichtigung trans- und intergeschlechtlicher Menschen in der Schriftsprache erarbeitet worden (siehe http://www.berlin.de/lb/ads/schwerpunkte/lsbti/materialie n/ transgeschlechtlichkeit/). Der Bericht der unabhängigen Expert_innenkommission der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Themenjahr 2015 „Gleiches Recht – jedes Geschlecht“ weist darauf hin, dass „Inter*- und Trans*Menschen … häufig die Erfahrung gemacht (haben ), nicht existent zu sein. Die meisten empirischen Befragungen richten sich nur an Männer und Frauen und in Printformularen oder auch in der Sprache kommen nur die Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ vor.“ (http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Aktue lles/DE/2015/20151209_Kommission_Empfehlungen.html, S. 21). 6. An welchen Stellen ist die Erfassung der Geschlechtsidentität in Formularen – etwa aus gleichstellungspolitischen Gründen oder zur Erfassung besonderer Bedarfe – aus Sicht des Senats unverzichtbar und welche Möglichkeiten sieht der Senat, entsprechende Formblätter dennoch inklusiver und nicht-diskriminierend zu gestalten ? Zu 6.: Die Erfassung des Geschlechts ist unverzichtbar , wo hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht, z.B. durch das Bundesmeldegesetz. Für statistische Erhebungen ist das Bundesstatistikgesetz maßgeblich. Im ressortübergreifenden Netzwerk für Vielfalt und Chancengleichheit des Senats (siehe http://www.berlin.de/lb/ads/schwerpunkte/diversity/netzw erk-vielfalt-und-chancengleichheit/) wurde die Notwendigkeit inklusiver Formulargestaltung bereits erörtert. 7. Welche – rechtlichen, inhaltlichen, praktischen – Probleme stehen einer Ersetzung geschlechtsspezifischer durch nicht-geschlechtsspezifische Bezeichnungen ggf. im Wege (bitte aufschlüsseln, welche Formulare davon jeweils betroffen sein könnten) und welche Möglichkeiten sieht der Senat, diese Probleme zu beheben? Zu 7.: Formulare im Land Berlin werden dezentral in den jeweiligen Arbeitsbereichen erstellt. Dabei ist u.a. die Gemeinsame Geschäftsordnung für die Berliner Verwaltung , Allgemeiner Teil (GGO I) vom 18. Oktober 2011 zu beachten, die gegenwärtig in § 2, Absatz 2 die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern vorsieht, und zwar „primär durch geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen und, wo dies nicht möglich ist, durch die Ausschreibung der jeweils weiblichen und männlichen Form ... In Schriftsätzen, die sich an Einzelpersonen richten, ist die im Einzelfall jeweils zutreffende weibliche oder männliche Sprachform zu verwenden.“ Regelungen für die sprachliche Gleichbehandlung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen liegen bisher nicht vor. Der Senat beabsichtigt, die Änderung der GGO I in Bezug auf die Anpassung der Vorgaben zur sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter sowie auch im Hinblick auf weitere durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützte Merkmale, z.B. ethnische Herkunft und Behinderung, zu prüfen. Berlin, den 28. Dezember 2015 In Vertretung Barbara Loth Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Dez. 2015)