Drucksache 17 / 17 657 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Silke Gebel (GRÜNE) vom 04. Januar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Januar 2016) und Antwort Missachtet der Senat die fachlichen Empfehlungen zur Luftreinhaltung? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Nach welchem Konzept wird in Berlin festgelegt , ob Tempo 30 als Maßnahme zur Verbesserung der Luft, Reduzierung der Lärmbelastung und Stärkung der Verkehrssicherheit geeignet ist und eingeführt wird? Frage 2: Stimmt es, dass es eine interne Verwaltungsvorschrift gibt, nach der an allen Straßenabschnitte, an denen eine zu hohe Luftbelastung, zu hohe Lärmbelastung und unzureichende Verkehrssicherheit besteht, Maßnahmen ergriffen werden müssen? Wenn ja, bitte stellen Sie die Vorschrift dar. Wenn nein, nach welchen Parametern entscheidet die Verwaltung an welchen Straßen Maßnahmen ergriffen werden? Frage 3: Welchen Stellenwert hat dieses Konzept bei der Prüfung von Tempo 30? Frage 4: Auf wie vielen Abschnitten in Berlin müsste nach diesem Konzept Tempo 30 oder eine andere Maßnahme eingeführt werden? Frage 5: In wie vielen Fällen hat die Verkehrsbehörde dies angeordnet? In wie vielen Fällen hat die Verkehrsbehörde dies empfohlen? Antwort zu 1 bis 5: Die Fragen 1 bis 5 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet, indem die Prinzipien zur Erarbeitung von Anordnungen und bisherige Konzepte erläutert werden. Der Senat hat bereits seit dem Jahr 2005 Konzepte zur Entlastung von verkehrsbedingten Emissionen und zur Erhöhung der Verkehrssicherheit entwickelt, auf deren Grundlage Geschwindigkeitsreduzierungen auf Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen angeordnet wurden. Hierbei handelte es sich immer um gesamtstädtische Planungen. Untersucht wurde jeweils das gesamte Hauptverkehrsstraßennetz . Dabei wurden neben den Lärm- und Luftschadstoffbelastungen und/oder der Verkehrssicherheit folgende Untersuchungskriterien berücksichtigt: • Verkehrliche Belange, indem insbesondere eine Verschlechterung der Qualität des Bus- und Tramverkehrs vermieden werden soll • Verlagerungswirkungen, indem eine Verlagerung von Verkehr in das benachbarte Netz vermieden werden soll • Koordinierung der Lichtzeichenanlagen, wodurch Brems- und Beschleunigungsvorgänge durch Koordinierung möglichst reduziert werden sollen, weil ohne einen möglichst stetigen Verkehrsfluss ein Rückgang der Luft- und Lärmbelastung nicht erwartet werden kann. • Die lokale Situation, da Insellösungen und kurze, unverbundene, aufeinanderfolgende Tempo 30- Anordnungen vermieden werden sollen, damit die Geschwindigkeitsbeschränkung bzw. ihre Aufhebung für die/den Autofahrer/in durch straßenräumlich homogene Strukturen nachvollziehbar/erkennbar ist. Eine interne Verwaltungsvorschrift gibt es nicht. Die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung erfolgt auf Grundlage der Straßenverkehrs-Ordnung durch die Straßenverkehrsbehörde. Diese sieht eine Abwägung unter Einbeziehung aller Belange vor. Entsprechend wurden bei den konzeptionellen Untersuchungen alle Kriterien einbezogen. Im Ergebnis erfolgte eine Ermessensentscheidung . Fest definierte Schwellenwerte, ab denen eine Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwingend erforderlich ist, gibt es in den nationalen Rechtsvorschriften nicht. An 16 Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen, die besonders stark durch Lärm und Luftschadstoffe belastet waren und an denen sich Unfälle häuften, wurde in 2005 eine ganztägige Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h angeordnet. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 657 2 Zur Minderung hoher nächtlicher Straßenverkehrslärmbelastungen wurde in den Jahren 2007 bis 2008 das Tempo 30-Nacht-Konzept entwickelt und umgesetzt. Dies führte zu Tempo-30-Anordnungen für den Nachtzeitraum an etwa 50 km des Hauptverkehrsstraßennetzes. Aktuell wird auf Grundlage der Erkenntnisse aus den verschiedenen Planwerken (Luftreinhalteplan 2011-2017, Lärmaktionsplan 2013-2018 sowie Verkehrssicherheitsprogramm ) und der oben skizzierten Prüfkriterien das Hauptverkehrsstraßennetz untersucht, ob weitere Geschwindigkeitsreduzierungen auf Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen erforderlich sind. Frage 6: In wie vielen Fällen wurde dies - wie im Fall der Berliner Allee geschehen - von einer übergeordneten Stelle wieder zurückgenommen bzw. missachtet? a) Welche Straßenabschnitte in Berlin sind davon betroffen ? b) Wie viele Menschen sind dadurch durch schlechtere Luft, Lärm und Unfallgefahr betroffen? Frage 7: Warum wurde dies wieder zurückgenommen ? Frage 8: Durch wen wurde dies zurückgenommen? Frage 9: Wurde dies durch den Umweltsenator oder seinen Staatssekretär angeordnet? Frage 10: Wann wurden der Umweltsenator und der zuständige Staatssekretär über die Missachtung der fachlichen Behörde informiert? Antwort zu 6 bis 10: Die Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen im Hauptverkehrsstraßennetz obliegt der Verkehrslenkung Berlin, die eine nachgeordnete Behörde der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ist. Die Straßenverkehrsbehörde bedarf nach der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung der Zustimmung der obersten Landesbehörde zur Anordnung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen. Insofern ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt als oberste Landesbehörde in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Statistiken werden hierzu nicht geführt. Es trifft im Übrigen nicht zu, dass in dem geschilderten Sachzusammenhang Anordnungen zurückgenommen wurden. Frage 11: Welche Schlüsse zieht der Senat aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts am 04.01.2016 für weitere Hauptverkehrsstraßen? Frage 12: Warum war bei der Urteilsverkündung niemand von der Senatsseite im Gerichtssaal? Antwort zu 11 und 12: Die Verkündung eines Urteils erfolgt durch Verlesung der Urteilsformel, den sog. Tenor mit der Grundentscheidung über Klagestattgabe oder -abweisung , nach § 116 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 311 Zivilprozessordnung (ZPO). Im Verkündungstermin werden in aller Regel nur die wesentlichen Gründe dargelegt. So ist es durchaus üblich, dass in Verkündungsterminen keine der Parteien anwesend ist. Maßgeblich für ein Urteil ist die schriftliche Ausfertigung nach § 117 VwGO. Erst diese Ausfertigung muss Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung enthalten. Für die Bewertung einer gerichtlichen Entscheidung kommt es auf Details, insbesondere der Begründung aus der schriftlichen Fassung, an. Der Senat kann und wird erst nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung weitere Schlüsse ziehen. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der vom Richter mündlich vorgetragenen Gründe ist aber eine Einlegung von Rechtsmitteln wahrscheinlich. Berlin, den 18. Januar 2016 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Jan. 2016)