Drucksache 17 / 17 729 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller und Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 13. Januar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Januar 2016) und Antwort Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – wann kommt Berlin endlich seinen Verpflichtungen nach? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind nach Kenntnis des Senats in den Jahren 2014 und 2015 nach Berlin eingereist? 2. In wie vielen Fällen hat das Familiengericht in den Jahren 2014 und 2015 Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bestellt und in wie vielen Fällen davon wurden jeweils a. das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf, b. Einzelpersonen, c. Vereine als Vormund bestellt? Zu 1. und 2.: In der Erstaufnahme- und Clearingstelle (EAC) des Landes Berlin für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden im Jahr 2014 1.085 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erfasst. Im Jahr 2015 waren es 4.252 Personen, die Zahl der Ankommenden hat sich somit vervierfacht. Über die Anzahl der von den Familiengerichten für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bestellten Vormünder oder Ergänzungspflegerinnen und Ergänzungspfleger liegen keine Angaben vor, da es hierzu kein zentrales Register gibt. 3. Wie viele Vormundschaften führt das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf derzeit und wie viele Stellen stehen hierfür zur Verfügung? 4. Sind die dem Jugendamt Steglitz-Zehlendorf zusätzlich bereitgestellten fünf Vollzeitäquivalente (s. Vorlage an den Hauptausschuss – Rote Nr. 2149A) inzwischen besetzt? Wenn nein, warum nicht? Zu 3. und 4.: Nach Angaben des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf führt der Fachdienst unbegleitete minderjährige Flüchtlinge derzeit 806 Vormundschaften bzw. Pflegschaften. Dafür stehen 4,5 Stellen zur Verfügung . Die 8 zusätzlich bereitgestellten Vollzeitäquivalente (VZÄ) sind aufgrund der notwendigen Verfahrensabläufe bei Personaleinstellungen noch nicht besetzt. Es konnten bereits 7 Personen in Verfahren ausgewählt werden, die insgesamt 6,5 VZÄ besetzen und ab dem 1. Februar 2016 sukzessive eingestellt und eingearbeitet werden können. 5. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind zum Beginn des Jahres 2016 in Berlin ohne Vormund bzw. Ergänzungspfleger und wer nimmt die Interessen dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zwischenzeitlich wahr? 6. Wie lange dauert es im Durchschnitt bis zur Bestellung eines Vormunds bzw. eines Ergänzungspflegers und in welchem Verhältnis steht dies zur gesetzlichen Verpflichtung gemäß SGB VIII, „unverzüglich“, im Regelfall binnen drei Tagen, eine gesetzliche Vertretung sicherzustellen ? 7. Welche Gründe sind ausschlaggebend, dass die Einsetzung einer Vormundschaft bzw. Ergänzungspflegschaft nicht unmittelbar erfolgt und was tut der Senat, um dem gesetzlichen Anspruch gerecht zu werden? 8. Wie werden die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bei der Entscheidung über ihre gesetzliche Vertretung einbezogen? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 729 2 Zu 5. – 8.: Solange für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling keine Vormundschaft oder Ergänzungspflegschaft bestellt ist, wird die rechtliche Vertretung durch das in Obhut nehmende Landesjugendamt bzw. durch das jeweils zuständige Jugendamt des Bezirks ausgeübt . Die Berliner Familiengerichte entscheiden über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung einer Vormundschaft, rechtlichen Betreuung oder Pflegschaft für einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling. Sie ordnen die Entscheidung an und bestellen die zur Wahrnehmung der gesetzlichen Vertretung von ihnen Ausgewählten . In diesem Verfahren sind die Antragstellenden und alle durch das Verfahren unmittelbar Betroffenen zu beteiligen. Eine Erfassung zur Verfahrensdauer erfolgt von der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung nicht. Eingetretene Verzögerungen aufgrund der enorm gestiegenen Fallzahlen werden durch Absprachen und Abstimmungen zu Verfahrensabläufen sukzessive abgebaut. 9. Welche Maßnahmen hat der Senat getroffen, damit die Akquise, Ausbildung und Bestellung von Einzel- und Vereinsvormundschaften quantitativ stark ausgeweitet werden und somit mit der steigenden Anzahl einreisender Minderjähriger Schritt halten kann? Welche Stelle ist hierfür im Land Berlin zuständig? 10. Welche finanziellen Mittel hat der Senat für 2016 und 2017 bereitgestellt, um in 2015 eingeleitete Sofortmaßnahmen zur Akquise und Ausbildung von Vormündern zu verstetigen und diesbezügliche Aktivitäten auszuweiten und woher kommt das Geld? In welcher Höhe werden dafür Bundesmittel eingesetzt? 11. Welche Vereine oder Institutionen haben die Akquise , Ausbildung und Begleitung der Vormünder übernommen und welche finanzielle und organisatorische Unterstützung erhalten diese derzeit und zukünftig vom Senat (bitte trägerkonkret aufschlüsseln)? Zu 9.- 11.: Der Senat hat gemeinsam mit dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf die Zusammenarbeit mit Vormundschaftsvereinen im Aufgabenfeld Akquise und Schulung von ehrenamtlichen Einzelvormündern verstärkt. Unter Federführung der Senatsverwaltung für Bildung , Jugend und Wissenschaft sind im Bereich der kindschaftsrechtlichen Beratung und Vertretung auch die Senatsverwaltungen für Justiz und Verbraucherschutz sowie die Senatsverwaltung für Finanzen involviert. Um die bereits 2015 eingeleiteten Sofortmaßnahmen zu verstetigen bzw. auszubauen, werden für das Jahr 2016 insgesamt 300.000 EUR aus den Sofortmaßnahmen für Unterbringung, Betreuung und Integration von Geflüchteten bereitgestellt. XENION - Psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte e.V. mit seinem Projekt AKINDA - sowie der Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. sind mit der Akquise und Schulung von ehrenamtlichen Einzelvormündern betraut. Mit ihnen und weiteren Vormundschaftsvereinen befinden sich aktuell Verhandlungen in der Abstimmung. 12. Inwieweit kooperiert der Senat mit der Rechtsanwaltskammer und dem Berliner Anwaltsverein, nachdem sich infolge deren gemeinsamen Aufrufs über 600 Personen als Interessierte für eine Vormundschaft gemeldet haben und welche Maßnahmen trifft der Senat, um die Interessierten möglichst schnell als Vormünder zu gewinnen ? Zu 12.: Der Senat begrüßt ausdrücklich das zahlreiche Engagement, ehrenamtlich als Vertretung der Eltern das Sorgerecht für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wahrnehmen zu wollen. Es liegen entsprechende Interessensbekundungen auf Grund eines Aufrufes des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf, zentral zuständig für die Amtsvormundschaft unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge , vor. Entsprechende Meldungen liegen ebenfalls vor aus dem Kreis der Berliner Richter wie der Anwälte. Es erfolgen bereits Vormundschaftsbestellungen bzw. Bestellungen als Ergänzungspfleger oder Ergänzungspflegerin durch die Familiengerichte aus dem Kreis der genannten Interessenten. Zur Beschleunigung der Verfahren sind bereits Abstimmungen und Absprachen, insbesondere mit Vertreterinnen und Vertretern der Familiengerichte, dem Jugendamt des Bezirks Steglitz-Zehlendorf wie auch dem Ansprechpartner der Rechtsanwaltskammer, erfolgt, sodass in steigendem Maße auf diese Interessentinnen und Interessenten im Rahmen von Vormundschaftsbestellungen und Bestellung für eine Ergänzungspflegschaft zurückgegriffen werden kann. Berlin, den 27. Januar 2016 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Feb. 2016)