Drucksache 17 / 17 804 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Andreas Baum (PIRATEN) vom 26. Januar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Januar 2016) und Antwort Anspruch und Wirklichkeit der Radverkehrsstrategie X: Wie fördert – oder behindert – die Verkehrslenkung Berlin den Radverkehr? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Laut Drs. 17/17237 ist die „Bearbeitung grundsätzlicher Angelegenheiten des Radverkehrs [...] innerhalb der VLB an einer Stelle gebündelt.“ In welcher Abteilung innerhalb der Verkehrslenkung Berlin (VLB) ist diese Stelle angesiedelt und welche Aufgaben nimmt sie wahr? Antwort zu 1: Die Verkehrslenkung Berlin (VLB) als zentrale Straßenverkehrsbehörde konzentriert sich auf stadtweite und bedeutsame Regelungen überwiegend im Hauptverkehrsstraßennetz. Die Bearbeitung grundsätzlicher Angelegenheiten des Radverkehrs ist bei einer Stelle im Referat B der VLB angesiedelt. Das Arbeitsgebiet umfasst als Nebenaufgabe die stadtweite straßenverkehrsrechtliche Koordination des Radverkehrs. Darunter fällt die Vertretung der Verkehrslenkung Berlin im Fahr-Rat oder bei anderen grundlegenden Entscheidungen und die Bündelung von Festlegungen und Vorgaben zur Sicherstellung einer einheitlichen Bearbeitung im für Dauermaßnahmen zuständigen Referat VLB B – Verkehrszeichen /Lichtsignalanlagen. Frage 2.: Welche Behörde ist für die Radverkehrsplanung im Hauptstraßennetz zuständig, und welche Aufgaben nimmt die VLB beim Neubau und bei der Sanierung von Radverkehrsanlagen im Hauptstraßennetz wahr? Frage 3.: Wie viele Personalstellen in welcher Abteilung der VLB nehmen die unter Frage 2 genannten Aufgaben sowie mit temporären Anordnungen für den Radverkehr , beispielsweise an Baustellen, wahr? Antwort zu 2 und 3: Für die Radverkehrsplanung im Hauptverkehrsstraßennetz sind die Träger der Straßenbaulast verantwortlich, das sind in der Regel die Bezirksämter . Die Verantwortung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt beschränkt sich im übergeordneten Straßennetz, zu dem auch die Hauptverkehrsstraßen zählen, gemäß Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz - AZG) auf Planungsvorgaben. Die VLB ist beim Neubau und der Sanierung von Radverkehrsanlagen im Hauptverkehrsstraßennetz für die Erteilung der erforderlichen straßenverkehrsbehördlichen Anordnungen zuständig. Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 3 der Schriftlichen Anfrage 17/17237 verwiesen. Die VLB prüft beim Neubau von Radwegen im Hauptstraßennetz die Planungsunterlagen der Bezirksämter oder von ihr beauftragter Ingenieurbüros hinsichtlich straßenverkehrsrechtlicher Belange im Hinblick auf die Sicherheit der Radfahrer/innen und der Interessen aller Verkehrsteilnehmer /innen. Sind in diesem Zusammenhang Maßnahmen erforderlich, wie z. B. zur Sicherung des Radverkehrs im Bereich von Grundstückszufahrten, werden diese von der VLB angeordnet. Radverkehrsführungen auf der Fahrbahn von Hauptverkehrsstraßen in Form von markierten Radfahr- oder Schutzstreifen werden gänzlich von der Verkehrslenkung Berlin angeordnet. Bei der Sanierung von Radverkehrsanlagen im Hauptstraßennetz wird die VLB – außer bei Anordnungen zur Sicherung von Baustellen – nur in den Fällen einbezogen, in denen Änderungen vorgesehen sind oder ergänzende verkehrsrechtliche Anordnungen erforderlich werden. Sofern im Rahmen der Umsetzung der Planungen die Absicherung der Baustellenbereiche durch die Verkehrslenkung Berlin im Rahmen ihrer Zuständigkeit erforderlich ist, ordnet sie die hierfür erforderlichen Maßnahmen an. Haben die Neubau- oder Sanierungsplanungen Auswirkungen auf Lichtsignalanlagen, trifft die Verkehrslenkung Berlin stadtweit die dafür nötigen – auch signaltechnischen – Anordnungen. Als Baulastträger für Lichtsignalanlagen im Land Berlin erteilt sie die Baugenehmigungen und setzt im Bereich von Lichtsignalanlagen auch bauliche Maßnahmen um. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 804 2 Wie schon der Antwort auf die Frage 3 der Schriftlichen Anfrage 17/17237 zu entnehmen ist, werden somit die Belange des Radverkehrs in der normalen Sachbearbeitung insbesondere aller anordnenden Bereiche der VLB mit berücksichtigt. Frage 4.: In wie vielen Fällen in den Jahren seit 2011 haben Mitarbeiter/-innen der VLB an Fortbildungen oder Schulungen im Bereich Radverkehr, beispielsweise im Rahmen der Fahrradakademie des Deutschen Instituts für Urbanistik, teilgenommen? Antwort zu 4.: Im Referat VLB A finden jährliche Querschnittsschulungen zum Thema Baustellensicherung statt, bei denen auch der Bereich Radverkehr Berücksichtigung findet. Im Rahmen der Novelle der Straßenverkehrs -Ordnung (StVO) haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Referate VLB A, B und F im Jahre 2013/14 an Schulungen der Fahrradakademie sowie des Bundesverkehrsministeriums teilgenommen. Im Nachgang dazu werden die Schulungsangebote nach eigenem Bedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahrgenommen . Frage 5.: Wie viele der im Jahr 2015 neu besetzten und der im Jahr 2016 neu zu besetzenden Stellen nehmen Aufgaben im Bereich Radverkehr wahr? Antwort zu 5: Wie schon der Antwort auf die Frage 3 der Schriftlichen Anfrage 17/17237 zu entnehmen ist, sind die Belange des Radverkehrs nicht losgelöst von den Belangen anderer am Verkehr Teilnehmender zu betrachten und daher von allen, also auch den neuen Mitarbeitenden in der normalen Sachbearbeitung insbesondere aller anordnenden Bereiche zu berücksichtigen. Frage 6.: Wie viele der im Jahr 2015 neu eingestellten Mitarbeiter/-innen weisen spezifische Erfahrungen oder Qualifikationen in der Radverkehrsplanung oder in der Baustellenabsicherung im Bereich von Geh- und Radwegen auf? Antwort zu 6: Die im Jahr 2015 neu hinzugekommenen Mitarbeitenden im Referat VLB A weisen keine spezifischen Erfahrungen oder Qualifikationen in der Radverkehrsplanung oder zur Baustellenabsicherung im Bereich von Geh- und Radwegen auf, gleichwohl werden bei der Wahrnehmung der Aufgaben die Belange aller Verkehrsarten berücksichtigt. Frage 7.: In welchen Fällen in den Jahren seit 2011 konnte der Neubau oder die Sanierung von Radverkehrsanlagen wegen Bearbeitungsrückstand in der VLB nicht oder erst mit erheblicher Verzögerung realisiert werden? Frage 8.: Wie viele der aktuell von der VLB zu bearbeitenden Anträge auf Neubau oder Sanierung von Radverkehrsanlagen sind Altfälle, die vor mehr als zwei Monaten gestellt wurden, und bis wann plant der Senat, diese abzuarbeiten? Antwort zu 7 und 8: Der Verkehrslenkung Berlin liegen derzeit – ohne dass Antragseingänge gesondert statistisch erfasst werden – 17 Anträge auf Erneuerung bzw. Sanierung von Radverkehrsanlagen vor. Davon befinden sich bereits sechs in Bearbeitung. Die weitere Bearbeitung der übrigen Anträge erfolgt sukzessive nach Maßgabe vorhandenen Personals, ein verbindlicher Zeitrahmen kann dabei nicht genannt werden. Frage 9.: Welche Maßnahmen hat der Senat – beispielsweise vor dem Hintergrund der im Jahr 2014 als rechtswidrig eingestuften Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht in der Kastanienallee – ergriffen, um die Qualität der Anordnungen im Bereich Radverkehr seitens der VLB zu verbessen? Antwort zu 9.: Bereits seit der sogenannten 1. Fahrradnovelle 1997 ist bei einer Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht nach § 45 Absatz 9 Straßenverkehrsordnung (StVO) jeweils konkret zu begründen, warum im Interesse der Sicherheit für den Radverkehr die Benutzungspflicht des Radweges zwingend geboten ist. Die Entscheidung zur Notwendigkeit einer Radwegbenutzungspflicht ist in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung und wird nach der Bewertung der Gefahrensituation getroffen . Der Gesetzgeber hat hierzu keine konkreten Vorgaben gemacht, so dass erst durch die Rechtsprechung die Kriterien kontinuierlich fortentwickelt wurden bzw. werden , nach denen die Straßenverkehrsbehörden im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens eine auf besondere örtliche Verhältnisse bezogene Gefahrenlage für den Radfahrenden bei Fahrbahnbenutzung rechtfertigen kann. Insofern gibt es auch keinen Anlass, die Qualität der Anordnungen als grundsätzlich verbesserungswürdig zu bezeichnen . Im Übrigen ist die Aufhebung von Radwegbenutzungspflichten in Berlin im Vergleich zu anderen Städten überdurchschnittlich weit umgesetzt worden. Frage 10.: Wie viele Beschwerden, Widersprüche oder Anträge auf Aufhebung von Radwegebenutzungspflichten hat die VLB in den Jahren seit 2004 jährlich erhalten? Frage 11.: In welchen Fällen in den Jahren seit 2004 hat die VLB Widerspruchsbescheide gegen die Anordnung von Radwegebenutzungspflichten zurückgewiesen? Frage 12.: In welchen Fällen in den Jahren seit 2004 hat die VLB das Land Berlin in Klagen auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht vertreten? Antwort zu 10, 11 und 12: Die seit 2004 zunächst bei den Bezirksämtern liegende Zuständigkeit für Radwege mit Benutzungspflicht, Radfahr- und Schutzstreifen sowie Radverkehrsanlagen im übergeordneten Netz wurde erst durch das Gesetz zur Änderung zuständigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 3. Februar 2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt [GVBl.] S. 45) auf die Verkehrslenkung Berlin Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 804 3 übertragen. Widersprüche wurden damit nach dem 17. Februar 2010 bei der VLB anhängig. Die Verkehrslenkung Berlin erfasst die Beschwerden, Widersprüche oder Anträge auf Aufhebung von Radwegebenutzungspflichten nicht statistisch und kann daher über die Anzahl der eingegangenen Anträge keine Aussage treffen. Generell ist aber zu berücksichtigen, dass sich die Anträge zumeist auf längere Straßenabschnitte oder ganze Straßenzüge beziehen und daher der tatsächliche Aufwand an zu überprüfenden Beschilderungen zur Radwegbenutzungspflicht auch mit der Anzahl der Anträge nicht aussagefähig abzubilden wäre. Zurückgewiesen wurden diese Widersprüche in Fällen , bei denen aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in § 45 StVO genannten Rechtsgüter (hier insbesondere Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt. In solchen Fällen dient die Trennung von motor - und muskelgetriebenen Fahrzeugen vor allem der Sicherheit des Verkehrs. Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können nach der Rechtsprechung bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingte Einflüsse, der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein. Daher kann es eine Vielzahl von Aspekten sein, die zur Feststellung einer sogenannten qualifizierten Gefahrenlage führt. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) kann dies der Fall sein, wo es die Verkehrssicherheit, die Verkehrsbelastung und der Verkehrsablauf erfordern. Begründen die bereits genannten Aspekte und z.B. enge Verkehrsräume, schmale Fahrstreifen , zweispuriges Rechtsabbiegen, nah beieinanderliegende Abbiegebeziehungen hohe Verlustzeiten an signalgesteuerten Kreuzungen für Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), motorisierten Individualverkehr oder Fußgänger /innen, hohes Verkehrsaufkommen, Geschwindigkeiten über 50 km/h bei außerörtlichem Charakter der Straße, oder in besonderen Einzelfällen spitzwinkeliges Queren von Bahn- oder Tramgleisen mit besonderer Sturzgefahr eine qualifizierte Gefahrenlage an der Örtlichkeit des Widerspruchs gegen die Radwegebenutzungspflicht , dann wurde der Widerspruch zurückgewiesen und die VLB hat das Land Berlin auch in den darauffolgenden Klageverfahren vertreten. Frage 13.: In welchen der unter Frage 11 aufgelisteten Fälle wurde den Klagen auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht gerichtlich stattgegeben? Antwort zu 13: Das Verwaltungsgericht Berlin hat Klagen auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht in den fünf folgenden Fällen stattgegeben: • Charlottenburg-Wilmersdorf: Marchstraße ab Fraunhofer Straße Richtung Ernst-Reuter-Platz • Pankow: Schönhauser Allee zwischen Lottumstraße und Torstraße • Pankow: Haltestellenkap in der Kastanienallee • Lichtenberg und Treptow-Köpenick: im Straßenzug Hauptstraße - Köpenicker Chaussee - Rummelsburger Landstraße - Rummelsburger Straße - An der Wuhlheide - Lindenstraße • Spandau: soweit die Neuendorfer Straße wegen der Entfernung der Verkehrszeichen klagebefangen war. In acht Verwaltungsstreitverfahren auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht wurden die Anträge seitens des VG Berlin abgewiesen: • Pankow: in der Danziger Straße ab Lychener Straße in der Zufahrt zum Knoten Danziger Straße/Eberswalder Straße/Schönhauser Allee/Kastanienallee/ Pappelallee • Tempelhof-Schöneberg: Attilastraße von Renate- Privatstraße bis Manteuffelstraße Richtung Attilaplatz • Treptow-Köpenick: Schöneicher Straße - Schöneicher Landstraße* • Pankow: Berliner Straße Richtung Mitte südlich der Florastraße • Spandau: soweit der Altstädter Ring wegen der Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht klagebefangen war. • Pankow: einstweiliger Rechtschutz gegen Radwegebenutzungspflicht am Haltestellenkap in der Kastanienallee • Neukölln: Sonnenallee - Hermannplatz* zwei Strecken abgewiesen, hinsichtlich einer Strecke Erledigung durch Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht Richtung Hermannstr. seitens der VLB im Verfahren, da neue Planung der Unfallkommission nach Widerspruchsbescheid • Charlottenburg-Wilmersdorf: Spichernstraße* Abweisung : 70 m vor der Kreuzung Bundesallee bis Kreuzung Bundesallee Teilerledigung: Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht ab Schaperstraße in Richtung Bundesallee bis 70 m vor der Kreuzung durch VLB im Verfahren Mit * markierte Urteile sind nicht rechtskräftig. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 804 4 Frage 14.: Mit welcher zeitlichen Verzögerung wurde die in den unter Frage 13 aufgelisteten Fällen angeordnete Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht jeweils umgesetzt ? Antwort zu 14: Für die Umsetzung von aufgehobenen Radwegbenutzungspflichten sind in erster Linie die Straßenbaulastträger , d.h. in der Regel die Straßen- und Grünflächenämter der Bezirke, zuständig, die in der Regel innerhalb von drei bis sechs Monaten die Beschilderung entfernen. In den Fällen, in denen die Entfernung von Radwegbenutzungspflichten Auswirkungen auf die Lichtsignalanlagen haben, müssen zunächst die längeren Räumwege des auf der Fahrbahn fahrenden Radverkehrs in die Signalzeiten miteingerechnet und die Lichtsignalanlagen entsprechend umprogrammiert werden. Erst dann können die Beschilderungen entfernt werden. Infolgedessen ist mit einer Umsetzungszeit von mindestens einem Jahr zu rechnen. Berlin, den 05. Februar 2016 In Vertretung R. L ü s c h e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Feb. 2016)