Drucksache 17 / 17 891 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Evrim Sommer (LINKE) vom 01. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Februar 2016) und Antwort Feinstaubbelastungen und Grenzwertüberschreitungen in Lichtenberg Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Auf welchen Straßen im Geltungsbereich des Bezirkes Lichtenberg wurde an jeweils welchen Messtagen in den Jahren 2014 und 2015 welcher Tagesmittelwert für Feinstaubbelastungen gemessen? Frage 2: Auf welchen Straßen im Geltungsbereich des Bezirkes Lichtenberg wurde an jeweils welchen und insgesamt wie vielen Messtagen eine Überschreitung des zulässigen Tagesmittelwerts von mehr als 50 Millionstel Gramm pro Kubikmeter Luft gemessen? Antwort zu 1 und 2: In Lichtenberg befindet sich keine Messstation des Berliner Luftgütemessnetzes, an der Feinstaub gemessen wird. Daher liegen keine Daten zu Tagesmittelwerten der Feinstaubkonzentration vor. Frage 3: Wie viele gemeldete Anwohner wohnen an den ggf. grenzwertüberschreitenden Straßen im Bezirk Lichtenberg? Antwort zu 3: Die Anzahl von Grenzwertüberschreitungen betroffener Anwohnerinnen und Anwohner wird in Berlin mittels Modellierung der Luftqualität bestimmt. Für Feinstaub PM 1 10 liegen Modellrechnungen für das Jahr 2015 vor. Danach sind in Lichtenberg insgesamt 233 Bewohner/innen von zu hohen PM10-Konzentrationen betroffen (Köpenicker Chaussee: 4, Alt-Friedrichsfelde 120, Frankfurter Allee 109). Frage 4: Was war aus Sicht des Senates ggf. die Ursache für die Überschreitungen der Grenzwerte? 1 Standard for Particulate Matter Antwort zu 4: Ursachen für die Feinstaubkonzentration an Hauptverkehrsstraßen sind gemäß Luftreinhalteplan 2011-2017 für Berlin zu etwa 64 % der Eintrag von Feinstaub aus Quellen außerhalb Berlins, zu etwa 17 % Feinstaubquellen im städtischen Hintergrund (7,5 % Straßenverkehr , 7,4 % sonstige Quellen einschließlich Holzverbrennung und Baustellen, 1,3 % Heizung/Kleingewerbe, 0,3 % Industrie und 0,3 % sonstiger Verkehr) und zu 19 % der lokale Straßenverkehr der betrachteten Straße (4,1 % Auspuffpartikel und 14,9 % Abrieb und Aufwirbelung ). Überschreitungen des Grenzwertes für das Tagesmittel treten insbesondere in Jahren mit erhöhten Anteilen von Ferntransport und schlechten Austauschbedingungen durch winterliche Hochdruckwetterlagen auf. Frage 5: Welche Gesundheitsrisiken stellen Feinstaubpartikel für die Bevölkerung dar, insbesondere für Menschen , die an Straßen mit einer hohen Feinstaubbelastung leben? Antwort zur 5: Feinstaub erhöht das Risiko für Atemwegs - und Herz-Kreislauferkrankungen. Die gesundheitlichen Wirkungen von Feinstaub reichen von Schleimhautreizungen und lokalen Entzündungen in der Luftröhre , den Bronchien oder den Lungenbläschen bis zu verstärkter Plaquebildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten Thromboseneigung oder Veränderungen der Regulierungsfunktion des vegetativen Nervensystems. Dieselruß wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als krebserregend für den Menschen eingestuft und erhöht insbesondere das Risiko für Lungenkrebs. Es gibt keine untere Konzentrationsschwelle, unter der keine Gesundheitsgefahren bestehen. Das Risiko steigt mit der Höhe der Feinstaubkonzentration und ist damit an belasteten Hauptverkehrsstraßen etwas höher als in einiger Entfernung von Straßen. In Berlin konnte die Zusatzbelastung an Straßen im Vergleich zum städtischen Hintergrund insbesondere durch Dieselruß mit der Einführung der Umweltzone bereits halbiert werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 891 2 Frage 6: Wie hat sich im Land Berlin seit Beginn 2012 die Zahl der Neuerkrankungen im Bereich der Atemwege entwickelt (bitte wenn möglich auch nach Bezirken getrennt ausweisen)? Antwort zu 6: Nach Auskunft der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales gibt es für die Zahl der Neuerkrankungen an Atemwegserkrankungen (kodiert entsprechend der Internationalen Klassifizierung der Krankheiten (ICD-10) mit J00 – J99) keine Datenquelle. Die Näherung ist über verschiedene Statistiken möglich (veröffentlicht unter Berliner Gesundheits- und Sozialinformationssystem (GSI; http://www.gsi-berlin.info/). Stationär behandelt wurden 2014 in Berlin aufgrund von Atemwegserkrankungen 20.350 Berliner Frauen und 23.641 Berliner Männer (entspricht 996 bzw. 1.296 je 100.000 der Bevölkerung, altersstandardisiert). Gegenüber 2012 gibt es keine nennenswerten Veränderungen (19.711 Frauen und 23.020 Männer, d. h. 1.005 bzw. 1.329 je 100.000 der Bevölkerung). Am häufigsten betroffen waren Kinder unter 5 Jahren sowie ältere Menschen ab 70 Jahre. Am ehesten mit Umweltbelastungen wie Feinstaub in Zusammenhang gebracht werden chronische Krankheiten der unteren Atemwege (J40 - J47). Dazu gehören vor allem Bronchitis und Asthma bronchiale. 2014 wurden 5.217 Behandlungsfälle bei Berliner Frauen und 5.100 bei Männern registriert (entspricht 187 bzw. 227 je 100.000 der Bevölkerung). Gegenüber 2012 ist auch für diese Diagnosegruppe keine nennenswerte Veränderung zu verzeichnen (4.811 Frauen und 5.017 Männer , d. h. 174 bzw. 232 je 100.000 der Bevölkerung). Die Bezirksergebnisse sind der folgenden Tabelle zu entnehmen . Tabelle: Aus dem Krankenhaus entlassene vollstationäre Behandlungsfälle (einschließlich Sterbefälle) wegen Krankheiten des Atmungssystems in Berlin 2012-2014 Alle stationär behandelten Atemwegserkrankungen (J 00 –J 99) (absolut) Chronische Krankheiten der unteren Atemwege (J 40-J 47) (absolut) 2012 2013 2014 2012 2013 2014 Berlin gesamt 42.731 46.066 43.991 9.828 10.961 10.317 Mitte 4.373 4.523 4.630 1.010 1.052 1.063 Friedrichshain- Kreuzberg 2.788 2.792 2.899 594 664 631 Pankow 4.121 4.560 4.142 768 928 811 Charlottenburg- Wilmersdorf 3.770 4.189 3.777 952 1.050 1.017 Spandau 3.243 3.540 3.494 967 1.066 964 Steglitz-Zehlendorf 3.889 4.126 3.862 757 847 877 Tempelhof- Schöneberg 4.157 4.486 4.264 948 1.058 970 Neukölln 4.298 4.773 4.442 1.050 1.271 1.181 Treptow-Köpenick 2.731 2.844 2.665 669 699 597 Marzahn- Hellersdorf 2.711 3.009 2.817 577 595 568 Lichtenberg 3.096 3.321 3.295 590 677 684 Reinickendorf 3.554 3.903 3.704 946 1.054 954 (Datenquelle: Amt für Statistik [AfS] Berlin-Brandenburg, Verordnung über die Bundesstatistik für Krankenhäuser [KHStatV]-Teil II: Diagnosen / Berechnung: Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales - I A -) Aus den Daten kann ausdrücklich nicht geschlossen werden, dass die Krankheitsfälle durchweg auf erhöhte Luftschadstoffbelastung zurückzuführen sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 891 3 Frage 7: Welche Maßnahmen zur Luftreinhaltung hat der Senat seit wann zu welchen Kosten und mit welchem Ergebnis ergriffen? Antwort zu 7: Die wichtigsten Maßnahmen waren: - Seit den 1980er Jahren in West-Berlin und seit 1991 in den östlichen Bezirken: Einführung der Rauchgasreinigung für Kraftwerke mit dem Effekt der über 90-prozentigen Reduzierung der Emissonen von Schwefeldioxid, Feinstaub und Stickoxiden. Durch den weitgehenden Ersatz von Kohle durch Gas, Fernwärme und Heizöl als Brennstoff für Einzelraumheizungen wurden die Emissionen von Schwefeldioxid und Feinstaub aus diesen Quellen zu über 90% reduziert. Zu den jeweiligen Kosten können keine Angaben gemacht werden. - Förderung des Umweltverbundes aus öffentlichen Nahverkehr, Radverkehr und Fußverkehr mit dem Ergebnis, dass in Berlin der Pkw-Verkehr den niedrigsten Anteil an allen Fahrten aller deutschen Großstädte hat. Dies hat dazu geführt, dass seit 2002 die Verkehrsmengen in den Straßen im Mittel um mehr als 10 % abgenommen hat. Dies führte zu einem Rückgang der Luftschadstoffbelastung von bis zu 10 %. - Erprobung und Nachrüstung von Bussen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit Partikelfilter seit den 1990er Jahren mit dem Effekt der Reduzierung der Dieselrußemission der Flotte um etwa 90 %. Die Kosten pro Bus lagen bei etwa 10.000 €, für die ca. 1200 Busse der BVG also bei etwa 12 Millionen Euro . - Modernisierung der BVG-Flotte durch Anschaffung von Bussen mit dem Abgasstandard Euro 6, Nachrüstung von etwa 200 Doppeldeckern mit dem Abgasstandard Euro 4 mit Stickoxidminderungssystemen (SCR 2 -Katalysatoren) sowie Maßnahmen an etwa 150 Euro 5-Bussen, damit die ab Werk vorhandenen SCR-Kats im Stadtverkehr einen besseren Wirkungsgrad erreichen. An der am höchsten mit Stickstoffdioxid (NO2) belasteten Messstation am Hardenbergplatz konnte damit im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von etwa 5 µg/m³ (vorläufige Auswertung) erreicht werden. Die Maßnahme wirkt insbesondere dort, wo sehr viele Busse fahren. Die Kosten von etwa 3 Mio. € wurde zur Hälfte aus dem Umweltentlastungsprogramm II aus dem Europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE-Fond) finanziert. 2 selective catalytic reduction - Einführung der Umweltzone: Reduzierung der Dieselrußemissionen um etwa 60 % und der Stickoxidemissionen um etwa 20 %, Rückgang der Luftbelastung um etwa 3 µg/m³ Feinstaub und 1 bis 2 µg/m³ Stickstoffdioxid. Die Kosten für die Verkehrszeichen für die Umweltzone lagen unter 100.000 €. - Einsatz von Erdgasfahrzeugen als Müllsammelfahrzeuge durch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR). Zahlen zur Wirkung liegen nicht vor, aber Erdgasfahrzeuge emittieren sehr viel niedrigere Stickoxidemissionen als Dieselmotoren. Kostenangaben liegen nicht vor. - Anordnung von stadtverträglichen Geschwindigkeiten an hochbelasteten Straßenabschnitten, sofern ein überwiegend stetiger Verkehrsfluss gesichert ist und die Belange des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie der anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer ausreichend berücksichtigt werden können. Zu den Kosten liegen keine Angaben vor. Berlin, den 15. Februar 2016 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Feb. 2016)