Drucksache 17 / 17 905 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 03. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Februar 2016) und Antwort Wurden Medikamente an Berliner Heimkindern in den 50er bis 70er Jahren getestet? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen an Heimkindern Berliner Kinder- und Jugendheime (Ost und West) in den 50er bis 70er Jahren Medikamente getestet wurden? 2. Unterstützt der Senat die Forschungen von Frau Sylvia Wagner zur Aufklärung von Medikamentengaben in Heimen mit kinderpsychiatrischer Ausrichtung? Wenn ja, hat der Senat selbst schon bei Pharmaunternehmen und Heimbetreibern angefragt, ob in den 50er bis 70er Jahren Medikamente an Heimkindern in Berlin getestet wurden? Zu 1. und 2.: Der Abschlussbericht des Runden Tisches Heimerziehung (RTH) sowie der Bericht Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR beschäftigen sich mit der zur damaligen Zeit in der Heimerziehung in beiden Teilen Deutschlands weit verbreiteten Praxis der Verabreichung von Medikamenten, insbesondere von Psychopharmaka. Teilweise erfolgte dies ohne Aufklärung bzw. Einwilligung der Betroffenen oder deren Personensorgeberechtigten, viele Betroffene berichteten von der Anwendung von Zwang. Der Abschlussbericht des RTH berichtet darüber hinaus, dass für ein Heim in Nordrhein-Westfalen (NRW) nachgewiesen werden konnte, dass ohne Einwilligung der betroffenen Kinder bzw. deren Personensorgeberechtigten und trotz anfänglicher Bedenken des zuständigen Landesjugendamtes in NRW im Jahr 1966 eine mehrwöchige Versuchsreihe mit sedierenden Medikamenten (Truxal) durchgeführt wurde. (vgl. Abschlussbericht des RTH, S. 19 ff bzw. Uwe Kaminsky in „Öffentliche Erziehung im Rheinland – Geschichte der Heimerziehung in Verantwortung des Landesjugendamtes (1945 – 1972), Essen 2010, S. 485 – 494). Der Bericht „Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR“ und die ihm zugrunde liegende Expertisen berichten, dass Akten gefunden wurden, die den Schluss zulassen, dass in einigen Heimen der DDR so unverantwortlich mit der Vergabe von Beruhigungsmitteln umgegangen wurde, dass dies bereits seinerzeit von den DDR-Verantwortlichen kritisiert wurde. Im selben Zusammenhang werden einzelne Hinweise auf Medikamententests erwähnt, z.B. in einer Einrichtung in Bernburg (vgl. Bericht „Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR“, S. 42 bzw. Karsten Laudien und Christian Sachse in ihrer Expertise „Erziehungsvorstellungen in der Heimerziehung der DDR“, Berlin 2012, S. 249 ff). In allen bekannten Fällen, in denen Tests stattfanden, wurden diese außerhalb Berlins durchgeführt. Hinweise auf Medikamententests in Berliner Kinder- und Jugendheimen sind nicht bekannt. Der Heimaufenthalt vieler ehemaliger Heimkinder war von traumatisierenden Lebens- und Erziehungsverhältnissen und Erfahrungen von Leid und Unrecht geprägt. Mit beiden Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ bzw. "Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990" kann Betroffenen Hilfe gewährt werden, soweit durch die Heimerziehung heute noch Traumatisierungen oder andere Beeinträchtigungen und Folgeschäden bestehen und dieser besondere Hilfebedarf nicht über die bestehenden Hilfe- und Versicherungssysteme abgedeckt wird. Darüber hinaus werden Betroffene dabei unterstützt, ihre Zeit der Heimunterbringung aufzuarbeiten. Die für den Bereich Jugend zuständige Senatsverwaltung hat für ehemalige Heimkinder mit Wohnsitz in Berlin eine Anlauf - und Beratungsstelle eingerichtet. Dort haben sich 1.487 Betroffene für Leistungen aus dem Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ und 4.819 Betroffene für den Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ fristgerecht gemeldet . Berlin, den 20. Februar 2016 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Feb. 2016)