Drucksache 17 / 17 977 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage desAbgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 11. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Februar 2016) und Antwort Unüberwindbare Hürden für Foodsharing in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass im Januar 2016 eine Verständigung im Land Berlin über die Auflagen für den Betrieb von Fair-Teilern (Orte zur Weitergabe oder Entgegennahme von zum Verzehr geeigneten Lebensmitteln durch Privatpersonen) erfolgt ist? Wenn ja: Wer war an dieser Verständigung beteiligt, in welcher Form sind diese Auflagen niedergelegt und worin bestehen diese Auflagen? Zu 1.: Es ist zutreffend, dass die Lebensmittelüberwachungsbehörden im Januar 2016 ihre Einschätzung bestätigt haben, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Betreiber eines „Fair-Teilers“ als Lebensmittelunternehmer angesehen werden muss und deshalb mindestens die Anforderungen, die an die sogenannten „Tafeln“ gestellt werden, auch für die „Fair-Teiler“ gelten. Das Lebensmittelrecht lässt bei Einschlägigkeit keinen Ermessensspielraum zu. Darüber hinaus ist es so, dass in Übereinstimmung mit den Beratungsergebnissen der Bundesländer im vergangenen Jahr, die bezirkliche Aufsicht in jedem Einzelfall prüft, ob der Betreiber als Lebensmittelunternehmer einzustufen ist oder nicht. 2. Trifft es zu, dass im Land Berlin Fair-Teiler nunmehr grundsätzlich als Lebensmittelbetriebe, die betreibenden Personen als Lebensmittelunternehmer*innen eingestuft werden? Zu 2.: Das trifft nicht zu. Vielmehr hängt die Einstufung von der Ausgestaltung des Einzelfalls ab. 3. Wie wurde im Land Berlin – im Vergleich – bis zum Jahresbeginn 2016 in Bezug auf die Fair-Teiler verfahren ? Zu 3.: Seit Bekanntwerden von sogenannten „Fair- Teilern“ in Berlin 2013 hat sich die Rechtsgrundlage nicht geändert und somit auch nicht die Verfahrensweise. Sofern es sich um eine Form der Abgabe von Lebensmitteln an Dritte im Sinne des Gesetzes handelt und die Lebensmittel nicht in einem wie auch immer ausgestalteten privaten Rahmen weiter gegeben werden, greift das Lebensmittelrecht . Das heißt, die lebensmittelrechtlichen Vorgaben an die Lebensmittelhygiene und insbesondere die Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit müssen eingehalten werden – dies dient vor allem der Sicherheit der Nutzerinnen und Nutzer, da verdorbene Lebensmittel gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen können. 4. Trifft es zu, dass die Auflagen zu Frage 1 zur Folge haben werden, dass die meisten Berliner Fair-Teiler zukünftig geschlossen werden müssten, weil die Absicherung dieser Auflagenerfüllung ehrenamtlich nicht zu realisieren ist? Insbesondere: Wie viele Fair-Teiler in Berlin sind dem Senat bekannt und wie viele Fair-Teiler sind aufgrund der Berliner Verfahrensweise in ihrer Existenz bedroht? Zu 4.: Der Senat ist der Auffassung, dass ein rechtskonformer Betrieb von „Fair-Teilern“ jederzeit möglich ist. Dem Senat liegen darüber hinaus keine Erkenntnisse vor, wie viele „Fair-Teiler“ in Berlin aufgrund der rechtlichen Vorgaben von den Lebensmittelüberwachungsbehörden in den Bezirken als Lebensmittelunternehmen eingestuft werden. 5. Wie bewertet der Senat die mit einer Schließung der meisten Berliner Fair-Teiler verbundene Konsequenz, dass zukünftig wieder mehr durchaus genießbare und zum Verzehr geeignete Lebensmittel im Müll landen werden und den bislang am Foodsharing partizipierenden Menschen ein unbürokratischer Zugang zu kostenfreien Lebensmitteln verwehrt wird? Zu 5.: Da der Senat davon ausgeht, dass ein rechtskonformes Betreiben von „Fair-Teilern“ möglich ist, schließt er sich der in der Frage aufgeworfenen vermuteten Konsequenz nicht an. Der Senat ist überzeugt, dass mit den Bemühungen der Berliner Lebensmittelüberwachungsbehörden und der Senatsverwaltung für Justiz und Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 977 2 Verbraucherschutz sowohl dem Anliegen der Foodsharing -Initiativen als auch den rechtlichen Vorgaben des Lebensmittelrechts genüge getan werden kann. Initiativen wie die seit mehreren Jahren etablierten „Tafeln“ zeigen, dass Foodsharing auch unter den Anforderungen des Lebensmittelrechts erfolgreich möglich ist. Der Senat steht Foodsharing-Initiativen sehr offen gegenüber und unterstützt grundsätzlich Initiativen gegen eine Verschwendung von Lebensmitteln. 6. Trifft es ferner zu, dass in anderen Bundesländern – davon abweichend – Fair-Teiler als private Übergabeorte für noch zum Verzehr geeignete Lebensmittel betrachtet werden und dementsprechend erfüllbare Auflagen die Konsequenz sind? Wenn ja: Welche Unterschiede bestehen insoweit zur Berliner Auflagenpraxis? Wo wird demgegenüber verfahren wie hier in Berlin? Zu 6.: Es trifft nicht zu, dass sogenannte „Fair-Teiler“ in anderen Bundesländern anders als in Berlin betrachtet werden. Die Länder haben bereits 2015 darüber beraten, dass die Initiative Foodsharing an zahlreichen Orten in Deutschland Sammelstellen in Form von Kühlschränken (oder anderen Lebensmittellagerstätten wie Schränke oder Regale) aufstellen ließ, wo „jeder Lebensmittel geben und nehmen kann“. Im Hinblick auf die Überwachung dieser Form des Inverkehrbringens von Lebensmitteln haben sich die Länder darauf verständigt, dass die Einstufung als Lebensmittelunternehmer von der Ausgestaltung des Einzelfalls abhängt. Wo und wie in den Ländern im Einzelfall verfahren wird, ist hier nicht bekannt. 7. Gibt es Untersuchungen und Expertise zu dem mit Foodsharing in Fair-Teilern verbundenen gesundheitlichen Gefahrenpotential? Wenn ja: Welche und welche Schlussfolgerungen sind daraus abzuleiten? Zu 7.: Das Lebensmittelrecht hat präventiven Charakter , um Missständen insbesondere Gesundheitsgefahren vorzubeugen. Sachverhalte wie etwa verdorbenes Gemüse und aufgerissene Verpackungen in „Fair-teilern“ sowie verunreinigte Schränke sind von den jeweils zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden dokumentiert worden. Da die Verantwortung für die Sicherheit des Lebensmittels beim Lebensmittelunternehmer liegt, ist das gesundheitliche Gefahrenpotenzial in erster Linie durch den Lebensmittelunternehmer selbst zu ermitteln und durch betriebseigene Maßnahmen zu berücksichtigen. 8. Welche Maßnahmen haben der Senat und die Bezirke getroffen, um gemeinsam mit den ehrenamtlichen Foodsharing-Initiativen Leitlinien oder ähnliche Standards für den Betrieb von Fair-Teilern zu erstellen, die eine unbürokratische Foodsharing-Praxis und die Minimierung der mit dem Umgang mit Lebensmitteln typischerweise verbundenen gesundheitlichen Gefahrenpotentiale gleichermaßen zum Ziel haben? Zu 8.: Anlässlich einer Dienstversammlung haben sich die Berliner Lebensmittelüberwachungsbehörden und die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz darauf verständigt, dass mindestens die Kriterien des Lebensmittelrechts erfüllt werden müssen, die auch an die sogenannten „Tafeln“ gestellt werden. Die Kriterien sind unter nachstehendem Link veröffentlicht http://www.berlin.de/sen/justv/presse/pressemitteilung en/2016/pressemitteilung.439659.php 9. Wie steht der Senat zur Kampagne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft „Zu gut für die Tonne“ und was wird unternommen, um den Zielen dieser Kampagne in Berlin die größtmögliche Unterstützung zu verschaffen? Zu 9.: Auch für den Senat ist der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung dringend notwendig. Deshalb werden auch auf Landesebene verschiedene Aktivitäten gefördert. Die „Wertewochen Lebensmittel“ spielen hier eine zentrale Rolle. Um Verbraucherinnen und Verbraucher für die Problematik der Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren und eine entsprechende Projektarbeit zu beginnen, hatte die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz am 23. Januar 2013 zu einem Forum „Wertschätzung von Lebensmitteln“ eingeladen. Auch die verbraucherpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen des Abgeordnetenhauses nahmen daran teil. Angeregt durch den vielfältigen Input und das positive Feedback zu dieser Veranstaltung beschloss die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, eine Kampagne zum Thema „Wertschätzung von Lebensmitteln“ Ende September/Anfang Oktober mit Blick auf das Ernte- Dank-Fest 2013 zu veranstalten. Unter dem Motto „In den Topf statt in die Tonne“ beteiligten sich über 50 Unternehmen, Institutionen und Vereine mit rund 80 Veranstaltungen, u. a. auch zu den Themen „Steuerfreiheit für Lebensmittelspenden an Tafeln “ und „Mindesthaltbarkeitsdatum“, an der zwischen dem 25. September 2ß13 und 6. Oktober 2013 durchgeführten Kampagne. Ziel der Wertewochen-Kampagne, die vom 19. September 2016 bis 2. Oktober 2016 zum mittlerweile vierten Mal stattfindet, ist in jedem Jahr zum einen die Sensibilisierung der Bevölkerung beim Thema Wertschätzung von Lebensmitteln und zum anderen das Sichtbarmachen der Akteure und Institutionen, die sich in dem Bereich bereits in Berlin engagieren. Inhaltlich variiert der Schwerpunkt und wird in diesem Jahr auf „Esskultur“ liegen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 17 977 3 Auf Anregung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz wurde am 28. September 2015 in Berlin das „Forum für gutes Essen“ gegründet. Die Mitwirkenden des im Aufbau befindlichen Forums decken alle Themenfelder zwischen Produktion, Verarbeitung, Lagerung, Transport und Handel bis zu den Konsumenten von Lebensmitteln einschließlich Wissenschaft, Bildung und Forschung ab. Um Essen als ein hohes Kulturgut zu begreifen und Verantwortung auch für kommende Generationen aller Bevölkerungsschichten und beteiligten Berufsgruppen gegenüber zu übernehmen soll unter Beachtung sozialer, ökonomischer und ökologischer Aspekte definiert werden , was gutes Essen ist, und dann die Handlungsgrundlage sowohl für das Forum als auch für die Mitwirkenden des Forums in ihren Organisationen bilden. Hier sind gesunde Ernährung, regionale/globale Zusammenhänge und die deutliche Reduzierung der Lebensmittelverschwendung wesentliche Schwerpunkte. Berlin, den 23. Februar 2016 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz und Vebraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Feb. 2016)