Drucksache 17 / 18 029 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Fabio Reinhardt (PIRATEN) vom 17. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Februar 2016) und Antwort Wie steht der Senat zum Kreuzberger Myfest? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie kam es dazu, dass der Polizeipräsident entschieden hat, das Myfest nicht mehr als politische Veranstaltung einzustufen? a) Seit wann genau wurde das Myfest nicht mehr als politische Veranstaltung eingestuft? Zu 1.: Der Begriff „politische Veranstaltung“ ist rechtlich nicht geprägt, daher unterliegt die Frage, ob es sich bei dem MyFest in seiner bisherigen Form um eine solche gehandelt hat, nicht der Bewertung durch die Polizei Berlin. 2. Warum informierte die Polizei das Bezirksamt erst am 8.10.2015 über die neue Einstufung, welches für die Neuorganisation der Veranstaltung nur sieben Monate Zeit ließ? Zu 2.: Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zeigte der Versammlungsbehörde seit 2008 das MyFest als „politische Veranstaltung“ an. Dies wurde von der Versammlungsbehörde weder beschieden noch bestätigt, weil die Prüfung von Veranstaltungen im öffentlichen Straßenland nicht in die Zuständigkeit der Versammlungsbehörde fällt. Folglich hat sich aus Sicht der Polizei Berlin am Status des MyFests in seiner bisherigen Form nichts geändert . Die Klage eines Anwohners führte dazu, dass das MyFest und dessen Rechtsstatus in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist, was zu einer öffentlichen Positionierung führte. Für die Polizei Berlin stellte das MyFest in seiner bisherigen Form, gemäß der Definition des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, eine Veranstaltung im öffentlichen Straßenland dar, obwohl es in der Wahrnehmung vieler Organisatorinnen und Organisatoren des MyFests möglicherweise wie eine Versammlung mit gemeinsamer politischer Meinungsbildung empfunden wurde. 3. Wie stuft der Senat das Myfest heute rechtlich ein und welche Notwendigkeiten ergeben sich daraus für ein neues Sicherheitskonzept? a) Welche Aufgaben kann die Polizei bzw. die Versammlungsbehörde übernehmen? Zu 3.: Versammlungen im Sinne des Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz (GG) sind örtliche Zusammenkünfte von mehreren Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.07.2001, Az.: 1 BvQ 28/01 u.a., Rn. 18, juris; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 16.05.2007, Az.: 6 C 23/06, Rn. 15, juris). Für die Eröffnung des Schutzbereichs reicht es nicht, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Veranstaltung durch irgendeinen Zweck, zum Beispiel gemeinschaftlich einem Vergnügen nachzugehen oder sich unterhalten zu lassen, miteinander verbunden sind. Der Zweck muss die gemeinschaftliche Einwirkung auf die öffentliche Meinung sein (vgl. BVerwG, ebenda). Wegen dieser Zweckbestimmung hat die Versammlungsfreiheit eine grundlegende Bedeutung im demokratischen Gemeinwesen und genießt einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Reine Volksfeste und reine Vergnügungsveranstaltungen fallen ebenso wenig unter die Versammlungsfreiheit wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 22; BVerwG, ebenda ). Demgegenüber können auch Musik und Tanz Gestaltungselemente einer von Artikel 8 Absatz 1 GG geschützten Versammlung sein, wenn sie Mittel der kommunikativen Einflussnahme auf die öffentliche Meinung sind, d.h. mit ihnen eine Meinung transportiert oder unterstützt wird. Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, welche auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist maßgeblich, ob diese sogenannte gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist, das heißt bei einer Gewichtung die Elemente, die der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zuzuordnen sind, die Elemente, welche anderen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 029 2 Zwecken – zum Beispiel Spaß und Unterhaltung – zugerechnet werden müssen, überwiegen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 16 ff.). a) Die Aufgaben der Polizei Berlin ergeben sich grundsätzlich aus dem Gefahrenabwehrrecht, dem Strafrecht sowie aus Spezialgesetzen, wie zum Beispiel dem Versammlungsgesetz. Genehmigungsverfahren für eine Sondernutzung des öffentlichen Straßenlands und damit einhergehende privatrechtliche Vertragswerke in Bezug auf Darbietungen oder gastronomische Angebote werden davon nicht tangiert und liegen im Kompetenzbereich des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. Sollten beim MyFest die Versammlungsmerkmale in den Vordergrund treten und eine Versammlungsanmeldung erfolgen, wird diese durch die Versammlungsbehörde im Rahmen ihrer Verantwortung geprüft und, gegebenenfalls unter Auflagen, bestätigt. Der Polizei obliegt der Schutz von Versammlungen, hierbei ist die größtmögliche Kooperation mit der Versammlungsleiterin oder dem Versammlungsleiter ein fester Bestandteil der polizeilichen Einsatzvorbereitung. In der Vergangenheit hat die Polizei Berlin im Rahmen der Netzwerkarbeit das MyFest für gewaltabschöpfende Präventionsarbeit genutzt. Dies ist auch zukünftig wünschenswert. 4. Welche Möglichkeiten bestehen, das Fest wieder als politische Veranstaltung einzustufen? Falls ja, wie muss das Konzept dafür verändert werden? Zu 4.: Der Begriff „politische Veranstaltung“ ist rechtlich nicht geprägt (vgl. Antwort auf Frage 1). Eine Veranstaltung im öffentlichen Straßenland könnte weiterhin durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg durchgeführt werden. Damit eine Veranstaltung als eine von Artikel 8 Absatz 1 GG geschützte Versammlung eingeordnet werden kann, muss sie die in der Antwort zur Frage 3 genannten rechtlichen Kriterien erfüllen. Hierzu müssten im Konzept der Veranstaltung die Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung verstärkt werden. 5. Will der Senat eigentlich, dass es 2016 ein Myfest gibt? Falls ja, a) wird sich der Senat an einer öffentlichen Ausschreibung des myFestes in einem möglichst transparenten Vergabefahren beteiligen? b) wer kommt als Veranstalter in Frage? c) wie hoch sind voraussichtlich die Kosten, wer übernimmt die Kosten für Sicherheit und Müllentsorgung und um wie viel ist der Senat bereit, seine finanzielle Unterstützung für das Fest aufzustocken? d) wie kann die Sicherheit auf dem Myfest, aber auch in den umliegenden Gebieten sichergestellt werden, wie soll sichergestellt werden, dass beispielsweise Grills von Anwohnern auf der Straße kein Sicherheitsrisiko darstellen ? f) wer soll vor Ort die Haftung übernehmen? g) wie steht der Senat zu einer Ausweitung des Festgeländes , auch unter Sicherheitsabwägungen? h) wie werden die Anliegen und Sorgen der Anwohner Innen bei der Planung berücksichtigt? Wie und wo können Anwohner sich einbringen? i) wie will sich der Senat daran beteiligen, dass der verbindende aber auch der deeskalierende Gedanke des Festes wieder mehr betont werden? Falls nein, a) wie soll darüber informiert werden, dass dieses nicht stattfindet? b) wie wird mit der daraus entstehenden Eskalation und den zahlreichen zu erwartenden angemeldeten und unangemeldeten Umzügen umgegangen werden, sollte das Fest nicht stattfinden? c) wie steht der Senat dazu, dass dieses Jahr statt des Myfests die "Revolutionäre 1.Mai-Demonstration" durch die Oranienstraße und Umgebung führen könnte? d) gibt es ein Sicherheitskonzept für den Fall, dass das Myfest nicht stattfindet, da ja trotzdem größere Menschenansammlungen zu erwarten sind? Zu 5.: Die Bedeutung des MyFests für einen friedlichen Maifeiertag in Kreuzberg ist unbestritten. Der Senat setzt sich dafür ein, dass dies auf einer rechtlich abgesicherten Basis stattfinden kann. Der Senator für Inneres und Sport hat hierzu unter anderem ein sehr konstruktives Gespräch mit dem MyFest e.V. geführt. Falls ja: a), b): Die rechtliche Ausgestaltung des MyFests ist aktuell Gegenstand von Gesprächen, hierzu kann derzeit noch keine abschließende Auskunft erteilt werden. c): Der Senat hat die Aktivitäten des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg rund um das MyFest im Bezirksplafond für die Jahre 2014 und 2015 mit je 215.000 € unterstützt. In den vorgenannten Mittelzuweisungen an den Bezirk waren auch Ausgaben für die Müllentsorgung und die Sicherheit des Festes enthalten. Begleitend hierzu trug auch die Berliner Polizei entsprechende Aufwendungen. Zur Absicherung des MyFestes setzte die Berliner Polizei im gesamten Stadtgebiet eigene Einsatzkräfte ein, die von Einsatzhundertschaften von Bund und Ländern unterstützt wurden. Konkrete Kosten können dem MyFest hierbei nicht zugeordnet werden. Darüber hinaus wurden von der Berliner Polizei im Vorfeld der Veranstaltung Sonderleerungen von Mülleimern aus Sicherheitsgründen vorgenommen, die jährliche Kosten unter 1.000 € verursachten. Aktuell sind dem Senat keine weiteren Forderungen des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg bekannt. d), f): Die Ausgestaltung des Sicherheitskonzepts und die Haftungsfragen sind abhängig vom Rechtsstatus des MyFests. Dieser ist aktuell Gegenstand von Gesprächen, hierzu kann derzeit noch keine abschließende Auskunft erteilt werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 029 3 g): Die Ausgestaltung des MyFests ist aktuell Gegenstand von Gesprächen. Dies kann auch die dafür vorgesehene Fläche betreffen. Eine abschließende Auskunft kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erteilt werden. h): Die Bündelung und Berücksichtigung von Anwohnerinteressen ist insbesondere Aufgabe des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg. i): In der Vergangenheit hat die Polizei Berlin im Rahmen der Netzwerkarbeit das MyFest für gewaltabschöpfende Präventionsarbeit genutzt. Dies ist auch zukünftig wünschenswert. Falls nein: Entfällt. Berlin, den 02. März 2016 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Mrz. 2016)