Drucksache 17 / 18 035 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sabine Bangert (GRÜNE) vom 18. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Februar 2016) und Antwort Alleinreisende Frauen in Berliner Flüchtlingsunterkünften Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele allein reisende Frauen leben derzeit in Flüchtlingsunterkünften in Berlin, wie viele davon mit Kindern? a) Aus welchen Ländern stammen diese? b) Wie ist die zahlenmäßige Verteilung auf alle Aufnahmeeinrichtungen , sonstige Gemeinschaftsunterkünfte, vertragsfreie Einrichtungen, Notunterkünfte, Hostels und ähnliche Beherbergungsbetriebe? Zu 1.: Das Merkmal „allein reisend“ bzw. „allein reisend mit Kind“ wird von der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) statistisch nicht erfasst. Lediglich in Einzelfällen erhält die zuständige Buchungsstelle Kenntnis von allein reisenden Frauen, wenn dafür gezielt ein Platz angefragt wird. Aus diesem Grund können die Fragen nur auf der Grundlage von Auskünften der Betreiberinnen und Betreiber von Flüchtlingsunterkünften beantwortet werden. Auf eine entsprechende Anfrage des LAGeSo gingen fristgerecht Rückmeldungen aus 49 Gemeinschaftsunterkünften (darunter 22 notbelegte Unterkünfte ein): Demnach leben In den 22 Notunterkünften 286 allein reisende Frauen, davon 141 Frauen mit Kindern. In den übrigen 27 erfassten Gemeinschaftsunterkünften leben 479 allein reisende Frauen, davon 198 Frauen mit Kindern. Die Herkunftsländer dieser Frauen sind – soweit bekannt – (in alphabetischer Reihenfolge): Ägypten , Afghanistan, Albanien, Angola, Armenien, Bosnien und Herzegowina, China, Eritrea, Georgien, Ghana, Guinea , Iran, Irak, Kamerun, Kosovo, Libanon, Mazedonien, Moldawien, Moldau, Nigeria, Palästinensische Autonomiegebiete /Gaza-Streifen, Russische Föderation, Senegal, Serbien, Sierra Leone, Somalia, Syrien, Tschetschenien, Türkei, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Vietnam. Wenngleich die exakte Zahl der in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften (einschließlich notbelegte Unterkünfte) lebenden allein reisenden Frauen aus den genannten Gründen nicht bekannt ist, lässt sich diese Zahl auf der Grundlage der verfügbaren Daten abschätzen , indem die vorliegenden Rückmeldungen aus den 49 Einrichtungen auf alle derzeit betriebenen 145 Flüchtlingsunterkünfte hochgerechnet werden: das führt zu einer geschätzten Anzahl von rd. 2.300 Personen. Alternativ kann auf den Datenbestand des Gesundheits- und Sozialinformationssystems (GSI) der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales – online zugänglich unter http://www.gsi-berlin.info/ - zurückgegriffen werden: Zum letzten ausgewerteten Stichtag (31.10.2015) betrug der Anteil der einzeln ausgewiesenen weiblichen Haushaltsvorstände (einschl. weiblicher Alleinerziehender) an allen Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz rund fünf Prozent; wird dieser Prozentsatz auf alle Bewohnerinnen und Bewohner von Flüchtlingsunterkünften übertragen, ergibt sich daraus (zum Stichtag 01.03.2016) ein Wert von ca. 2.200 Personen. Mithin kann die Zahl der in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschafts- und Notunterkünften lebenden allein reisenden Frauen in guter Näherung auf 2.000 bis 2.500 Personen abgeschätzt werden. Erkenntnisse zu der Zahl der in Hostels, Pensionen oder ähnlichen Beherbergungsbetrieben lebenden allein reisenden Frauen liegen nicht vor. 2. Wie viele der Frauen unter Frage 1 sind Leistungsberechtigte nach §3 Asylbewerberleistungsgesetz, d.h. nicht mehr zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet? a) Wie unterstützt der Senat gezielt diese Frauen bei der Suche nach einer Mietwohnung? Zu 2.: Die Anspruchsberechtigung nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) führt – entgegen der in der Fragestellung enthaltenen Prämisse - nicht zur Beendigung der Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Asylgesetz (AsylG). Die Voraussetzungen, unter denen der Aufenthalt in einer derartigen Einrichtung beendet werden kann, werden vielmehr in den Vorschriften der §§ 47 – 49 AsylG geregelt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 035 2 Unter den insgesamt 765 Frauen, auf die sich die Antwort zu 1. bezieht, waren zum Erhebungszeitpunkt 455 Frauen leistungsberechtigt nach § 3 AsylbLG (allerdings führte die im Wortlaut aus der Fragestellung zitierte Anfrage teilweise bei den Befragten zu Irritationen, da der – wie ausgeführt, fälschlich hergestellte – Zusammenhang zwischen aufenthalts- und leistungsrechtlichen Bestimmungen nicht nachvollzogen werden konnte). In vielen der rückmeldenden Unterkünfte gibt es spezifische Angebote für allein reisende Frauen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Angebot der Kinderbetreuung, während die Frauen Sprach- und andere Kurse besuchen. Etliche Einrichtungen arbeiten auch mit Ehrenamtlichen , gemeinnützigen Organisationen, Willkommensinitiativen und anderen Vereinen und Anbietern der Erwachsenenbildung zusammen. Wie anderen Asylsuchenden auch, steht allein reisenden Frauen die Unterstützung des Evangelischen Jugendund Fürsorgewerks (EJF) bei der Wohnungssuche und – Vermittlung zur Verfügung. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Online-Veröffentlichung des EJF unter der Internetadresse https://www.ejf.de/einrichtungen/migrations-undfluechtlingsarbeit /fluechtlingsberatung-berlin.html verwiesen. 3. Wie werden sich die Zahlen unter Fragen 1 und 2 nach Einschätzung des Senats in 2016 und 2017 entwickeln ? Zu 3.: Über das bundesweite IT-Verfahren bei der Erstaufnahme von Asylsuchenden „EASY“ wurden im Jahr 2015 rund 55.000 Personen nach Berlin verteilt. Ungeachtet der derzeit - mutmaßlich als Folge des restriktiven Grenzregimes der auf der sog. Balkanroute liegenden Staaten - rückläufigen Zuzugszahlen geht der Senat nach derzeitiger Einschätzung davon aus, dass auch im laufenden und voraussichtlich ebenfalls in den Folgejahren mit einem Flüchtlingszuzug in vergleichbarer Größenordnung zu rechnen ist. Ob der Anteil an allein reisenden Frauen gleich bleiben , ab- oder zunehmen wird, lässt sich nicht auf belastbarer Datenbasis prognostizieren, da die Erfahrungen der zurückliegenden Jahre zeigen, dass die außerhalb des Einflussbereiches bundes- und landespolitischer Optionen liegenden maßgebenden Faktoren für die Migration von Flüchtlingen überaus volatil und komplex sind. Allerdings geht der Senat bei seinen Planungen davon aus, dass auch zukünftig allein reisende Frauen in großer Anzahl in der Bundesrepublik Deutschland um Schutz nachsuchen werden und diese Entwicklung bei der Sicherstellung einer bedarfsgerechten Unterbringung und Versorgung sowie bei der gesellschaftlichen, insbesondere kulturellen und wirtschaftlichen Eingliederung angemessen zu berücksichtigen sein wird. 4. Wie lautet das in der Drs. 17/17580 (Dezember 2015) angekündigte Konzept der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales für die Verbesserung der Situation von Flüchtlingen mit besonderem Schutzbedarf „das sowohl den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt in den Unterkünften als auch den Zugang geflüchteter Frauen zum Hilfesystem bei Gewalt gegen Frauen“ berücksichtigt bzw. wie wird dieses derzeit umgesetzt? Zu 4.: Die für Gesundheit und Soziales sowie für Arbeit , Integration und Frauen zuständigen Senatsverwaltungen haben eine gemeinsame Arbeitsplanung entwickelt , die die Verbesserung der Situation besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge zum Ziel hat und die kontinuierlich weiterentwickelt wird. Hierzu finden regelmäßig ressortübergreifende Arbeitsgruppen sowie ein Austausch mit verwaltungsexternen Akteuren wie dem Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge statt. Im Hinblick auf den Schutz geflüchteter Frauen vor Gewalt sind folgende Maßnahmen geplant bzw. umgesetzt : Ab voraussichtlich Mitte März 2016 wird eine Gemeinschaftsunterkunft nur für Frauen und deren Kinder mit ca. 50 Plätzen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus strebt der Senat an, mittelfristig eine weitere Unterkunft für die Belegung mit Frauen und deren Kindern vorzusehen . Die Musterverträge und Grundsätze für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften sowie die Heimordnung werden derzeit überarbeitet; hierbei sollen die besondere Situation von geflüchteten Frauen sowie Lesben, Schwulen , Bi-, Trans- und Intersexuellen (LSBTI) unter den geflüchteten Menschen und Gewaltschutzaspekte berücksichtigt werden. Ferner wird derzeit ein Handlungsleitfaden zur Krisenintervention in Gewaltsituationen erarbeitet, der noch der Abstimmung mit weiteren Akteuren (z. B. Anti- Gewalt-Projekte, Polizei) bedarf. Um den Zugang gewaltbetroffener geflüchteter Frauen zum Hilfesystem zu erleichtern, wurde der mehrsprachige Informationsflyer der BIG-Hotline (ein Unterstützungsangebot des BIG e.V. - Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen) in sieben weitere Sprachen übersetzt und liegt jetzt u. a. auf Arabisch, Persisch, Kurdisch, Urdu und Tigrinya vor. Auch die Informationsflyer von LARA (Krisen- und Beratungszentrum des Vereins gegen sexuelle Gewalt e. V.) wurden u. a. in die Sprachen Arabisch und Persisch übersetzt. Derzeit wird ein Wegweiser zu wichtigen frauenspezifischen Unterstützungsangeboten erstellt, der den Sozialdiensten in den Flüchtlingsunterkünften zur Verfügung gestellt werden soll. Ein weiteres wichtiges Element ist die Sensibilisierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, wie beispielsweise durch eine Zusatzqualifizierung zu den Themen häusliche und sexualisierte Gewalt für Integrationslotsinnen und –lotsen (vorgesehen für April bzw. Mai 2016). Ergänzend wird auf die Antwort des Senats vom 28.12.2015 auf die Schriftliche Anfrage Nr. 17/17580 vom 10.12.2015 verwiesen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 035 3 5. Welche spezifischen Angebote gibt es für die Zielgruppe „allein reisende Frauen“ bezüglich Spracherwerb und beruflicher Qualifizierung? Zu 5.: Für die Gruppe der „allein reisenden Frauen“ werden keine gesonderten Sprachkurse bzw. beruflichen Qualifizierungsangebote vorgehalten, vielmehr wird bei den bereits bestehenden Angeboten verstärkt darauf geachtet , auch reine Frauenkurse für geflüchtete Frauen bereitzustellen. Der Spracherwerb stellt, insbesondere bei geflüchteten Frauen, einen wesentlichen Schlüssel zur Verbesserung der beruflichen Integration sowie zur Unterstützung eines selbstbestimmten Lebens dar. Es ist daher dringend erforderlich, die weiblichen Geflüchteten , die überwiegend aus traditionell orientierten Familienstrukturen kommen, schnellstmöglich für die Berufs-, Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland zu interessieren und über die Chancen zu informieren . Hierzu wurden zusätzliche Mittel bei den Trägern Treff- und Informationsort (TIO) e. V. und Frauenzentrum Marie e. V. eingesetzt mit dem Ziel, die Erreichbarkeit der Frauen in den Gemeinschaftsunterkünften und an den Orten, an denen sich die Frauen aufhalten, zu erhöhen . Ungeachtet aller Bemühungen, die Lebensbedingungen für allein reisende Frauen auch bei einer Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zu verbessern, gestaltet sich ihre Situation vielfach schwierig, auch wegen der dort zumeist männlich geprägten Strukturen und fehlender Kenntnisse über die bestehenden Hilfs- und Bildungsangebote und Beratungsstellen, die die Stadt für diese Zielgruppe bereits vorhält. Der Zugang von geflüchteten Frauen zu Bildung und Qualifikation kann somit nur über eine verstärkte Ansprache der Zielgruppe gelingen. Über die Angebote der mobile Beratungsleistungen für geflüchtete Frauen in den Gemeinschaftsunterkünften (TIO e. V./ Frauenzentrum Marie e. V.) und unterstützt durch die soziale Arbeit und direkten Kontaktaufnahme zu den Frauen vor Ort werden wichtige Voraussetzungen für die langfristige Integration der Frauen ermöglicht. Hier gilt es, diese Frauen über die direkte Ansprache zu beruflichen und bildungsrelevanten Aspekten informieren und beraten zu können. Die zwei Bildungsberaterinnen sind jeweils bei zwei Frauenträgern angesiedelt. Zusätzlich konnte im Rahmen von Landesmitteln eine bereits bestehende Fachinformationsstelle (FIS-Stelle) bei TIO e. V. um ca. 10 Stunden aufgestockt werden. Die Beraterin ist syrischer Herkunft und arbeitet seit längerer Zeit ebenfalls in mobiler und nichtmobiler Form in der Bildungsberatung. Über die bereits angelaufene mobile Beratung bei TIO e. V. ist der Zustrom weiblicher arabischsprechender Flüchtlingsfrauen schon jetzt um ein erhebliches Maß angestiegen. Das Projekt Berufsorientierung für Flüchtlingsfrauen des Kurdistan Kultur- und Hilfsvereins e.V. (KKH e. V.) bietet kostenlose zehnmonatige Kurse mit intensivem Deutschunterricht (Vorbereitung auf das Sprachzertifikat B1) und andere Unterstützung; insoweit wird auf die Online-Veröffentlichung des Trägers unter der Internetadresse http://www.kkh-ev.de/bff.html verwiesen. Zusätzlich wird eine FIS-Stelle beim Verein Berufsorientierung für Flüchtlingsfrauen des KKH e. V. für die berufliche Integration von Frauen gefördert. Ein neues Unterstützungsangebot für geflüchtete Frauen (TIO e. V.) ist die Erkundung passender Berufsfelder unter Berücksichtigung der beruflichen Vorerfahrungen oder persönlichen Vorstellungen. Die teilnehmenden Frauen erhalten individuelle Unterstützung, um sich selbstständig für die Berufe in der Stadt und ihrer eigenen beruflichen Möglichkeiten zu informieren. Die beteiligten Frauen fungieren gleichzeitig als Multiplikatorinnen, um die entwickelten Materialen und die flüchtlingsspezifischen Beratungsangebote von frauenspezifischen Einrichtungen für Flüchtlinge auch nachhaltig einzusetzen zu können. Zudem haben sich die Frauenbildungsberatungseinrichtungen (FBBE) auf erhöhte bildungs- und berufsbezogene Anfragen von weiblichen Flüchtlingen eingestellt. Die Nachfrage ist in den einzelnen Einrichtungen bereits wesentlich gestiegen. Berlin, den 14. März 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Mrz. 2016)