Drucksache 17 / 18 061 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 22. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Februar 2016) und Antwort Das Humboldt-Forum und die wechselvolle deutsche Geschichte Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In welcher Form und mit welchen inhaltlichen Prämissen wird sich der Senat in die Diskussion um die museale Gestaltung des in dem Stadtschloss-Nachbau geplanten Humboldt-Forums einbringen bzw. in welcher Form und mit welchen Prämissen hat er das bislang getan und wo kann das nachvollzogen werden? Zu 1.: Der Senat bringt sich in Gremien und öffentlichen Beiträgen von Senatsmitgliedern, etwa auf Podiumsdiskussionen , in die Diskussion um die museale Gestaltung des Humboldt-Forums ein. Eine besondere Rolle spielt dabei die Konzeption derjenigen Flächen, die vom Land Berlin verantwortet werden. Ihre Konzeption wird zum kleineren Teil von der Humboldt Universität zu Berlin und zum größeren Teil vom Direktor der Stiftung Stadtmuseum und Chefkurator des Landes Berlin Paul Spies und seinem Team mit der Kulturprojekte Berlin GmbH vorbereitet. Die Ausstellungen werden in Abstimmung mit Neil MacGregor bzw. der Gründungsintendanz erarbeitet. Paul Spies wird sein Grobkonzept im Juli 2016 öffentlich vorstellen. Der Senat strebt ein Humboldt-Forum an, in dem sich die unterschiedlichen Präsentationen in das Gesamtkonzept einfügen. Entsprechend wird die Berliner Präsentation besonderes Gewicht auf die globale Vernetzung der Stadt legen. Die Ausstellungserzählungen werden aber nicht vom Senat formuliert, sondern von den genannten Museumsexpertinnen und Museumsexperten. 2. Auf welche Weise und wann ist geplant, die Selbstverständigung der Stadtgesellschaft über Rolle und Funktion des Forums, über Sinn und Zweck dieses Bauwerks und seiner Nutzung in der Mitte unserer Stadt voranzubringen ? Zu 2.: Die Selbstverständigung der Stadtgesellschaft über die genannten Punkte findet seit mehreren Jahren statt, etwa in zahlreichen Podiumsdiskussionen, oft unter Beteiligung der für Kultur verantwortlichen Senatsmitglieder , in den Feuilletons und im politischen Raum. Was die Flächen des Landes Berlin betrifft, wird die Präsentation des Grobkonzepts durch den Chefkurator Paul Spies im kommenden Juli einen wichtigen Beitrag darstellen. 3. Wie wird das Nutzungskonzept für das Humboldt- Forum die wechselvolle Geschichte des Platzes – als „lokales Brennglas“ der deutschen Geschichte, als Symbol der Hohenzollernmonarchie, als Ort des Massakers vom 18. März 1848 (bei dem der „Kartätschenprinz“ und spätere Kaiser Wilhelm I. auf Demonstranten schießen ließ und hernach gezwungen wurde, sich vor den Toten zu verneigen), als Ort, wo die Reichs- und Weltmachtpläne der Dynastie und die Planung und Vorbereitung des 1. Weltkriegs bewerkstelligt wurden, als Schauplatz der bürgerlichen und sozialen Revolution 1918/19 und der reichsfeudalen Vorgeschichte des „Dritten Reichs“ und damit der Nazibarbarei – widerspiegeln und damit sicherstellen , dass sich nicht die Befürchtung des Architekten Philipp Oswalt zum Schlossnachbau bestätigt: „Erstens erkennt man die sich seit den Siebziger-Jahren radikalisierende Sehnsucht, das 20. Jahrhundert [von der friedlichen Revolution 1989 abgesehen – K.L.] ungeschehen zu machen und ans 19. Jahrhundert anzuschließen. Zweitens ist es eine nationale Setzung, wo man mit halb schlechtem Gewissen an das preußische Erbe anknüpfen will, die man in einem Akt der Political Correctness wieder konterkariert mit der Idee, im Schloss die außereuropäischen Sammlungen unterzubringen.“? Zu 3.: Die Präsentation der Geschichte des Ortes ist eine wichtige Aufgabe des Humboldt-Forums. Es ist dafür eine eigene ständige Ausstellung im Erdgeschoss vorgesehen . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 061 2 4. Werden im Rahmen der Diskussionen um das Nutzungskonzept auch Ansätze diskutiert, wie an diesem historischen Ort ein Gefühl dafür vermittelt wird, wie weit sich die Nazi-Ideologie und -Herrschaft – auch über die Grenzen Deutschlands hinaus – ausbreiten und in die Gesellschaft eindringen konnten? Zu 4.: Angesichts der herausragenden Bedeutung des Nationalsozialismus für die deutsche Geschichte wird dieser auch auf den Landesflächen zur Geschichte Berlins behandelt werden. Eine Fokussierung auf die NS- Geschichte würde sich hingegen nicht in die Gesamtkonzeption eines nach den Humboldt-Brüdern benannten Forums einfügen. In Berlin und Brandenburg stellen Gedenkstätten und Dokumentationszentren an authentischen Orten die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in das Zentrum ihrer Arbeit, unter anderem das Haus der Wannseekonferenz, das Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Schöneweide, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen und die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück . 5. Wäre es nicht angesichts der aktuellen Rechtsentwicklungen in der Gesellschaft ein starkes und notwendiges Signal der weltoffenen Stadt und der deutschen Hauptstadt Berlin, im Humboldt-Forum zum Nachdenken darüber anzuregen, wie ein hochentwickeltes Land wie Deutschland der Nazidiktatur, der Herrschaft des rassistischen Terrors und der Vernichtung von Millionen Menschen verfallen konnte? Zu 5.: Die Auseinandersetzung mit dieser Frage ist eine wichtige Aufgabe vieler Institutionen der historischen Vermittlung in Deutschland, dies umfasst nicht nur Gedenkstätten , wie die unter Antwort zu Frage 4. genannten, sondern auch historische Museen vom kleinen Regionalmuseum bis zum Deutschen Historischen Museum. Das Humboldt-Forum wird die Beziehungen zwischen Deutschland und der Welt aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick nehmen, dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Impulse für eine offene, plurale Gesellschaft können allerdings nicht ausschließlich aus der historischen Auseinandersetzung abgeleitet werden, sondern es sind dafür auch lebendige Debatten über das heutige ‚globale Zusammenleben‘ notwendig. Auch dafür will das Humboldt-Forum Raum bieten. Berlin, den 9. März 2016 In Vertretung Tim Renner Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Mrz. 2016)