Drucksache 17 / 18 080 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 16. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Februar 2016) und Antwort Organisierte Kriminalität in Berlin – Was können Jugendämter tun? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche konkreten Kriterien müssen erfüllt werden, damit es zu einer Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen kommen kann? Zu 1.: Die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII dient dem Schutz von Kindern und Jugendlichen bei drohender Gefährdung ihrer körperlichen und seelischen Unversehrtheit und ist ein Eingriff in das Grundrecht der elterlichen Sorge. Nach § 8a SGB VIII ist das Jugendamt im Rahmen seines staatlichen Wächteramtes verpflichtet, tätig zu werden, wenn ihm „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden. Der öffentliche Jugendhilfeträger ist gem. § 42 Abs. 1 SGB VIII berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder Jugendlichen in Obhut zu nehmen, - wenn Kinder oder Jugendliche um Obhut bitten, - wenn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland kommen und sich die Personensorgeberechtigten nicht im Inland aufhalten, - wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des/der Jugendlichen vorliegt und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefahr von dem Minderjährigen abzuwenden. Eine „dringende Gefahr“ im Sinne des § 42 SGB VIII liegt vor, wenn der Eintritt eines erheblichen Schadens unmittelbar bevorsteht und die Schutzmaßnahme daher keinen Aufschub duldet. In der Praxis geht es damit z. B. um Minderjährige, deren Versorgung durch Ausfall der Eltern (Sucht, Krankheit, Unfall) gefährdet ist, die vor seelischer und körperlicher Gewaltausübung geschützt werden müssen und die sich aufgrund eigenem exzessiven Alkohol- und Drogenkonsums selbst gefährden und deshalb geschützt werden müssen. 2. Wie viele Inobhutnahmen durch die Jugendämter gab es in den letzten fünf Jahren in Berlin? (Aufstellung nach Jahren erbeten.) Zu 2.: Die Aufstellung der im Land Berlin durchgeführten Inobhutnahmen ist der Anlage 1 zu entnehmen. Für das Jahr 2015 liegen noch keine Daten des Amt für Statistik Berlin-Brandenburg vor. 3. Spielten dabei Gewalterfahrungen oder kriminelles Handeln von Erziehungsberechtigten, auch aber nicht nur gegenüber den Kindern, eine direkte oder indirekte Rolle? Zu 3.: Gewalterfahrungen oder kriminelles Handeln von Eltern spielte in Fällen von Inobhutnahmen eine Rolle. Im Rahmen der Ausübung des Wächteramtes ist das Jugendamt bei Kindeswohlgefährdung durch Gewaltanwendungen der Eltern verpflichtet zu prüfen, ob eine Inobhutnahme erforderlich ist und hat gegebenenfalls diese auch durchzuführen. 4. Wurden in den letzten fünf Jahren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter direkt oder indirekt bedroht, wenn es um eine Inobhutnahme ging? (Aufstellung nach Jahren erbeten.) Zu 4.: Der nachgefragte Tatbestand wird statistisch nicht erfasst. Auf Nachfrage haben 6 Berliner Jugendämter folgende Angaben gemacht: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 080 2 Mitte Friedrichshain- Kreuzberg Tempelhof- Schöneberg Neukölln Treptow - Köpenick Lichtenberg 2011 6 2012 1 3 - 4 (durchschnittl.) 7 5 1 2013 3 3 - 4 (durchschnittl.) 13 8 1 2014 4 3 - 4 (durchschnittl.) 3 10 2015 3 3 - 4 (durchschnittl.) 7 3 2 12 5. Gab es in den letzten fünf Jahren Inobhutnahmen die unter Polizeischutz durchgeführt werden mussten, wenn ja, wie viele? (Aufstellung nach Jahren erbeten.) Zu 5.: Der nachgefragte Tatbestand wird statistisch nicht erfasst. Auf Nachfrage konnten aber 5 Berliner Jugendämter folgende Angaben machen: Mitte Tempelhof-Schöneberg Neukölln Marzahn-Hellersdorf Lichtenberg 2011 6 3 1 2012 2 2 3 2013 1 8 8 3 2014 4 4 14 2015 7 15 8 9 12 Das Hinzuziehen der Polizei bei einer Inobhutnahme ist in bestimmten Fällen notwendig, um z.B. Zutritt zu einer Wohnung zu erhalten, wenn gewichtige Anhaltspunkte Anlass zur Sorge um das Kindeswohl geben und der Zutritt durch die Personensorgeberechtigten verweigert wird. 6. Gab es diesbezüglich in den letzten fünf Jahren in Berlin Strafanzeigen? (Aufstellung nach Jahren erbeten.) Zu 6.: Straftaten anlässlich von Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen werden von der Polizei Berlin statistisch nicht gesondert erfasst. 7. Was muss aus Sicht der Jugendverwaltung verbessert werden, um frühzeitiger in problembelasteten Familien intervenieren zu können? Zu 7.: In der Praxis zeigt sich, dass besonders problembelastete Familien Hilfe benötigen, diese jedoch meistens nicht von sich aus einfordern. Um in problembelasteten Familien noch frühzeitiger intervenieren zu können, gilt es vor allem Eltern so früh wie möglich bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Hier sind alle Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe ebenso einzubeziehen wie die im Gesundheitswesen Tätigen (z.B. Ärzte, Hebammen, Kliniken, öffentlicher Gesundheitsdienst etc.). Das Ziel muss es sein, den betroffen Familien noch systematischer als bisher niedrigschwellige Zugänge zu passgenauen Hilfen anzubieten. Dieser präventive Hilfeansatz wird gegenwärtig mit dem Ausbau der Frühen Hilfen im Rahmen der Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“ gemeinsam mit den Bezirken und freien Trägern unter Einbeziehung des Gesundheitssystems verstärkt umgesetzt. Berlin, den 11. März 2015 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Mrz. 2016) S17-18080 S1718080-Anlage