Drucksache 17 / 18 093 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE), Dr. Klaus Lederer (LINKE) und Dr. Simon Weiß (PIRATEN) vom 22. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Februar 2016) und Antwort Wohngruppenvollzug: Wo steht der Berliner Strafvollzug und wo will er hin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In welchen Anstalten des Berliner Strafvollzugs erfolgt der Vollzug in wie vielen Wohngruppen welcher Größe (bitte nach Teilanstalten aufschlüsseln)? Zu 1.: Die Unterbringung der Strafgefangenen in den Berliner Strafanstalten ist wie folgt strukturiert: Justizvollzugsanstalt (JVA) / Teilanstalt (TA) Anzahl der Stationen bzw. Wohngruppen Größe (in Haftplätzen) JVA Tegel TA II 13 Stationen 8, 10, 24, 30, 30, 30, 32, 32, 33, 34, 35, 35, 36 Haftplätze TA IV (Sozialtherapeutische Anstalt - SothA -) 9 Wohngruppen 11, 11, 12, 12, 15, 18, 25, 25, 25 Haftplätze TA V 10 Stationen 13 bzw. 15 Haftplätze 2 Wohngruppen Bereich Strafgef. mit notierter Sicherungsverwahrung je 15 Haftplätze TA VI 10 Stationen je 15 Haftplätze TA VII (Sicherungsverwahrungs-Bereich) 6 Wohngruppen je 10 JVA Heidering TA 1 12 Stationen je 18 Haftplätze TA 2 12 Stationen je 18 Haftplätze TA 3 12 Stationen je 18 Haftplätze JVA Plötzensee Haus A (geschlossener Vollzug) 3 Stationen 31, 42, 46 Haftplätze Haus B (geschlossener Vollzug) 7 Stationen 10 bis 16 Haftplätze Haus C (geschlossener Vollzug) 4 Stationen je 15 Haftplätze Haus E (geschlossener Vollzug) 5 Stationen 12 bis 16 Haftplätze Haus F (geschlossener Vollzug) 5 Stationen 15 bzw. 16 Haftplätze Haus D (offener Vollzug) 4 Stationen 22 bzw. 23 Haftplätze Haus G (offener Vollzug) 3 Stationen 31, 42, 48 Haftplätze Justizvollzugskrankenhaus 3 Stationen Innere Abteilung: 20, 30, 30 Betten 3 Stationen Abt. Psychiatrie u. Psychotherapie je 12 Betten Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 093 2 JVA des Offenen Vollzuges Hauptanstalt 8 Stationen 30 bis 32 Haftplätze Kisselnallee 4 Stationen 42 bzw. 43 Haftplätze Kiefheider Weg 6 Stationen 36 bis 44 Haftplätze Robert-v.-Ostertag-Str. 6 Stationen 41 bzw. 42 Haftplätze JVA für Frauen Bereich Lichtenberg (geschlossener Vollzug) 6 Wohngruppen 12 bis 14 Haftplätze Bereich Pankow (geschlossener Vollzug) 4 Wohngruppen 9, 11, 19, 19 Haftplätze Mutter-Kind-Bereich 2 Haftplätze Bereich Reinickendorf (Offener Vollzug) 6 Stationen 9, 11,11, 12, 13, 13 Haftplätze Mutter-Kind-Bereich 3 Haftplätze Bereich Neukölln (SothA) (offener Vollzug) 21 Haftplätze auf 4 Wohngruppen verteilt Jugendstrafanstalt Haus 1, 2, 3, 4 (SothA), 5, 6 jeweils 4 Wohngruppen jeweils 11 bis 14 Haftplätze Haus 7 (Aufnahmeabteilung) 2 Wohngruppen 14 bzw. 15 Haftplätze Haus 8 (Drogenfachbereich) 5 Wohngruppen jeweils 6 bis 17 Haftplätze Haus 9 (Untersuchungshaft) 6 Stationen jeweils 9 bis 15 Haftplätze Haus A (Offener Vollzug) 6 Stationen auf 3 Etagen 9 Haftplätze pro Etage Zu der tabellarischen Übersicht ist anzumerken, dass Wohngruppenvollzug im Sinne einer strukturierten Ausgestaltung des Soziallebens im Alltag und in der Freizeit in einigen Bereichen der JVA Tegel (SothA, Unterbringungsbereich für Sicherungsverwahrte, Unterbringungsbereich für Strafgefangene mit angeordneter bzw. vorbehaltener Sicherungsverwahrung) sowie in der Jugendstrafanstalt und in der JVA für Frauen praktiziert wird. 2. Welche Größe einer Wohngruppe ist nach Auffassung des Senats im Hinblick auf das Vollzugsziel der Resozialisierung wünschenswert und welche maximale Größe strebt er an? Zu 2.: Im Hinblick auf das genannte Vollzugsziel ist eine Unterbringung der Gefangenen in Wohneinheiten von überschaubarer Größe wünschenswert, wobei es jedoch keine Kriterien für feste Ober- oder Untergrenzen gibt. Entscheidend ist, ob ein strukturiertes soziales Zusammenleben in den Wohnbereichen möglich ist. Dies wird maßgeblich von den Baulichkeiten, dem erforderlichen Sicherheitsstandard, der personellen Ausstattung sowie einer Reihe weiterer Faktoren mitbestimmt. Darüber hinaus sind die Vollzugsform (offener /geschlossener Vollzug, Jugend-, Frauen-, Männervollzug , Vollzug der Sicherungsverwahrung etc.), gesetzliche Vorgaben sowie inhaltliche Konzepte zu berücksichtigen . Insofern wird bei aktuellen Umbaumaßnahmen sowie bei zukünftigen Planungen vom jeweiligen Bedarf ausgegangen und nicht von festgelegten einheitlichen Standards für die Größe der Wohneinheiten. Diese Sichtweise wurde bei den in jüngerer Zeit realisierten Neubauten - JVA Heidering und Unterbringungsbereich für Sicherungsverwahrte in der JVA Tegel - wie auch bei Umbaumaßnahmen im Altbaubestand der Justizvollzugsanstalten zugrunde gelegt. Dies wird auch die Strategie bei zukünftigen Planungen sein. 3. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen über die positive Wirkung des Wohngruppenvollzuges auf die Resozialisierung der Gefangenen sind dem Senat bekannt und welche eigenen Erkenntnisse hat der Senat dazu? Zu 3.: Zur Wirksamkeit des Wohngruppenvollzugs sind aus jüngerer Zeit folgende Veröffentlichungen bekannt : - Schweikardt, U. & Thomas, J. (2009). Wohngruppe statt Strafvollzug? Empirische Ergebnisse einer Evaluationsstudie . Forum Strafvollzug, 58, 200-2001. Der Aufsatz gründet auf der Diplomarbeit der Erstautorin mit Fokus auf den Wohngruppenvollzug in der JVA Kaisheim in Bayern. - Schweikardt, U. (2014). Die Wirksamkeit des Wohngruppenvollzugs in bayerischen Justizvollzugsanstalten . Eine empirische Studie zur Situation erwachsener männlicher Strafgefangener in Wohngruppen. Hamburg: Dr. Kovac. Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine (auf die Diplomarbeit aufbauende) Dissertation, in der männliche erwachsene Entlassene aus allen bayerischen Anstalten mit Wohngruppenvollzug mit einer sorgfältig ausgewählten Kontrollgruppe verglichen wurden. Die beiden Studien zeigen jeweils positive Effekte des Wohngruppenvollzugs auf Rückfälligkeit, Rückfallgeschwindigkeit und Aussetzung des Strafrests zur Bewährung . Dazu ist anzumerken, dass es große Unterschiede gibt, wie in den bayerischen Vollzugsanstalten eine Wohngruppe definiert wird, insbesondere im Hinblick auf deren Größe. In den betrachteten Anstalten wurden Unterbringungsbereiche mit bis zu 40 Haftplätzen einbezogen . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 093 3 - Seifert, H.-J. (2008). Wohngruppenvollzug für Untersuchungshaftgefangene in der Teilanstalt III der JVA Moabit. In F. Dünkel, K. Drenkhahn & C. Morgenstern (Hrsg.), Humanisierung des Strafvollzugs - Konzepte und Praxismodelle (S. 73-79). Mönchengladbach: Godesberg. Es handelt sich um eine Publikation zum Wohngruppenvollzug in der Untersuchungshaft in der JVA Moabit. Aus dem Berliner Justizvollzug liegen ansonsten derzeit noch keine empirischen Erkenntnisse über die Wirkung des Wohngruppenvollzuges auf die Resozialisierung vor. Dieser Frage wird derzeit in einer breit angelegten Evaluationsstudie der Sozialtherapeutischen Einrichtungen , des Unterbringungsbereichs für Sicherungsverwahrte sowie des Unterbringungsbereichs für Strafgefangene mit angeordneter Maßregel nachgegangen. Mit Ergebnissen im Hinblick auf Resozialisierungseffekte ist erst in einigen Jahren zu rechnen, da seriöse Aussagen über Effekte der Wiedereingliederung erst nach einem längeren Katamnesezeitraum möglich sind. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Wohneinheiten von überschaubarer Größe und mit angemessener personeller Ausstattung, in denen es eine räumliche Infrastruktur gibt, die sich für ein soziales Lernfeld eignet, dazu beiträgt Hospitalisierung zu verhindern. Im Gegensatz dazu zeigt die Erfahrung, dass eine anonyme Unterbringungssituation subkulturelle Aktivitäten unter den Inhaftierten fördert. 4. Welche baulichen Maßnahmen wären erforderlich, um den Strafvollzug in Berlin ausschließlich in Wohngruppen mit maximal 15 Gefangenen durchzuführen (bitte nach Anstalten und Teilanstalten aufschlüsseln)? 5. Mit welchen ungefähren Kosten rechnet der Senat für eine Begrenzung der Wohngruppen auf maximal 15 Gefangene und bis wann wäre eine Umsetzung möglich (bitte nach Anstalten und Teilanstalten aufschlüsseln)? Zu 4. und 5.: Bei der Planung von Baumaßnahmen ist eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen (siehe dazu die Ausführungen zu Frage 2); Angaben oder Richtwerte zu spezifischen Kosten in Bezug auf die Herrichtung und Anpassung von Unterbringungsbereichen oder Teilanstalten für einen ausschließlichen und flächendeckenden Wohngruppenvollzug im Berliner Justizvollzug liegen dem Senat nicht vor; diese lassen sich ohne liegenschafts- und objektbezogene Konzepte, Vorstudien und Machbarkeitsuntersuchungen auch nicht seriös ermitteln . Weiterhin ist auf Folgendes hinzuweisen: Wenn unter dem Begriff „Wohngruppe“ nicht nur die räumlichen Gegebenheiten im Unterbringungsbereich zu verstehen sind, sondern damit ein inhaltliches Konzept verbunden wird, in dem der Strafvollzug ein Übungsfeld für ein geregeltes Sozialleben der Gefangenen im Alltag und in der Freizeit bereitstellt, kann sich die Kostenkalkulation nicht allein auf die Baulichkeiten beschränken. Es müssten neben den Kosten für Umbauarbeiten in den bestehenden Gebäuden die Kosten für evtl. zusätzlich benötigte Personalressourcen in die Kalkulation einbezogen werden. Eine seriöse Schätzung dieser Gesamtkosten ist aufgrund der Komplexität der zu berücksichtigenden Details auch nicht annähernd möglich. Berlin, den 10. März 2016 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Mrz. 2016)